EU-Kompass Wettbewerbsfähigkeit

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Ein EU-Kompass, um wieder wettbewerbsfähig zu werden und nachhaltigen Wohlstand zu sichern

PRESSEMITTEILUNG 29.01.2025 Brüssel -  Heute stellt die Kommission den „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ vor; dabei handelt es sich um die erste großangelegte Initiative zu Beginn der Amtszeit der neuen Kommission, mit der sie einen klaren strategischen Rahmen für ihre Arbeit definiert. Der Kompass gibt den Weg für Europa vor, damit es sowohl zu dem Ort wird, an dem künftige Technologien, Dienstleistungen und saubere Produkte erfunden, hergestellt und auf den Markt gebracht werden, als auch zum ersten klimaneutralen Kontinent.

In den letzten zwei Jahrzehnten ist Europa aufgrund einer über längere Zeit bestehenden Lücke im Produktivitätswachstum hinter anderen großen Volkswirtschaften zurückgefallen. Mit ihren talentierten und ausgebildeten Arbeitskräften, ihrem Kapital, ihren Rücklagen, dem Binnenmarkt und der einzigartigen sozialen Infrastruktur hat die EU alles, um diesen Trend umzukehren; sie muss jedoch umgehend Maßnahmen ergreifen und die seit Langem bestehenden Hindernisse und strukturellen Schwächen angehen, die sie ausbremsen.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte: „Europa hat alles, was es braucht, um bei diesem Rennen zu gewinnen.Gleichzeitig müssen wir jedoch unsere Schwächen überwinden und wieder wettbewerbsfähig werden. Der Kompass für Wettbewerbsfähigkeit macht aus den hervorragenden Empfehlungen des Draghi-Berichts einen Fahrplan. Unser Plan steht also. Wir haben den politischen Willen. Jetzt kommt es auf Geschwindigkeit und Einigkeit an. Die Welt wartet nicht auf uns. Darin sind sich alle Mitgliedstaaten einig. Nun wollen wir diesem Konsens Taten folgen lassen.“

Drei Handlungsschwerpunkte: Innovation, Dekarbonisierung und Sicherheit

Im Draghi-Bericht wurden drei Anforderungen an die Transformation benannt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern; der Kompass enthält einen Ansatz und eine Auswahl von Leitinitiativen, um jeder dieser Anforderungen zu entsprechen:

Die Innovationslücke schließen: Die EU muss ihren Innovationsmotor wieder ans Laufen bekommen. Wir wollen ein Umfeld für junge innovative Start-up-Unternehmen schaffen, die industrielle Führungsrolle in wachstumsstarken Sektoren auf Basis von Deep Tech stärken und die Verbreitung von Technologien in etablierten Unternehmen und KMU fördern. In diesem Zusammenhang wird die Kommission „KI-Gigafabriken“ und Initiativen unter dem Motto „KI anwenden“ vorschlagen, um die Entwicklung der KI und ihren Einsatz in Schlüsselsektoren der Industrie zu fördern. Außerdem wird sie Aktionspläne in Bezug auf fortgeschrittene Werkstoffe, Quanten- und Biotechnologien, Robotik und Weltraumtechnologien vorlegen. Mit einer eigens auf Start-up- und Scale-up-Unternehmen zugeschnittenen Strategie der EU werden jene Hindernisse angegangen, die der Entstehung und Expansion neuer Unternehmen im Wege stehen. Durch einen Vorschlag für eine 28. Rechtsordnung werden die geltenden Vorschriften vereinfacht, darunter die einschlägigen Aspekte des Gesellschaftsrechts, der Insolvenz, des Arbeits- und des Steuerrechts, und die Kosten eines Scheiterns gesenkt. Innovative Unternehmen können so die Vorzüge eines einheitlichen Regelwerks nutzen, wo auch immer sie im Binnenmarkt investieren und ihren Aktivitäten nachgehen.

