A leiwander Rockmusiker muass a Gschichtldrucker sein. Dieses Motto hat die Kultfigur Ostbahnkurti gelebt. Sein Buch ist eine kleine Kulturgeschichte des Austro-Rock. Wenn die Kunstfigur M.P. mit kaum 35 Jahren ein Buch mit dem tiefsinnigen Titel "Gschichtn" (erschienen 2021) vorlegt, so gibt es mit Sicherheit niemanden, der einen Bock darauf hat, das zu lesen. Aber es wird wohl genug Fans geben, die es kaufen. Und das ist in Zeiten wie diesen Grund genug, ein paar Texte zwischen zwei Deckel zu packen und das ganze als "Buch" zu vermarkten. Aber das ist eine andere Geschichte, hier geht es um die
Die Marco Pogo BP-Wahl-Show
"Marco Pogo will Bundespräsident werden", schrieben bereits Ende 2021 zahlreiche Medien, die sich selbst als "Qualitätszeitungen" bezeichnen. Unser Kandidat 2022 hat die ChefredakteurInnen dieser Blätter darüber aufgeklärt, dass Marco Pogo nicht für dieses Amt kandidieren könne, genauso wenig wie Gösser Bier oder die Lugner City. Bis zuletzt bleiben die Medien jedoch bei ihrer Version. So wiederholt "Der Standard" noch am 13. Juni 2022 diesen Schwachsinn: "Marco Pogo will Bundespräsident werden: Als Bürger, Bierfreund und Menschenfreund".
Zwar wird diese Schlagzeile relativiert mit der Erklärung - "Dominik Wlazny alias Marco Pogo will im Herbst bei der Bundespräsidentschaftswahl antreten" - doch einmal mehr wird klar: bei dem Thema geht es nicht um das höchste politische Amt in Österreich und seine Bedeutung für die Zukunft unserer Demokratie, sondern einzig und allein um die Schöpfung einer Kultfigur, kurz und schlecht: um die Show eines Rockers.
Gemäß Chronik der Ereignisse kann sich der ORF rühmen, den "Kandidaten M.P." schon im Oktober im Studio Wien erfunden und in "Willkommen Österreich" Anfang Dezember 2021 den Kultstatus verliehen zu haben, aber Der Standard hat sich seither eifrig bemüht, dieser Kunstfigur einen intellektuellen Überbau zu verschaffen. Den hat der 35-jährige Rocksänger auch dringend nötig, denn bislang hat er zu keinem einzigen politischen Thema eine seriöse Analyse vorgelegt, zu keiner einzigen politischen Frage eine seriöse Antwort geliefert. Bekannt aus "Willkommen Ö" ist lediglich seine Einschätzung, dass es sich beim Amt des Bundespräsidenten um "a gmiatliche Hockn" handle.
Mit dem Titel "Marco Pogo: Auch ein Bundespräsident kann auf den Tisch hauen" wird ein Interview beworben, das seit 18.11.21 auf derStandard.at abrufbar ist. "Der Punkmusiker übt Kritik an der heimischen Corona-Politik", heißt es da über den promovierten Doktor der Medizin, der bislang seinen Beruf nur als Impfarzt bei einem seiner Konzerte ausgeübt hat. Wie in diesem Umfeld die Kühlkette und die Hygienevorschriften eingehalten wurden, diese Frage konnte noch niemand beantworten. Das liegt daran, dass es in unserem Land keinen einzigen Journalisten mehr gibt, der dazu fähig wäre, solche Fragen zu stellen.
Nur eine Woche nach der offiziellen Bekanntgabe von Wlaznys Kandidatur, startete der Standard das, was man in Analogie zur Fake-News als Fake-Diskurs bezeichnen muss. So wurde am 19. Juni 22 ein Gastkommentar der Kommunikationsberaterin Nina Hoppe lanciert. Über M.P.s Kandidatur schreibt sie: "Das ist demokratiegefährdender Populismus, den man nicht unterstützen sollte. ... Es geht hier nämlich auch um den Respekt einem Amt gegenüber, das inhaltlich wie organisatorisch enorm komplex ist. Hier bedarf es einer Person, die nicht nur den politischen Weitblick und auch Großmut besitzt, sondern das Wesen und Funktionieren der Politik kennt. Aber auch das Wesen und die Stärke der Diplomatie, die Stärke und Komplexität der Verfassung, die Sensibilität internationaler Beziehungen, das Wissen um Geostrategie und Geopolitik oder der Sicherheitspolitik."
