Sexualpädagogik – Wer denkt an unsere Kinder?
Impulsreferat von Josef Gundacker
Ich beginne meine Betrachtungen mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe, der sagte: „Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen - Wurzeln und Flügel“. Dieses Zitat bringt zum Ausdruck, dass das Gelingen einer Familie von der Erfüllung der Rolle der Eltern abhängt. Heute wird allerdings nicht nur die Ehe und Elternschaft, sondern die Eltern-Kind-Beziehung überhaupt in Frage gestellt und die Ehe und Elternschaft für alle gefordert. Angeblich ist alles Familie – doch was ist Familie? Familie ist für die einen Liebe, Geborgenheit, Vertrauen und Sicherheit, für andere Streit, Misstrauen, Hass und Unsicherheit.
Für unsere Beziehungen und Sexualität gilt dasselbe. Sexualität ist für die einen etwas tief Verbindendes, Besonderes, Heiliges; die Erfüllung der tiefsten Sehnsucht und Grundlage für neues Leben. Für andere nur etwas Flüchtiges, Unverbindliches, Profanes; die Befriedigung der Lust und reiner Selbstzweck. Mir fällt immer wieder auf, dass die Zufriedenheit und das Glück einer verbindlichen Beziehung nicht vergleichbar ist mit einer unverbindlichen, flüchtigen Beziehung. Unverbindliche Beziehungen sind sehr oft geprägt von Unzufriedenheit, Enttäuschung, Zorn, Ärger und Rache.
Ich setze mich schon jahrelang mit dem Thema Sexualpädagogik auseinander und ich komme immer mehr zur Schlussfolgerung, dass die reformpädagogische Sexualpädagogik und die Standards der Sexualaufklärung in Europa, welche die Grundlage der heutigen Sexualpädagogik an unseren Schulen bildet, sehr oberflächlich, einseitig und bestimmte Aspekte der Pädagogik deutlich manipulativ sind.
Ich möchte kurz auf die zwei fragwürdigsten Aspekte in den Standards der SP eingehen.
1. Die Verhandlungsmoral: In den Standards für die Sexualaufklärung ist unter Exkurs „Initimate Citizenship“ zu lesen: „Sozial- und Sexualwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler plädieren derzeit für die Etablierung einer Verhandlungsmoral als gültige Sexualmoral der Gegenwart. Der Kern dieser Moral besteht darin, dass die Inhalte in gegenseitigem Einverständnis von mündigen, gleichwertigen, gleichberechtigten und gleich starken Beteiligten ausgehandelt werden.
Das erklärte Ziel, die Etablierung einer Verhandlungsmoral als gültige Sexualmoral bedeutet, dass jede Sexualpraktik erlaubt und in Ordnung ist, sofern sie einvernehmlich geschieht. Es spielt keine Rolle mehr, ob Sex innerhalb oder außerhalb der Ehe, mit zwei oder mehreren Menschen stattfindet, sondern wie er zustande kommt. Es spielt keine Rolle mehr, ob dies aufrichtig und ehrlich gemeint ist, hauptsächlich Spaß haben – hinter mir die Sintflut! Die möglichen Konsequenzen einer Erkrankung oder Schwangerschaft werden einfach in Kauf genommen. Das Problem ist, dass selbst viele Erwachsene unmündig sind und sorglos mit ihrer Sexualität umgehen. Bei Kindern kommen die natürliche Unreife und emotionale Unsicherheit dazu.
2. Die wertfreie Sexualpädagogik ist wertlos: Sexualpädagogik wird durch die WHO/Europa folgendermaßen definiert: „Sexualaufklärung bedeutet, etwas über die kognitiven, emotionalen, sozialen, interaktiven und physischen Aspekte von Sexualität zu lernen.
Kinder und Jugendliche erwerben in der Adoleszenz schrittweise Wissen über den menschlichen Körper, über intime Beziehungen (Erfahrungen) und Sexualität, und sie entwickeln dazu entsprechende Vorstellungen, Haltungen und Fähigkeiten. - Anders ausgedrückt, die sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hängt nach Ansicht der Sexualpädagogen, vom Wissen über den menschlichen Körper und von sexuellen Erfahrungen mit intimen Beziehungen ab. Daraus entwickeln sie entsprechende Vorstellungen, Haltungen zu Sexualität und Fähigkeiten, also Kompetenzen.
Eine Sexualpädagogik, die sich über das Wissen um die Sexualität definiert, suggeriert, dass ein Mensch, der über Sexualität allumfassend informiert und aufgeklärt ist, auch vernünftig, einsichtig und verantwortungsvoll mit seiner Sexualität umgeht! Diese Annahme ist eine reine Fiktion ohne die geringsten Belege dafür.
Die Matrix der Sexualaufklärung für 6-9-jährige besagt, dass die Kinder über: körperliche Veränderungen, Menstruation, Ejakulation, individuelle (biologische) Unterschiede zwischen Mann und Frau, usw., informiert sein soll und das Kind soll „kommunikative Kompetenzen“ entwickeln.
9-12-jährige sollen dann erste sexuelle Erfahrungen machen und über Lust, Masturbation und Orgasmus informiert sein und wirksam Kondome und andere Verhütungsmittel anwenden können!
