21. März 2023 - Neben Fakten, Grafiken und Tabellen aus wissenschaftlichen Untersuchungen streut Bernd Spatzenegger in seinem Buch "Die Energielüge" immer wieder gängige Meinungen und Vorurteile ein, die er kurz und prägnant widerlegt. ethos.at hat diese Abschnitte mit Genehmigung des ecoWing Verlags im vorliegenden Kapitel zusammengefasst unter dem Motto: "Energiewende für Dummies".
1. Wenn wir in Europa fleißig Energie sparen, wird der Klimawandel bis 2050 aufgehalten oder gebremst.
Nein, der europäische Emissionsanteil beträgt 8 %. Wenn wir davon ein Drittel einsparen, wären das weltweit weniger als 3 %. Die Steigerung des Energieverbrauches und der CO2-Emissionen Asiens ist und bleibt für lange Zeit viel größer als alle europäischen Einsparungen.
2. Wenn wir endlich die Emissionen reduzieren, wird der Klimawandel aufgehalten.
Nein, ein Reduzieren von Emissionen führt nur zu einer geringeren Geschwindigkeit der Erwärmung. Aufhalten lässt sich die Erwärmung nur, wenn die Emissionen fast komplett gestoppt werden. Um wieder zurück zum Status von heute zu kommen, dauert es viele weitere Jahrzehnte.
3. Bei Klimakonferenzen geht es vor allem um das Klima.
Nein, bei Klimakonferenzen geht es vorwiegend um Geld, Macht und wirtschaftliche Entwicklung.
4. Persönliche Verhaltensänderungen haben einen wesentlichen Einfluss auf den Energieverbrauch und CO2-Ausstoß.
Nein, Studien zeigen, dass Verhaltensänderungen in Summe kaum mehr als 5–15 % Einsparungen (die höhere Zahl nur während kurzfristiger Notsituationen) bringen. Die richtigen Investitionen in effizientere Technologien in den Haushalten, der Industrie, der Energieerzeugung, der Mobilität, den Netzen und Speichern müssen für die restlichen 85–95 % der Emissionsreduktion sorgen.
5. Grünstrom-/Ökostromeinkauf ist gut für die Umwelt.
Nein, es ist fast irrelevant, welchen Strom Sie einkaufen. Gut wäre, wenn der Anteil von Grünstrom im Netz über den ganzen Jahreszyklus weiter steigt. Öko-Label tragen dazu jedoch unter der Wahrnehmungsgrenze bei.
6. Die Energiewende hat nur geringen Einfluss auf die internationaleWettbewerbsfähigkeit und das Überleben der energieintensiven Industrien.
Nein, es wird einige Industrien geben, die aufgrund der erhöhten Energiepreise absiedeln müssen. Energieintensive Produktionen werden dorthin abwandern, wo Energie günstig ist.
7. Kredite, für die Bewältigung der Klimakrise und die Finanzierung der Energiewende, sind besser als andere Schulden. Sie sollten daher aus den Schuldengrenzen ausgenommen werden.
Nein. Wohl gibt es einen Unterschied zwischen Schulden, die heutigen Konsum finanzieren, und jenen, die Infrastrukturinvestitionen finanzieren, die zukünftigen Generationen zugutekommen. Quintessenz ist aber, dass Schulden, die wir heute eingehen, jener Wohlstand sind, den wir den nächsten Generationen wegnehmen, um unseren Lebensstandard nicht einschränken zu müssen. Ob das angesichts ungedeckter Renten-, Pflege- und Gesundheitssysteme moralisch auch noch zu rechtfertigen ist, ist fragwürdig.
8. Wir brauchen uns nur anzustrengen, dann ist die Energiewende bis 2050 machbar.
Nein, es fehlen uns die Übertragungsnetze, die Energiespeicher und in vielen industriellen Bereichen die Technologien, die im wirtschaftlichen Wettbewerb mit fossilen Technologien bestehen können.
9. Wenn wir Windkraft und Photovoltaik ausreichend ausbauen, lässt sich auch unsere Unterversorgung im Winter lösen.
Nein, selbst wenn der Ausbau vervielfacht wird, braucht es Speicher, Reservekraftwerke und Lastmanagement, um die Versorgungslücken zu überbrücken. Davon sind wir noch weit entfernt.
Die Winterlücke (Residiallücke) stellt das größte ungelöste Problem der Energiewende dar. Erneuerbare Energieerzeuger fluktuieren stark, ihr Kapazitätsfaktor ist deutlich kleiner als jener der kalorischen Anlagen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz fehlt heute und in Zukunft vor alle im Winter der Strom. Jener Strom, der nicht aus erneuerbaren Quellen produziert werden kann, muss dann in kalorischen Kraftwerken produziert werden.
10. Elektroautos sind schädlicher für die Umwelt als Verbrenner.
Nein, sind sie nicht. Aber: Die Erzeugung von Ökostrom und die Speicherlösungen müssen Hand in Hand mit der Steigerung des E-Auto-Marktzuwachses gehen. Erfolgte die Produktion zu großen Teilen aus kalorischen Quellen, würde die Aussage tatsächlich stimmen. Außerdem ist die Recyclingquote der Batterien derzeit noch gewaltig schlecht – das darf auf Dauer nicht so bleiben.
