Vor über genau 40 Jahren hat der Philosoph Hans Jonas eine Zukunftsethik entwickelt, die den möglichen Bedrohungen der Menschheit durch die Technik gerecht werden soll. Der Titel des Werkes ist Programm: „Das Prinzip Verantwortung“. Jonas geht von folgender Beobachtung aus: „Die moderne Technik hat Handlungen von so neuer Größenordnung, mit so neuartigen Objekten und so neuartigen Folgen eingeführt, dass der Rahmen früherer Ethik sie nicht mehr fassen kann."
„Die Kluft zwischen Kraft des Vorherwissens und Macht des Tuns erzeugt ein neues ethisches Problem. (…) Keine frühere Ethik hatte die globale Bedingung menschlichen Lebens und die ferne Zukunft, ja Existenz der Gattung zu berücksichtigen.“
Aus diesen Befunden leitet Jonas einen neuen kategorischen Imperativ ab. „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Einfacher gesagt: bei allem, was du planst und tust, behalte die Zukunft, insbesondere die Zukunft deiner Nachkommen, im Auge. Wir müssen heute die Verantwortung für die Zukunft übernehmen, auch wenn uns die Zukunft für unser heutiges Handeln nicht zur Verantwortung ziehen kann. Jonas schreibt, für seinen Stil ziemlich pathetisch: „Durch die Art und die schiere Größe ihrer Schneeball-Effekte treibt technologische Macht uns vorwärts zu Zielen einer Art, die früher das Reservat von Utopien war.“
Jonas setzt sich in weiterer Folge intensiv mit dem Kommunismus auseinander, jener Utopie, an der ein westlicher Intellektueller seiner Zeit offenbar nicht vorbei konnte. Dabei geht er insbesondere auf die Grundsätze und Überlegungen von Ernst Bloch ein, dessen Buch „Prinzip Hoffung“ auf der marxistischen Utopie basiert. So ist das Prinzip Verantwortung auch als Antithese zum Prinzip Hoffnung zu verstehen.
Die Forderung nach Fernprognosen, bei denen all jenen höhere Aufmerksamkeit zu widmen ist, die negative Ergebnisse vorhersehen, als jene, die positiv prognostizieren, ist auch in unserer Zeit und auf unsere Zukunft anwendbar. Denn nur so kann eine Verantwortung für die Zukunft wahr genommen werden, indem man negative Entwicklungen so weit wie möglich ausschließt.
40 Jahre nach den Bedrohungsszenarien, die Hans Jonas bei seinen Untersuchungen maßgeblich geprägt haben, nämlich der Kommunismus und die Atombombe, insbesondere die Atombombe in den Händen der Kommunisten, haben sich die Bedrohungsszenarien nicht nur verschoben, sondern auch vervielfacht. Die Technik an sich scheint der Mensch wieder fest im Griff zu haben. Sogar Roboter, die uns buchstäblich Arbeit abnehmen, sind und bleiben von Menschen gesteuert, auch dann wenn sie mit „selbstlernenden“ Algorithmen „gefüttert“ werden. Geblieben sind die Bedrohungen durch das Tempo der Veränderung, die Dichte der Vernetzung sowie den Verlust der Verantwortung.
Siehe auch Kommentar auf fischundfleisch am 14.1.2020: Türkis-Grün will „aus Verantwortung für Österreich“ regieren. Das zumindest ist der Titel des Regierungsprogramms, das bis 2024 halten soll. Es ist ein Gebot der Höflichkeit (auch wenn Höflichkeit nicht „in“ ist) die Absichten eines Menschen Ernst zu nehmen. Das gilt auch für die Absicht einer Regierung.
Siehe auch: Schuld vs Verantwortung, Auszug aus dem Buch "Moral 4.0".