Politischer Islam agiert über Staatsgrenzen

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22. November 2023 (Mitteilung der DPI) Der neue Jahresbericht 2022 der Dokumentationsstelle Politischer Islam DPI fasst die Arbeit des Fonds zusammen und liefert einen inhaltlichen Überblick zu extremistischen religiös-politischen Bewegungen.

Die Ereignisse nach dem Hamas-Terror am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg, haben zuletzt europaweit die Wichtigkeit der Erforschung und Dokumentation der Strukturen sowie Ideologien des Politischen Islams aufgezeigt. Der israelisch-palästinensische Konflikt dient islamistischen Akteuren oftmals als Vehikel hin zu einer undifferenzierten Polarisierung und als Vorwand zur Propagierung extremistischer Botschaften. Die Dokumentationsstelle Politischer Islam hat seit ihrer Gründung vor drei Jahren – inklusive des aktuellen Jahresberichtes 2022 – 22 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht.

Die Berichte stoßen genauso wie die Arbeit des Fonds auf Interesse über Österreich hinaus, da viele der untersuchten Bewegungen und Entwicklungen transnational verlaufen und vor Staatsgrenzen keinen Halt machen.

Identitätskonflikte und gezielte Propaganda

Schwerpunkte der Forschungs- und Dokumentationstätigkeit lagen zuletzt vor allem bei türkeistämmigen Strukturen in Österreich sowie bei islamistischen Influencer-Gruppierungen im deutschsprachigen Raum. Insbesondere im letzten Türkei-Wahlkampf wurden über Verbände wie die Union Internationaler Demokraten (UID) vermehrt Aktivitäten und Beeinflussungen in Österreich festgestellt. Das Netzwerk agiert als verlängerter Arm von Erdogan und seiner AKP, wobei auch problematische Narrative zum Israel-Palästina-Konflikt mit teilweise antisemitischen Stereotypen verbreitet werden.

Im virtuellen Raum instrumentalisieren islamistische Gruppierungen – die zum Teil der Hizb ut-Tahrir nahestehen – Identitätskonflikte und tatsächliche Diskriminierungserfahrungen für die Verbreitung von antidemokratischen und minderheitenfeindlichen Botschaften in verschiedenen Medien. Auf Social-Media-Kanälen werden Jugendliche gezielt angesprochen und gesellschaftliche Gegenentwürfe propagiert, welche mit der liberal-pluralistische Demokratie nicht vereinbar sind. Politik und Medien wird pauschal eine Islamfeindlichkeit unterstellt, um die eigenen, islamistischen Ansichten und ein „Wir-gegen-Sie“-Narrativ weiter zu verbreiten.

Update 23. Februar 2024 (Presseinfo der Dokumentationsstelle DPI, APA OTS) Bericht zu den Aktivitäten von Tablighis und Barelwis: Ultraorthodoxe religiöse Gruppierungen aus Südasien verbreiten auch in Europa Gedankengut, das in politischen Debatten islamistischen Extremismus fördern kann.

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30. April 2024 Presseinformation der Dokumentationsstelle Politischer Islam

Revolutionsexport und der Al-Quds-Tag in Österreich

In der vorliegenden Analyse des zwölferschiitischen Islamismus in Österreich (TRANSREGIONALE NETZWERKE) standen Aktivitäten und Einflüsse eines Zentrums in Wien im Fokus.

Die neueste Publikation der Dokumentationsstelle Politischer Islam beschäftigt sich mit den transnationalen Netzwerken des politischen Islams der Zwölferschia in Österreich. Eine wesentliche Rolle kommt hierbei den parastaatlichen Einrichtungen der Islamischen Republik Iran im Ausland zu. Als eine solche kann das Islamische Zentrum Imam Ali (IZIA) in Wien gesehen werden, auf dessen Aktivitäten ein Schwerpunkt der Analyse liegt. Die Einrichtung, die in ihrer heutigen Form seit 2001 besteht, umfasst verschiedene Vereine, Firmen und informelle Zusammenschlüsse. Das IZIA verfolgt das Ziel, mittels kultureller und religiöser „soft power“ Einfluss zu nehmen, um den Export der Islamischen Revolution zu propagieren. Es wird seit der Gründung von Geistlichen geleitet, die dem „Obersten Führer“ der Islamischen Republik Iran unterstellt sind. Die Einflüsse zeigen sich, abgesehen von personellen Besetzungen, insbesondere an der thematischen Ausrichtung und den Lehren des religiösen Zentrums.

