Lehofer kommentiert VfGH-Erkenntnis zu ORF-Gremien

Thurnhofer kommentiert Lehofers Blog

17. Oktoberr 2023 - Der Verwaltungsrichter und Medienrechtsexperte Hans Peter Lehofer @hplehofer hat auf seinem Blog "eine erste - sehr vorläufige - Einordnung" des VfGH-Erkenntnisses zu den ORF-Gremien gegeben: Demnach postuliere der VfGH eine "Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" und zwar mit Bezug auf das Rundfunkgesetz in Verfassungsrang, aber auch aufgrund von Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK. (Siehe auch: VfGH prüft Parteien-Einfluss im ORF)

Lehofer Blog Screen

 

Lehofer kommentiert: "Der VfGH hat mit diesem Erkenntnis einen weiteren Eckpunkt seiner rundfunkrechtlichen Rechtsprechung gesetzt und nach dem ORF-Finanzierungserkenntnis neuerlich die Funktionsverantwortung des Staates für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung betont. Er erkennt ausdrücklich eine aus dem BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK abgeleitete Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist und damit untrennbar zusammenhängend eine "institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren" - das ist eine überraschend klare Ansage in Richtung einer verfassungsrechtlich abgesicherten Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die umso bemerkenswerter ist, als sie im konkreten Kontext zur Entscheidung der Rechtssache nicht zwingend erforderlich gewesen wäre."

Was auch immer man unter einer "Rundfunkveranstaltung" zu verstehen hat - das BVG-Rundfunk Artikel 1 Absatz 1 definiert klar und deutlich "Rundfunk" - ohne jegliche Eingrenzung bezüglich der Eigentusverhältnisse und somit ohne Ausgrenzung der Privatrundfunkanstalten: "Rundfunk ist die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, Ton und Bild unter Benützung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung bzw. längs oder mittels eines Leiters sowie der Betrieb von technischen Einrichtungen, die diesem Zweck dienen."

Und EMRK Artikel 10 für all jene, die dieses Gesetz nicht täglich anstelle der Morgenzeitung lesen: EMRK Artikel 10 – Freiheit der Meinungsäußerung EMRK - Europäische Menschenrechtskonvention (Berücksichtigter Stand der Gesetzgebung: 17.10.2023)

"(1) Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schließt nicht aus, daß die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen.

(2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten."

Kommentar ethos.at: Es ist offenbar Usus unter Experten, auf Gesetzestexte zu verweisen, aber nicht zu begründen, warum diese für die Behandlung eines Falles relevant sind. Das BVG-Rundfunk ist selbstverständlich relevant, aber antiquiert. Es stammt aus den 1970er Jahren, als Privat-TV und Privat-Radio in Österreich schlicht und ergreifend nicht denkbar waren. 20 Jahre später kam das Privatrundfunkgesetz, und jede Menge Privatsender versuchten ihr Glück. Es ist für keinen "Hausverstand" dieses Landes nachvollziehbar, warum Privat-TV und -Radio KEIN RUNDFUNK sein sollen, das BVG-Rundfunk auf diese demnach nicht anzuwenden sein soll, oder darf.

Das Zauberwort juristischer Exegese, "duale Rundfunkordnung", schreibt zwar die Trennung zwischen privat und "öffentlich-rechtlich" bis in alle Ewigkeit fort, kann aber die simple technische Tatsache nicht aus der Welt schaffen, dass gemäß Definition Rundfunk (öffentlich-rechtlich) gleich Rundfunk (privat) ist. Wenn dann der ORF auf Kosten der Gebührenzahler Heerscharen von "Medienexperten" bemüht, um zu beweisen, der "öffentlich rechtliche" könne redaktionelle Leistungen erbringen, oder gar journalistische Grundsätze verwirklichen, zu denen private nicht fähig seien, dann ist das immer noch keine zureichende Begründung dafür, die Anwendung des BVG-Rundfunk auf den "öffentlich-rechtlichen" zu beschränken - mit allen Konsequenzen bezüglich Finanzierung, Bereistellung der technischen Voraussetzungen (Frequenzen) und nicht zuletzt Gewährleistung journalistischen Grundsätze, wie Freiheit der Meinungsäußerung gemäß EMRK 10. 

Dass der VfGH en passant EMRK 10 in die Argumentation einbaut, ist ein Beispiel für die Willkür der Judikatur. Warum ausgerechnet EMRK 10 und nicht GRC Charta der Grundrechte Artikel 11, oder Staatsvertrag Artikel 6, und nicht zuletzt sondern vor allem StGG 13? In all diesen Artikeln im Verfassungsrang geht es allgemein um Menschenrechte und insbesondere um die Gewährleistung der Meinungsfreiheit. In keinem dieser Artikel geht es um Rundfunk. In keinem dieser Artikel wird postuliert, dass ein "öffentlich-rechtlicher" Rundfunk die condition sine qua non für die Gewährung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung sei oder gar sein müsse! Die Formulierung "Dieser Artikel schließt nicht aus, daß die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen" impliziert nicht ansatzweise die Aufforderung, einen staatlichen Rundfunk in alle Ewigkeit zu alimentieren. Sollte diese Forderung (Notwendigkeit?) aus dem EMRK Artikel 10 abgeleitet werden, müsste die EU bzw EuGH Verfahren gegen jene Länder einleiten, die keine öffentliche Finanzierung des Rundfunks vorsehen, das sind Estland, Spanien und Rumänien.

So bleibt dem Autor dieser Zeilen (ethos-Chefredakteur HTH) abschließend nur, daran zu erinnern: Die Bevorzugung des ORF ist verfassungswidrig. Diese Erkenntnis, dutzendfach publiziert, steht nun bereits seit mehreren Jahren unwidersprochen im medialen Raum, also dürfen die Leser von ethos.at davon ausgehen, dass sie richtig ist.

SIEHE u.a.

Die Bevorzugung des ORF ist verfassungswidrig, thurnhofer.cc 26.3.2019

Baustelle Parlament, S 68 ff, Buch erschienen 2020. Das entsprechende Kapitel ist seit 17.3.2022 abrufbar auf ethos.at

Die Bevorzugung des ORF ist verfassungswidrig, 17.3.2023 pressetext.com

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