Orthofer Peter: So schaut’s aus in Österreich

23. September 2025 - Peter Orthofer, 1940 geboren in Berlin, studierte Philosophie und Germanistik in Graz und hat danach dutzende Bücher und Kabarett-Programme geschrieben. Er wurde damit so berühmt, dass ihm die Stadt Wien ein Ehrengrab gespendet hat. 2008 ist er gestorben, eines seiner letzten Werke ist 2004 erschienen: „So schaut’s aus in Österreich“. (Mit Karikaturen von Erich Eibl).

Orthofer Peter

Der Vier-Parteien-Staat war damals noch einigermaßen in Ordnung, auch wenn gegen die Regeln der Realverfassung ÖVP-Schüssel als Dritter bei der Nationalratswahl vom Zweiten (FPÖ-Haider) zum Kanzler gekürt worden war. Orthofer serviert dem Leser „Eine Runde Staatsbürgerkunde“ und beweist, trotz vieler treffender Bonmots, dass auch ein scharfer politischer Beobachter bei grundlegenden Sachverhalten komplett daneben liegen kann.

Beginnend mit der Behauptung: „Der Bundespräsident ist nominell das Staatsoberhaupt, hat aber prinzipiell kaum etwas zu sagen.“ Dass er prinzipiell nichts zu sagen hat ist falsch, auch wenn er da facto nichts zu sagen hat – diesen kleinen, aber wesentlichen Unterschied sollte ein gelernter Philosoph kennen. Treffend aber die Beobachtung: „Schon dass einer einmal bei der Angelobung einer neuen Regierung eine saure Miene aufsetzte [Klestsil bei der Inthronisierung seines Parteifreundes Schüssel!], wurde von weiten Kreisen als Kompetenzüberschreitung betrachtet.“ Und: „Sein Gehalt ist unangemessen hoch, aber mit demselben Problem haben ja viele andere Politiker auch zu kämpfen.“

„Österreich mit seinem Hang zum Paradoxen ist der lebende Beweis dafür, dass sich ein Land in relativ schlechter Verfassung befinden kann, obwohl es eine relativ gute Verfassung hat.“ Offenbar war auch Orthofer einer jener Kritiker, der den Gegenstand seiner Kritik – in dem Fall die österreichische Verfassung – nicht gelesen hat, statt dessen dem österreichischen Mythos erlegen ist. Der Gipfel dieses Verfassungsmythos war die Heiligsprechung durch VdB ("Schönheit und Eleganz unserer Verfassung") anlässlich der Einsetzung der „Expertenregierung Bierlein“.

Im Gegensatz dazu hat der Verfassungsjurist Hans Klecatsky schon in den 1970er Jahren erklärt, dass die österreichische Verfassung eine "Ruine" sei. Seither wurde kein ernsthafter Versuch unternommen, die Ruine zu renovieren. Im Gegenteil: sie wurde lediglich mit Bauschutt aufgefüllt. Orthuber ist vielleicht kein guter Analytiker, aber immerhin ein genauer Beobachter; seit Wiedereinsetzung der Verfassung nach 1945 „wurde viel daran herumgedoktert, aber der große Schritt zu einer Verfassung, die auch morgen noch zeitgerecht wäre, ist bisher unterblieben.“ Aus Sicht des Jahres 2025 und bereits fünf Jahre nach Erscheinen des Buches „Baustelle Parlament. Warum die österreichische Verfassung für das 21. Jahrhundert nicht geeignet ist“, kann man nur ergänzen: In Ewigkeit, Amen!

Mit der Einsetzung der „Expertenregierung“ statuierte VdB ein Exempel, wie man den Artikel 70 B-VG – im Gegensatz zu den bisherigen Usancen – auch interpretieren kann bzw. eigentlich interpretieren sollte! Doch der Inhalt dieses Artikels war bis dahin weitgehend unbekannt: „Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt.“ Dass die wichtigsten Kommentatoren der Massenmedien im Sinne der Parteien umgehend forderten, es müsse so schnell wie möglich „eine gewählte Regierung“ geben, ist zwar üblich, aber nicht mehr als Brauchtumspflege. Laut Verfassung bleibt die Tatsache: es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen Nationalratswahl und Regierungsbildung. Mehr noch: im ganzen Bauschutt der Verfassungsruine, wo jede Eventualität bis hin zu den Aufgaben von Direktoren landwirtschaftliche Studentenheimen geklärt wurde, gibt es keinen einzigen Satz über die notwendigen Schritte zur Bildung einer Bundesregierung!

„Die Österreicher entscheiden in freier und geheimer Wahl, von wem sie regiert werden wollen.“ Damit folgt Orthofer zwar der Realverfassung, diese Aussage ist aber trotzdem falsch. Wahr ist: es gibt in Österreich keine Wahl einer Regierung, sondern nur die Wahl des Nationalrats. Dass die „stärkste“ Partei dieser Wahl den „Anspruch erhebt“, die nächste Regierung zu bilden, gehört – es muss leider nochmals wiederholt werden – zum Brauchtum, findet aber bis heute keine Begründung in der Verfassung (B-VG).

Ebenso falsch ist die humoristische Feststellung: „Als parlamentarische Demokratie verfügt Österreich natürlich auch über ein Parlament. Besser gesagt: Das Parlament verfügt über Österreich.“ Wahr ist vielmehr: Die Regierung verfügt nach Belieben über das Parlament. Die Regierung, die ohne verfassungsrechtliche Grundlagen zustande gekommen ist (außer Regierung Bierlein), bringt mehr als 90 Prozent aller Gesetzesvorlagen ins Parlament, womit das Parlament entmächtigt wurde. Vielleicht werden Historiker einst sagen, das Parlament habe sich selbst entmächtigt, aber das Ergebnis bleibt das gleiche. 183 Abgeordnete (nicht 180 wie Orthofer irrtümlich schreibt) winken die Regierungsvorlagen durch, anstatt der Regierung Gesetze vorzulegen. Gesetze, die sie als Repräsentanten des Volkes im Interesse des Volkes erlassen sollten, nicht Gesetze, die die herrschenden Parteien allein im Interesse ihrer eigenen Parteien am Fließband fabrizieren. Das versteht man nämlich unter dem Grundprinzip der Demokratie, der Gewaltenteilung!

Die Demokratie-Farce geht so weit, dass sich Parlamentarier regelmäßig beschweren, wenn die Regierung nicht genug oder nicht rechtzeitig ihre Vorlagen beim Parlament abliefert.

Laut Karl Popper definiert sich die Qualität der Demokratie darin, wie gut die Gewaltenteilung (Exekutive, Legislative, Judikative agieren unabhängig voneinander und kontrollieren einander) funktioniert. Laut Peter Orthofer gilt: „in der Demokratie gibt es eben keinen Qualitätsmaßstab, sondern nur die rituellen Hahnenkämpfe der Parteien.“ Das freilich gilt nicht prinzipiell für „die Demokratie“, sondern nur für die Art und Weise, wie diese Staatsform in Österreich ausgeübt wird. Aber nicht nur in Österreich …

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