HBP: Hubert Thurnhofer im Interview

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HBP (Protokollarische Abkürzung für: Herr Bundespräsident)

von Dietmar Koschier, Autor der Bücher „Sehnhunde aus Grölland“ und „Katzengräser“, beide erschienen im Resistenzverlag, sowie "Auf krummen und geraden Wegen", Edition Sonnberg.

10. Juni 2022 - Gemäß der österreichischen Verfassung kommen dem Amt des Bundespräsidenten umfangreiche Befugnisse zu. So ernennt oder entlässt er die Regierungsriege und ist unter anderem oberster Befehlshaber des Bundesheeres. Er oder sie gilt als Staatsoberhaupt. Dabei ist der sogenannte „Rollenverzicht“ in Österreich gängige Praxis, wonach sich dieses Staatsoberhaupt nicht ins politische Tagesgeschäft einmischen soll. Kritiker, die das Amt an sich für verzichtbar halten, verunglimpfen es deshalb gern als Grüß-August oder Zeremonienmeister, der hauptsächlich dafür Sorge trage, dass dem Protokoll und den Formalitäten Genüge getan werde. Bei unseren Schweizer Nachbarn beispielsweise gibt es den Bundespräsidenten als eigenes Amt gar nicht, dort übernehmen jährlich wechselnd Regierungsmitglieder diese Aufgabe. Eine pragmatische Lösung, aber kann bzw. möchte man sich dies vorstellen in einem Land, das einst Teil einer großmächtigen Monarchie gewesen ist und durch das noch immer ein Glanz der alten Zeiten weht?

Nach zwei Amtsperioden Heinz Fischers wurde das Ergebnis der BP-Wahl 2016 vonseiten der FPÖ, deren Verdächtigungen sich als haltlos herausstellten, angefochten. Der dadurch notwendig gewordene zweite Urnengang wurde für ungültig erklärt wegen Produktionsfehlern bei den Wahlunterlagen. Voreilige Satiriker brachten deshalb schon Jux-Leiberl in Umlauf mit der Aufschrift Bundespräsidentenwahl 2016-2019 – ich war dabei.
Beim dritten Anlauf setzte sich Alexander Van der Bellen vulgo VdB (parteifrei, von den Grünen unterstützt) in der Stichwahl gegen Norbert Hofer (FPÖ) mit 53,8 % zu 46,2 % durch. Wahlbeteiligung betrug 74,2 %. Man munkelt, dass viele nur deshalb VdB ihre Stimme gegeben hätten, um einen FP-Kandidaten abzuwenden, aber dass VdB viele Fans gewonnen habe, als er während der innenpolitischen Verwerfungen in Folge des berühmt-berüchtigten Ibiza-Videos – Minister und Regierungen traten zurück bzw. wurden zurückgetreten, und Österreich bekam erstmals eine parteifreie Experten-Regierung unter Bundeskanzlerin Bierlein –, kalmierend und besonnen agierte, während boulevardeske Wischblätter bereits eine Staatskrise heraufbeschworen.
2016 war auch das Jahr, in dem die Kandidaten der etablierten Großparteien, Andreas Khol (ÖVP) und Rudolf Hundstorfer (SPÖ), zum ersten Mal deutlich ins Hintertreffen gerieten und es nicht über die erste Runde hinaus schafften. Politische Beobachter sprachen von einem Paradigmenwechsel. Insofern, dass erstmals nicht mehr jene Kandidaten mitmischten, die auf Unterstützung eines alteingesessenen Parteiapparates zählen können. Dies wurde auch als Ausdruck der oft zitierten Politik(er)verdrossenheit gewertet. Symbolisch dafür mag Hundstorfers resignativer Gesichtsausdruck bei manchen TV-Debatten gelten, als würde er innerlich seufzen: „Jetzt fragt sie mich schon wieder was! Was soll ich denn ich noch für Antworten erfinden?“

Der Bundespräsident ist das einzige Amt, das vom Volk direkt gewählt wird. Das bedeutet, dass nicht irgendeine abstrakte Partei bestimmt wird, die dann ihrerseits leibhaftige Abgeordnete entsendet, sondern eine Persönlichkeit aus Fleisch und Blut. Mit der Pädagogin Ludovica Hainisch-Marchet sowie dem Priester Johannes Ude gab es bereits bei der ersten Bundespräsidentenwahl der zweiten Republik im Jahre 1951 zwei unabhängige Kandidaten. Beide jedoch blieben mit 0,05% bzw. 0,1% aller abgegebenen Stimmen chancenlos. Viele der Unabhängigen scheitern von vornherein an der Hürde von 6000 notwendigen Unterstützungserklärungen und erfüllen somit nicht die Bedingungen, um zur eigentlichen Wahl zugelassen zu werden. Achtungserfolge erzielten in der Vergangenheit etwa Gertraud Knoll (1998 14%), Irmgard Griss (2016 19%) oder Richard Lugner (1998 10%, 2016 2%), obwohl man sich bei letzterem fragen darf, ob die Augen nicht größer waren als der Magen…

Zufällig gerät bei einem Tag der Offenen Tür am Kempelenpark Wien die Visitenkarte eines Mannes in meine Hände – laut Eigenbeschreibung „einer der wenigen, der den Mann ohne Eigenschaften vollständig gelesen hat“ –, der sich darauf als Bundespräsidentschaftskandidat vorstellt. Damit weckt er unser Interesse. Sonderling oder Visionär? Querdenker oder Querschläger? Wir treffen uns im dritten Wiener Gemeindebezirk in einer Galerie, in der er Kunst aus Israel präsentiert.
Hubert Thurnhofer, geboren 1963 in Mürzzuschlag. Studium der Philosophie an der Universität Wien mit Abschluss 1987 zum Thema „Musil als Philosoph“. Galerist, Journalist, Manager, Lektor. Fünf Jahre Auslandsaufenthalt in Russland, wo er den Um- und Zusammenbruch des politischen Systems mitverfolgt hat. Alles, was er macht, mache er entweder „ganz oder gar nicht“. Seine Entscheidung, es im Leben aufgrund eigener Qualifikation schaffen zu wollen und nicht aufgrund von Parteibuch oder Freunderlwirtschaft habe sich erwiesen als „pragmatisch falsch, aber ethisch richtig.“