Spinney Laura: 1918 Die Welt im Fieber

2. 12.2021 - Im Jahr 2017, rechtzeitig vor dem 100-Jahr-Jubiläum der Spanischen Grippe, erschien das Buch "1918 Die Welt im Fieber" von Laura Spinney. Im Sommer dieses Jahres ist die Taschenbuch-Ausgabe erschienen und es ist sicher kein Zufall, dass diese auf der "Spiegel Bestsellerliste" gelandet ist. Ziemlich genau zwei Jahre nach Ausbruch von Covid-19 in China stellt sich die Frage, was können wir heute von der "Spanischen Grippe" lernen? Das vorliegende Buch gibt darauf keine Antwort. Aber es liefert immerhin genug Fakten, um Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen 1918/19 und 2020/21 zu erkennen.

Hubert 1918 Spanische Grippe

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Der größte Unterschied: Die Spanische Grippe führte nach ihrem Ausbruch in den den USA und Europa im Frühjahr 1918 zu einer zweiten Welle im Herbst. Sie überrollte zeitverschoben 1919 die südliche Hemisphäre und war nach zwei Jahren endgültig vorbei. Die Corona-Pandemie dagegen, die am 11. März 2020 mit der Ausrufung durch die WHO begann, hat mittlerweile zum vierten Lockdown geführt. Ein Ende ist nicht in Sicht, zumindest nicht in Europa, denn ohne eine Widerrufung der Pandemie durch die WHO sind die EU-Staaten offenbar nicht imstande, eine Wende ihrer Corona-Politik herbei zu führen.

Die Ähnlichkeiten überwiegen: Das mag überraschen, denn die Menschen waren 1918, nach den Folgen des 1. Weltkriegs, psychisch und physisch am Boden, ausgebombt, ausgehungert, kriegsversehrt und hygienisch nur notdürftig versorgt. Ein Jahrhundert später, vor Corona, lebte die Mehrheit der Menschen (in Relation zu 1918) wohlversorgt, gesundheitsbewusst und mit dem besten medizinischen System aller Zeiten. Auch wenn dieses nicht in allen Regionen diese Welt zugänglich war, so doch in Europa, wo die Krise nun scheinbar am größten ist. Auch wenn der Unterschied zwischen 1918 und 2020 im Lebensstandard riesig ist, so ist die Ähnlichkeit der beiden Pandemien phänomenologisch frappant: trotz den riesigen Fortschritten der Medizintechnik bleibt die Pandemie dem Wesen nach höchst spekulativ und ominös.

Ominös (lateinisch "omen"= Vorzeichen, Vogelschau) war und ist bis heute jede Prognose über die Gefährlichkeit des Virus und seiner Mutationen. So ist die neueste "SARS-CoV-2-Variante Omikron", entdeckt am 24.11.2021 in Südafrika, laut Angaben der WHO "bedenklich". That's Science at Its Best in the Time of the COVID-19 Pandemic. Worin genau der Unterschied zu den vorigen Varianten liegt, mit welchen Messgeräten ihre Gefährlichkeit und Bedenklichkeit festgestellt wurde - darüber gibt es keine exakten Informationen. Auf solche ominöse Bewertungen folgen seit Ausrufung der Pandemie die Maßnahmen der Regierungen. Noch nie da gewesen ist das Phänomen, dass sogar die rückblickenden Beurteilungen der Corona-Ursachen und -Auswirkungen, sowie der Maßnahmen-Politik wider besseres Wissen im Ominösen verhaftet bleiben. Das Einzige, was über Omikron exakt ermittelt werden konnte, sind Tag und Ort, an dem die neue Mutation entdeckt wurde. Mit diesen exakten, aber völlig nebensächlichen Daten wird Wissenschaft simuliert, während Prämissen, Verfahren und Schlussfolgerungen im Ominösen stecken bleiben. Das beginnt bei der Frage "Wie definiert man Pandemie?" und endet bei den Lockdown-Maßnahmen auf Basis hochgetester Fallzahlen.

Zurück zur Geschichte. Das Ominöse der "Spanischen Grippe" beginnt bei ihrem Namen, der doppelt irreführend ist.

1. Diese Epidemie hat nicht in Spanien begonnen, sondern wurde nach dem Kriegseintritt Amerikas von Soldaten der US-Army nach Europa eingeschleppt.

2. Sie war auch nicht auf Europa, die Hauptschauplätze des 1. Weltkrieges, beschränkt, sondern wütete in asiatischen und afrikanischen Ländern viel schlimmer.

