Es gehört zum Zeitgeist 2023, vielmehr zum Ungeist unserer Zeit, dass hochrangige Politiker ihre politischen Feinde mit Hitler vergleichen. Zum Programm der Vergangenheitsbewältigung, das gescheitert ist und als Vergangenheitsbewältigungskult weiter lebt, gehört, Hitler als größten Bösewicht der Geschichte und die Nazidiktatur als Unrechtsstaat zu charakterisieren. Diese Charakteristik erhebt die Nazidiktatur nolens volens zur einmaligen Ausnahmeerscheinung in der Geschichte der Menschheit, das Mantra, "es darf nie wieder passieren", somit zu einer leeren Floskel, weil ja die Einmaligkeit bereits in der Geschichtsschreibung außer Frage gestellt wurde. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob man Hitler mit menschlichem Antlitz darstellen darf. Der Journalist Timur Vermes hat dies in seinem ersten Roman, der 2012 sofort zu einem Bestseller geworden ist, getan. Mit gefinkelten literarischen Kunstgriffen ist ihm ein großer Wurf gelungen. Ist es ein Buch über den totalen Wahnsinn oder über einen ganz normalen Spinner? Eine Persiflage oder eine Hommage?
(Folgender Text ist erstmals im Februar 2016 auf thurnhofer.cc erschienen.) Ein Buch über Adolf Hitler, der 2011 wie vom Himmel gefallen wieder in Berlin auftaucht und eine Blitz-Karriere hinlegt. Im Medienzeitalter passend als Showmaster, der den Führer mimt (so die Sicht der Produktionsfirma Flashlight), als von der Vorsehung Auserwählter um im zweiten Anlauf den Endsieg zu erringen (so die Sicht von ihm, Adolf Hitler). „Er ist wieder da“, das Romandebüt des gelernten Historikers, Politologen und Journalisten, Timur Vermes, hat – man kann es nicht anders sagen – wie eine Bombe eingeschlagen.
Wikipedia: „Insgesamt wurden bis August 2015 über 2.000.000 deutsche Exemplare sowie über 300.000 Hörbücher verkauft. Die Auslandsrechte wurden an über 41 Länder vergeben und seit Herbst 2014 liefen die Dreharbeiten für die Verfilmung. … Er ist wieder da wurde 2015 unter der Regie von David Wnendt verfilmt, die Rolle Hitlers spielt Oliver Masucci.“
„Hitler, Adolf“ erzählt in der Ich-Form, der Autor findet den richtigen Sprachduktus, der für jede Menge Verwechslungen, Slapstick-Szenen und Kalauer geeignet ist. Aber der Autor überspannt den Bogen nie, verzerrt Hitler nie ins Groteske. Auch die Charaktere und Soziolekte der übrigen Figuren wirken authentisch. Die Menschen und Szenen sind glaubwürdig aus dem Leben, insbesondere aus der Medienwelt gegriffen. Timur Vermes geht sogar noch einen Schritt weiter: er zeichnet Adolf Hitler mit menschlichem Antlitz, der durchaus empathische Züge hat, wenn er sich den Sorgen seines Volkes, insbesondere seiner Mitarbeiter im Filmstudio widmet.
Im Roman startet Hitler seine TV-Karriere mit einem Auftritt in der Sendung des Comedian Ali Wizgür: „Aufgrund genetischer Vermischung paarte sich hier welsches, ja asiatisches Aussehen mit tadellosem, wenn auch in schwer erträglichen Dialekt gefärbtem Deutsch. Diese Mischung gerade schien es, die jenem Wizgür seine Funktion ermöglichte. Sie entsprach in etwa der jener weißen Schauspieler, die sich in den USA schwarz schminkten, um Rollen als Darsteller für dümmliche Neger zu erhalten.“ (S. 150, O-Ton Hitler). Seine erste Ansprache löst eine heftige Kontroverse im Produktionsteam aus, doch die Quote gibt ihm recht. Bald bekommt Hitler eine eigene Sendung, in der er Missstände, insbesondere bei den parlamentarischen Parteien, schonungslos anprangert. Dass er auch die Schlappschwänze der NSDAP-Parteizentrale in Köpenick vorführt, bringt Hitler die höchste Anerkennung in der Medienindustrie, den Grimmepreis, aber auch eine Tracht Prügel von rechten Recken, die ihn krankenhausreif schlagen.
Die literarische Qualität des Romans ist überragend. Somit bleibt nur die moralische Frage offen: darf man Hitler ein menschliches, allzu menschliches Antlitz geben? Anders als der Film von Dani Levy, „Mein Führer“, der 1945 spielt und klar als Persiflage auf Hitler und den Nazismus angelegt ist, ist der Roman von Vermes keine Persiflage auf „meenen Führa“ (so die Wortwahl von „Fräulein Krömeier“, der dem „Führer“ zugeteilten Sekretärin), sondern in Wahrheit eine Persiflage auf den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft im Allgemeinen und der Medienwelt im Besonderen.
Dass ausgerechnet ein Hitler dieser Welt den Spiegel vorhält und dabei gut eingespielte Mechanismen und Seilschaften entlarvt, und zwar glaubwürdig entlarvt, das ist die tiefere Wahrheit dieses Romans. Oder vielleicht doch die infame Doppelbödigkeit des Buches! Denn Hitler kommt hier nicht monströs, nicht grotesk, sondern tatsächlich menschlich rüber. Das ist ein Bruch mit der bisherigen Form der Vergangenheitsbewältigung, den viele als Affront oder Verharmlosung sehen werden.
Man kann darin allerdings aber auch einen moralischen Appell des Autors sehen: warten wir nicht darauf, bis uns ein neuer Hitler mit seiner Wahrheit von den Übeln dieser Welt zu befreien verspricht. Ziehen wir – nachdem alle Gräueltaten der Nazis detailliert dokumentiert, aufgearbeitet und von der Mehrheit der Deutschen bewältigt sind – einen Schlussstrich unter die Vergangenheitsbewältigung und beginnen wir „Babyboomer“ endlich mit der Zukunftsbewältigung! Und die kann nicht gelingen, wenn sich alles um die Frage dreht, ob es in Deutschland einen neuen Hitler geben kann, und wie der wohl auftreten wird. Die zentrale Frage zur Bewältigung der Zukunft lautet: wann werden wir endlich lernen zu durchschauen, welche Systemzwänge und Ideologien unser Denken heute dominieren und welche (demokratisch nicht legitimierten) Kräfte die Systemzwänge und die wachsende Anzahl von Systemmängeln schon längst für sich instrumentalisieren um uns alle zu manipulieren.
Weniger sperrig formuliert, hier die Antwort auf die eingangs gestellte Frage: „Er ist wieder da“ ist ein Buch über den ganz normalen Wahnsinn unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert und eine Persiflage auf die weitgehende Kritikunfähigkeit der heutigen Medien, die sich dem totalen Diktat der Quote unterworfen haben; Ergänzung 2023: und den Herrschaften unserer Regierungen, denen sie aus der Hand fressen, weil sie von diesen ausgesprochen gut gefüttert werden.
Timur Vermes
Er ist wieder da