Die Journalistin Mailys Khider hat mehrmals in Kuba recherchiert und mit kubanischen Ärzten gesprochen, die von ihren Auslandsmissionen berichten. Im Interview mit LeMedia spricht sie über ihr Buch "Médecins cubains. Les armées de la paix“ ("Kubanische Ärzte. Die Armeen des Friedens“). Das Interview ist auf Französisch, die wichtigsten Inhalte hat Sigrid Thurnhofer zusammengefasst:
Aufgrund langjähriger Erfahrungen in Krisensituationen reagierte Kuba viel effizienter als andere Länder, die Corona-Epidemie einzubremsen. Zu Beginn gabe es auch in Kuba Panik. Zuerst wurden die Grenzen geschlossen, die positiven Fälle im Krankenhaus versorgt oder zu Hause isoliert. Nach Öffnung der Grenzen für den Tourismus sind die Fälle wieder in die Höhe geschnellt. Im Juli 2020 gab es 60 Todesfälle pro Tag, was wieder zu Panik führte. Heute wird zu Beginn einer Infektion Interferon verabreicht, das sehr gut das Immunsystem stärkt und bei schweren Fällen geben die Ärzte „Anticorps monoclonaux“. Es ist nicht zu verstehen, warum diese Behandlungsmethoden bei uns nicht angewendet werden, da es Studien darüber in Europa gibt und sie in Kuba sehr gut funktioniert haben.
Zudem hat Kuba eigene Impfstoffe entwickelt, in eigenen Laboratorien, die vollständig unabhängig sind von den großen Pharmafirmen. Dort wurden fünf Impfstoffe entwickelt, die in unterschiedlichen Fällen eingesetzt werden. Die häufigste Impfvariante ist Abdala, die in 3 Etappen verimpft wird. Entwickelt wurde mit Technologien, die sich seit den 1980er Jahren bewährt haben, und die nun an Covid angepasst wurden.
Kubanische Ärzte sind sehr schnell einsatzbereit und imstande, in Krisengebieten die jeweilige epidemische Lage sehr rasch zu verstehen, da sie in Havanna vor ihrer Abreise sehr genau instruiert werden.
Das kubanische Gesundheitssystem basiert auf mehreren Pfeilern:
1) Die Prävention: in Kuba liegt das Hauptaugenmerk darauf, dass die Menschen gar nicht erst krank werden. Einerseits wegen des Embargos und andererseits, weil die Menschen sehr arm sind. D.h., anstatt zu therapieren achten sie lieber auf Vorsorge.
2) Die kostenlose ärztliche Versorgung: (Erbe der Revolution von 1959) sowohl für Routine-Eingriffe als auch für schwierige Operationen. Grundsatz: die Medizin darf nicht zu einer Ware werden.
Kubanische Medizin wird derzeit in viele Länder „exportiert“, sowohl in arme Länder als auch in die Industrienationen des Nordens, und das trotz dem immer noch bestehenden Embargo der USA. Eine Expertise in medizinsicher Forschung sowie in Präventionsmedizin wie in Kuba findet man schwer anderswo. Heute produziert Kuba seine eigenen Impfstoffe gegen das COVID-19, unabhängig von den riesigen globalisierten Pharmafirmen, denn in Kuba sind auch die Laboratorien öffentliches Gut. Eine Souveränität, die Kuba infolge oder trotz des amerikanischen Embargos erworben hat, - ein Embargo, das die Insel zu Armut und Rohstoffmangel verurteilt hat.
Kubanische Ärzte werden in viele Länder dieser Erde geschickt. Während des 1. Lockdown rief Italien kubanische Ärzte um Hilfe. Das war das erste Mal, dass kubanische Ärzte nach Europa kamen. Im April 2020 entschied die französische Regierung, kubanischen Ärzten die Erlaubnis zu geben, in den französischen Überseegebieten zu helfen.
Während der Diskussionen über das Gesetz „Meine Gesundheit 2022“, die 2019 stattfanden, forderte man die Erlaubnis ein, dass Ärzte außerhalb der EU die Autorisierung bekommen zu helfen. Die Autorisierung ging durch, nur kubanische Ärzte waren nicht auf der Liste. Deshalb haben 2020 Parlamentarier der Überseegebiete gefordert, dass auch kubanische Ärzte in die Hilfsteams dürfen, weil sie sehr gute Ärzte sind und weil sie gut die Herausforderungen der karibischen Zonen kennen.
Wie ist es möglich, dass man Ärzte einer kleinen Insel (11 Millionen Einwohner auf ca 110.000 Quadratkilometern) zu Hilfe ruft?
Die Gesundheitsmissionen der kubanischen Ärzte entlarven unser kaputtes Gesundheitssystem, dessen Schwächen Covid offengelegt hat: Abbau von Betten seit rund 10 Jahren, sodass die Krankenhäuser nicht mehr in der Lage waren, Covid-Patienten zu behandeln, und somit andere Patienten abweisen mussten.
Die Souveränität, die sich Kuba hart erarbeitet hat, zeugt von einer viel größeren Effizienz. Ein kubanischer Arzt, der in Mailand im Einsatz war, musste feststellen, dass die Krankenhäuser über Massen von Medikamenten, Maschinen und über alle möglichen Ressourcen verfügen, aber sie haben kein Personal. Sie haben nicht genug Pflegekräfte, nicht genug Ärzte. (Viele Ärzte in Italien wandern zudem aus, da sie im Ausland viel besser verdienen.) All das hat diesen Arzt sehr verwundert, zumal er unter viel besseren Bedingungen schon in Mexiko oder in der Dominikanischen Republik gearbeitet hat. Soweit zu Italien.