Verschwörungstheorien und die „islamische Weltrevolution“

Der Bericht zeigt auf, dass über das IZIA die islamistische Ideologie iranischer Prägung von Predigern vor Ort und über verschiedene Kanäle vor allem innerhalb der schiitischen Community in Österreich verbreitet wird. Ähnliche Einrichtungen gibt es auch in anderen Ländern, wie etwa in Deutschland mit dem Islamischen Zentrum Hamburg (IZH). Ein Schwerpunkt liegt neben dem Revolutionsexport beim Kampf gegen den Säkularismus, der als eine koloniale Verschwörung gegen den Islam gesehen wird. Die Trennung von Politik und Religion wird ebenso wie der demokratisch-pluralistische Rechtsstaat in zahlreichen Erklärungen dezidiert abgelehnt.

Das IZIA kommuniziert seine Inhalte innerhalb der Einrichtung durch unterschiedliche Veranstaltungen sowie über klassische und soziale Medien. Unter anderem wird das Konzept einer „islamischen Weltrevolution“ propagiert, wobei über einen Prozess in fünf Schritten eine Transformation der Gesellschaft erfolgen und eine globale Herrschaft erreicht werden soll. In den Jahren 2017 und 2018 gab das IZIA das Jugendmagazin „Tahur-e Gavan“ (Deutsch: Spirituelle Reinigung der Jugend) heraus, welches religiöse Themen aus einer politischen Perspektive behandelte. Das Magazin brachte unter anderem antisemitische Verschwörungstheorien und Karikaturen in Umlauf, verbreitete das diskriminierende Bild von einer untergeordneten Rolle der Frau und propagierte etwa den Dschihad gegen das als „kleiner Satan“ bezeichnete Israel. Der jüdische Staat gilt neben den USA – dem „großen Satan“ – als der Hauptfeind der theokratischen Regierung in Teheran.

Al-Quds-Aufmärsche und die Forderung nach der Vernichtung Israels

Am deutlichsten sichtbar sind die Aktivitäten von zwölferschiitisch-islamistischen Akteurinnen und Akteuren weltweit anhand der Proteste zum Al-Quds-Tag, der von der Islamischen Republik Iran und verbündeten Organisationen wie der libanesischen Hisbollah unterstützt wird. Der Aktionstag wurde 1979 vom iranischen Revolutionsführer Ruhollah Khomeini ins Leben gerufen, findet jährlich am letzten Freitag des islamischen Fastenmonats Ramadan statt und wird von Aufmärschen in verschiedenen Ländern begleitet, bei denen die Vernichtung Israels gefordert wird. Das IZIA nahm bei der Organisation der Kundgebungen in Österreich stets eine zentrale Rolle ein, was sich an der Teilnahme führender Mitglieder des Zentrums an der Spitze der Demonstrationen zeigte.

In Wien fanden von 2004 bis 2019 Aufmärsche statt, bei denen immer wieder antisemitische Aufrufe und Parolen zu vernehmen waren. Neben Boykottaufrufen sowie der Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit Israel kam es auch zu Mordaufrufen gegenüber Jüdinnen und Juden. Regelmäßig wurden außerdem die mittlerweile verbotenen Symbole der Hisbollah – deren militärischer Arm von der EU als Terrororganisation eingestuft ist – gesichtet. Bis heute wird auf den Al-Quds-Tag von offiziellen Vertretungen der Islamischen Republik Iran in Österreich aufmerksam gemacht, wie dies 2023 und auch im heurigen Jahr 2024 bei entsprechenden Aussendungen mit Auszügen einer offiziellen Erklärung der Fall war.

Der neue Bericht und alle weiteren Publikationen des Österreichischen Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam) können auf der Website www.dokumentationsstelle.at abgerufen werden.


