Das Leben von Helmut Leherb war eine surreale Hochschaubahn, sein Tod ein Selbstmord mit langem Anlauf. Die Erinnerungen von Lotte Profohs, aufgearbeitet von Otto Hans Ressler im Buch „Leherb. Tagträumer und Nachtwandlerin“, sind ein Lehrstück des Wiener Intrigantenstadls.
Foto: Wandbild von Leherb im Wiener Prater, weitere Werke des Künstlers finden Wien-Touristen im Donaupark.
Lotte, schon mit 15 Jahren Model an der Akademie, lernte hier Helmut (damals noch) Leherbauer kennen. Die frühe Liebe wurde zur Lebenspartnerschaft. Obwohl Lotte schnelle künstlerische Erfolge feiern konnte (Ausstellung schon als 24-Jährige in Paris und Ankauf eines Werkes durch den Louvre), und viele Projekte gemeinsam entwickelt wurden, ordnete sie bald ihr Leben der ausufernden, surrealen Phantasie Helmuts unter.
Ein Jahr später konnte Leherb in einer gemeinsamen Ausstellung mit Lehmden, Hutter und Hausner im Belvedere nachziehen. Der Kunstkritiker Johann Muschik prägte für diese Gruppe die Bezeichnung „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“. Während Künstler rund um Ernst Fuchs die „Wiener Schule“ für sich vereinnahmten, hat sich Leherb, der den Surrealismus nicht als Stilform, sondern als Lebensform verstanden hat, mehr und mehr aus Wien zurückgezogen. Trotzdem hat der Direktor des Kunsthistorischen Museums, Vinzenz Oberhammer, Leherb für die Biennale 1964 nominiert. Doch der neue, konservative Minister Piffl-Percevic, annulierte die Vereinbarung, wollte die Biennale-Teilnahme in Venedig zunächst absagen und nominierte später Böckl und Hrdlicka für den Österreich-Pavillon.
Die bereits aufgelaufenen Kosten musste Leherb selbst begleichen. Ein Jahr später hat Piffl-Percevic auch noch die Einladung zur Surrealisten-Schau im Rahmen der Biennale Sao Paulo hintertrieben. „Eine vom Minister blitzschnell zusammengestellte, willfährige Jury nominierte nicht Helmut Leherb, sondern die phantastischen Realisten Arik Brauer, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Wolfgang Hutter und Antohn Lehmden. Die fünf Künstler erklärten sich nicht nur nicht solidarisch mit Helmut, sondern erwiderten umgehend, dass sie nicht teilnehmen würden, sollte Leherb ebenfalls in der Sonderschau vertreten sein.“
Trotz oder wegen des Biennale-Skandals wurde Leherb zu Ausstellungen in ganz Europa eingeladen und konnte sowohl mit seinen extravaganten, aktionistischen Auftritten wie auch mit seinen Werken die Medien und Käufer begeistern. Aber: „Helmut hat es nie verwunden, von der Venedig-Biennale ausgeladen worden zu sein. Er hat auch die Gehässigkeit seiner Künstlerkollegen im Zusammenhang mit der Biennale von Sao Paulo nie vergessen. Er ist nie darüber hinweggekommen, dass wir Wien verlassen mussten wie Diebe in der Nacht.“ Alle internationalen Erfolge, meint Lotte, „hätte Helmut, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, gegen ein bisschen Anerkennung in Wien getauscht.“
Aus historischer Distanz könnte man einwenden, dass der Künstler aufgrund vieler öffentlicher Aufträge mit Wien und Österreich versöhnt gewesen sein müsste. Nicht zuletzt aufgrund des Groß-Auftrages zur Gestaltung von sechs monumentalen Werken (je 8x8 Meter) für die Wiener Wirtschaftsuniversität, den wohl viele Künstler bravourös gelöst hätten. Doch nur einer fand eine ruinöse Lösung: Leherb. Ruinös für den Künstler selbst, aus finanzieller und aus gesundheitlicher Sicht. Leherb wollte ein letztes Mal das Surreale realisieren und das Unmögliche möglich machen.
Die Realisierung der Arbeiten als technisch aufwändige Fayencen (obwohl der Auftraggeber auch Paneele oder Leinwände akzeptiert hätte) mit hochgiftigen Materialien war letztlich Leherbs Selbstmord auf Raten, aufgeteilt auf 12 Jahre Selbstvernichtung und fünf Jahre Todeserwartung. Zur Einweihung der Werke im Jahr 1992 hielt Bundespräsident Rudolf Kirchschläger die Laudatio, doch: „In den zwölf Jahren, in denen wir wie Einsiedler gelebt hatten, hatte sich, unbemerkt von uns, ein elementarer Wandel vollzogen. Die Vorstellung, dass Kunstwerke Generationen, ja Jahrhunderte überdauern und Zeugnis ablegen sollten von einer längst vergangenen Zeit, diese Vorstellung gehörte der Vergangenheit an. Sie war von der Wegwerfgesellschaft entsorgt worden; gemeinsam mit den Kunstwerken, die nach einer Biennale oder Triennale oder sonst irgendeinem weltbewegenden Kunstereignis als Sperrmüll endeten.“
Der Zeitgeist hat das Bemühen um Beständigkeit, Haltbarkeit und Ewigkeit als irrelevant und surreal abgestempelt, und damit gleichzeitig den Surrealismus begraben. Leherb hat das Ende dieser Epoche noch fünf Jahre mit Staublunge überlebt. Am Abend des 28. Juni 1997 ist er, 64-jährig, gestorben. Seine Frau, Lotte Profohs, hat viele Jahre davor einen Selbstmordversuch überlebt. Sie ist vereinsamt am 6. November 2012 im 78. Lebensjahr gestorben.
Lotte Profohs / Otto Hans Ressler
Leherb. Tagträumer und Nachtwandlerin
EDITION VA BENE, 2016
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