Mayers Konversationslexikon
Eine Enzyklopädie des allgemeinen Wissens
Vierte gänzlich umgearbeitete Auflage
Neunter Band. Irideen – Königsgrün
Mit 29 Illustrationsbeilagen und 163 Abbildungen im Text
Leipzig. Verlag des Bibliographischen Instituts. 1888
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Kant, Immanuel, der einflußreichste Philosoph neuerer Zeit, geb. 22. April 1724 zu Königsberg i. Pr. Als Sohn eines Sattlermeisters, dessen Familie einer Tradition zufolge aus Schottland stammte, erhielt den ersten gelehrten Unterricht auf dem Collegium Fridericianum, seit 1740 an der Universität seiner Vaterstadt, wo er mit besonderem Eifer Mathematik (unter dem Wolfianer Knutzen), Physik und Philosophie studierte. Die Frucht des Studiums von Newtons Werken war Kants erste Schrift: „Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte“ (Kpnigsb. 1747). Nachdem er Jahre hindurch als Hauslehrer thätig gewesen war, erwarb er 1755 durch eine Dissertation: „De igne“, die Doktorwürde und in demselben Jahr durch die Verteidigung seiner Abhandlung Principiorum primorum cognitionismetaphysicae novae dilucidatio die Venia legendi.
Naturwissenschaften, besonders Astronomie und Geographie, bildeten sein Lieblingsstudium; in seiner „Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ (Königsb. 1755) antizipierte er die spätere Laplacesche Theorie der Entstehung unsers Sonnensystems. Sein philosophischer Standpunkt war in dieser Periode noch der Wolffsche; daneben studierte er fleißig englische Philosophen, insbesondere Hutcheson und Hume, dessen Skeptizismus ihn zwar ansteckte, den er aber in seiner dritten Periode überwinden sollte.
Die Wirkungen jenes Studiums zeigen sich in den Schriften seiner zweiten empiristischen Periode, zu welchen „Der einzige mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes“ (1765), die von Burke beeinflußten „Betrachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ (1764), die „Träume eines Geisterseheres, erläutert durch Träume der Metaphysik“ (1763) und besonders seine Preisschrift für die Berliner Akademie der Wissnschaften: „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral“ (1763), gehören.
Erst nachdem er 15 Jahre lang Privatdozent gewesen war und Rufe nahc Erlangen und Jena aus Lieber zur Heimat ausgeschlagen hatte, ward ihm 1770 die ordentliche Professur der Logik und
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Metaphysik zu teil, die er mit der Verteidigung der Dissertation „De mundi visibilis atque intelligibilis forma et principiis“ eröffnete. In derselben war die Wurzel seiner eigenen Philosophie, die transzendentale Östhetik, und damit die Kritik der reinen Vernunfg gleichsam als Programm und in nuce enthalten, so dass diese wichtige Schrift als Beginn seiner dritten, den Skeptizismus Humes wie vorher den Dogmatismus Wolfs hinter sich lassenden Periode betrachtet werden kann.
Dennoch währte es noch mehr als zehn Jahre, ehe sein lange überlegtes, zuletzt in dem kurzen Zeitraum von vier Monaten niedergeschriebenes Hauptwerk: „Die Kritik der reinen Vernunft“ (1781, 2. veränderte Aufl. 1787), ans Tageslicht trat, welchem in kurzen Zwischenräumen die übrigen Hauptwerke: 1783 die „Prolegomena zu einer künftigen Mataphysik, die als Wisssenschaft wird auftreten können“, 1785 die „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, 1786 die „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften“, 1788 die „Kritik der praktischen Vernunft“, 1790 die „Kritik der Urteilskraft“, 1793 die „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“, 1797 die „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“ und die „der Tugendlehre“, 1798 „Anthropologie in pragmatischer Absicht“, nachfolgten.
Kleinere Abhandlungen waren: „Über die Verschiedenheit der Menschenrassen (1775); „Iden zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“, „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ (beide 1784); die großes Aufsehen erregende „Rezension von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ von 1785, welche Herder so übel aufnahm, dass er seitdem den vertrauten Verkehr mit K. Vermied; die beiden Abhandlungen: „Über die Vulkane im Mond“ und „Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks“ (gleichfalls 1785); „Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte“; „Was heißt sich im Denken orientieren?“; „Bemerkungen zu Jacobs Prüfung der Mendelssohnschen Morgenstunden“ (1786), „Über den Gebrauch teleologischer Prinzipen in der Philosophie“ (1788); „Über Schwärmerei und die Mittel dagegen“ (1790); „Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodiecee“ (1791); „Über die Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz und Wolf“ (aus demselben Jahr); „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“ (1793); „Etwas über den Einfluß des Mondes auf die Witterung“, „Das Ende aller Dinge“, „Über Philosophie überhaupt“ (sämtlich von 1794), „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf“ (1795); „Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie“, „Verkündigung eines nahen Abschlusses eines Traktas zum ewigen Frieden in der Philosophie“ (beide 1796); „Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen“, in welcher K. als strenger Wahrheitsfreund die Notlüge unbedingt verwirft, „Der Streit der Fakultäten“, „Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein“ (sämtlich 1798). Aus einem angeblich in Kants Nachlaß vorgefundenen Manuskript: „Vom Übergang von der Metaphysik tzur Physik“, haben neuerlich Reicke und A. Krause Bruchstücke und Auszüge veröffentlicht.
