„Du warst verständig genug, um zu wissen, dass die Dinge nicht gleich bleiben werden und wir Veränderungen unterliegen“, schreibt Erhard Busek posthum an seinen „väterlichen Freund“ Rudolf Sallinger, dem er ab 1968 im Wirtschaftsbund unterstellt war.
„Es gibt politische Systeme, die im Wesentlichen auf Erhaltung von Stabilität ausgerichtet sind (meistens als konservativ bezeichnet), oder die Instabilität als Voraussetzung für die Erzielung einer erwünschten Veränderung ansehen (meistens revolutionär oder reformatorisch genannt). Das demokratische System bewegt sich in der Mitte, weil es darauf abgestellt ist, einerseits dem Menschen ein Gefühl der Sicherheit zu geben, anderseits all jene notwendigen Veränderungen vorzunehmen, die den Menschen persönliche Freiheiten garantieren.“
„Als Wissenschaftsminister bescherte mir die geschichtliche Entwicklung mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ein ungeheures Geschenk, das ich in Wahrheit als Symbol für die Faszination der Veränderung ansehe.“
„Wir wollen ständig Veränderungen, die Suche nach dem Neuen ist uns zu Eigen.“
Alle Zitate stammen aus dem Buch „Lebensbilder“, das 2014 erschienen ist. Erhard Busek hat keine klassische politische Biografie geschrieben, sondern eine Sammlung von Anekdoten, die dem Autor Anlass geben zu räsonieren. Das Räsonieren ist Buseks politische Lebensaufgabe, denn bis heute möchte er die Menschen zur Räson bringen. Er war immer selbstbewusst, hat sich aber nie vorgedrängt. Er war Vizebürgermeister und Vizekanzler, im Sinne von Peter Wehle oft „Der lachende Zweite“. Geboren 1941, zählt er zu einer Generation in der Werte als Basis politischer Entscheidungen relevant waren.
Phänomenologie der Veränderung
Laut Moral 4.0 ist Veränderung einer der wichtigsten Grundwerte des 21. Jahrhunderts. In philosophischen Fachkreisen löst diese Behauptung Verwunderung aus, weil sie in kein bewährtes Modell der klassischen Philosophen passt. Die Zitate von Erhard Busek entspringen der praktischen Vernunft und sagenmoralphilosophisch mehr aus, als viele theoretische Abhandlungen über Aristoteles, Kant oder Nietzsche.
Vorweg eine Einordnung der Veränderung als Grundwert: Veränderung ist scheinbar ein Widerspruch zum Bestreben jeder Moral, das Bewährte zu bewahren. Das Bewährte ist in der Logik der Moralen die jeweilige moralische Wahrheit. (Zur Erinnerung: es gibt viele Moralen, aber nur eine Ethik.) Veränderung impliziert daher logischer Weise eine gewisse Bedrohung für das Bewährte und somit die Wahrheit selbst. Deshalb ist es notwendig, den Menschen die Angst vor der Veränderung zu nehmen
Durch die Digitalisierung hat sich das Prinzip Veränderung neu konstituiert. Bis vor 20 Jahren kamen Produkte auf den Markt, die man mehrere Jahre oder Jahrzehnte nutzen konnte, dann hat man die nächste Generation dieses Produkts erworben. Zuverlässig, langlebig, stabil, sicher – das waren die Dinge, die wertvoll und teuer waren, für die man daher auch gern einmal mehr bezahlt hat (einmal in zehn Jahren!).
Eine Software kommt dagegen immer unfertig auf den Markt. Updates, das heißt laufende Veränderungen, gehören zum Wesen einer Software. Updates werden im laufenden Betrieb implementiert, das ist neu, aber jeder akzeptiert diese Veränderungen, die im technischen Bereich oft auch Ärger verursachen, meistens aber eine Verbesserung bedeuten. Veränderungen im politischen oder sozialen Umfeld werden aber zunächst immer als Bedrohung wahrgenommen. Politisch besteht die große Herausforderung darin, den Menschen Angst vor Veränderung zu nehmen. Philosophisch ist die Herausforderung, die Notwendigkeit für Veränderung zu erklären, sehr simpel: ohne Veränderung bricht Stillstand aus,Stillstand bedeutet in logischer Folge das Ende jeder Politik und deshalb auch das Ende einer Polis, letztlich das Ende eines Staates oder gar einer Zivilisation. (Mehr dazu: Moral 4.0)
Ergänzend dazu sind folgende Zitate von Erhard Busek bestens geeignet, daraus eine Phänomenologie der Veränderung abzuleiten:
„Wir unterliegen Veränderungen“ - dies beschreibt den Zustand, dem die meisten Menschen in den meisten Bereichen passiv ausgesetzt sind. Sogar Manager, die Veränderung in ihrem Bereich aktiv vorantreiben, selbst Wissenschafter und Techniker, die Veränderungen (Innovationen) in ihrem Bereich erfinden, sind in den meisten anderen Bereichen nur passive Teilnehmer. Wir „unterliegen“ den Veränderungen! Wenn wir die technischen Veränderungen der vergangenen 30 Jahre Revue passieren lassen, so kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass der Mensch der Technik bei diesem Prozess „unterlegen“ ist bzw die Technik dem Menschen „überlegen“ ist. Doch abgesehen von Bedrohungen durch Big Data, die der einzelne Mensch im täglichen Leben meistens gar nicht bemerkt, werden diese Veränderungen, denen wir alle „unterliegen“, sogar als angenehm und positiv empfunden.
