Vandalismus oder Kunst?

EDITORIAL des Anima Incognita Kulturmagazin 2/2025

(Juli 2025) Das „Migrantenkind“ ein Graffiti, das der angeblich unbekannte Künstler Banksy vor sechs Jahren an einer Wand in der Nähe des Campo San Pantalon im Stadtteil Dorsoduro in Venedig geschaffen hat, wird nun restauriert. Die Initiative geht vom Kulturministerium aus, eine Bank wird die Kosten übernehmen. Ein Schelm, wer denkt, Banker und Banksy stecken unter einer Decke.

AIK 2 2025

Banksy ist ein Straßenkünstler, mit dessen Graffitis (mittlerweile als „Wandgemälde“ tituliert) Geschäftemacher auf internationalen Auktionen Millionenbeträge lukrieren. Millionen anderer Graffitis auf dieser Welt werden als Vandalismus bezeichnet, und die Stadtverwaltungen geben viel Geld dafür aus, die Mauern fachgerecht zu säubern. Vor einigen Jahren publizierte die Deutsche Bundesbahn, dass sie jährlich rund acht Millionen Euro zur Beseitigung von tausenden „Farbanschlägen“ ausgibt.

Die Stadt Wien hat aus der Not eine Tugend gemacht und die Gemäuer entlang des Donaukanals zur Freizone für Sprayer erklärt. An einem Sonntagsspaziergang machte ich dort eine völlig un-repräsentative Umfrage unter drei Sprayern. Die Ergebnisse: alle üben diese Tätigkeit als Hobby aus, und keiner erhebt damit den Anspruch, ein Kunstwerk zu schaffen. Jeder hat einen Beruf, mit dem er Geld verdient. Rein äußerlich waren die Burschen sicher keine Konformisten, aber ihre Motive waren auch nicht der direkte Aufruf zur Revolution. Eher vermittelten die farbenfrohen Kompositionen Lebensfreude, das Bedürfnis, Spuren in dieser Welt zu hinterlassen und außerdem Routine in der kreativen Bearbeitung großer Flächen mit Figuren und Schriftzügen.

Wie einst die Berliner Mauer, so ist der Donaukanal heute ein El Dorado der Sprayer. Weniger Freude hat die Stadt Wien allerdings mit den „Farbanschlägen“ auf das Lueger-Denkmal. Da der Wiener Bürgemeister von 1897-1910 unter Verruf geraten ist, passen die Vandalen-Akte politisch dem roten Mainstream anno 2025 durchaus ins Konzept, anderseits aber muss das Denkmalamt das historische Monument schützen. Zur Befriedigung aller Interessen wurde 2009 ein Wettbewerb zur Umgestaltung des Denkmals ausgeschrieben.

Unter 150 Einreichungen hat überraschender Weise der Musiker und Künstler Klemens Wihlidal mit einer einfachen Idee gewonnen: er schlug vor, das über zehn Meter hohe Denkmal wie den schiefen Turm von Pisa zu kippen. Dann passierte Jahre lang nichts, bis die Stadt Wien vor zwei Jahren 13 KünstlerInnen zu einem neuerlichen Wettbewerb lud, den wieder Klemens Wihidal gewonnen hat.

„Die Presse“ kritisiert das Verfahren: "In der Zwischenzeit, mehr als ein Jahrzehnt nach Wihlidals Entwurf, hat sich die schwerfällige Maschinerie der Wiener Kulturpolitik endlich in Bewegung gesetzt – und zwar kerzengerade in die falsche Richtung. Statt den Wihlidalentwurf ohne Wenn und Aber umzusetzen, wurde zuerst die Freunderlwirtschaft bemüht und ganz ohne Ausschreibung ein 'Übergangsprojekt' auf dem Lueger-Platz realisiert. Da wärmt ein Händchen das andere – so läuft Korruption im Kunstrevier; alles verhabert, alles mit links, alles unter sich. Und so kommt es dazu, dass statt Klemens Wihlidal für seinen tatsächlich genialen Entwurf, eine Paarung namens Six & Petritsch den Auftrag für ein 'Übergangskunstwerk' bekommen hat, mit einem Ergebnis von jämmerlicher künstlerischer Qualität. Eine Bastelarbeit, mit der man den Prater, aber nicht Lueger kontextualisieren kann; und das für den horrenden Preis von 100.000 Euro."

500.000 Euro soll die Kippaktion von Wihlidal kosten, das Honorar des Künstlers wird wohl nur einen Bruchteil der Baukosten ausmachen. Man kann davon ausgehen, dass diese Intervention auch künftig keine Vandalen dazu bekehren wird, das Lueger-Monument vor weiteren Angriffen zu verschonen. Deshalb hier eine provokante, aber einfach Lösung: Lasst die Vandalen vandalieren!

Österreichs Kulturpolitiker rühmen die Aktionisten, wo immer sie sich wichtig machen wollen. Es ist unbestreitbar, dass die "Vandalen" (wahlweise mit oder ohne " ...", je nach Geschmack der LeserIn) Aktionen setzen. Sie sind so gesehen Erben von Nitsch, Mühl, Brus und Co. Wenn nun politische Aktivisten oder künstlerische Aktionisten das Lueger-Denkmal für ihre Statements benutzen, so wäre es demokratiepolitisch und kunsthistorisch plausibel argumentierbar, diese Akte im Geiste der Freiheit der Kunst und in der Tradition des Aktionismus einfach zuzulassen. Die Steinsockel und -reliefs könnte man vorab mit einer Schutzschicht versehen. Dies würde maximal 50.000 Euro kosten. Das Projekt Wihlidal sollte indessen nach dem „Untergang des Abendlandes“ (Oswald Spengerl) wieder aus der Schublade geholt werden, also in 50 oder 100 Jahren.

Wer glaubt, eine 500.000 Euro teure Intervention würde Vandalen vor künftigen Aktionen zurückhalten, ist mehr als naiv - nämlich dumm. Historisch betrachtet erleben wir seit hundert Jahren einen massiven Kulturverfall. Deshalb wäre es sinnvoll, mit der Umsetzung noch weitere Jahrzehnte zu warten - in der Hoffnung, dass Österreich irgendwann eine Kulturwende erleben wird. Vielleicht ist es mehr als naiv - nämlich dumm - zu glauben, die österreichische Kultur in hundert Jahren oder sogar schon in kommenden Jahrzehnten sei kultivierter als die heutige. Aber wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben! Vielleicht werden die Menschen unseres Landes dann die kulturelle Reife erreicht haben, die für die Umsetzung des Projektes nötig wäre. Oder man wird dann über Traditionen und Kültür sowieso ganz anders denken - dann würde die nun geplante Intervention und die damit verbundene Investition auch überflüssig gewesen sein.

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