Was bleibt, wenn Werte fallen?

14. Jänner 2025 - In ihrem LEITARTIKEL vom 9. Jänner 2025 schreibt NEWS-Chefredakteurin Kathrin Gulnerits: „Demokratie lebt von Kompromissen. Doch wenn Prinzipien geopfert werden, um Macht zu sichern, gerät das Fundament ins Wanken. Genau das passiert gerade: Eine Partei, die einst warnte, verhilft jenen zur Macht, die sie als Gefahr gebrandmarkt hat. Was bleibt, sind Fragen. Was fehlt, ist klare Haltung.

ethos NEWS Diskurs

Wenn eine Chefredakteurin Werte, insbesondere Haltung, entdeckt und von Politikern einfordert, dann weckt das den letzten schlafenden Moralphilosophen des Landes. Man könnte sogar sagen: es bringt ihn auf die Palme! Die Rede ist von Hubert Thurnhofer, den Chefredakteur von ethos.at. UMLEITUNG eines Querdenkers.

Haltung! Ex-Vizekanzler Mitterlehner hat seine Memoiren so betitelt, und erst vergangene Woche hat die Wirtschaftskammer eingefordert: „Wir brauchen eine neue Haltung". Begründet hat dies der Präsident der WKSteiermark, Josef Herk: „Wir haben ein System geschaffen, das systematisch jene Eigenschaften zerstört, die eine erfolgreiche Wirtschaft und Gesellschaft ausmachen.“

Wir! Ist das „wir, die Wirtschaftskammer“ oder „wir, ein nicht weiter definiertes, ominöses System“, oder das uns wohl bekannte System, das die Sozialpartner seit Jahrzehnten mitgestalten, für dessen Fehlentwicklungen aber immer „die anderen“ verantwortlich sind? Auch Gulnerits beschwört das große Wir: „Es entgleitet Uns etwas – schleichend, aber spürbar.“ „Uns, den Medien“, die, wie wir (die Leser!) nebenbei erfahren, „in einer existenziellen Krise“ stecken, oder „uns, den Menschen dieses Landes“?

Privilegierte Meinungsmacher, die in Massenmedien oder etablierten Organisationen von „Wir“ und über „Uns“ schreiben und damit alle Bürger dieses Landes vereinnahmen, sind ident mit jenen, die den Leitspruch der DDR-Opposition, „Wir sind das Volk“, den die Corona-Maßnahmenkritiker bei ihren Demos auf die Banner gehoben haben, als Nazi diffamierten (und es fallweise immer noch tun). NEWS (25.1.2024): "Berlin, Deutschland: Gut, dass es sich endlich gegen Nazi-Unrat rührt, schlimm allerdings der Anlass. Was schon während der Corona-Zeit sein Haupt erhoben hat, wird jetzt virulent. Die Krise führt zur Radikalisierung nach rechts, und mittlerweile ist das Pack dank aufmerksamer Beobachter aufgeflogen. Es geht um nichts Geringeres als die Außerkraftsetzung der Grundrechte.“ Für diesen Hassartikel wurde NEWS vom Presserat verurteilt, die geforderte Veröffentlichung des Urteils ist (rechtlich nicht einklagbar, aber moralisch untragbar) unter den Tisch gefallen.

Der aktuelle Kommentar der Chefredakteurin Gulnerits wiederholt dem Wessen nach die plumpe Diffamierung von dem, „was“ schon während der Corona-Zeit gegen die Demontage unserer (ja, unserer!) Demokratie öffentlich demonstriert hat; selbstverständlich nicht in plumper Polemik, sondern mit subtiler Wortwahl, aber nicht weniger schlimmen Unterstellungen.

Unterstellung 1: Björn Höcke, ein ausgemachter Nazi, gratuliert Herbert Kickl! Da Höcke weder Babler, Nehammer oder Meinl-Reisinger gratuliert hat, ist klar, dass einer, dem er die Hand reicht, keiner von uns, sondern nur einer von denen sein kann. Wenn Höcke eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert, braucht eine anständige Chefredakteurin ihre Entrüstung nicht mehr zu artikulieren; die ist bereits im Mainstream vorgegeben. Doch Entrüstung ist nie ein Beitrag zur Abrüstung, sondern im Gegenteil. Statt die Nazikeule zu schwingen, sollte man an den Aufsatz des sozialistischen Philosophen Rudolf Burger, der 2001 im Standard erschienen ist, erinnern: "Die Irrtümer der Gedenkpolitik".

Unterstellung 2: „Zäsur“, „Zeitenwende“, „Teufelszeug“, „Kanzler-Opfer“ und „Radikale“ – als Kronzeuge für die Bedrohung, die einzig und allein durch einen „Volkskanzler“ Kickl in die kleine Welt (in der die große ihre Probe hält) kommen wird, fungiert niemand Geringerer als Robert Habeck, Spitzenkandidat der deutschen Grünen. Die Frage „Was wird das Ausland dazu sagen?“, hat schon Egon Friedell in seiner Satire „Die Österreichische Seele“ als genuin österreichisch charakterisiert! (In memoriam: Gelesen von Otto Schenk) Bei aller apokalyptischen Rhetorik ist diese Frage jedoch irrelevant für das Thema Ethik und Moral, Werte und Haltungen.

Die einleitenden Absätze des NEWS-Leitartikels leiten nicht über zu einem Diskurs über grundlegende Fragen unseres Landes, sondern läuten Sturm; in quasi-religiöser Manier, zumal eine Partei „als Gefahr gebrandmarkt“ wurde.

