Neuwirth Christian: Alexander Van der Bellen

Vor zwanzig Jahren hat Christian Neuwirth das Buch „Alexander Van der Bellen. Ansichten und Absichten“ geschrieben, das 2001 im Molden Verlag erschienen ist. Das letzte Kapitel ist den „Inlands-Ideen“ des damaligen Parteichefs der Grünen gewidmet. Natürlich geht es dabei um Ökosteuern. „Die Erhöhung der Abgaben auf Energie, meint der Wirtschaftsprofessor, sei ‚auf jeden Fall‘ ein geeignetes Steuerungselement“, schreibt Neuwirth und zitiert VdB wörtlich:

„Zumindest auf jene Energie, die auf fossilen Brennstoffen beruht. Daran führt kein Weg vorbei. Unser Vorschlag ist, das aufkommensneutral zu machen, indem man die höheren Energiekosten durch eine niedrigere Besteuerung der Arbeit kompensiert. [..] In der Politik spricht manches dafür, den Schritt rasch und hart zu machen. Das zeigt die Diskussion um das Null-Defizit. Ökonomisch gesehen spricht mehr dafür, den Prozeß in die Länge zu ziehen. Politisch gesehen macht es aber mehr Sinn, den Schrecken rasch zu verbreiten und dann auf das Vergessen zu setzen.“

Eine Verteuerung des Straßenverkehrs sei daher unumgänglich. VdB fordert dem entsprechend: „Die Einführung einer Kilometerabgabe. Der gefahrene Kilometer wird verteuert und nicht der Benzinverbrauch als solcher. […] Wir haben uns entschlossen, eine strikt marktwirtschaftliche Regelung über den Preis zu machen. Nach vielem vielem internen Zähneknirschen und mit Zusatzregelungen für Pendler. Wenn es im 21. Jahrhundert nicht möglich sein sollte, einen fälschungssicheren Tachometer zu bauen, dann weiß ich wirklich nicht...“

Warum einfach, wenn‘s kompliziert auch geht? Was wäre - außer zusätzlicher Beschäftigungstherapie für zusätzliche Bürokraten - ein Vorteil der Kilometerabgabe gegenüber teurerem Benzin? Wer mehr fährt braucht mehr Sprit und zahlt mehr Steuern. Aber da die Besteuerung von Sprit ohnehin schon hoch ist, braucht der ansonsten so nüchterne Wirtschaftsprofessor offenbar eine neue Etikette um seine Preiserhöhung durchzusetzen. Man nennt das Etikettenschwindel. Neuwirth vermutet: „Vielleicht ist man bei den Grünen zur Überzeugung gelangt, daß man sich derart erwiesenermaßen unpopuläre Forderungen besser sparen sollte.“

VdB war zehn Jahre, bis 2008, Parteivorsitzender der Grünen. Ganz ohne Etikettenschwindel gab es danach ganz einfach keine Vorschläge mehr für ökologische Steuerreformen

Ein Bundespräsident soll alles beim Alten lassen

Von der Position des Bundespräsidenten war VdB Anfang dieses Jahrhunderts noch weit entfernt, wie Neuwirth berichtet: „Der Parteichef der Grünen will sich über die Funktion des Bundespräsidenten keine unnötigen Gedanken machen. Seine Zuständigkeiten sollen in etwa so bleiben, wie sie sich derzeit darstellen“ und zitiert VdB wörtlich „Ich sehe keinen unmittelbaren Reformbedarf. Wenn sich die Mehrheit der Parteien im Parlament auf etwas einigt, dann kann sich der Bundespräsident auf den Kopf stellen.“

Neuwirth kommentiert: „Selbst bei den umstrittenen Kompetenzen in Sachen Regierungsbildung sieht Van der Bellen für eine Reform „angesichts der Realverfassung“ keine Erfordernis. „Natürlich ist er auf dem Papier eine Art Pseudomonarch, aber in der Realität?“, fragt Van der Bellen. Diese Realität verhält sich für ihn ausnahmsweise eindeutig und unkompliziert: „Wer die Mehrheit im Parlament hinter sich hat, kann die Regierung bilden.“

