James Cox (1723-1800), der wohl berühmteste Uhrmacher des 18. Jahrhunderts, hat ein Produktions- und Handelsimperium mit bis zu 1.000 Mitarbeitern aufgebaut und neben Uhren auch Automaten produziert und an alle Herrscher der damaligen Welt verkauft. Auch an den Kaiser von China, Qianlong (1711-1799). Dies inspirierte Christoph Ransmayr zu seinem Roman „Cox oder: Der Lauf der Zeit“, erschienen 2016.
Im Roman reist Alister Cox gemeinsam mit Jacob Merlin (historisch: Joseph Merlin) auf Einladung von Qianlong, dem „Herrn über zehntausend Jahre“, nach China um im Auftrag des Kaisers noch nie da gewesene Uhren zu erfinden. Zunächst baut Cox mit seinen drei Gehilfen das Silberschiff (historisch: der Silberschwan). „Der Allmächtige hatte ihm die Wahl gelassen. Daß der Kaiser eine Wahl nicht selber traf, sondern einem anderen überließ, noch dazu einem ausländischen Gast bei Hof, sagte Kiang, einem Gast, der eines Tages wieder verschwinden und sich damit jeder Verantwortung entziehen konnte, sei etwas, von dem weder er noch irgendeiner, der je einen Fuß in die Verbotene Stadt hatte setzen dürfen, gehört habe. … Cox würde also als erstes Beispiel für den vielfältigen Lauf der Zeit seinem Auftraggeber eine Uhr bauen, die das wellenförmige Gleiten, das an und abschwellende Rauschen, die Sprünge, Stürze, Gleitflüge und selbst den Stillstand der Lebenszeit eines Kindes spürbar machen und messen konnte.“
Im Gegensatz dazu stand der zweite Auftrag: „Eine Uhr für Todgeweihte, für Sterbende, sagte Kiang, solle Cox nun entwerfen und bauen, einen Zeitmesser für zum Tode Verurteilte und alle, die das Datum ihres Todes kannten, das Ende ihres Lebens unabweisbar kommen sahen und sich nicht mehr mit der Hoffnung auf eine Art dehnbarer, vorläufiger Unsterblichkeit besänftigen durften, mit der doch die meisten Lebenden sich über die Endlichkeit ihrer Existenz täuschten.“
Während dieser Auftrag noch nicht vollendet war, kam der dritte, letzte, die Zeit selbst zum Stillstand bringende Wunsch des Kaisers: „Der Kaiser befahl nicht. Er wünschte. Es war ja Sommer. Und im Sommer sollte kein Teil des Lebens dem Leben in der Verbotenen Stadt und dem Rest des kühleren, schattigeren Jahres gleichen. Es gab keine Befehle in Jehol.“ (S. 208). „Was Qianlong nun als seinen Wunsch, nein: als seinen unabweisbar gewordenen Traum vortrug, war so maßlos und gleichzeitig so vertraut, als hätte er in den vergangenen Jahren gemeinsam, ja!, gemeinsam mit Alister Cox und dessen Gefährten geträumt, gemeinsam mit ihnen das Unmögliche gedacht, um es irgendwann über die Grenzen aller Vernunft und Logik hinaus Wirklichkeit werden zu lassen: ein Uhrwerk, das die Sekunden, die Augenblicke, die Jahrhunderttausende und weiter, die Äonen der Ewigkeit messen konnte und dessen Zahnräder sich noch drehen würden, wenn seine Erbauer und alle ihre Nachkommen und deren nachkommen längst wieder vom Angesicht der Erde verschwunden waren.“
Wie Cox dieses Perpetuum Mobile realisiert, damit aber die Allmacht des Herrn über zehntausend Jahre in Frage stellt und gleichzeitig sein eigenes Leben riskiert, diese Geschichte erzählt Christoph Ransmayr in einer fein geschliffenen Sprache, die nicht aus unserer schnell- und kurzlebigen Zeit ist, aber umso mehr in die Epoche dieser zeitlosen Geschichte passt, die vom ewigen Traum erzählt, die Grenzen unserer Welt zu überschreiten, wobei die Grenzgänger aber mit jenen paktieren müssen, die der Welt ihre Grenzen gesetzt haben.
Christoph Ransmayr
Cox oder: Der Lauf der Zeit
Verlag S. Fischer, 2016