Wegweiser in eine ökosoziale Gesellschaft
Das Buch von Franz Hörmann und Otmar Pregetter ist 2011 erschienen und seit 2014 auf der Seite franzhoermann.com als PDF kostenlos abrufbar. Die folgende Artikel wurde erstmals auf thurnhofercc im Juli 2011 publiziert.
„Privatleute, Großunternehmen, Kommunen, ja ganze Staaten und Staatenbünde sind heute in einem Ausmaß verschuldet, welches noch vor einigen Jahren nicht vorstellbar war. An der Rückzahlbarkeit dieser Schuldenbeträge entstehen immer größere Zweifel, und auch dies sorgt auf den Märkten für steigende Unsicherheit und kaum berechenbare Verwerfungen. Nun hängen aber die in astronomische Dimensionen anwachsenden globalen Schuldensummen mit der Methode der Gelderzeugung ursächlich zusammen. Das heute weltweit verwendete Geld entsteht als Schuldschein, es handelt sich somit um Schuldgeld. Wer auch immer glaubt, er könne mittels dieses Geldes seine (Bank-)Schulden zurückzahlen, der irrt. Die Erzeugung von Geld ist zugleich eine Erzeugung von Schuld, ihre Rückzahlung daher stets eine Geldvernichtung“, bringen die Autoren im Vorwort ihre Analyse des real existierenden Geldsystems auf den Punkt.
Warum führt die Rückzahlung eines Kredites zu Geldvernichtung? Weil die Banken nicht ihr eigenes Geld verleihen, oder das Geld ihrer Sparer, oder das Geld, das sie selbst am Kapitalmarkt oder bei den Notenbanken aufnehmen, sondern nur Geld, das „durch eine Buchung bzw. einen Eintrag im Computersystem erzeugt wird“. „97 Prozent der gesamten Geldmenge werden von den normalen Geschäftsbanken bei jeder Kreditvergabe erzeugt“ . Durch das Zinseszinssystem entsteht nach Ansicht der Autoren ein System aus Lüge, Betrug und Erpressung, sogar Konkurrenz existiert „in unserem Wirtschaftssystem ausschließlich deshalb, weil die Banken Schuldgeld, also ungedecktes Geld, welches immer nur zugleich mit einer Schuld erzeugt wird, gegen Zinsen verleihen“. Anders gesagt: weil Kreditnehmer mehr zurückzahlen müssen als die Banken an Geld erzeugen, deshalb müssen durch Konkurrenzkampf Mitbewerber vernichtet werden, da sonst das Nullsummenspiel nicht funktionieren würde. „Der Konkurrenzkampf um die Bankzinsen ist also in Wahrheit die Ursache dafür, dass unser Wirtschaftssystem ein Kampf aller gegen alle geworden ist“.
Die Autoren bringen zum Beleg dafür ein „Gedankenexperiment: Auf einer Insel leben zehn glückliche Menschen, die dort zufrieden arbeitsteilig und kooperativ, also ohne Wettbewerb, wirtschaften. Eines Tages landet dort ein Banker, der in einem Sack 100 Goldstücke mit sich führt. Er … erklärt ihnen, wie hoffnungslos rückständig sie wären, und schlägt ihnen schließlich Folgendes vor: Er leiht jedem von ihnen zehn Goldstücke für die Dauer eines Jahres, zu einem Zinssatz von 10 Prozent.“ Der Banker als Monopolist bringt damit die Inselbewohner, die ihm nach einem Jahr 110 Goldstücke zurückzahlen müssen, in Bedrängnis. Um ihre Verträge zu erfüllen „gibt es nur zwei Lösungen: Entweder einer von ihnen muss seine zehn Goldstücke an die anderen neun Mitbewohner verlieren, d.h. insolvent werden, damit diese ihre Tilgung und Zinsen bezahlen können, oder die Menschen müssen zur Bezahlung ihrer Zinsen abermals einen Kredit beim Geldverleiher aufnehmen und geraten so immer mehr in die Abhängigkeit von diesem“.