Mobilität ist einer der Hauptverursacher für Treibhausgase, etwa ein Viertel aller CO2-Emissionen geht darauf zurück. Die Bestandsfahrzeugflotte in Deutschland benötigt etwa 7,4 Liter/100 km, das sind etwa 74 kWh/100 km: Das ist dreimal so viel Primärenergie, wie E-Autos benötigen würden. Die Energieeinsparung durch E-Autos kann also gewaltig groß sein.
11. Erneuerbare Energien sind der Schlüssel zur zukünftigen Freiheit von internationalen Abhängigkeiten.
Nein, wir begeben uns von der Brennstoff- in die Rohstoffabhängigkeit. Der einzige Weg, Abhängigkeiten zu vermindern, ist, die Versorgung zu diversifizieren, selbst Zugänge zu den Rohstoffen zu schaffen sowie die Rohstoffversorgung und Lagerhaltung strategisch zu planen.
12. Wenn der Staat möglichst detailliert regelt, welche Energiequellen er haben möchte, und diese finanziell fördert, ist das für alle am besten.
Nein, je detaillierter der Staat eingreift, desto unwirtschaftlicher werden die Systeme. Der natürliche Wettbewerb der Ideen und Technologien wird behindert. Die Differenz bezahlt der Steuerzahler und Energiekonsument. Die Gefahr ist groß, dass "Energie" die neue "EU-Landwirtschaft" wird, ein durch Subventionen verzerrtes Gebilde, in dem der Produzent sein Geld nicht mehr auf ehrliche Weise verdienen kann, sondern auf staatliche, politisch verteilte Almosen angewiesen ist. Am besten für alle ist hingegen, wenn der Staat die Forschung technologieneutral fördert, aber versucht, Märkte nicht zu verzerren, sondern in der Schiedsrichterrolle verbleibt.
13. Die Energiewende bezahlt sich über die Einsparungen beim Brennstoffzukauf selbst.
Nein, leider nicht. Insbesondere nicht während der ersten 20–30 Jahre, in denen die bisherige kalorische Infrastruktur als Reserve aufrechterhalten werden muss. Auch die schwierigen letzten 20–30 % der Umstellung (Industrieprozesse, Speicher) sind teuer.
14. Die Energiewende wird unseren Wohlstand erhöhen.
Nein, kurz- und mittelfristig wird die Energiewende unseren Wohlstand senken. Über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten könnte sie den Wohlstand auch erhöhen. Technologieführerschaft, Lokalisierung der Wertschöpfung und hoffentlich irgendwann ein Stopp des Klimawandels sollten gegenüber einem "Weiter so"-Szenario positiver sein.
15. Wenn wir genügend Photovoltaik und Windkraft erreichen, können wir CO2-neutral werden.
Nein, der Ausbau ist zwar ein erster und wesentlicher Schritt. Es braucht jedoch viele zusätzliche Maßnahmen und Technologien für ein funktionierendes Gesamtkonzept.
16. Biogas kann die Erdgaslücke schließen. [Siehe auch Vizekanzler Koglers Misthaufen-Gas-Konzept]
Nein, bei Weitem nicht. Biogasanlagen bieten zwar ein Potenzial, das weiter ausbaufähig ist. Um es tatsächlich nutzen zu können, sind jedoch große Flächen erforderlich. Sie können aber dazu dienen, Speicher für den Winter zu füllen und Schwankungen auszugleichen.
17. Biomasse, Holz und Pellets sind nicht CO2-neutral.
Doch! Wenn gleich viel Biomasse genutzt wird, wie im gleichen Zeitraum nachwächst, sind sie das, Transport und Verarbeitung ausgenommen.
18. Wasserstoff ist der Wunderstoff, der das Erdgas und die Erdölprodukte ersetzt.
Nein, Wasserstoff wird eine sehr wichtige Rolle spielen, er ist aber "nur" ein Energieträger, mit dem sich die fluktuierende Energie der erneuerbaren Energien besser speichern und verwenden lässt. H2 und die aus Wasserstoff hergestellten E-Fuels werden in schwierig zu elektrifizierenden Bereichen der Mobilität, für Energiespeicherlösungen, bei Industrieprozessen und chemischen Grundstoffen unverzichtbar werden und auch manche Erdölprodukte ersetzen. H2 wird aber nicht generell das Erdgas im Haushalt oder in der Industrie ersetzen.
19 Die Stromnetze halten nicht mehr Erneuerbare aus.
Noch im Jahr 2000 wurde an den Universitäten gelehrt, dass die Stromnetze bei einem weiteren Ausbau der Erneuerbaren zusammenbrechen würden. Damals gab es 10 % Anteil in Deutschland, heute 45 %. Nichts ist zusammengebrochen, es gibt immer noch Reservekapazitäten. Aber: die Stromnetze von 2040–2050 erfordern, wenn es keine kalorischen Erzeuger mehr gibt, deutlich mehr als die doppelte Kapazität von heute.
20. Deutschland, Österreich und die Schweiz werden bis 2040, 2045 oder 2050 CO2-neutral sein.
Nein, es ist aus heutiger Sicht vollkommen unrealistisch, dass eines der drei Länder dieses Ziel erreichen wird. Der Primärenergiebedarf jener Staaten wird zu etwa 70–80 % aus fossilen Energien gedeckt. Die Energieversorgung, -verteilung und -speicherung in weniger als 30 Jahren komplett umzustellen und Mobilität, Wärme und Produktion zu dekarbonisieren, ist höchst unwahrscheinlich.