Kants System erregte bald nach dem Erscheinen der ersten Hauptwerke in allen Teilen Deutschlandes, auch in den katholischen, sowie im Ausland, insbesondere in England und in den Niederlanden, Sensation. Dagegen witterte man in seinem Vaterland Preußen nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II.;
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als der freisinnige Minister v. Zedlitz durch den vormaligen Prediger Wöllner (1788), den Urheber des Religionsedikts, ersetzt worden war, in K. einen gefährlichen Neuerer. Nach der Herausgabe seiner „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ erschien 1794 eine Kabinettsorder, welche deren Verfasser wegen „Entstellung und Herabwürdigung des Christentums“ einen Verweis erteilte und allen theologischen und philosophischen Dozenten der Königsberger Universität untersagte, über jenes Werk Vorlesungen zu halten. Dieser Gewaltstreich hatte zur Folge, dass K. teilweise, seit 1797 gänzlich seine Vorlesungen einstellte und sich in seinen letzten Lebensjahren fast ausschließlich mit der Ordnung seiner Papiere beschäftigte, bei welcher er sich durch jüngere Kräfte, wie Rink und Jäsche, unterstützen ließ. Nachdem in seinem letzten Lebensjahr Altersschwäche eingetreten war, starb er am 12. Febr. 1804. Sein Kopf wurde vom Professor Knorr in Gips abgeformt.
Kant war von Person klein, kaum 5 Fuuß groß, von schwachem Knochenbau und noch schwächerer Muskelkraft; seine Brust war sehr flach und und fast eingebogen, der rechte Schulterknochen hinterwärts etwas verrenkt, womit der Befund bei der 1880 erfolgten Ausgrabung und Wiederbestattung übereinstimmt. (Vgl. Bessel-Hagen, Die Grabstätte Kants, Künigsb. 1889). Sein sanftes blaues und doch lebhaftes Auge zog unwiderstehlich an. Sein Gemüt wird von seinen Freunden mit voller Übereinstimmung als ein kindliches bezeichnet. Den öffentlichen Gottesdienst hielt er, wie das Äußere der Religion überhaupt, für ein höchst wichtiges, dem Denker aber entbehrliches Staatsinstitut. Zum kunstgerechten Redner war er nicht gemacht; in sozialer und politischer Hinsicht war er ein entschiedener Vertreter der Freiheit, unterwarf sich der Obrigkeit, selbst gegen seine bessere Überzeugung.
Das Gesetz der Ordnung dehnte er selbst auf die Formen des geselligen Lebens aus; in seinem Hauswesen herrschte neben solider Einfachheit die größte Regelmäßigkeit. Durch Orden und Titel ist K. nicht ausgezeichnet worden; die Berliner Akademie der Wissenschaften ernannte ihn 1763 zu ihrem Mitglied, die Petersburger that dasselbe 1794. Das gelungenste Porträt Kants ist das von Döbler 1791 gefertigte Ölgemälde. Am 18. Okt. 1864 ward in Königsberg sein Standbild, das letzte Werk Rauchs, errichtet. An dem von K. seit 1788 bis zu seinem tod bewohnten eigenen Haus, unfern dem Schloß in der Pinzessinstraße, wurde in neuerer Zeit eine Inschrifttafel angebracht.
Gesamtausgaben seiner Werke sind die von G. Hartenstein (Leipz. 1838-39), 10 Bde.), von K. Rosenkranz und F.W. Schubert (das. 1838-40, 12 Bde.), die beste „in chronologischer Folge“ von G. Hartenstein (das. 1867-69, 8 Bde.), neben welchen noch die von Kirchmann (Leipz. 1874, 8 Bde. und Supplement, mit Erläuterungen) zu nennen ist. Eine brauchbare Ausgabe der Hauptschriften besorgte Kehrbach (in Reclams „Universalbibliothek“). Auch sind mehrere Schriften Kants ins Lateinsiche, Französische (von Tissot, Barni) und Englische (von Hayward, Abbott, Max Müller u.a.) übersetzt worden. Das Leben Kants haben geschildert: Borowski, Darstellung des Lebens und Charakters Kants (Königsb. 1804); Wasianski, K. in seinen letzten Lebensjahren (das. 1804); Jachmann, I. K.; geschildert in Briefen (das. 1804); Schubert (im 11. Bd. der genannten Gesamtausgabe); Reicke; Kantina (das. 1860); Saintes, Histoire de la vie et de la philosophie de K. (Par. 1844); Stuckenberg, The life of Imman. K. (Lond. 1882);
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Arnoldt, Kants Jugend und die Fünf ersten Jahre seiner Provatdozentur (Königsb. 1882).
Kants Philosophie
FORTSETZUNG FOLGT
Franziska Bauer
Bunter Mix aus Limericks
Pohlmann Verlag, 2024
Was du nicht willst, das man dir tu …
Lieber Kant, würdest du wohl verstehen
all die Dinge, die jetzt so geschehen?
Leider läuft vieles schief
mit dem Imperativ;
kategorisch und praktisch gesehen …