Ein gemeinsamer Fahrplan für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit: Im Kompass werden hohe und volatile Energiepreise als eine der größten Herausforderungen genannt, zugleich werden Interventionsbereiche festgelegt, um den Zugang zu sauberer erschwinglicher Energie zu erleichtern. Im künftigen Deal für eine saubere Industrie wird ein wettbewerbsorientierter Ansatz für die Dekarbonisierung dargelegt, der darauf abzielt, die EU als attraktiven Standort für die Fertigung zu sichern, darunter auch für energieintensive Industrien, und saubere Technologien sowie neue kreislauforientierte Geschäftsmodelle zu fördern. Ein Aktionsplan für erschwingliche Energie wird dazu beitragen, die Energiepreise und -kosten zu senken. Zugleich werden mit einem Rechtsakt zur beschleunigten Dekarbonisierung der Industrie beschleunigte Genehmigungsverfahren auf Sektoren im Übergang ausgeweitet. Darüber hinaus sieht der Kompass maßgeschneiderte Aktionspläne für energieintensive Sektoren wie Stahl, Metall und Chemie vor, die das Rückgrat des europäischen Produktionssystems sind, für die diese Phase des Übergangs jedoch mit den größten Risiken verbunden ist.

Verringerung übermäßiger Abhängigkeiten und Stärkung der Sicherheit: Die Fähigkeit der EU, zu diversifizieren und Abhängigkeiten zu verringern, wird von effektiven Partnerschaften abhängen. Die EU verfügt bereits über das weltweit größte und am schnellsten wachsende Netzwerk von Handelsabkommen, an dem 76 Länder beteiligt sind, auf die fast die Hälfte des Handels der EU entfällt. Um unsere Lieferketten auch weiterhin zu diversifizieren und zu stärken, wird mit dem Kompass eine neue Reihe von Partnerschaften für sauberen Handel und Investitionen dargelegt. Sie sollen dazu beitragen, die Versorgung mit Rohstoffen, sauberer Energie, nachhaltigen Kraftstoffen und sauberen Technologien aus der ganzen Welt zu sichern. Im Binnenmarkt wird es mit der Überarbeitung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge möglich, eine europäische Präferenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge für kritische Sektoren und Technologien einzuführen.

Fünf horizontale Faktoren für Wettbewerbsfähigkeit

Die drei Säulen werden durch fünf horizontale Faktoren ergänzt, die für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in allen Sektoren entscheidend sind:

Vereinfachung: Mit diesem Faktor soll der Regelungs- und Verwaltungsaufwand drastisch reduziert werden. Hierbei wird systematisch vorgegangen, um die Verfahren für den Zugang zu EU-Mitteln und für Verwaltungsentscheidungen der EU einfacher, schneller und schlanker zu gestalten. Mit dem bevorstehenden Omnibus-Vorschlag werden die Berichterstattung zur Nachhaltigkeit, die Sorgfaltspflicht und die Taxonomie einfacher gestaltet. Darüber hinaus wird es die Kommission für Tausende kleinerer Unternehmen mit mittlerer Kapitalisierung erleichtern, ihren Geschäftstätigkeiten nachzugehen. Durch den Kompass wird das Ziel festgelegt, den Verwaltungsaufwand für Unternehmen um mindestens 25 % und für KMU um mindestens 35 % zu senken.

Abbau von Hindernissen für den Binnenmarkt: Seit 30 Jahren ist der Binnenmarkt Europas bewährter Motor für Wettbewerbsfähigkeit. Damit er in allen Branchen noch besser funktioniert, werden im Zuge einer horizontalen Binnenmarktstrategie der Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung modernisiert, Hindernisse innerhalb der EU beseitigt und neue Hindernisse vermieden. Bei dieser Gelegenheit wird die Kommission die Normungsverfahren schneller und leichter zugänglich machen, wobei der Fokus insbesondere auf KMU und Start-up-Unternehmen liegt.

