"Betrachtungen von allem plus eins" ist der Untertitel dieses populärwissenschaftlichen Sachbuches des Mathematikers Rudolf Taschner, das 2009 erschienen ist. Das Themenspektrum reicht von der Astronomie über Kunst, Moral und Fußball bis zur Religion. Dass man mit Gott und der Welt rechnen muss, ist naheliegend, wenn ein Mathematiker darüber schreibt. "Betrachtungen von allem minus eins" wäre aber der bessere Untertitel gewesen.
"Mathematik und Kunst" dreht sich vorwiegend um den goldenen Schnitt. Die "sectio aurea" findet sich in Bauwerken der Antike ebenso wie in Gemälden der Moderne. Nach einem Kurzstreckenlauf durch die europäische Kunstgeschichte landet Taschner bei M.C. Escher, der mit seinen unmöglichen Objekten und Räumen die Grenzen der Wahrnehmung ausgelotet hat. Taschners Urteil über ihn fällt jedoch vernichtend aus: "man ist sich bei Escher nicht einmal sicher, ob er überhaupt wahrgenommen zu werden verdient, geschweige denn, ob er beanspruche darf, sich im Bereich der Kunst oder im Bereich der Mathematik einen Namen gemacht zu haben." Diese verschnörkelte Formulierung reicht nicht, "Eschers Werk ist nicht einmal schlechte Kunst, eigentlich ist sie nur scheinbare Kunst", so Taschner, der sich nicht zuletzt bemüßigt fühlt, Eschers "Bildergalerie" Unbeholfenheit zu attestieren.
Erhellender ist dagegen das Kapitel "Mathematik und Moral", das mit der Geschichte des ungarischen Mathematik-Genies Jancsi Neumann, der sich in Deutschland Johann und in den USA schließlich John nannte, beginnt und endet. In den USA arbeitete Neumann an der Entwicklung der Atombombe mit und "berechnete" letztlich sogar, wo sie abgeworfen werden sollte. Während eines Spaziergangs äußerte Neumann folgende These: "Man dürfe sich für die Welt, in der man lebt, keinesfalls verantwortlich fühlen. Auf von Neumanns Ratschlag hin habe ich seither einen starken Sinn für soziale Verantwortungslosigkeit entwickelt. Diese Haltung hat mich seither zu einem sehr glücklichen Menschen gemacht." Dies ist keine Aussage von Taschner, sondern die Schilderung eines Zeitgenossen von Neumann, Richard Feinman, die Taschner zitiert. Doch man wird den Eindruck nicht los, dass sich Taschner damit identifiziert.
Taschner glaubt nach eigenen Worten nicht an Gerechtigkeit - somit wohl auch nicht an Gleichheit, Verantwortung, Freiheit und andere Grundwerte unserer Gesellschaft, mehr noch: Grundwerte unserer Zivilisation. Laut Taschner existiere "kein objektives Maß, um Gerechtigkeit zu messen" (Quelle DerStandard). Naturgemäß gibt es auch keine Maßstäbe für Verantwortung, Freiheit usw. "Gerechtigkeit siegt - Aber nur im Film", ist der Titel eines Buches, das er 2011 veröffentlicht hat. Der Titel ist zwar witzig, aber aus moralphilosophischer Sicht Ausdruck von Unbeholfenheit. Es ist fragwürdig, ob dieses Buch "überhaupt wahrgenommen zu werden verdient."
Am ehesten überzeugt das Kapitel "Mathematik und Religion". Taschner stellt zwei Mathematiker gegenüber, den Atheisten Godfrey Harold Hardy, und den gläubigen Phänomenologen Hermann Weyl. "Das Unendliche als Grenzbegriff" ist der Schnittpunkt von Mathematik und Religion. Egal ob aus religiöser oder mathematischer Sicht: "Das Unendliche ist ... jenseits unserer Vorstellungskraft".