"Die Spanische Grippe infizierte jeden dritten Erdbewohner, 500 Millionen Menschen. Zwischen dem ersten Krankheitsfall, der am 4. März 1918 gemeldet wurde, und dem letzten, irgendwann im März 1920, tötete die Grippe 50 bis 100 Millionen Menschen, also 2,5 bis 5 Prozent der Weltbevölkerung", schreibt Autorin des Buches in der Einleitung und relativiert: "eine Spannweite, die zeigt, wie vage die Erkenntnisse über die Spanische Grippe auch heute teils immer noch sind." Im Kapitel "Die Toten zählen" zitiert sie weitere Berechnungen nach der Methode Daumen mal Pi: "Laut einer Schätzung des amerikanischen Bakteriologen Edwin Jordan in den 1920er Jahren waren an der Spanischen Grippe 21,6 Millionen Menschen gestorben. ... Heute wissen wir, dass Jordan mit seiner Schätzung sogar noch zu niedrig lag." Diese Zahl galt 70 Jahre, bis 1991 Gerald Pyle und Edwin Jorden die Schätzung auf 30 Millionen "nach oben korrigierten".

Im Unterschied zu heute gab es vor 100 Jahren keine Tests, keine elektronische Datenverarbeitung und in vielen Ländern noch nicht einmal Standards, um Influenza zu erfassen. "Meldepflicht bestand nur bei Krankheiten, die ein ernstes Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellten, sodass in den USA Anfang 1918 zwar Pocken, Tuberkulose und Cholera meldepflichtig waren, die Influenza aber nicht". Ein anderes Beispiel ist China, dessen Zahl an Grippe-Toten Forscher mit 4 bis 9,5 Millionen "veranschlagten". Kleines Manko dieser Veranschlagung: es liegen keinerlei chinesische Daten vor.

Dazu kommt, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts jede Menge Infektionskrankheiten grassierten, u.a. Cholera, Fleckfieber, Pocken, Lepra, Ruhr, Tuberkulose, Typhus, die in verschiedenen Phasen ähnliche Symptome wie die Grippe aufwiesen. So wird wohl ewig ungeklärt bleiben, wie viele Menschen mit und wie viele an der "Spanischen Grippe" verstorben sind und wie viele an anderen Ursachen. Was wir heute über das Ausmaß der spanischen Grippe "wissen", beschränkt sich auf eine Reihe von unterschiedlichen Schätzungen.

Damit zurück in die Gegenwart. Die Wissenschaft und der medizinische Sektor sind auch heute nicht imstande, eine exakte Unterscheidung zu treffen, ob Menschen "an" oder "mit" Corona verstorben sind. Und die Politik ist nicht daran interessiert, dazu exakte Angaben einzufordern. Man könnte sogar den Eindruck gewinnen, die Politiker unternehmen alles, um exakte Untersuchungen zu verhindern. "Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei", lautet der Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes aus dem Jahre 1867, das in Österreich immer noch in Verfassungsrang ist. De facto sind die meisten Wissenschafter heute reine Erfüllungsgehilfen der Corona-Herrschaft. Ein Vergleich zweier Staaten veranschaulicht den Bankrott der ominösen Triage von Politik-Wissenschaft-Medizin. Der (gefühlt) wichtigste Staat dieser Welt, Österreich, und der (objektiv) mächtigste Staat, China, haben mit Stand 2.12.2021 folgende Statistik vorzuweisen:

Bestätigte Fälle - Österreich: 1.170.362, China 98.901

Todesfälle - Österreich: 12.553, China: 4.636

Wer immer noch daran zweifelt, dass Österreich eine Großmacht der wissenschaftlichen, medizinischen und politischen Inkompetenz ist, der sollte aufgrund dieser Zahlen eines besseren belehrt worden sein.

Corona Statistik China 2021 12 02

 

Corona Statistik Austria 2021 12 02

Resümee: Die Medizintechnologie hat sich in den vergangenen 100 Jahren parallel zum allgemeinen Fortschritt der Technik rasant entwickelt. Doch die medizinische Diagnostik konnte mit diesem Tempo nicht mithalten. Im Gegenteil, Corona hat offenbart, dass Ärzte überhaupt nicht mehr imstande sind, eine eigenständige Diagnose, die auf Erfahrungen, Erkenntnissen und Urteilen basiert, zu geben. Statt dessen erfolgt heute jede Behandlung von Corona-Patienten nur infolge eines Testergebnisses (das in vielen Fällen nachweislich falsch ist) nach Protokoll, vorgegeben von der WHO. Wer als Arzt oder Pfleger diese Art der Medizin nicht akzeptiert, wird gekündigt, oder als Patient ohne Behandlung heim geschickt. Künftige Historiker werden sehr viel Zeit damit verbringen zu erklären, warum in Zeiten der angeblich größten Pandemie dieses Jahrhunderts Krankenhäuser und Arztpraxen zusperrten und Patienten, die alles haben nur nicht Corona, aussperrten. Es bleibt zu hoffen, dass die Historiker mit dieser Vergangenheitsbewältigung nicht erst in hundert Jahren beginnen werden.

Laura Spinney

1918 Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte

Piper Verlag München, 2021

Siehe auch: Statistik und Wahrheit

Siehe auch:Influenza versus Corona