Über die Evolution der Wissenschaften und ihre mechanistische Verengung nach Rupert Sheldrake
Von Manfred Stangl (Herausgeber der Zeitschrift Pappelblatt. Heft 30, Herbst/Winter 2023 widmet sich dem Schwerpunktthema Wissen und Wissenschaft)
„Der Wissenschaftswahn“ lautet ein Buchtitel Rupert Sheldrakes, bekannt als der Erforscher morphogenetischer Felder und Verfasser einer Evolutionstheorie, die den Geist aus der Materie nicht vollkommen ausschließt. Der Untertitel des fast 5oo seitigen Werks lautet: „Warum der Materialismus ausgedient hat“, und ist völlig angebracht. In zahlreichen Beispielen schildert Sheldrake, wie die mechanistische Weltanschauung, geronnen zum unseligen Weltbild der heutigen Naturwissenschaften, tatsächliche wissenschaftliche aber auch soziale Entwicklung verhindert. Milliarden werden in Projekte gesteckt, die genetische Codes entschlüsseln sollen, oder Molekularbiologe und Apparatemedizin aufblähen. Die häufigste Krankheit in den USA jedoch, die Fettleibigkeit, lässt sich weder durch Medikamente noch durch Chirurgie treffend behandeln. Ohne seelische Gesundheit wird die westliche Kultur stets kränker, selbst wenn die technischen Mittel unbeschränkt scheinen. Allerdings auch dies nur bedingt – die Kosten der teuren Krankenhausmedizin stiegen exorbitant, kaum ein Staat wird sie sich, gerade in Zeiten der Bankenrettungen, in Zukunft leisten können.
Feststellungen, die Ivan Illich übrigens schon in den 7oiger Jahren getroffen hat, und die bei aktuellen Krisen der Gesundheitssysteme nun nicht mehr wegzuleugnen sind. Moderne Forschung versteht sich als Instrument einer Ideologie, die seit der Aufklärung das Göttliche aus dem Universum und der Natur vertreiben will. Daher die Blindheit der Wissenschaften Augenscheinlichem und vom gesunden Menschenverstand Begriffenem gegenüber. Parapsychologische Phänomene wie das Erspüren von Blicken, die auf einen gerichtet sind, Ahnungen zukünftiger Ereignisse, Telepathie usw. werden von den etablierten Wissenschaften strikt als Humbug ignoriert. Klarerweise kann es laut materialistischem Weltbild, in dem Geist bloß als chemischer Prozess des Gehirns betrachtet wird, so etwas wie Gedankenübertragung nicht geben. Bei radikalen Reduktionisten steht ja in Frage, ob so etwas wie Geist/Bewusstsein überhaupt existiert, oder das Gehirn unbestimmt vor sich hin funkt: Da erweist sich Sheldrake als so originell, die Mechanisten zu fragen, welche dieser Funken sie auf ihr mechanistisches Weltbild gebracht haben, bzw. wenn Materie oder gar der Mensch ohne selbstständiges Bewusstsein sei, wie die Hirnforscher dann zu ihren innovativen Ideenwelten gelangten… Spannend ebenfalls der Teil des Buchs, in dem Sheldrake die Evolution der Naturwissenschaften und deren mechanistische Verengung nachzeichnet. Die Hinfort-Erklärung des Bewusstseins aus der Natur im 17. Jahrhundert (nur bei Engeln, Gott und Mensch auffindbar) führte endlich zur gänzlichen Abschaffung geistiger Instanzen außerhalb des Sichtbaren und zur aktuellen Behauptung, der Menschengeist selbst sei durch ominöse Gehirnimpulse vorbestimmt. Dabei lassen sich weder Gedankenspuren noch Erinnerungen im Gehirn materiell festmachen: Sheldrake spricht von der Präsenz der von ihm in andern Büchern bereits erforschten Morphogenetischen Felder, welche für Erinnerung ebenso verantwortlich seien, wie für die biologische Evolution generell. Dem mechanistischen Glauben, über Gene ließe sich die Welt (wenigstens das Leben) entschlüsseln, erteilt er eine klare Absage: Taufliegen besitzen knapp weniger Gene als der Mensch… Seeigel und speziell Reis bei weitem mehr, und aus der Anordnung der Gensequenzen lässt sich keineswegs etwas über Vererbung oder die biologische Evolution ableiten, was gar die Optimistischsten unter den Gengläubigen zugeben müssten.