In den französischen Überseegebieten mussten die kubanischen Ärzte feststellen, dass sie in einer medizinischen Wüste gelandet sind, wo es keine Beatmungsmaschinen gab, kaum Ärzte, kaum Betten und einen riesigen Mangel an Spezialisten. Es fehlt auch heute noch an allem, da das Problem noch nicht gelöst ist, und die Politiker der Überseegebiete diskutieren nun mit den Ärzten von Kuba, wie sie für mehrere Jahre dort arbeiten können, speziell Spezialisten in Onkologie usw.
Kubanische Medizin basiert auf ausgeprägter Forschungstätigkeit, sodass sich dort eine Menge Spezialisten herausgebildet haben, v.a. in der Onkologie, Augenheilkunde. Zudem hat Kuba die größte Ärzte-Dichte auf der ganzen Welt. Vor 1959 arbeiteten viele Ärzte auf selbständiger Basis und während der Revolution sind viele in die USA emigriert. Kuba fand sich damals mit einem großen Ärztemangel wieder. Che Guevara sprach mit Fidel Castro und sagte: „Wenn wir diese Revolution führen wollen, muss sie u.a. auf der Medizin aufbauen“ (er selbst war ja auch Arzt). So begannen sie also, eine große Anzahl von Ärzten auszubilden. Guevara verlangte auch, dass die Ärzte in den Gemeinden leben müssten, er müsse alle seine Patienten kennen, um so eine soziale Medizin entwickeln zu können. Er meinte, ein Gesundheitssystem, das nicht sozial ist, hätte keinen Sinn. Dieses Konzept wird bis heute praktiziert, sodass jeder Familienarzt auch die psychologischen Themen seiner Patienten kennt. Somit kennen sie auch jene Probleme besser, die gewisse Regionen oder gewisse Altersgruppen betreffen. Diese Gesundheitspolitik ist ganzheitlich; und die Ärzte nehmen sich noch genug Zeit für ihre jeweiligen Patienten, im Gegensatz zu den Ärzten in Frankreich. "Zeit ist Geld" ist leider auch zu einer Maxime des europäischen Gesundheitswesens geworden.
Derzeit gibt es in Kuba mehr als 95 000 Ärzte, was eine enorme Zahl ist, daher können sie diese auch "exportieren". In Kuba ist die Ärztedichte sehr hoch, da sie die Verpflichtung haben, sich in bestimmten Gebieten niederzulassen. Sie haben nicht die Freiheit, sich den Ort ihres Wirkens selbst auszusuchen. Deshalb gibt es nicht nur in den großen Städten, sondern auch auf dem Land und in den Bergen genug Ärzte. Auch in den kleinen Orten gibt es Kliniken und zudem viele Hausärzte.
Kurz: die Dichte der Hausärzte und das Prinzip der Vorbeugung ist eines der Charakteristika der kubanischen Gesundheitspolitik. Prävention zeigt sich z.B. am Thema Schwangerschaft: Kinder und Schwangere Frauen sind in Kuba fast etwas Heiliges. Wenn ein Kind geboren wird, haben sie ihre kubanischen Impfseren, die sie verabreichen. Die Frauen selbst werden während der Schwangerschaft sehr engmaschig von Zahnärzten, Psychologen, Gynäkologen betreut. Sie werden von ihren Ärzten regelmäßig auch zu Hause betreut. So verhindert man Krankheiten, die während der Schwangerschaft oder beim Fötus auftreten könnten.
(Ein Beispiel für Präventivmaßnahmen sind jene gegen Krankheiten, die von Stechmücken übertragen werden: In Zonen, wo sich dies Mücken vermehren, wurde großflächig das Gras geschnitten, um ihren Lebensraum zu reduzieren. )
Seit 1962 gibt es immer mehr Auslandseinsätze kubanischer Ärzte. Ihr erster Einsatz fand in Algerien während der Unabhängigkeitskriege gegen Frankreich statt. Seid damals praktizieren immer noch viele kubanische Ärzte in Algerien. Heute sind kubanische Ärzte in der ganzen Welt gefragt. Denn sie sind berühmt für ihre präventiven Methoden und dafür, dass sie vor Ort und in abgelegenen Regionen sehr schnell improvisieren können. Kubanische Ärzte werden außerdem gut ausgebildet für Umweltkatastrophen und Epidemien. Daher hat man sie nicht nur für COVID gerufen, sondern schon 2014 während der Ebola-Epidemie. Während viele der heimischen Ärzte in Afrika vor Ebola geflohen oder daran verstorben waren, hatten großteils kubanische Ärzte schnell Feldlazarette aufgestellt, haben ein Protokoll entwickelt, die Menschen rehydriert und ihnen Antibiotika gegeben. Im Prinzip ein einfaches Protokoll, aber es braucht halt Ärzte und Medikamente, und Liberia war in diesem Punkt nicht gut aufgestellt.
2005 hat Kuba nach den Hurrikan Katrina den USA Hilfe angeboten, nachdem New Orleans zerstört worden war. Kuba hätte 1400 Ärzte innerhalb von 24 Stunden schicken können, mit 32 Tonnen Gratis-Medikamenten, doch Präsident Bush sagte, sie bekämen kein Visum, es gäbe keine diplomatischen Beziehungen, also „nein, danke“. Die Ärzte wurden später nach Pakistan geschickt um Erdbebenopfern zu helfen.