Ethische Fragen sind Grundsatzfragen. Die primitiven Vor-Haltungen, wer wann wen wie beschimpft hat, sind dagegen journalistische Methode, die jede Journalistin von der Pflicht zur Recherche und Gegenrecherche enthebt. Denn die Journalistin 4.0 sagt nicht, was ist (was geprüfte Tatsache ist), sondern nur, wer was gesagt hat. Der klassische Journalismus nach der Methode Check-Recheck-Doublechek besteht nur noch darin, ob die Namen der betreffenden Akteure richtig geschrieben, bzw. die Zitate nicht dem falschen Sprecher in den Mund gelegt wurden.

Gulnerits: „Kickl, der den Bundespräsidenten, der ihn angeloben wird, als ‚senil‘ und ‚Mumie in der Hofburg‘ beleidigt hat“. Die Welt ist alles was der Fall ist, sagte Wittgenstein. Für die Welt der Medien wird all das zum Fall der Berichterstattung, was nach Beleidigung klingt und das Potenzial zum Skandal hat. Tagtägliche Beleidigungen aller gegen alle moralinsauer einer einzigen Partei vorzuhalten, wäre geradezu lächerlich, wenn es nicht typisch für „unsere“ allgegenwärtige Doppelmoral wäre. 

Es besteht der Verdacht (Vorsicht, Verschwörungstheorie!), dass sich diese Doppelmoral als "Haltung" in der Nomenklatura der Politiker bereits festgesetzt hat. Ganz im Geiste unseres Staatsoberhauptes VdB, der in seinem Buch „Die Kunst der Freiheit“ verkündet hat: „Verschweigen, vernebeln oder gegen die eigene Überzeugung reden kann im politischen Kontext manchmal sogar vernünftig und strategisch zielführend sein.“

Gulnerits: „Ein Mann und eine Partei, die den politischen Diskurs mit destruktiven Parolen vergiftet haben.“ Falsch! Alle Männer, Frauen und Diversen, die in den vergangenen Jahren in politischen Positionen waren und immer noch sind, haben den politischen Diskurs vergiftet; nicht nur mit destruktiven Parolen, sondern noch mehr mit Diffamierung und Diskreditierung Andersdenkender. Seit Ausbruch der Corona-Herrschaft wurde damit die Demokratie (die dem Wesen nach Offenheit, Meinungsvielfalt und Gewaltenteilung bedeutet) so substanziell zerstört, dass für einen „Volkskanzler“ nichts mehr zu zerstören übrig ist.

Die Warnrufe, Kickl würde die „3. Republik“ einläuten (mit denen jüngst Franz Fischler mediale Wellen schlagen konnte), sind insofern „gequirlte Scheiße“ (© Russel Brand, ein MTV-Moderator, der dem weltgrößten Verlag das Buch „Revolution“ ablieferte, nicht weniger als eine „Anleitung für eine neue Weltordnung“). Was soll daran so schlimm sein, die demolierte 2. Republik neu aufzubauen? Immerhin eine Republik, keine Diktatur, wie die Corona-Herrschaft von einigen ernst zu nehmenden Kritikern bezeichnet wurde. (Wehe dem, der Monika Donner ernst nimmt!)

Gulnerits: „Damals, als die FPÖ erstmals unter einem ÖVP-Kanzler Schüssel an die Macht kam, gingen Tausende im Land auf die Straße. Die Proteste waren laut – und wirkungsvoll. Heute? Schulterzucken. Desinteresse.“ Falsch! Wo hat die News-Chefredakteurin am 9. Jänner ihren Kommentar geschrieben, just zu der Zeit, als auf dem Ballhausplatz rund 30 Organisationen der ÖNZ (Österreichisches Netzwerk Zivilgesellschaft) „Alarm für die Republik“ geschlagen haben?

Gulnerits: „Wann ist uns der moralische Kompass aus der Hand geglitten?“ Die Frage impliziert, dass es irgendwann, irgendwo in Österreich einen entsprechenden Kompass gegeben hätte. Die scheidende Ministerin Raab wollte noch im Vorjahr einen Diskurs über „Leitkultur“ initiieren und ist damit schon bei der Ankündigung gescheitert. Die laufenden Bemühungen von ethos, Beiträge für eine (Neu-)Orientierung Österreichs zu liefern scheitern daran, dass Medien wie NEWS unsere(!) Diskussionen nicht aufgreifen, und die Mächte des Staates alles dazu beitragen, Diskurse, die substanzielle Fragen stellen und damit auch den Status quo in Frage stellen, zu verhindern.

Gulnerits: „Wann wurde die Grenze des Sagbaren endgültig verschoben?“ Die Frage impliziert: Das „Unsagbare“ ist immer öfter Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Wenn das „Sagbare“ jenen Bereich eingrenzt, der als „Alternativlosigkeit“ das letzte erfolgreiche Exportgut aus Deutschland geblieben ist (wozu Wirtschaftsminister Habeck alle Ehre gebührt), dann ist diese Verschiebung in Wahrheit ein Gewinn an sich und für die Demokratie.

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. 

P.S. Der letzte Satz in Wittgensteins Tractatus logico philosophicus beendet diesen kleinen Rekurs, könnte aber auch der erste Satz einer Fortsetzung dieser Ausführungen sein, unter der Prämisse, dass der Bereich „wovon man nicht sprechen kann“ außerhalb der Grenzen des Sagbaren liegt, während die Politik (nicht nur Parteipolitik, sondern alles Politische) das Denkbare und somit auch Sagbare sein muss. Man darf gespannt sein, ob diese Fortsetzung von Kathrin Gulnerits kommt und – um zum religiösen Duktus zurück zu kehren - ob die Chefredakteurin sich berufen fühlt, NEWS zum Medium dieses Diskurses zu erheben.