Zwei Kommentare von Michael Benaglio mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift PAPPELBLATT
DER „KULTURHAUPTSTADT SALZKAMMERGUT“ FEHLT DAS SALZ
Als das Salzkammergut das O.k. für eine „Kulturhauptstadt“ erhielt, herrschte großer Jubel, auch wenn der Begriff „Stadt“ für eine weit verzweigte ländliche Region seltsam anmutet. Von Gegenkultur und Widerstand war die Rede. Es gibt im Salzkammergut literarische und musikalische Initiativen und Gruppen, die „anders“ sind, kritisch, gegen den Strom schwimmend, manche auch alternativ und spirituell ausgerichtet. Sie sollten gefördert, bekannt gemacht werden.
Dann hörte der interessierte Zeitgenosse lange nichts, nur über personelle Querelen gab es Gerüchte. Dann verkündeten Medien die Halbierung der bewilligten Förder-Summe und viel Freude erlosch. Endlich erschien eine neue Chefin, im Salzkammergut unbekannt, auf der gewichtigen Bühne: Elisabeth Schweeger ihr Name. Die Dame machte schnell Karriere: Zu einer der unbeliebtesten Personen im Salzkammergut; aus dem einfachen Grund, da ihre arrogante Art so ziemlich alle vor den Kopf stieß. Als ich in Bad Aussee für das Bad Mitterndorfer Kulturzentrum Woferlstall einige Projekte präsentierte, begrüßte ich Frau Schweeger, die mich nicht erkannte, obwohl sie mir ein paar Tage vorher bei einem Fototermin die Hand geschüttelt hatte. Auf Bad Mitterndorf angesprochen sagte sie: „Ah. Ihr habt auch etwas zu sagen?“ Das hoffen wir doch, Frau Schweeger!
Gut neunzig Prozent der von Einheimischen eingereichten Projekte wurden abgelehnt, was großen Unmut erzeugte. Frau Schweeger meinte, das seien halt Kleinkinder, die raunzen, wenn sie etwas nicht bekommen. Dafür wurde das Salzkammergut mit einer Vielzahl von Projekten beglückt, mit denen die Bewohner nichts anfangen konnten. Sie wurden als von außen aufgesetzte Fremdkörper wahrgenommen. Freilich: Einzelne Projekte dieser Kulturhauptstadt machen Sinn, sind aussagekräftig, beweisen Qualität. Das soll nicht unter den Tisch fallen. Aber die Kluft zwischen dem aufgesetzten städtisch-postmodernen Kulturmainstream und der Bevölkerung weitete sich. Außer den Apparatschiks der selbst ernannten kulturellen Upper Class, zu der nun auch Hubert von Goisern zählt, profitierten nur sehr Wenige von der Kulturhauptstadt.
In Bad Goisern grub ein von der politischen steirischen Klasse protegierter sogenannter Künstler ein großes Loch, d.h. er ließ es graben, setzte eine Art Wohnung hinein. Das ganze Spektakel wurde zugeschüttet. In einem Fernsehinterview meinte der rhetorisch fragwürdige „Künstler“: „Jeder hat Leichen im Keller.“ Klartext: Die in Goisern haben alle ihre Leichen im Keller. Ob sie alle Nazis sind? Derartige arrogante, missachtende, diskriminierende Aussagen von Leuten, die sich zu Propheten der Demokratie, der Freiheit, des Respekts herausputzen sind mehr als peinlich. Generelle Beschimpfungen der Bauern als gemeine, selbstsüchtige Ökoverbrecher bei Diskussionsveranstaltungen kamen in einer immer noch teilweise bäuerlich geprägten Region nicht so gut an. Auch der vielgeschmähte „Pudertanz“, in dem sich eine mollige Nackte u.a. vor Kindern mit Puder lasziv bestäubte, trug nicht zur Qualitätssicherung der „Kulturhauptstadt“ bei, erntete vielmehr heftige Ablehnung, allerdings auch große mediale Aufmerksamkeit. Dieser merkwürdige Tanz entbehrte jeder Erotik, zeugte von künstlerischer Askese, eignet sich aber wohl für ein zweitklassiges Animationsprogramm in einem Puff.
[Anmerkung ethos.at: Die Pudertänzerin, die oberösterreichische Choreografin Doris Uhlich, wurde mit dem Österreichischen Kunstpreis für darstellende Kunst 2024 des BMKOES Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport ausgezeichnet, wie auf der Webseite salzkammergut-2024.at zu erfahren ist. Ob die Selbstchoreografierung der Pudertänzerin mehr der Kunst oder dem Sport, der Kultur oder dem öffentlichen Dienst zur Ehre gereicht, sei dahingestellt.]
Die großen Veranstaltungen mutierten zu Shows des Sehens und Gesehen Werdens, VIPs und Politiker latschten auf roten Teppichen, die kleinen Projekte erhielten mit Ausnahme einer oft fehlerhaften Homepage entgegen früheren Versprechungen null werbetechnische Unterstützung. Sie wurden alleine im Regen des Salzkammerguts und postmoderner Beliebigkeit stehen gelassen. Dieser Kulturhauptstadt fehlt das Salz, der Pfeffer, die Gewürze, die Kunst erst interessant machen. Daran änderten auch die in Kondomautomaten enthaltenen Poesiekonserven nichts.
Die Kulturhauptstadt Salzkammergut entpuppt sich als ein von oben den „Trotteln“ im angeblich kulturell unmündigen Salzkammergut aufoktroyiertes Spektakel, das permanente Selbstbeweihräucherung selbsternannter kultureller Mainstream-Upper-Class-Akrobaten integriert. Eine große Chance wurde vertan, Gelder in den Himmel der Eitelkeiten geschossen. Die Förderung und Bekanntmachung einheimischer, widerständischer, gegenkultureller Projekte hätte Sinn gemacht, ebenso ihre gegenseitige Vernetzung – wie ursprünglich postuliert. Dann hätten Projekte und Künstler von außen, mit Augenmaß veranstaltet, sicherlich mehr Anerkennung gefunden. Ja, gemeinsame Projekte von denen da draußen und denen vor Ort, sei es z.B. gemeinsames Musizieren oder heiteres Ausflippen, wären bereichernd gewesen, hätten zur größeren Akzeptanz der Kunstversuche in der Bevölkerung beigetragen.
Ich vermute, in zwei Jahren wird diese „Kulturhauptstadt Salzkammergut“ selbst vom immer noch in Bad Ischl (Mekka der Kulturhauptstadt) geisternden Kaiser vergessen sein; außer in der Vita von Künstlern, die bei diesem, bis auf löbliche Ausnahmen missglückten Kunstspektakel dies oder das oder etwas Anderes taten und meinen, bei den Subventionsgebern genießt die „Kulturhauptstadt Salzkammergut“, weil medial hochgejubelt, größtes Ansehen und garantiere weitere Geldflüssigkeiten. Vielleicht irren sie da auch nicht …
(Ein abschließendes Resümee über das Kulturhauptstadtjahr findet sich im Pappelblatt 33 Herbst/Winter 2024)