Der politische Reflex ist das Gegenteil von politischer Reflexion!
10. Februar 2022 - Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried "Haslauer stellt die Impfpflicht infrage", berichten die Salzburger Nachrichten (SN. 10.2.22). Seine Begründung: "Ich war immer skeptisch, aber als Ultima Ratio unter dem Eindruck von Delta habe ich das mitgetragen. Aber Omikorn hat die Spielregeln geändert. Die Politik muss so weit sein, sich auf geänderte Spielregeln einzustellen." Damit unterstützt der ÖVP-Politiker den Kärntner SP-Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ), der ein Umdenken schon einen Tag davor öffentlich gefordert hat.
Die Frage ist legitim, ob tatsächlich ominöse Kräfte wie die Virusvarianten von Delta bis Omikron den Politikern "die Spielregeln" vorgeben, oder ob andere Mächte, die nicht demokratisch legitimiert sind, unserem Lande ihre Regeln aufoktroyieren (Stichwort "Big Pharma"). Jedenfalls ist der Begriff "Spielregeln" eine Verniedlichung in Anbetracht der massiven Eingriffe in Freiheits- und Grundrechte, die mit der Impfpflicht einher gehen.
Grundsätzlich gilt, dass sich Umstände ändern und Politik der redliche Versuch sein sollte, auf geänderte Umstände adäquat zu reagieren. Dies sollte in jeder dynamischen Gesellschaft selbstverständlich sein. Lernfähigkeit sollte somit zu den politischen Tugenden zählen. Der Kommentar des FPÖ-Obmanns Herbert Kickl, dessen Partei im Parlament gegen die Impfpflicht gestimmt hat, basiert dem entgegen auf einer Haltung, die jegliche Änderung einer Position umgehend diskredidiert: „Ich denke, der Impfzwang wird noch zum phänomenalsten Salto rückwärts der österreichischen Innenpolitik“.
Damit schürt Kickl nur das Vorurteil, dass Politik bestenfalls aus Darstellern in einer Zirkus-Arena besteht, im Normalfall aber aus Psychopathen, die in schmutzige Geschäfte involviert sind. Sogar wenn sich ein politischer Gegner dem eigenen Programm annähert, so wird dessen neue Erkenntnis reflexartig in den Schmutz gezogen. Der politische Reflex ist das Gegenteil von politischer Reflexion! Der politische Reflex ist einer der Hauptgründe der Diskreditierung der Politik durch die Politiker. Das alles ist leicht durchschaubar und müsste nicht mehr weiter kommentiert werden.
Doch eine weitere Aussage von Wilfried Haslauer muss hier beleuchtet werden, weil sie belegt, dass die Überzeugung, Politik sei dem Wesen nach nicht sachlich begründbar, tief in den Köpfen der Politiker selbst sitzt. Die Vorhaltung der SN, der Landeshauptmann wolle 55.000 betroffene Salzburgerinnen "nicht verprellen" relativiert Haslauer: "es ist der falsche Zugang, dass man das politisch sieht. Ich sehe das rein sachlich, und ein Grundrechtseingriff ist eine ganz schwierige Maßnahme. Die Glaubwürdigkeit steht dann auf dem Spiel, wenn nicht sachlich entschieden wird. Sachlich war die Erlassung der Impfpflicht unter Delta und der dramatischen Situation gerechtfertigt. Jetzt ist eine andere Situation. Wenn man jetzt an der Impfpflicht festhielte, nur um sich politisch keinen Vorwurf auszusetzen, würde ich das als sehr problematisch sehen. Sollte sich herausstellen, dass es unbedingt notwendig ist, dann bleibt es bei der Impfpflicht. Aber derzeit dürfte sie nicht notwendig sein. Aber das entscheidet letztlich die Kommission."
Zum Schlusssatz zuerst: "Die Kommission" ist eine nicht demokratische legitimierte Einheit irgendwo in den Gremien der regierungstreuen Covid-Experten. Dass so eine Kommission "letztlich" entscheidet, ist ein politischer Skandal, der aber noch übertroffen wird von der grundsätzlichen Diffamierung des Politischen an sich. Hier unterscheidet der führende Politiker eines Bundeslandes zwischen "politischen" und "sachlichen" Beurteilungen und Entscheidungen, und zwar in einer Art, dass die eine die andere ausschließt! Wenn Politik von "polis" (Griechisch: die Gesellschaft) kommt, dann kann eine Entscheidung eines Politikers nie entweder sachlich oder politisch sein, sondern muss immer beide Aspekte berücksichtigen. Die Abwägung aller Apsekte (und bei Bedarf auch weiterer, wie Grundwerte, Menschenrechte, Datenschutz, interdisziplinäre Untersuchungen, Expertisen) nennt man Reflexion!
