Österreich braucht mehr als eine gesamtstaatliche Diskussion
19. Mai 2022 - "Experten fordern offene Debatte über NATO-Beitritt", berichtet der Kurier (18.5.2022) über einen offenen Brief und zitiert den Politologen Anton Pelinka: "Als Alternative zur Neutralität sehe ich nur die NATO - vielleicht eine NATO, die stärker eine europäische Eigenständigkeit betont." Hubert Thurnhofer, Kandidat bei der Wahl des Bundespräsidenten 2022, hält eine offene Diskussion für wichtig. Die bislang vorgetragenen Argumente sind jedoch nicht offen, sondern determinieren den Diskurs: entweder Neutralität oder NATO.
Hubert Thurnhofer bekennt sich zur immerwährenden Neutralität und hält die NATO für eine antiquierte Organisation: "Die NATO wurde als Abwehr des Westens gegen die militärische Macht des Ostblocks geschaffen. Den Warschauer Pakt gibt es seit 30 Jahren nicht mehr. Bis zum Fall des eisernen Vorhangs hatte die NATO 16 Mitglieder, seit 1999 sind 14 neue Mitglieder dazu gekommen, die meisten davon EU-Mitglieder. Wer eine wirklich offene Diskussion will, sollte auch die Option ins Auge fassen, dass sich sich die gesamte EU von der US-dominierten NATO verabschiedet und endlich ein eigenes Verteidigungsbündnis entwickelt."
Über die historische Bedeutung der Neutralität, die für das Nationalbewusstsein der Österreicher essenziell ist, hat unser Kandidat 2022 bereits am 13. März 2022 in einer Presseaussendung informiert - siehe pressetext.com - hier soll der offene Brief, der am 9. Mai 2022 online gestellt wurde - siehe Offener Brief - analysiert werden.
"Wir, die Unterzeichner:innen dieses offenen Briefs, fordern eine ernsthafte, gesamtstaatliche Diskussion über die sicherheits- und verteidigungspolitische Zukunft Österreichs und die Verabschiedung einer neuen Sicherheitsdoktrin."
Unser Kandidat 2022: Zu den Unterzeichnern zählen neben Anton Pelinka auch Alexander Dubowy, Friedhelm Frischenschlager, Rudolf Fussi, Irmgard Griss, Othmar Karas, Johannes Kopf, Gerhard Mangott, Robert Menasse, Velina Tchakarova u.a. Eine gesamtstaatliche Diskussion zu fordern ist immer gut, doch die Forderung nach "gesamtstaatlicher" Diskussion ist bereits eine Eingrenzung auf staatlich legitimierte Institutionen, auf staatlich approbierte Experten. Eine wirklich offene, demokratische Diskussion muss dafür sorgen, dass die Bevölkerung daran teilnimmt!
"Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist nicht nur ein Verbrechen und eine Tragödie, sondern auch der letzte Warnruf an die freie Welt, der auch Österreich angehört. Wenn wir unser Lebensmodell einer unabhängigen, demokratischen und dem Rechtsstaat verpflichteten Gesellschaft beibehalten wollen, müssen wir uns dringlich einer ehrlichen Diskussion stellen, auf welche Weise und mit welchen Fähigkeiten wir uns verteidigen wollen."
Unser Kandidat 2022: Wer nach zwei Jahren Huschpfusch-Gesetzgebung, Verordnungswillkür und Einschränkung der Grundfreiheiten der Meinung ist, Österreich gehöre "der freien Welt" an, betreibt Regierungs-Propaganda statt politischer Analyse. Unter Berücksichtigung der Entwicklung Österreichs seit 2020 wäre zu klären, was die Autoren unter "freie Welt", "dem Rechtsstaat verpflichtet" und "ehrliche Diskussion" verstehen!