Neuwirth weiter: „Behutsamkeit ist für ihn hier oberstes Gebot. Diese Behutsamkeit hindert nicht daran, vorurteilslos über die Impulse, die von anderen Seiten kommen, zu reflektieren. Zu einer großen Verfassungsreform allerdings besteht für den Parteichef der Grünen ganz erkennbar keine Notwendigkeit. Diese Zurückhaltung begründet Van der Bellen auch: „Das alles muß man sich sehr lange und gründlich überlegen. Man kann nicht an einer Schraube der Verfassung drehen und glauben, daß alles andere so bleibt, wie es ist.“ Und bevor man die Schraube in eine falsche Richtung dreht, scheint es Van der Bellen im Zweifelsfall lieber zu sein, sie gar nicht anzurühren.

Fünfzehn Jahre später liefert VdB in seinen Reflexionen eine – diplomatisch formuliert: eigenwillige – Interpretation des Artikel 56 des Bundes-Verfassungsgesetzes: „Politische Loyalität ist noch schwerer durchzusetzen [als Beamtenloyalität]. Jeder Landespolitiker und jeder Hinterbänkler macht die Erfahrung, dass er durch Kritik an der Parteispitze Widerhall in den Medien findet; ob diese Kritik sachlich fundiert ist, spielt eine geringe Rolle. Umgekehrt erwartet man von der Parteispitze, sich mit öffentlicher Kritik an der zweiten oder dritten Reihe zurückzuhalten; Alfred Gusenbauer hat das mehrfach erfahren. Insofern sind die Anreize für Loyalität asymmetrisch verteilt. [...] Abgeordnete sind eben nicht Angestellte ihrer Fraktion, als solche wären sie der Klub- oder Parteichefin gegenüber weisungsgebunden, sondern sie berufen sich im Konfliktfall auf ihr ‚freies Mandat‘. Dieses wird von der jeweils zuständigen Parteiversammlung verliehen und am Wahltag von den Wählerinnen und Wählern bestätigt – oder eben nicht.“ (Siehe: Die Kunst der Freiheit)

Der Präsident, der gern von Anstand spricht, hat offenbar nicht viel übrig für die niederen Stände im Parlament. Abgesehen von der despektierlichen Bezeichnung „Hinterbänkler“, die versteckte Standesdünkel des Präsidentschaftskandidaten in spe aufdeckt, beweist das Zitat, dass VdB die österreichische Verfassung nicht gelesen hat. Der Absatz 1 Artikel 56 lautet: „Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden.“

An keinen Auftrag gebunden impliziert: auch nicht an den Auftrag des jeweiligen Klubs. Das „freie Mandat“ - VdB schreibt es unter Anführungszeichen, womit er andeutet, dass dies nur so genannt werde, in Wahrheit aber nicht existiere – wird laut Verfassung nicht von der Partei verliehen, wie VdB irrtümlich meint, sondern vom Wähler! Das ist meiner Überzeugung nach der entscheidende Punkt, in dem die Abgeordneten aller Parteien ständig, ja sogar prinzipiell das B-VG missachten. Die Formulierung von VdB verrät auch ein zweifelhaftes Verständnis von repräsentativer Demokratie, in der das Recht von den Parteien ausgeht und das Volk nur absegnen darf, was die Parteien zuvor beschlossen haben.

Dem gegenüber lautet der Artikel 1, B-VG: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“. Man könnte fragen: und wo kehrt das Recht ein, wenn es vom Volk ausgegangen ist? Ein Zyniker könnte antworten: im Staats- und Parteien-Apparat des Landes. Diese Tatsache sehe ich als Bedrohung der Demokratie. VdB sieht diese Tatsache offenbar als unabänderlichen, alternativlosen Status quo. Dem entsprechend gemächlich ist auch seine Politik in den Gemächern der Hofburg.

Christian Neuwirth

Alexander Van der Bellen. Ansichten und Absichten

Molden Verlag Wien, 2001