Auch wenn das Buch viele Auswüchse des Schuldgeldsystems zu Recht kritisiert, so zeigen sich in dieser Parabel, die ja von den Autoren als prototypisch (d.h. wesenhaft) für unser Finanzsystem betrachtet wird, Mängel ihrer Argumentation:
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Das weltweite Finanzsystem ist keine in sich geschlossene Insel, in der monokausale Ursachen zu linear extrapolierbaren Ergebnissen führen. Dieses Axiom führt zu der fatalen Aussage: „der Finanzmarkt ist nach wie vor ein institutionalisiertes Betrugssystem!“ . Nicht „ein“ Betrugssystem sondern die Summe zahlreicher Systemmängel, betrügerischer Machinationen und mangelnder Kontrolle der Marktteilnehmer hat zur aktuellen Finanzkrise geführt.
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Unser Geld ist nicht nur Schuldgeld. Wertschöpfung (und damit kausal verknüpft die Geldschöpfung) ist nicht NUR durch Kreditfinanzierung möglich, sondern auch – völlig unabhängig von Finanzinstitutionen – durch die Produktion von Ideen und ihre Integration in ökonomische Prozesse (z.B. die Produktion einer Software und ihr Verkauf).
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Kooperationen sind nicht nur auf idyllischen Inseln, sondern auch in unserer globalisierten, vernetzten Welt bereits alltäglich und genauso wichtig wie Konkurrenzkampf. Und Konkurrenzkampf ist nicht immer auf die Vernichtung des Mitbewerbers ausgerichtet, sondern oft auch auf die Verbesserung bestehender Schwachstellen.
Die Autoren kritisieren, dass das Finanzsystem im Allgemeinen sowie die Bilanzierungsmethoden im Besonderen keinen wissenschaftlichen Kriterien (Falsifizierbarkeit) standhalten und schreiben u.a. über „Irrglauben“, „die marktorthodoxen Forschungsinstitute mit ihrer Religion“, „die zwielichtige Welt dieser sogenannten Werte“, „Pseudomathematik“, „Finanzalchimie“. Abgesehen davon, dass die Autoren damit ihrerseits keine wissenschaftlichen Urteile, sondern Werturteile fällen, legen sie damit die Grundlage für einen Glaubenskrieg. Der Status quo wird nicht mit falsifizierbaren Thesen kritisiert, sondern mit emotional aufgeladenen Urteilen. Das gipfelt in der für einen Professor der Wirtschaftsuniversität Wien (Franz Hörmann) kuriosen Aussage: „Pseudowissenschaften, die sogenannten Wirtschaftswissenschaften, wurden nur dazu erfunden, die Bevölkerung zu manipulieren und zu täuschen“. Passend zur Griechenland-Krise erinnert das stark an das Paradoxon von Epimenides: Epimenides der Kreter sagte: Alle Kreter sind Lügner.
Auch die Insel-Parabel der Autoren ist nicht wissenschaftlich, sondern bewusst suggestiv, insbesondere mit dem Hinweis, die Inselbewohner hätten „nur zwei Lösungen“. Neben Insolvenz und neuem Kredit gibt es aber zahlreiche alternative Möglichkeiten: die Inselbewohner könnten den Geldgeber von der Insel verbannen, sie könnten ihn ermorden, sie könnten den Geldgeber zum eigenen System bekehren und wieder ohne Geld weiterleben oder ihn bekehren und das vorhandene Geld unter den nun elf Inselbewohnern aufteilen usw. Entscheidend ist die Frage, ob man den Markt als Ort definiert (oder axiomatisch voraussetzt), wo nur der „vorprogrammierte Verteilungskampf“ stattfindet, wo „Marktteilnehmer stets durch Erpressung“ ihre Interessen durchsetzen, oder ob man den Markt emotionslos und wertneutral als Fundament dynamischer Veränderung sieht.
Die Autoren behaupten schließlich, „dass ein knappes, wertvolles Ding namens „Geld“ überhaupt nicht existiert.“ Denn: „Es existieren keine abzählbaren Goldstücke von genormter Größe und einheitlichem Gewicht, die wir im Wirtschaftsleben weiterreichen könnten“. Damit begeben sie sich phänomenologisch auf dünnes Eis. Denn der Existenz-Beweis eines „Dinges“ (besser: eines Phänomens) ist nicht Voraussetzung für die Wirkungsgeschichte dieses Phänomens. In diesem Sinne sind die „Existenz“ von Wille, Phantasie, Vernunft, Gefühl u.a. Wesenszügen des Menschen nicht nachweisbar, sehr wohl aber deren Einfluss auf die Wirtschaft. Und der Umkehrschluss, Geld hätte nur in „abzählbarer, genormter Größe“ Existenzberechtigung oder eine nachweisbare Existenz, scheint auch sehr antiquiert.
