Die letzten Lebensjahre des "Heimatdichters" Peter Rosegger schildert der Grazer Autor Christian Teissl in einem Band, der zu Roseggers 100. Todesjahr 2018 erschienen ist. So ein Jubiläum ist für Germanisten oft Anlass für akademische Pflichtübungen. Es ist ein Glück, nein, ein Segen, dass Teissl keine akademische Laufbahn eingeschlagen hat. So bleibt uns eine "akademische Neubewertung" genauso erspart wie eine "politisch korrekte" Schmähschrift. Teissl schenkt uns eine Würdigung, die in Form und Inhalt dem "alten Heimgärtner" Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Über einen "Orden auf dem Sterbebett" berichtet Teissl: "Die kaiserliche Auszeichnung [das Großkreuz des Franz-Josef-Ordens, das ihm Ende Mai vom Kriegsminister Stöger-Steiner am Sterbebett verliehen wird] hat alsbald zur Folge, dass Roseggers schlechter Gesundheitszustand publik wird, denn kaum ist die gute Nachricht, wie trefflich der junge Kaiser den alten Dichter zu würdigen weiß, durch alle Blätter gewandert, sind bereits alarmierende Meldungen über Roseggers schwere Erkrankung erschienen, [...] Von nun an ereignet sich sein Sterben vor den Augen der Öffentlichkeit." (129 f.) Peter Rosegger stirbt am 26. Juni 1918, das ersehnte Ende des Krieges durfte er nicht mehr erleben.
In Zeiten des Krieges, neuerlich zwischen Israel und Palästina, allzu lange schon zwischen Russland und der Ukraine, anscheinend ohne Anfang und Ende Wirtschafts-, Nationalitäten- und Religionskriege von Amerika über Afrika bis Asien, folgen wir heute (Oktober 2023) jenen Reflexionen Roseggers, die klar widerlegen, dass er ein Kriegstreiber war. Teissl erbringt diesen Beweis nicht explizit, er folgt einfach den Spuren Roseggers und zeichnet damit ein differenziertes Bild, das der Wahrheit näher kommt als jede scharfsinnige Analyse, die mit dem Wissen der Nachgeborenen gescheiter sein will als Rosegger und seine Zeitgenossen. Hier einige Fundstellen des Biografen des "langsamen Abschieds".
Rosegger 1916: "Wir machen in diesem Kriege Fehler. Auf das glühendste sind wir empört über die Großmäuligkeit und Lügenhaftigkeit der Feinde, über ihre Verleumdungen gegen uns. Und das ist recht. Aber wir machen es ihnen nach und das ist nicht recht. Es gibt nichts Schieferes, als die Berichte vieler Zeitungen; einige nehme ich aus. Der Feind unterliegt immer, wir siegen immer. " (49)
Rosegger 1919: [Der fünf Jahre jüngere Priester und Dichter Ottokar] "Kernstock mit seinen blutechten deutschen Idealismus [...] läßt sich von keinem politischen Fahrwasser tragen und sein Standpunkt, daß christlicher Humanismus mit der Aufteilung der Menschheit in Staaten-, Rassen- und Standesinteressen schlechterdings unvereinbar ist, schützt ihn vor verhängnisvoller Parteiprotektion." (52)
Teissl: "Die Lebenskreise [Stefan] Zweigs und Roseggers berührten sich in jenem Herbst des Jahres 1917 zum ersten und zum letzten Mal: Ein Welthungriger grüßte den Weltmüden in der Abenddämmerung seines Lebens. Seit Kriegsbeginn hatte Rosegger unter größtem rhetorischen Aufwand versucht, den Krieg für sinnvoll zu erklären, in ihm einen 'Erzieher' zu sehen, einen Ausweg aus der 'Kulturfäulnis', die er noch am Vorabend des Krieges in Heimgärtners Tagebuch wortreich beklagte. Nun dämmert ihm, dass alle diese Bemühungen, dem Sinnlosen einen Sinn zu verleihen, vergebens waren und töricht, dass der Ausweg nichts als eine weitere Sackgasse war, das 'Wiedererwachen der deutschen Seele', das er im September 1914 euphorisch begrüßte, ein Alptraum." (71)
Max Mell über Rosegger nach dessen Tod: "Der Sohn des Kleinbauern und des Köhlermädchens ist tief bäuerlich geblieben, in Auffassung und Urteil, in Lieb' und Haß, in Scherz und Ernst. Die bäuerliche Abneigung gegen die Herren, gegen das Militär, gegen Gerichtssachen hat er nie verleugnet, sie geht bis zur Störrigkeit, die sich von diesen Dingen lieber nicht einmal ein klares Bild machen will und gern bei überkommenen Vorstellungen verharrt." (74 f.)
Teissl über KRIEGSANLEIHEN: "Bereits für die erste Kriegsanleihe im Herbst 1914 formuliert er [Rosegger] einen Aufruf. [...] Es sollte dies nicht sein letzter Aufruf bleiben. Drei Jahre später, im Herbst 1917, als bereits die siebene Kriegsanleihe aufgelegt wird, ersucht ihn der Gouverneur der k.k. Postsparkasse Rudolf Freiherr Schuster von Bonnott höchstpersönlich um eine Wortspende. Rosegger lässt sich nicht lange bitten. Der Aufruf, den er nun verfasst, unterscheidet sich allerdings wesentlich von jenem zur ersten Anleihe [...] Dieses Mahnwort, das Mitte November 1917 in zahlreichen Blättern der Monarchie zu lesen ist, enthält das indirekte Eingeständnis des Dichters, dass seine Wunschvorstellung vom Krieg als Völkererzieher ein Irrglaube war, [...] Bezeichnenderweise spricht er nicht von der Wiederherstellung, sondern den 'Urständ', also der Wiederauferstehung der Gesittung." (81 f.)
Roseggers Aufruf 1914: "Mit den Heldentaten unserer Söhne und Brüder im Felde ist es freilich nicht zu vergleichen, wenn wir auf hohe Zinsen Geld ausleihen. Aber in diesem Falle ist es doch etwas Rechtes und Ideales. Ja, gewiß, meistens stiftet Geld nur Schlimmes. Aber hier? Es will vor die Front, gebt ihm den Weg frei"
Roseggers Aufruf 1917: "Friedensanleihe! Über die neue Anleihe ein Wort! - Es ist kurz. Wer noch Geld hat, der vertue es nicht auf unsichere Spekulationen oder anderes schlechtes Zeug, er leihe es seinem Volke. Wir gaben Geld zur Vernichtung der Feinde, wir geben es zum Wiederaufbau unseres Hauses, zur Urständ unserer durch den Krieg so schwer verluderten Gesittung. Menschen müssen wir wieder werden. Dieses Ziel allein ist des letzten Opfers wert."
"Man kommt sich vor wie in der Wüste" ist ein Bonmot Roseggers aus seinen letzten Jahren, das Teissl zum Titel seines Buches (erschienen im Styria Verlag) erhebt. Friedrich Nietzsche, nur ein Jahr nach Peter Rosegger geboren, hätte in dieser Wüste wohl "die ewige Wiederkehr des Gleichen" gefunden. Den Kriegstreibern unserer Zeit, egal ob in den jeweiligen Kriegsministerien oder in den ihnen hörigen Propagandamedien, sei dieses Motto in's Stammbuch geschrieben: Die ewige Wiederkehr des Gleichen trifft Kriegstreiber aller Zeiten in der Wüste ihrer verluderten Gesittung.