Der Jurist Karl Lengheimer, geboren 1946,hat 1972 über „Die Gehorsamspflicht der Verwaltungsorgane“ dissertiert. Mitglied der ÖVP, war er bereits ab 1970 im Landesdienst, 1981 bis 2000 war er Klubdirektor im Landtagsklub der Volkspartei Niederösterreich. 2000 wurde er Landtagsdirektor des Landtags von Niederösterreich. Gleichzeitig war Lengheimer ab 1973 Bezirksrat von Wieden, dem vierten Wiener Gemeindebezirk. Von 1987 bis 1997 war er Bezirksvorsteher von Wieden. Er war 2004 auch Mitglied des Österreich-Konvents, der zu einer Verfassungs- und Verwaltungsreform führen sollte und nach kaum einem Jahr ohne Ergebnis wieder eingestellt wurde.
Es besteht kein Zweifel, dass Lengheimer, der in zwei Bundesländern leitende öffentliche Positionen inne hatte, bis zu seiner Pensionierung 2010 immer seiner Gehorsamspflicht nachgekommen ist. Umso erstaunlicher ist es, dass der Politinsider nur zwei Jahre nach seiner Pensionierung ein Buch publiziert hat, das befreit vom politischen Korsett, schonungslos die Schwächen des Systems aufzeigt, dem er 40 Jahre gedient hat. Dass der Titel an den freizügigen Erstlings-Roman von Charlotte Roche ("Feuchtgebiete", erschienen 2008) erinnert, ist mit Sicherheit kein Zufall.
Aus einer Vielzahl lesenswerter Zitate hier nur eine Auswahl jener Stellen, die direkt an die Substanz unseres Landes gehen: die Verfassung.
„Während andere Staaten den Gründungstag ihrer Verfassug mit öffentlichen Veranstaltungen oder Volksfesten feiern, so er nicht ohnedies ihr nationaler Staatsfeiertag ist, kommen in Österreich aus diesem Anlass einige Dutzend Spitzenjuristen – völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit – zu einer rechtswissenschaftlichen Seminarveranstaltung zusammen. Nichts könnte besser die Distanz von Herrn und Frau Österreicher zu seiner bzw. ihrer Verfassung veranschaulichen.“
Ad Artikel 1 B-VG: Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.
Gemäß der reinen Rechtslehre von Hans Kelsen „geht das 'Recht' vom Volk aus, nicht die Macht. Kelsen erzählt in seinem Verfassungskommentar, dass es ursprünglich in der Verfassung hätte heißen sollen: 'Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volk eingesetzt und in seinem Namen ausgeübt.' Seinem Einfluss war es zuzuschreiben, dass 'Macht' durch 'Recht' ersetzt wurde. […] Indem unsere Verfassung die Ausübung der Macht durch das Volk und seine Repräsentanten ohne Rücksicht auf deren Inhalt mit 'Recht' gleichsetzt, gibt sie ihr den Anschein einer a priori 'gerechten' Entscheidung. Die populistischen Parteiführer und die globalen Marktregenten lassen herzlichst dankend grüßen.“
„Die Ergebnisse des Österreich-Konvents zu den Instrumenten der direkten Demokratie erwiesen sich als äußerst bescheiden.“
„Ob Rundfunk und Fernsehen heutzutage noch als Staatsaufabe ihre Berechtigung haben, da über Kabel und Satellit Programme aus der ganzen Welt empfangen werden können, mag dahingestellt bleiben. […] Die gesetzlich verordnete Janusköpfigkeit des ORF-Stiftungsrates als parlamentarisches Gremium einerseits und als Fachleutegremium andererseits ist ein Beispiel für das offenbar unausrottbare Bestreben der Politik, die Bürger über ihre Absichten im Unklaren zu lassen. […] Weder die Zusammensetzung noch das Kreationsverfahren dieser Organe [Anm: Stiftungsrat und Publikumsrat] wird den vom Gesetzgeber vorgegebenen Zielen gerecht, einen parteifreien öffentlichen rundfunk zu ermöglichen und die Hörer- und Seherschaft daran angemessen zu beteiligen.“
„Unsere in Gesetzgebung und Verwaltung tätigen Juristen sind geprägt vom Rechtspositivismus. […] Generationen von Juristen in Österreich wurde das positivistische Denken angelegt wie den Fiakerpferden die Scheuklappen. Jedwede nicht am 'positiven', das heißt am geschriebenen Recht orientierte Betrachtung sollte als unwissenschaftlich vermieden werden. Kriterien wie Nachsicht Menschlichkeit, Lebenserfahrung, Vertrauen oder auch Misstrauen haben außer Betracht zu bleiben.“
„Nach dem allgemeinen Verständnis von Demokratie sind alle Bürger berufen, zu bestimmen, was rechtens ist. […] Doch der vorgebliche 'Souverän' wird wie ein unmündiges Kind nach längst überholter Pädagogik durch Zufügung von Leid, also Strafen von Sebst- wie Gemeingefährdung abgehalten. […] Der autoritärer Pädagogik enstammende Spruch 'Ein gutes Kind gehorcht geschwind' gilt bei Gesetzen auch für den erwachsenen Staatsbürger und angeblichen Souverän: 'Gesetze hinterfragt man nicht, folgen ist des Bürgers Pflicht!'“
„Wir haben ein ausdrückliches Recht auf Freiheit, bei dem allerdings hauptsächlich von den Umständen die Rede ist, unter welchen man verhaftet werden darf, nicht aber von den Grenzen staatlicher Einflussnahmen auf den freien Menschenwillen.“
„Die rechtspositivistisch orientierte österreichische Bundesverfassung kennt keien 'sozialen Kräfte' [Anm: gemäß Montesquieu das Volk, der Adel, der König; heute sinngemäß die politischen Parteien, Interessensverbände, Zivilgesellschaft], sondern nur staatliche Organe, die in einem arbeitsteiligen Verfahren 'Gesetzgebung' und 'Vollziehung' ausüben. […] Diese Nomenklatur ist längst nicht mehr geeignet, staatliche Tätigkeiten umfassend zu beschreiben. Ein immer größer werdender Teil der Regierungstätigkeit besteht in Planungen, in unternehmerischer Tätigkiet, in Herstellung und Pflege von allerlei Beziehungsgeflechten zwischen öffentlichen und privaten Rechtsträgern, in Kultur- und Freizeitmanagements, in Werbe- und Marketingstrategien und in vielem anderen mehr. Allen diesen Aktivitäten ist gemeinsam, dass sie ohne ausdrücklichen gesetzlichen Auftrag vor sich gehen und lediglich durch politische Programme der Parteien, Einflüsse von Märkten oder Interessen ziviler Gruppen gesteuert werden und daher nicht als Vollziehung von Gesetzen bezeichnet werden können.“
Karl Lengheimer
Politgebiete. Einblick in die politische Wirklichkeit.
Steinverlag Bad Traunstein, 2012