Politische Ästhetik / Politischer Anstand / Gewaltenteilung / Unvereinbarkeit / Ethik
27. November 2024 - Es gab Zeiten, da bezeichnete der wichtigste Mann im Land sein Massenblatt als „Vorhof der Macht“. So der Titel der Memoiren von Hans Dichand, der dem Boulevardjournalismus in Österreich die Krone aufgesetzt hat. Der „Zeitungszar“ hat seine Krone nach dem Zweiten Weltkrieg in wenigen Jahren zu einem finanziell erfolgreichen und unabhängigen Blatt gemacht.
Der Vorhof war im Verhältnis zu den Hinterzimmern der Macht immer ein relativ transparenter Raum. Was dem Zaren gefällt, das unterstützt er offensichtlich und offensiv. Beispielsweise die Verhinderung des Donaukraftwerks Hainburg. Zum 40-Jahr-Jubiläum dieses Konfliktes titelt die Krone (24.11.2024) selbstgefällig: „Als die ‚Krone‘ die Au rettete“. Der Redakteur hatte wohl Tränen in den Augen, als er im Krone-Archiv saß und folgende Zeilen dichtete: „Es war sibirisch kalt. … Drinnen im Dickicht loderten erste Lagerfeuer, an denen die beherzten Besetzer – zunächst nur Dutzende, dann Hunderte und schließlich Zehntausende – vor allem ihre Herzen und Hoffnungen wärmten. Doch das Schicksal des unberührten Augebietes mit all seiner wundersamen Wildnis schien längst besiegelt.“
Das war im Dezember 1984, und die Krone wärmte die Wohnzimmer des Landes mit Titelzeilen wie „Schande von Hainburg“, aber auch mit der erlösenden Mitteilung „Ganz Österreich atmet auf!“
Heute, vierzig Jahre später, spielen die Nachkommen von Hans Dichand ihre Macht längst nicht mehr im Vorhof (einigermaßen transparent), sondern im Hinterhof bzw in den warmen Hinterzimmern ihrer Redaktion aus. Hier geben sich der mutmaßliche künftige Kanzler und der mutmaßliche künftige Vizekanzler die Klinken in die Hand. (Es gilt die Unschuldsvermutung.) Darauf sind sie so stolz, dass sie diese Ereignisse wie eifrige Chorknaben ihren Followern auf Twitter brühwarm berichten.
Am 27. November brüstet sich Karl Nehammer @karlnehammer: „Mit der @krone_at habe ich über die Regierungsbildung, mein Telefonat mit @realDonaldTrump und die Steiermark-Wahl gesprochen.“. Andi Babler @AndiBabler (BKBabler ist schon wieder Geschichte) darf einen Tag später die heißeste Nachricht des Tages von den Dächern pfeifen: „In der aktuellen Ausgabe der Krone lest ihr mein Interview zu den Koalitionsverhandlungen, meinen Zugang zum Budgetdefizit und dass das Leben wieder leistbar werden muss. Ich bin überzeugt, dass es kein Sparpaket für die breite Masse geben darf.“
Es ist schwer, beim Lesen dieser Zeilen die Tränen der Rührung zu unterdrücken.
ERGÄNZUNG: KRONE.at am 7. Dezember 2024 – Es geht noch mehr. Krone-Schlagzeile des Tages: „Kanzler Nehammer: Das Vertrauen ist jetzt da“.
Ein Philosoph fragt nach, was das bedeuten soll: Ist das Vertrauen da, dann ist es heute da und morgen dort, oder es ist jetzt da, kann aber später weg sein. So ist das mit dem Dasein. Wenn es aber ist, als reines Sein, so ist es unabhängig von hier und jetzt, denn das Sein ist an und für sich immer und überall anwesend. Das Sein west an, würde Heidegger sagen. Das Sein muss anwesen, während das Nichts abwest, deshalb sagt Heidegger: das Sein ist und das Nichts nichtet. Demnach kann das Vertrauen Nehammers nur sein oder nichten. Wenn es aber lediglich „da ist“, so können wir sicher sein, dass uns die Krone schon übermorgen berichten wird, dass es wieder weg ist.
Der Hofberichterstatter über den mutmaßlichen nächsten Kanzler: „mit dem ‚Krone‘-Jahresrückblick in der Hand, schaute ÖVP-Chef Karl Nehammer auch voraus. … Atmosphärisch dürften die zwischenzeitlich knirschenden Verhandlungen jedenfalls wieder rundlaufen. Der ÖVP-Chef versprüht Zuversicht.“