17. Juli 2024 (Pressinformation der Dokumentationsstelle Politischer Islam) Der terroristische Überfall der Hamas auf Israel hat nicht nur den Israel-Palästina-Konflikt befeuert, sondern auch zu weitreichenden Konflikten auf verschiedenen Ebenen in Österreich geführt. Ein Hauptaugenmerk im neuen Jahresbericht des Österreichischen Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam) liegt daher bei den Ereignissen vom 7. Oktober 2023 und ihren Nachwirkungen. Nach dem Terrorangriff sind problematische Entwicklungen in der europäischen Gesellschaft noch deutlicher sichtbar geworden. Der Fonds konnte im vergangenen Jahr eine Reihe von Fällen dokumentieren, in denen der Nahostkonflikt als Vehikel für religiös legitimierten Extremismus instrumentalisiert wurde. Zudem gab es Versuche der Einflussnahme auf verschiedene Communities durch ausländische Akteure hierzulande.

Einflussnahme aus dem Ausland

Der Politische Islam durchdringt mit einer Vielfalt an Strömungen komplexe religiöse Strukturen in Österreich. Zunehmend versuchen Drittstaaten, wie etwa die Türkei, über ihr jeweiliges Islamverständnis politisch Einfluss zu nehmen und die betreffenden Migrationsgruppen zu vereinnahmen. Die Diaspora wird damit von manchen Ländern als Einflusszone gesehen. In diesem Zusammenhang spielen neben klassischen vor allem soziale Medien eine bedeutende Rolle, die unter anderem dazu genutzt werden, islamistische Propaganda gezielt in Umlauf zu bringen.

Nach dem folgenschweren Angriff der Hamas wurden Narrative der Terrororganisation und verzerrende Darstellungen der Geschehnisse von Aktivisten aufgegriffen und digital weiterverbreitet. Es kam weltweit zu einem besorgniserregenden Anstieg antisemitischer Vorfälle, wobei die Erzählungen postkolonialer Strömungen oder islamistischer Bewegungen gegen Israel weltweit als Brandbeschleuniger dienen. Entsprechende radikale Botschaften von politischen und religiösen Führungspersönlichkeiten und Organisationen fanden nachweislich ihren Weg auch nach Österreich. Neben seiner verbalen Parteinahme für die Hamas, sprach der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan etwa in Bezug auf das Judentum von einem „schmutzigen und perversen Glauben“.

Verbreitung von Hamas-Narrativen in Österreich

„Israel dient verschiedenen extremistischen Gruppierungen als gemeinsames Feindbild, weshalb der Nahostkonflikt innerhalb Europas ein hohes Mobilisierungspotenzial hat. Auffällig nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 ist, dass es bei vielen Akteuren des Politischen Islams und dessen Umfeld kaum bis gar keine Distanzierung von der Hamas und anderen beteiligten Gruppen gab. Die islamistischen und teilweise antisemitischen Erzählungen dieser Terrororganisationen finden auch in Österreich Verbreitung“, so Lisa Fellhofer, Direktorin des Österreichischen Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus.

Als Beispiel für diesen Umstand ist etwa der Obmann der Türkischen Föderation in Österreich (ATF) zu nennen, der offen judenfeindliche Ressentiments und Verschwörungstheorien postete, darunter eine Anspielung auf die Ritualmordlegende, dass Jüdinnen und Juden „das Blut nicht-jüdischer Nationen saugen“ würden. Die Organisation steht den aus der Türkei stammenden rechtsextremen Grauen Wölfen nahe, deren Anhängerschaft sich etwa an antisemitischen Demonstrationen beteiligt und deren Wolfsgruß bei der Fußball-EM 2024 kürzlich für große Aufregung gesorgt hat.

Innerhalb der antiimperialistischen Protestbewegung in Österreich, die durch ein breites ideologisches Spektrum gekennzeichnet ist, zeigt sich die Verschmelzung von islamistischen und linksextremistischen Inhalten an der Gruppierung Dar al Janub besonders deutlich. Über die Kanäle des Vereins werden mit Terrororganisationen verbundene Nachrichtenseiten und Propagandameldungen geteilt. So wurde im Rahmen einer Veranstaltung von Dar al Janub das Hamas-Massaker vom 7. Oktober von einem Vortragenden als „Akt des Widerstands“ und „brillante militärische Aktion“ bezeichnet und prognostiziert, dass Israel aus dieser Situation nicht mehr lebend herauskommen würde. Immer wieder kommt es von verschiedenen Seiten zur Heroisierung der Hamas sowie einer Dämonisierung Israels, indem dessen Politik mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt wird.