Nach einer Reihe weiterer vernünftiger Argumente für eine seriöse Politik auf Basis ethischer Verantwortung schließt Hoppe: "Es ist daher zu hoffen, dass die Bundespräsidentenwahl nicht zu einer inhaltlichen (schlechten) Satiresendung wird, in der sich die Herausforderer aus Spaß auf Kosten des Amtsinhabers öffentlich bemerkbar machen." Die Kommunikationsexpertin sorgt sich also, dass VdB zum Objekt des Spotts wird. Diese Gefahr droht VdB aber kaum von M.P., der nebenbei auch gern mal als Kabarettist auftritt, sondern von der rhetorischen MP des zweiten Show-Kandidaten G.G., der VdB als "rauchenden Aschenbecher" karikiert. Eine Verhöhnung des Amtes könnte man auch darin sehen, dass ein ziemlich müder alter Mann der Meinung ist, er sei mit seinen mit 78 Jahren die beste und einzigste Wahl für das höchste Amt im Lande, und das in den kommenden sechs Jahren, die vorhersehbar noch schwieriger werden als die vergangen sechs Jahre. Eine Verhöhnung des Amtes ist es auch, wenn man bei jedem Auftritt von VdB den Eindruck gewinnt, er wollte gar nicht antreten, sondern er wurde angetreten.
Auf die Kommunikationsberaterin antwortet die Standard-Redakteurin Katharina Mittelstaedt einen Tag später: "Ein demokratiepolitisches Problem sind solche Außenseiterkandidaturen sicherlich nicht. Viel mehr waren es zuletzt etablierte Parteien und ihre Vertreter, die das Vertrauen in die Demokratie gefährlich aufs Spiel setzten: durch Ibiza-Fantasien, peinliche Chats, mutmaßliche Korruption und wirre Krisenpolitik. In Bezug auf die Bundespräsidentschaftswahl ist es demokratiepolitisch viel eher bedenklich, dass sich SPÖ wie auch ÖVP nicht in der Lage sehen, selbst jemanden aufzustellen. Eine Wahl lebt von Auswahl am Stimmzettel. Wer Alexander Van der Bellen nicht wählen möchte, soll Alternativen haben."
Demokratiepolitisch problemtatisch ist, dass VdB nicht in der Lage war, auch nur eine einzige Krise zu verhindern und Teil der "wirren Krisenpolitik" ist. Das schlimmste Beispiel ist das verfassungswidrige Impfpflichtgesetz, das jeder Bundespräsident mit einem Funken Eigenständigkeit zurückgewiesen hätte, und die Regierung nach einem halben Jahr selbst wieder entsorgt hat. Medienpolitsch noch viel problematischer ist allerdings, dass der Standard und Co. der wirren Vorstellung folgen, es sei Aufgabe der Parlamentsparteien "jemanden aufzustellen". So hat man das zwar seit Jahrzehnten gemacht, und der FPÖ-Cheftrainer Kickl will auch diesmal ein paar Wochen vor der Wahl eine/n KandidatIn "aufstellen", als würde es um ein Match Rapid gegen Sturm gehen. Aber laut Verfassung ist die Wahl des Bundespräsidenten eine Persönlichkeits- und keine Parteiwahl. Laut Verfassung sollten die Parteien ihre Finger vom Bundespräsidenten lassen. Aber welche/r JournalistIn wird denn die Verfassung studieren, bevor er/sie politische Kommentare schreibt?
Eine Woche später, am 27. Juni, darf der Psychologe Daniel Witzeling (Karl Kraus hätte den Namen nicht besser erfinden können) in einem "Gastblog" M.P. zum "Gegenmittel gegen Politik(er)verdrossenheit" stilisieren. "Setzt Marco Pogo mit seiner Bewegung nicht vielmehr der aktuellen Politlandschaft, deren Vertreter manches Mal besser sind als jedes Satireprojekt, einen analytischen Spiegel vor, als dass seine Revolution gefährliches Potenzial in sich birgt?" lautet die zentrale Frage des Psychologen. Antwort 1: Revolutionen schauen anders aus. Antwort 2: falls KI-Experten bereits einen Spiegel mit Analysefähigkeit erfunden haben, dann brauchen wir keinen M.P, diesen den Politikern und wem auch immer vorzusetzen. Wenn so ein Spiegel aber nicht existiert, dann wollte der Psychologe vielleicht vernebeln, dass der Showman M.P. lediglich primitive Spiegelbilder unserer Realität an die Wand projiziert, die zu einem guten Teil auch Selbstbespiegelung sind. (Gerald Grosz braucht dazu keinen Psychologen, der schafft das alleine). Ein weniger verhunzter Vergleich wäre gewesen, dass M.P. die Politik reflektiert wie ein Spiegel! Aber zu treffsicheren, tiefschürfenden Reflexionen sind Journalisten und Gastkommentatoren so genannter Qualitätsmedien nicht mehr imstande. Das einzige was zählt: the show must go on.
Siehe auch: Der ORF dient nur noch der Volksverblödung, Artikel in der Nachrichtenagentur pressetext.com