Unter kommunikative Kompetenzen wird die Fähigkeit verstanden seine Gefühle auszudrücken und unter sexuellen Kompetenzen wird die Fähigkeit verstanden seine sexuellen Vorlieben und Möglichkeiten gut zu kommunizieren. Ein sexuell „kompetenter“ Mensch ist fähig seine sexuellen Lustgefühle zu artikulieren und mögliche Hindernisse und Einwände geschickt zu meistern.
Welche Vorstellungen und Haltung wird das Kind entwickeln, wenn es schamverletzende Erfahrungen macht? Was wird es denken und empfinden, wenn es mit leeren Versprechungen zu sexuellen Handlungen animiert und dann enttäuscht wurde? Wird es dann Sex auch noch lustvoll empfinden?
Problematisch an der wertfreien SP ist, dass es offensichtlich nur um die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse und um Lust geht. Dadurch wird eine sehr oberflächliche Haltung zur Sexualität und „sexuelle Kompetenzen“ sprich, die Kunst der Verführung gefördert. Und um die mit Lügen und Hinterlist gespickte Lebensweise zu rechtfertigen sind eine kompetente Einwandbehandlung und gute Ausreden sehr hilfreich. Dafür liefert die SP dann zahlreiche Informationen.
Ich stellte mir daher oft die Frage, warum für Sozialwissenschaftler und Sexualpädagogen nur die Vermittlung und Förderung von Kompetenzen wichtig ist, sie den Charakter und inneren Reifegrad und die Absicht hinter einer Handlung vollständig ignorieren. Im Laufe der Auseinandersetzung mit dem Thema, bin ich draufgekommen, dass das, was Sexualpädagogen und Sozialwissenschaftler am wenigsten zu verstehen scheinen, die enorme Kraft der Sexualität und der Dynamik der Liebe ist, sowohl in ihrer aufbauenden als auch zerstörerischen Form.
Der tiefere Grund für das Unverständnis über die Kraft und Dynamik der Liebe, ist im säkularen/materialistischen Menschenbild und im Verständnis von Sexualität zu finden. Nach der Definition des einflussreichen Sexual-Pädagogen Uwe Sielert, ist „Sexualität was wir daraus machen. Eine teure oder eine billige Ware, Mittel zur Fortpflanzung, Abwehr gegen Einsamkeit, eine Form der Kommunikation, ein Werkzeug der Aggression (der Herrschaft, der Macht, der Strafe und der Unterdrückung), usw. Die heutige neue Soziologie versteht Kindheit als soziales Konstrukt, also ein undefinierbares „Etwas“, das man je nach Befindlichkeit formen und wieder verformen kann.
Sexualpädagogen wollen vielfach nicht wahrhaben, dass Liebe und Sexualität ein zweischneidiges Schwert sind. Das Wort „Liebe“, oder „Ich liebe dich“, kann einmal wahrhaftig, ein andermal lügnerisch, einmal faszinierend, ein andermal trügerisch sein.
Für säkulare Humanisten ist Liebe ein Gefühl. Es gibt kein gutes oder schlechtes Gefühl! Redet er/sie von Liebe, meint er „es fühlt sich gut an!“, und denkt; „was nützt es mir“. Ein Mensch, der andere Menschen hauptsächlich danach bewertet welchen Nutzen sie ihm bringen, liebt nicht! Er verbindet sich nicht mit anderen, sondern ist nur interessiert seine Bedürfnisse zu erfüllen. Niemals erfährt er die Tiefe einer Freundschaft, denn er ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um Freude und Leid eines anderen zu teilen. Ja, Sexualität und Liebe ist etwas Schönes, Positives und Heiliges – nur setzt dies eine respekt- und würdevolle Haltung und verantwortungsvolle Verwendung voraus. Respekt, Würde und Verantwortung ist keine Wahl, sondern Bedingung!
Damit komme ich zur Frage; was brauchen unsere Kinder für ihre Persönlichkeits- und ihre sexuelle Entwicklung. Was meinte Goethe mit den Wurzeln, die ein Kind braucht?
Pearl S. Buck sagte: „Kinder, die man nicht liebt, werden Erwachsene die nicht lieben“. Kinder brauchen daher Liebe – aber welche? Kinder brauchen wahre, aufrichtige, authentische Liebe! Genauer gesagt, ein Kind braucht innere Orientierung – ein Leitsystem und Werte, an denen sie sich orientieren kann.
Jedem von uns ist klar, dass wir feste Anhaltspunkte und einen festen Boden brauchen, um uns frei in einem Raum oder Ort zu bewegen. In gleicher Weise, ist für uns alle und Kindern im Besonderen, eine klare innere Orientierung und Maßstab lebenswichtig, um Wahrheit von Lüge und Gut von Böse zu unterscheiden, und so die Chancen im Leben zu erkennen und mögliche Fallen vermeiden zu lernen.
Meine Schlussfolgerung und Empfehlungen für die Sexualpädagogik sind:
1. Kinder sollen zu einem verantwortlichen Umgang mit Sexualität angeregt werden und jede Ermutigung zu frühzeitigem und unverbindlichem Sex, vermieden werden.
2. Charakterbildung soll in die Sexualpädagogik integriert werden, um dadurch die Beziehungsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen zu fördern
Schließen möchte ich mit einem Satz aus dem Buch „Unsere Kinder brauchen uns!“ von Gordon Neufeld. Der sagte:
Die Beziehung zum Kind ist heilig! – Wenn wir dies beherzigen, werden wir unsere Kinder optimal fördern. Danke für die Aufmerksamkeit!