Das Reflexions-Niveau der Politiker findet sich auf niedrigstem Reflex-Niveau. Die Beobachtung unserer Politiker weckt daher häufiger die Assoziation mit einem pawlowschen Hund als mit einer offen Diskussion in der Agora der griechischen Antike.
Zurück zur Sache: "Die Impfpflicht ist unter anderen Voraussetzungen beschlossen worden. Nämlich unter Delta. Da war die Situation eine ganz andere. Wir hatten eine Extremanspannung bei den Intensivbetten", so Haslauer. Der SN-Chrefredakteur Manfred Perterer erinnert in seinem Kommentar an folgende Tatsache: "In der verschneiten Nacht zum 19. November hatten sich die schwarzen und roten Landeshauptleute mit der Bundesregierung noch auf eine allgemeine Covid-Impfpflicht in Österreich eingeschworen". Da stellt sich die Frage, was Corona-Politik mit Verschwörungen zu tun hat - aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es um die Begründung der Impfpflicht, die im November angeblich sachlich und nun nur noch politisch möglich sei. Gerade rechtzeitig, am Tag vor dieser "verschneiten Nacht" fabrizierten die Medien Panikmeldungen über eine drohende "Triage in Salzburg".
Folgende auf AGES/EMS basierende Zahlen - abrufbar auf ORF.at für jeden Tag seit Ausrufung der Corona-Pandemie - waren die sachliche Grundlage dieser - Vorsicht Zynmismus - "rein politischen" Schlagzeilen: 514 belegte Intensivbetten österreichweit am 18.11.2021 (Gesamtzahl Intensivbetten ca 2.500) Das Maximum der Welle im vergangenen Herbst lag am 21.11. 2021 bei 615 belegten Intensivbetten.
Die Vergleichszahlen exakt ein Jahr davor: 18.11.2020: 683 belegte Intensivbetten, und am 24.11.2020 die Spitze bei insgesamt 704 belegte Intensivbetten. Zur Erinnerung: die "Wahrheiten" damals lauteteten "die Impfung ist der einzige Weg aus der Pandemie", "mit 60% Impfquote haben wir die Pandemie bewältigt" und "eine Impfpflicht wird es nicht geben".
Moralisches Resümee
Eine "sachliche" Grundlage für eine Impfpflicht war im November 2021 weniger gegeben als im November 2020. Im Jänner 2022, als das Impfpflichtgesetz durch Nationalrat und Bundesrat gejagt wurde, war eine "sachliche" Grundlage am aller wenigsten gegeben (Intensivbettenbelegung den gesamten Jänner hindurch lag unter 300). Was Haslauer nun offenbar verunsichert, vielleicht sogar mit schlechten Gewissen als "politische" Entscheidung in Frage stellt, ist ein Politik-Verständnis, das die Täuschung der Bürger, ja sogar den Betrug der Menschen zu einem fixen Bestandteil der politischen Praxis macht. Wie schwer es ihm fällt, sich aus diesem Lügengebäude herauszuwinden, zeigt seine Formulierung "Sollte sich herausstellen, dass es unbedingt notwendig ist, dann bleibt es bei der Impfpflicht." Wie soll es "sich herausstellen"? Die Zahlen sind keine politischen Egomanen, die stellen "sich nicht heraus" - die liegen passiv vor uns. Diese abzurufen und sie sachlich miteinander zu vergleichen - das müssen WIR schon selber machen. Dafür brauchen WIR keinen einzigen Experten! Kritische Betrachtung und sachliche Beurteilung reichen vollkommen aus. Diese Fähigkeiten besitzt jeder Mensch und somit auch jeder Politiker. Sachlich und auf Reflexionen basierend muss jede politische Beurteilung die Interessen der Menschen berücksichtigen und daraus eine politische Entscheidung ableiten. Politisch im besten Sinne des Wortes! Wenn wir so weit sind, dann brauchen unsere Politiker keine Gewissenskonflikte mehr auszutragen, ob sie ihre Entscheidungen auf sachlicher oder auf politischer Grundlage treffen. Es ist schön, wenn ein Landeshauptmann dazu lernt. Er sollte dann aber nicht so viel Zeit damit verschwenden, uns und sich einzureden, dass er zum Zeitpunkt einer Fehlentscheidung keinen Fehler gemacht hat!
Nachsatz: Prinzipientreue oder Beratungsresistenz? Welcher Maxime folgt die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer, wenn sie stur in den Raum stellt: "Die Impfpflicht gilt".