"Unsere Neutralität - in der Praxis sehr flexibel interpretiert - wurde nie auf ihre aktuelle Zweckmäßigkeit überprüft, sondern zum vermeintlich unantastbaren Mythos erhoben. Als EU-Mitglied und Teilnehmer an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU ist Österreich schon jetzt zur Solidarität verpflichtet. Angesichts der aktuellen Bedrohung muss es eine Debatte ohne Scheuklappen geben. Die Unterzeichner:innen dieses Aufrufs haben unterschiedliche Positionen zu Fragen wie Neutralität und Bündnisfreiheit, einer vertieften EU-Verteidigungspolitik oder einem Betritt Österreichs zur NATO. Uns eint die Überzeugung, dass der Status quo unserer Sicherheitspolitik nicht nur unhaltbar, sondern gefährlich für unser Land ist."
Unser Kandidat 2022: Die Neutralität ist Teil der österreichischen Bundesverfassung (BVG), somit essenzielle Grundlage unserer demokratischen Republik. Eine "aktuelle Zweckmäßigkeit" zu evaluieren, klingt plausibel und ist im wissenschaftlichen Rahmen legitim. Allerdings müssten Historiker, Juristen, Politologen und Philosophen in so einem Diskurs nicht nur den Zweck des Neturalitätsgesetzes diskutieren, sondern auch klären, warum sich im BVG insgesamt keine Zweckbestimmung befindet - im Unterschied zur Schweizerischen Verfassung. Eine "Debatte ohne Scheuklappen" ist demnach nicht nur anlassbezogen "angesichts der aktuellen Bedrohung" erforderlich, sondern insgesamt in Bezug auf unsere Verfassung, die sich in schlechter Verfassung befindet. Zustimmen kann man der Schlussbemerkung, dass der Status quo unserer Sicherheitspolitik unhaltbar ist.
"Unsere Nachbarschaft ist in den letzten Jahren unsicherer geworden und unsere Gesellschaft zunehmend bedroht: Konflikte in der östlichen und südlichen Nachbarschaft, islamistischer Terror, Einflussnahme auf demokratische Prozesse durch Russland und China, Erstarken gewaltbereiter rechtsradikaler Gruppierungen, Cyberangriffe. Trotz eindringlicher Warnrufe von Experten kam es in der Folge nicht nur zu keiner Stärkung des Bundesheeres und unserer Nachrichtendienste, sondern sogar zu deren Schwächung. Wir sind nun unvorbereitet, und das in der schwersten sicherheitspolitischen Krise Europas seit 1945."
Unser Kandidat 2022: Um sinnvoll über Sicherheitspolitik zu sprechen, ist es zunächst erforderlich, die Bedrohungsszenarien zu analysieren. Der Versuch in diesem Absatz bleibt schwammig und rudimentär. Wo genau befindet sich "unsere Nachbarschaft"? Eine "Einflussnahme auf demokratische Prozesse durch Russland und China" lässt sich in Österreich kaum erkennen, während wir die Demontage demokratischer Prozesse durch die Bundesregierung und das Parlament jeden Tag mitverfolgen müssen. Nach der schwersten Gesundheits- und Wirtschaftskrise, nun also die "schwerste sicherheitspolitische Krise Europas seit 1945." Der eine oder andere Unterzeichner dieser Zeilen hätte sich daran erinnern müssen, dass der Kalte Krieg mit seiner permanenten atomaren Bedrohung für Österreich nicht minder kritisch war. Der Bruderkrieg Russland-Ukraine dagegen stellt für Österreich - wenn sich unsere Herrschaften in der Regierung an das Neutralitätsgesetz halten! - überhaupt keine Bedrohung dar! Die Bedrohung für Österreich liegt primäer in den wirtschaftlichen Schäden, die uns die Regierung durch Infragestellung langfristiger Gaslieferverträge zumutet.
"Wir müssen die sicherheitspolitischen Lehren daraus ziehen, dass sich Österreich energiepolitisch von Russland abhängig gemacht und sich an Putin angebiedert hat – trotz seiner autoritären und menschenrechtsverletzenden Führung, trotz Auftragsmorde in EU-Mitgliedstaaten, trotz kriegerischer Aggressionen."