Resümee: Mit ihrem Buch haben die Autoren viele Schwächen des Kapitalismus (des real existierenden, kapitalgetriebenen Wirtschaftssystems) entlarvt, gleichzeitig aber aufgrund methodischer Mängel lediglich die Grundlage für einen Glaubenskrieg gelegt. Schon nach der ersten Publikation ihrer Ideen im Online-Standard (13. 10. 2010) folgte prompt der Gegenschlag des Journalisten Eric Frey. Unter dem Titel „Der Professor als Phantast“ schoss sich Frey auf Hörmann ein. Da fielen Komplimente wie „pragmatisierter Spinner“, der eine „extreme Minderheitenmeinung“ vertrete, mehr noch „haarsträubenden Unsinn, eine Art ökonomische Quaksalberei“. Diese Reaktion zeigt, dass die Autoren ihren eigenen Anspruch, den sie im Untertitel formuliert haben, nämlich einen „Wegweiser in eine ökosoziale Gesellschaft“ zu geben, leider weit verfehlt haben.
5 Fragen an Franz Hörmann
Was ist Geld dem Wesen nach?
Die Feststellung „Geld IST …“ macht keinen Sinn, denn es handelt sich um ein soziales Konstrukt, das sich aus verschiedenen Perspektiven (Bankeigentümer = Geldschöpfer, Bürger und Steuerzahler = Zinssklave etc.) jeweils anders darstellt. Eine umfassende Beschreibung, die der Bevölkerung ausreichende Gestaltungsfreiheit bietet, wäre aber: „Geld ist eine Verteilungsregel für Güter und Dienstleistungen in einer Gesellschaft“.
Wie funktioniert Geld (der Geldkreislauf) de facto?
Geld bewegt sich eben NICHT in einem Kreislauf, sondern wird von den privaten Geschäftsbanken bei jeder Kreditvergabe neu erschaffen („aus Luft“, also ohne Deckung) und bei jeder Kredittilgung wieder vernichtet.Geldschöpfung durch Kredit = Bilanzverlängerung der Bank, Geldvernichtung bei Tilgung = Bilanzverkürzung.
Wie sollte Geld (der Geldkreislauf) idealer Weise funktionieren?
Darüber und auch darüber ob Geld (also abzählbare Einheiten im Nullsummenspiel) zur Verteilung von Gütern und Dienstleistungen überhaupt gewünscht wird, kann nur die Demokratie (also die gesamte Bevölkerung) entscheiden. Es wäre autoritärer Unsinn würde ein oder würden mehrere Wissenschaftler hier aus dogmatischen (z.B. modelltheoretischen) Gründen ihre Mitmenschen bevormunden wollen. Geld ist eine politische Konstruktion, keine wissenschaftliche!
Wenn das gängige Bilanzierungssytem nach IFRS ein Betrugssystem ist, folgt daraus, dass jede Bilanz ein Betrug ist? Wie können Sie angesichts Ihrer Thesen Ihren Beruf als Professor für Unternehmensrechnung ausüben?
Bilanzen dienen nicht zur bestmöglichen Information der Investoren, da Bilanzen und Geschäftsberichte auch für die Konkurrenz jederzeit einsehbar sind. Daher ist und war es nie das Ziel möglichst sinnvolle Informationen für Investoren mit Bilanzen zu kommunizieren, sondern stets nur diese Informationen in den Bilanzen zu „verstecken“, damit die Konkurrenten sie nicht erkennen können! Wieso sind etwa die Gewinn- und Verlustrechnungen nicht in Form von Deckungsbeiträgen oder Cash Flow-Rechnungen gegliedert? Weil die Konkurrenz das nicht sehen darf! Heute wären aber VPN (virtual private networks) möglich, die die Information nur an die Investoren und eben NICHT an die Konkurrenz liefern. Elektronische Netze ermöglichen dies, Berichte auf Papier aber eben nicht. Genau daraus beziehe ich meine Motivation zur Veränderung dieser Systeme: aus dem massenweisen Missbrauch, der heute damit (mangels besseren Wissens!) betrieben wird.
SIEHE auch:
Herbert Giller: Was kommt nach dem Kapitalismus? 2015
Norbert Häring: Endspiel des Kapitalismus, 2022