„Erhaltung von Stabilität versus Instabilität als Voraussetzung von Veränderung. Demokratie bewegt sich in der Mitte.“ Da schreibt Busek freilich über das Ideal der Demokratie, nicht über die real existierenden Demokratien. Man kann einem lebenserfahrenen Politiker nicht vorhalten, dass er 2014 nicht vorhersehen konnte, wie sich Demokratien 2020 selbst abschaffen. Doch bei nüchterner Betrachtung der Ereignisse – ohne jegliche Bewertung, ob der Lockdown gut oder schlecht, richtig oder falsch war – lässt sich ein Phänomen nicht leugnen: die weltweite Gleichschaltung der Menschen und ihrer politischen Systeme nach Proklamation einer Pandemie.Eine Gleichschaltung, die man als total bezeichnen muss, und die deshalb den Totalitarismus im Schlepptau hat.
Es lässt sich nicht leugnen, dass die Probleme, die durch den Lockdown verursacht wurden, eine Instabilität in die Welt gebracht haben, die die Nachkriegsgeneration (zumindest in Europa und den USA) bislang noch nicht kannte. Idealer Weise wäre dies die beste Voraussetzung für Veränderung, mehr noch: für einen Paradigmenwechsel. Doch dem bestehenden politische Personal (insbesondere in Österreich) fällt nichts besseres ein als die „neue Normalität“. Und das bedeutet nichts anderes als: zurück zur alten Normalität nur viel schlechter. Es darf bezweifelt werden, dass Demokratien ohne radikale Erneuerungen nach Corona noch imstande sein werden die „notwendigen Veränderungen vorzunehmen, die den Menschen persönliche Freiheiten garantieren.“
Die weltweite Corona-Herrschaft machte sichtbar, was sich schon lange entwickelt hat: anstelle von Regierungen herrschen derzeit Reagierungen, re-aktiv nicht pro-aktiv und deshalb immer grenzwertig re-aktioär, niemals offensichtlich offensiv, fortschrittlich, vorausdenkend, verändernd.
„Faszination der Veränderung“. Faszination löst eine Veränderung bei komplexen wissenschaftlichen oder technischen Problemen aus, wenn Experten eine Lösung finden und einen Durchbruch schaffen. Der Fall des eisernen Vorhangs, das Ende des wirtschaftlichen und politischen Stillstands verursacht durch den Kommunismus, ist jedoch nicht durch die Expertise einiger weniger, sondern durch den Aufstand vieler Menschen gelungen, motiviert vom tiefgehenden Bedürfnis nach Veränderung. Die Faszination der Veränderungen 1989 lag in der Gewaltlosigkeit der Revolutionen.Die Angst vor politischen Veränderungen ist mit dem „Gespenst der Revolution“ verknüpft, denn jeder denkt bei dem Begriff zuerst an 1789 und dann an 1917. Doch 1989 hat bestätigt, dass nur die gewaltlosen Revolutionen erfolgreich sind (erfolgreich im Sinne radikaler, nachhaltiger Verbesserungen für die betroffenen Bürger, nicht im Sinne „siegreicher“ Ergebnisse einzelner Revolutionsparteien).
Revolutionen finden in Universitäten, deren Freiheit die Verfassung garantiert, heute kaum noch statt. Im Gegenteil, die Wissenschaften sind sind heute unfreier denn je. Nicht These und Gegenthese, nicht die Falsifikation einer These ist heute Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses, sondern die Mehrheitsfähigkeit einer These bestimmt ihre Gültigkeit. Mehr noch: die politisch oktroierten Meinungen bestimmen die Ausrichtung der Forschung und sogar die gewünschten Forschungsergebnisse.
„Wir wollen ständig Veränderungen!“ Der Gefahr, eine gut bezahlte Stellung an der UNI, im Staatsdienst, in Unternehmen mit öffentlichen Aufträgen zu verlieren, wird in vorauseilendem Gehorsam durch Konformismus begegnet.Für viele Menschen ist es wichtiger einfach nicht aufzufallen um den eigenen Arbeitsplatz nicht zu gefährden, anstatt durch kritische Fragen „auffällig“ zu werden. Das gilt aber nicht erst seit Corona. So kommt es am Ende, insbesondere in einer Zeit, in der die Welt dem Stillstand „unterlegen“ ist, darauf an, die Veränderung zu wollen, dem entsprechend einzufordern und wo immer es geht umzusetzen. Demokratie endet zwar derzeit im Staatsapparat und bei den Systemerhaltern aller Institutionen, doch sie beginnt bei den Systemkritikern, die zur ständigen Erneuerung und notwendigen Veränderung der Demokratie beitragen.
Am 13. März 2022 ist Erhard Busek "unerwartet" verstorben, berichtet der ORF.
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