Unser Kandidat 2022: Auch hier blenden die Autoren die historischen Fakten aus. Als die Welt noch durch den eisernen Vorhang in Ost-West getrennt war, die qualitativen Unterschiede der westlichen Demokratien gegenüber der östlichen Diktaturen offensichtlich waren, hatte Österreich kein Problem mit der Sowjetunion Geschäfte zu machen. Wenn es je eine "Anbiederung" gegeben hat, dann an Leonid Breschnew (Staatschef 1964 - 1982), aber sicher nie an Putin. Verbrechen, die Putin hier persönlich angelastet werden, haben hundertfach in Zeiten des Sowjetkommunismus stattgefunden.
"Wir schlagen daher eine breit angelegte Debatte über die Zukunft der österreichischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor, geleitet durch eine vom Bundespräsidenten eingesetzte unabhängige Expertengruppe.
Unser Kandidat 2022: Dass Expertengruppen unabhängig sind, ist ein altes Ideal, das sich in der Wirklichkeit kaum noch wiederfindet. In unserer politischen Praxis werden Experten bezahlt von staatlichen Organen oder von Parteien. Die Erfahrung zeigt, dass Experten niemals gegen die Interessen ihrer Auftraggeber entscheiden. Darüber hinaus ist aber schon das Konzept, dass Experten über Fragen entscheiden sollen, die das ganze Volk betreffen, demokratiepolitisch höchst bedenklich! Das Recht geht vom Volk aus, so Artikel 1 unserer Verfassung, nicht von den Experten! Somit gilt auch hier: eine wirklich offene Debatte darf nicht auf die Frage "Neutralität oder NATO" eingeschränkt werden und muss die Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen ermöglichen.
"Diese Debatte muss jetzt beginnen, ihr muss ausreichend Zeit gegeben werden, und sie benötigt einen klaren Fahrplan. Sie muss allen Österreicher:innen offenstehen, einschließlich unterstützender Bürgerforen. Als Ergebnis möge das Parlament eine neue österreichische Sicherheitsdoktrin und eine sie implementierende Gesetzgebung beschließen. Diese neue Sicherheitsdoktrin erfordert eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, in der parteipolitische Interessen in den Hintergrund und das Gesamtwohl unseres Staates in den Vordergrund treten sollte. An dieser Diskussion sind wir bereit mitzuwirken."
Unser Kandidat 2022: Diese Forderungen kann jeder Demokrat unterschreiben und jede Demokratie sofort umsetzen. Österreich ist aber - wie das Impfpflichtgesetz beweist, das gegen den Willen der Bevölkerung, gegen 180.000 Stellungnahmen souveräner Bürger dieses Landes beschlossen wurde - keine funktionierende Demokratie mehr. Deshalb muss eine Sicherheitsdiskussion in Österreich mit der Frage beginnen, welchen Bedrohungen unsere Demokratie von innen ausgesetzt ist, und wie wir diese Bedrohungen neutralisieren. Erst nach dieser Diskussion können die Österreicher und Österreicherinnen entscheiden, wie sie ihr Land und unsere Demokratie verteidigen. Der offene Brief dagegen fordert eine Debatte, die dazu auffordert, einen angeblichen äußeren Feind unseres Staates zu bekämpfen. Das ist zu wenig!
NACHSATZ: "75 bis 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung lehnen einen NATO-Beitritt ab. Davon sollte sich die Politik nicht leiten lassen, die große Mehrheit der Bevölkerung sei in den 1980ern auch gegen einen EU-Beitritt gewesen, sagt Pelinka. Würde die Bevölkerung ausreichend über die NATO informiert, 'dann wird sich auch die Stimmung verändern', glaubt Griss", berichtet der Kurier (18.5.2022) über die Position zweier Unterzeichner des offenen Briefes. Irmgard Griss sieht sich wohl selbst als "Sicherheits-Expertin", nachdem sie zuletzt für die Einschränkung der Grundrechte im Interesse der Impfpflicht aufgetreten ist. Und der Politologe Anton Pelinka entlarvt sich selbst als NATO-Propagandisten, der den Politikern empfiehlt, die Meinung des Volkes zu ignorieren, zumindest so lange bis man es über die NATO "ausreichend informiert" habe (dreistellige Millionenbeträge für die Corona-Propaganda können als Beispiel dienen, wie unsere Herrschenden zu "informieren" pflegen).