Die Wettbewerbsfähigkeit finanzieren: Der EU fehlt es an einem effizienten Kapitalmarkt, damit aus Ersparnissen Investitionen werden. Die Kommission wird eine Europäische Spar- und Investitionsunion vorstellen, um neue Spar- und Anlageprodukte sowie Anreize für Risikokapital zu schaffen und sicherzustellen, dass Investitionen in der gesamten EU nahtlos möglich sind. Im neu ausgerichteten EU-Haushalt wird der Zugang zu EU-Mitteln im Einklang mit den Prioritäten der EU gestrafft.

Kompetenzen und hochwertige Arbeitsplätze fördern: Für die Wettbewerbsfähigkeit Europas sind die Menschen entscheidend. Damit die Kompetenzen und die Anforderungen des Arbeitsmarkts miteinander übereinstimmen, wird die Kommission eine Initiative vorlegen, um eine Union der Kompetenzen zu schaffen. Deren Schwerpunkte liegen auf Investitionen, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen, dem Aufbau zukunftssicherer Kompetenzen und ihrem Erhalt, der fairen Mobilität, der Anwerbung und Integration qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland sowie der Anerkennung unterschiedlicher Arten der Ausbildung, um Menschen in die Lage zu versetzen, in unserer gesamten Union zu arbeiten.

Bessere Koordinierung der politischen Maßnahmen auf EU- und nationaler Ebene: Die Kommission wird ein Instrument zur Koordinierung der Wettbewerbsfähigkeit einführen, um zusammen mit den Mitgliedstaaten die Umsetzung der gemeinsamen politischen Ziele der EU auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene sicherzustellen, grenzüberschreitende Projekte von europäischem Interesse zu ermitteln und damit verbundene Reformen und Investitionen fortzusetzen. Im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen wird ein Fonds für Wettbewerbsfähigkeit an die Stelle mehrerer bestehender EU-Finanzinstrumente mit ähnlichen Zielen treten und die finanzielle Unterstützung für die Durchführung von Maßnahmen mit dem Instrument zur Koordinierung der Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten.

Hintergrund

Am 27. November 2024 kündigte Präsidentin von der Leyen einen Kompass für Wettbewerbsfähigkeit als erste großangelegte Initiative der Kommission während dieses Mandats an. Dieser basiert auf dem Draghi-Bericht und stellt den Rahmen für die Arbeit zur Wettbewerbsfähigkeit der Kommission in dieser Amtszeit dar.

In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union im Jahr 2023 legte Präsidentin von der Leyen dar, dass sie den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi gebeten habe, einen Bericht über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auszuarbeiten. Der Bericht beinhaltet die Warnung, dass Europa sich auf viele der Faktoren, die dem Wachstum in der Vergangenheit zuträglich waren, nicht mehr verlassen kann. Er stellt eine eindeutige Diagnose und gibt konkrete Empfehlungen, wie Europa auf einen anderen Kurs gebracht werden kann. Viele der Empfehlungen finden sich bereits in den politischen Leitlinien und Mandatsschreiben der Präsidentin an die Mitglieder des Kollegiums.

Weitere Informationen

Ein Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit der EU


Pressemitteilung ATTAC Österreich - 29. Jänner 2025 - EU-Wettbewerbskompass: Angriff auf Regulierungen im öffentlichen Interesse + Attac: Konzerne rennen bei von der Leyen offene Türen ein

Attac kritisiert den heute von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellten Wettbewerbskompass als Angriff auf Umwelt-, Verbraucher*innen- und Arbeitnehmer*innenschutz. „Hinter dem Schlagwort ‚Bürokratieabbau‘ wollen Unternehmen seit langem wichtige Regulierungen im öffentlichen Interesse aushöhlen und abschaffen. Der Wettbewerbskompass zeigt, dass sie bei Ursula von der Leyen offene Türen einrennen“, kritisiert Mario Taschwer von Attac Österreich.