Philosophische Betrachtungen führen Sheldrake zu einem bekannt starken Bild: Üblicherweise glauben Materialisten den Geist auf ihr Gehirn beschränkt. Sie meinen, die Welt sei ein Abbild ihrer Gedanken und Projektionen. Damit behaupten sie indirekt, den Himmel im Kopf zu tragen – doch kein Mensch vermag dies – dazu ist der Himmel einfach zu weit. Wissenschaftliche Forschung nach verbindlichen Kriterien ist für Sheldrake eine unverzichtbare Errungenschaft der Menschheit. Umso unverständlicher ist ihm, dass Dogmen der Mechanisten ganze Forschungsgebiete ausschließen und vollständige Denkansätze tabuisieren. Sheldrake ist so durch und durch Forscher, dass er sich von diesen Tabus nicht aufhalten lässt, selbst wenn er immer wieder von der etablierten Wissenschaft als abschreckendes Beispiel vorgeführt wird. Seine Aussagen sind radikal und immens wichtig für die Zukunft der Menschheit – speziell wo es um die Themen seelische Gesundheit, die Zerstörung der Natur oder die Entdeckung neuer Energien geht…
Sheldrake lässt „Skepsis als Waffe“ nicht gelten, obzwar seit der Aufklärung Wissenschaftlern ein priesterähnlicher Status zuerkannt wird, aus dem heraus sie scheinbar objektiv die Welt betrachten und dem Laien erklären. Weder seien alle vorerst mysteriösen Phänomene automatisch eingebildete noch stehe die Priesterklasse der Forscher über den Dingen. Wissenschaftler sind auch nur Menschen und sogar sehr real von Forschungsgeldern oder gar Pharmakonzernen abhängig… und ihr Versuch die Welt als gottlos darzustellen hat in vielerlei Hinsicht nur neue Probleme geschaffen…
Ich erkenne eine enge Analogie zu Tabus in den Geistes- und Sprachwissenschaften, zur Literaturdogmatik, die aus der Absicht entstand, das Spirituelle in der Welt auszumerzen, sicherlich erstmals, um traditionelle christliche Dogmen zu brechen, aber letztlich um sich anstelle der alten Hierarchien selbst zu inthronisieren und eine absolutistische Verstandes- und Wissenschaftskultur zu erbauen. Deren Tragfähigkeit ist längst anzuzweifeln. Die vordergründige Nützlichkeit schlug ins Desaster um, denn erst eine von Wissenschaftlern und Atheisten entseelte Natur lässt sich trefflich als Ressource begreifen und rücksichtslos ausbeuten. Eine gleichgültige Welt, ohne Ethik und Mitgefühl, spielt den Neoliberalisten in die Hände, die aktuell die Pensionisten, Studenten und Angestellten mitten in Europa zugunsten der Banken und Millionäre ausquetschen. Wer will, mag dies alles aus dem Werk Sheldrakes herauslesen – dortselbst ist so viel geschrieben, dass ich es als unverzichtbares Werk der Wendezeit benennen mag: unbedingt lesenswert, wie alle seine Bücher…
Ein Sheldrake sicherlich gerecht werdendes Schlussstatement meinerseits: Die Seele schafft sich ihren Körper, nicht: der Körper hat eine Seele – wenn überhaupt…
Dieser Aufsatz von Manfred Stangl ist eine bearbeitete Rezension von Rupert Sheldrakes: „Der Wissenschaftswahn – warum der Materialismus ausgedient hat“, O.W. Barth Verlag, 2o13, ISBN: 978-3-426-2921o-5; erschienen in Pb. Nr. 2, Jahr: 2014 und im Buch: „Ganze Zeiten - Politik, Wissenschaft und Kunst in ganzheitlicher Schau“, Manfred Stangl, edition sonne&mond, 2021
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