Die Jugendlichen unserer Zeit denken bei dem Wort "Aufklärung" wohl an Sexualkunde. Geschichtlich hat die Aufklärung im 18. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebt, als in Europa Monarchen "von Gottes Gnaden" herrschten. In Deutschland hat Kant die geistigen Grundlagen der Aufklärung mit seinem Monumentalwerk "Kritik der reinen Vernunft" gelegt - eine Abrechnung mit der mittelalterlichen spekulativen Philosophie und die Begründung einer "Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können".
Foto gemeinfrei: Immanuel Kant, 1791 (Gemälde von Gottlieb Doebler. Zweite Ausführung für Johann Gottfried Kiesewetter, 1795)
In Frankreich hat Diderot versucht, mit der Encyclopédie (1747-1766) das Wissen seiner Zeit vollständig zu dokumentieren und die Bedeutung der Wissenschafter damit befördert. Rousseau hat mit "Du contract social" (Der Gesellschaftsvertrag) 1762 das Volk zum Souverän erklärt und damit die absolutistisch-souveränen Monarchen ebenso wie die Kirchenfürsten brüskiert. Voltaire hat nur ein Jahr später den weltlichen und klerikalen Fürsten mit seiner Schrift "Traité sur la tolérance" (Über die Toleranz) die Leviten gelesen.
Die Ideale der Aufklärung sind heute, im 21. Jahrhundert, weitgehend vergessen. Deshalb will unser Kandidat 2022 an die Programmschrift von Immanuel Kant erinnern: Was ist Aufklärung?
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen."
Der gesamte Text aus dem Jahr 1784 (in Buchform lediglich neun Seiten) ist dank Projekt Gutenberg online jederzeit abrufbar. Dessen Lektüre ist ein Muss für alle selbstbewussten, souveränen Menschen dieses Landes!