Prominentes Beispiel dafür ist die angekündigte Abschwächung des Lieferkettengesetzes – obwohl das Gesetz im letzten Moment vor seinem Beschluss schon stark abgeschwächt wurde. Abgeschwächt sollen auch Regulierungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung – also bei Umweltschutz, Sozialstandards und Verbraucher*innenschutz. Erleichtert werden soll zudem die Fusion von Konzerngiganten – und das trotz aller Probleme, die bereits heute von der wirtschaftlichen und politischen Machtkonzentration großer Konzerne ausgehen.

Neue Systemrisiken im Finanzsektor

Im Finanzsektor will von der Leyen die Verbriefung – also die Bündelung von Krediten zu handelbaren Finanzprodukten – für die verstärkte Finanzierung von Unternehmen „wiederbeleben“. Für Attac ist das Vorhaben unnötig und gefährlich. Denn entgegen allen Behauptungen gibt es in Europa keine Kreditknappheit. "Verbriefungen waren zentraler Auslöser der Finanzkrise 2008. In Boomphasen werden damit Blasenbildungen verstärkt, in Krisenzeiten fehlt es erst recht an Kapital für Investitionen. Von der Leyens Plan führt nur zur weiteren Aufblähung und größeren systemischen Risiken im Finanzsektor. Verbriefungen müssen strenger reguliert und teilweise abgeschafft werden – hier passiert genau das Gegenteil“, kritisiert Taschwer.

Keine Lösungen bei teurer Energie

Im Bereich des Strommarktes werden hohe Energiepreise und nötige Dekarbonisierung zwar angesprochen, nicht jedoch die Konstruktionsfehler des liberalisierten Strommarktes. „Sowohl Strom als auch Gas sollen weiterhin über spekulative Termingeschäfte und intransparente Energiebörsen gehandelt werden. Ein Ende von Finanzspekulation und Profitmaximierung ist nicht in Sicht. Die Rekordprofite der Energiekonzerne bleiben weitgehend unangetastet“, kritisiert Taschwer.


29.1.2025 Die Österreichische Industriellenvereinigung IV kommentiert: „Erste Schritte erkennbar, drastischere Maßnahmen müssen folgen – Abschaffung von Bürokratiemonstern dringend notwendig … Der Draghi-Bericht verdeutlicht die unterschiedliche Entwicklung in den USA und der EU: Auf US-Seite wurden im Zeitraum 2019-2024 insgesamt 3.500 Gesetze und rund 2.000 Resolutionen erlassen, während die EU im gleichen Zeitraum rund 13.000 Rechtsakte verabschiedet hat. „Die Gesetzesflut muss eingedämmt werden, um Freiräume für Innovation und Investitionen zu schaffen und weiterhin global wettbewerbsfähig zu sein. Insofern ist das Omnibus-Gesetz ein erster wichtiger Schritt. Allerdings muss klar sein, dass weitere Reduktionen der Berichts- und Regulierungslasten in diesem Jahr folgen müssen.“

Nur einen Tag später, am 30.1.2025 werden die Alarmglocken schriller geläutet: „De-Industrialisierung gefährdet Österreichs Wohlstand … „Die gegenwärtige Lage in der Industrie präsentiert sich trostlos. Die Rezession infolge ungelöster Standortherausforderungen setzt der Industrie weiterhin zu und gefährdet den Wohlstand Österreichs. Insbesondere hat sich die Krise in der Breite der energieintensiven Industrie verfestigt. Die industrielle Wertschöpfung leidet unter hohen Energie- und Lohnstückkosten sowie regulatorischer und abgabenseitiger Überbelastung. Anzeichen für eine Trendwende zum Besseren sind derzeit nicht in Sicht“, fasst IV-Chefökonom Christian Helmenstein die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturerhebung der IV, im Rahmen der Pressekonferenz, zusammen.“