Aktivitäten der Hizb ut-Tahrir in Österreich

Zu den islamistischen Bewegungen mit einer transnationalen Ausrichtung zählt auch Hizb ut-Tahrir, die in über 40 Ländern aktiv ist und in der Wiederrichtung eines islamischen Kalifats ein „Allheilmittel“ sieht. Die Organisation ist in einigen Staaten verboten. Der Mediensprecher für den deutschsprachigen Raum veröffentlichte jedoch von Österreich aus regelmäßig Freitagspredigten. Unmittelbar nach dem Oktober 2023 propagierte er unter anderem den Kampf gegen Israel als „unabdingbare islamische Pflicht“. Israel sei eine „Krankheit“ – als „Behandlungsmethode“ nannte er die Tötung und Vertreibung der Bevölkerung des jüdischen Staates.

Zudem sorgten zuletzt in den Medien vermehrt islamistische Influencer-Gruppierungen aus Deutschland für Aufregung, denen eine Nähe zur Ideologie der Hizb ut-Tahrir bescheinigt wird. Diese rufen unter anderem zum Kampf gegen Israel auf und veranstalten aufsehenerregende Demonstrationen, wie etwa in Hamburg, für die Errichtung eines Kalifats in muslimischen Gebieten. Durch einen hippen und professionellen Auftritt lässt sich die große Attraktivität auf junge Menschen erklären. Vor allem Jugendliche im deutschsprachigen Raum stellen eine zentrale Zielgruppe auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen dar, in denen manche Videos mit extremistischen Inhalten schon über eine Million Aufrufe erhalten haben.

Hipster-Salafisten“ auf Social Media

Der neue Jahresbericht nimmt auch verschiedene Aktivitäten von salafistischen Missionsgruppen in den Fokus, die wie andere islamistische Bewegungen vermehrt soziale Medien nutzen. Es kam in diesem Zusammenhang zu einem Wandel weg vom klassischen salafistischen Erscheinungsbild und hin zum „Hipster-Salafisten“, die äußerlich modern in Erscheinung treten, jedoch der gleichen Ideologie folgen. Die Szene hat eine Professionalisierung – ähnlich wie im identitären Rechtsextremismus – durchgemacht und gibt sich mit einer zeitgemäßen Bildsprache intellektuell anspruchsvoller. Es lässt sich zudem eine „Salafisierung“ der islamistischen Szene beobachten, die zu einer Verschärfung des Tons in Glaubensfragen geführt hat und potenziell den religiösen Frieden in Europa gefährden kann.

Mit FITRAH und IMAN sind auch in Österreich zwei salafistische Organisationen aktiv, die ein rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild propagieren. Die beiden Gruppierungen missionieren in unterschwelliger Form und können als Einstiegsprogramm in ein radikales Milieu dienen. Sie stehen in Verbindung mit transnationalen Netzwerken sowie prominenten Salafisten und haben vor einigen Jahren den Platz der bekannteren „Lies!“-Bewegung eingenommen. In Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit oder den Umgang mit manchen Minderheiten werden intolerante Positionen propagiert, andere Religionen herabgewürdigt und der Alltag einem strengen islamistisch orientierten Regelwerk unterworfen. Durch moralisierende Leitbilder wird auf die muslimische Community Druck ausgeübt, die Gesellschaft polarisiert und ein Nährboden für extremistische Radikalisierung geschaffen.

Fonds als Vorreiter in Europa

„Die Dokumentationsstelle zeigt mit ihrer Arbeit, dass es über Österreich hinaus vermehrt notwendig ist, sich in Europa mit dem transnationalen Phänomen des Politischen Islams auseinanderzusetzen. Ein wichtiges Ziel ist es daher, den Austausch und die Zusammenarbeit auf dieser Ebene weiter auszubauen“, betont DPI-Direktorin Fellhofer abschließend. Dem im Juli 2020 gegründeten Österreichischen Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam) kommt in Europa aufgrund seiner laufenden Forschungsarbeit eine Pionierrolle zu. Einschließlich des neuen DPI-Jahresberichts liegen mittlerweile 26 Publikationen vor, die auf der Website www.dokumentationsstelle.at abgerufen werden können.

Rückfragen & Kontakt: Dokumentationsstelle Politischer Islam

Sascha Krikler, BA MA

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www.dokumentationsstelle.at