Ludwig Ralf: Hegel für Anfänger

Phänomenologie des Geistes. Eine Lese-Einführung

(erschienen 1997 bei dtv)

Dr Ralf Ludwig studierte evangelische Theologie und promovierte über Kant. Einleitend gesteht er, "daß ich mich beim Lesen von Hegels schwerer, dunkler Sprache oft nach der schweren, aber klaren Sprache Kants zurückgesehnt habe" (5). Von den Niederungen der trockenen Sprache Hegels zu den schwindelerregenden Höhen Hegelscher Sprachkraft (122) charakterisiert Ralf Ludwig hegelianische Formulierungen (Dichtung? Logorrhoe? Sprachspiel?) höchst unterschiedlich: Hegel gerät ins Schwärmen (70), schwelgt in Worten (127), Hegels Sprache gibt ihre Abstraktheit langsam auf und wird massiv bildhaft (80), Worte voll höchst beeindruckender Wahrheit (143), hochaktuelle Worte (169), hehre Worte (177), umständlich-schöne Umschreibungen (188).

HEGEL u Ralf Ludwig

 

 

Hegel schreibt bekanntlich nicht über Bäume und Wälder, sondern über das Einzelne und Allgemeine, über Bewusstsein und Selbstbewusstsein, An-sich und Für-sich, über Negation und Negation der Negation und benutzt nur selten Beispiele oder Metaphern - nicht einmal den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse macht er zum Thema seiner Geistesgeschichte, in der er die Entwicklung des menschlichen Geistes von der sinnlichen Gewissheit bis zum absoluten Wissen durchschreitet. Die Phänomenologie ist keine Geschichte großer Geister (im Sinne von Egon Friedell), sondern die Geschichte des Geistes an und für sich.

Der Theologe findet bei Hegel, was wohl nur ein Theologe finden konnte: "Zuerst einmal nehmen wir verblüfft zur Kenntnis, daß der Ausgangsort der Dialektik nicht in einem weltfremden Dickicht abstrakter Spekulationen liegt, sondern in dem schlichten Begriff der Liebe. In der Liebe findet Hegel ein untrügliches Sich-Ereignen von Wahrheit, das die gesamte Wirklichkeit durchzieht. Was Hegel über die Liebe sagt, ist ein so kostbarer Schatz menschlichen Denkens, daß damit eigentlich Tonnen von Liebesromanen überflüssig werden." (38)

"Hegels Beispiel von dem Weg der Knospe über die Blüte zur Frucht bestätigt die Erkenntnis, die wir in der Liebe gewonnen haben: Die Wirklichkeit befindet sich in einer Bewegung! Somit ist die Dialektik keine schlaue Methode, mit der wir von außen die Wirklichkeit abklopfen, sondern sie ist eine Bewegung, die wie ein Gesetz alles, was ist, durchzieht. Die Dialektik ist ein Bewegungsgesetz des Lebens." (39)

Die Verdoppelung des Selbstbewusstseins im Bild eines Liebespaares zu veräußern, wäre für einen echten Hegelianer zu billig, ebenso wie den Kampf zwischen Herr und Knecht als soziales Phänomen, anstatt eines Kampfes, den das Selbstbewusstsein als Einzelnes führt gegen das Selbstbewusstsein, das Anteil an einem Ganzen (z.B. einem Volk) haben will. Ralf Ludwig ist kein strenger Hegelianer. Nur so gelingt es, Hegels Denkbewegungen verständlich zu erklären und vollständig darzulegen: von der Sinnlichen Gewissheit zum Selbstbewusstsein und weiter über die Vernunft, den Geist. die Religion bis zum absoluten Wissen.

Gegen Ende der Darstellungen und Auslegungen von Hegels Denkbewegungen scheint Ralf Ludwig schon etwas genervt von der ewigen Wiederkehr der Negation der Negation: "Warum der Begriff der Nützlichkeit so plötzlich auftaucht, der bei Hegel mit dialektischen Umschweifen und dunklem Zierrat an Worten verkleidet wird, mag folgende Überlegung zeigen: Eine Welt, die [...] jegliche Sinndeutung in einem Höheren scharf ablehnt, muß wenigstens etwas bieten, um der Vernunft Raum zu schaffen: die Dinge dieser Welt in ihrer Bedeutung, menschlichen Absichten zu dienen. Insofern ist die Nützlichkeit die Beziehung aller Dinge auf das menschliche Wohl."

Ralf Ludwig beginnt seine Einführung mit den Voraussetzungen, auf die Hegel aufbaut: kritischer Idealismus (Kant), subjektiver Idealismus (Fichte), objektiver Idealismus (Schelling) bis hin zu dem in der Phänomenologie entfalteten absoluten Idealismus. Im Schlusskapitel begibt er sich in das Labyrinth von Hegels Wirkungsgeschichte, wo er zunächst auf David Friedrich Strauß trifft, der die Unterscheidung zwischen Rechtshegelianern und Linkshegelianern getroffen hat. Es folgen zwei herausragende Namen: Ludwig Feuerbach und Karl Marx. Für all jene, die nach der Lektüre von Hegel einen Arzt brauchen, öffnet Ralf Ludwig seine "Hausapotheke für Angeschlagene". Darin findet der Leser ein amüsantes Dramolett von Friedrich Georg Ludwig Lindner mit dem ernsthaften, aber nicht ganz ernst gemeinten Titel: "Der von Hegel'scher Philosophie durchdrungene Schuster-Geselle oder der absolute Stiefel". Hegelianisch betrachtet eine Aufforderung, in der Negation des Tiefsinns zum Leichtsinn vorzudringen, denn der Geist bewegt sich nicht nur gravitätisch- dialektisch von der primitivsten zur höchsten Stufe seines eigentlichen Seins, sondern er weht auch fallweise wo er will und hinterlässt dabei so manche Spuren der "unerträglichen Leichtigkeit des Seins" (Milan Kundera).

Wer Hegel verstehen will, muss Ralf Ludwig lesen, wer schwelgen oder sich gar in Trance versetzen will, um sein sich selbst entfremdetes Bewusstsein in der Negation der Negation zu finden, der soll Hegel lesen. Das ist auf jeden Fall besser, als Koks-, Heroin- oder übermäßiger Alkoholkonsum.

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