"Das unterschätzte Amt" ist der Untertitel, das der langjährige oberste Verfassungsrichter Österreichs, Ludwig Adamovich herausgegeben hat. Schon in der Einleitung verweist er auf die "zum Teil irrigen Auffassungen über die rechtlichen Befugnisse und tatsächlichen Handlungsspielräume des österreichischen Staatsoberhauptes". Die fünf häufigsten volkstümlichen (Fehl-)Einschätzungen des Amtes:
1. "Der Bundespräsident hat im Wesentlichen repräsentative Aufgaben. Diese Meinung begreift das Amt des BP in völliger Verkennung seiner wichtigen politischen Kompetenzen in erster Linie als Dekorum."
2. "Der Bundespräsident steht über der Bundesregierung und kann ihr anschaffen. [...] Auffassung, die das Amt des Bundespräsidenten überschätzt und in ihm eine für alles zuständige Höchstinstanz sieht, [...]"
3. "Der Bundespräsident als Ersatzkaiser [...] tatsächlich erinnern einige Kompetenzen des Bundespräsidenten an die souveränen Befugnisse des Kaisers".
4. "Der Bundespräsident als oberster Ombudsmann der Republik. Diese Auffassung [...] führt dazu die Präsidentschaftskanzlei mit Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern überschwemmt wird, die sich mit persönlichen Anliegen oder Beschwerden jeder Art an das Staatsoberhaupt wenden."
5. "Der Bundespräsident als höchste moralische Instanz des Landes. [...] Dank seiner direktdemokratischen Legitimation und der Erwartung, dass er sein Amt unparteiisch im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger ausüben werde, genießt der Bundespräsident großen Respekt. Darauf gründet auch die moralische Autorität des Bundespräsidenten, dessen Wort Gewicht hat. In diesem Zusammenhang wird von der 'Macht des Wortes' gesprochen".
Der letzte Punkt ist keine Fehleinschätzung, wie die Begründung von Adamovich bestätigt. Doch Juristen haben grundsätzlich ein Problem mit gesellschaftlichen oder politischen Phänomenen, die nicht gesetzlich geregelt sind. Dabei unterliegen sie jedoch oft einem Irrtum, indem sie ungeregelt mit ungesetzlich gleichsetzen.
Über den engen Handlungsspielraum des Bundespräsidenten schreibt Adamovich: "Der bis heute unverändert geltende Art. 67 B-VG legte fest, dass alle Akte des Bundespräsidenten, soweit nicht verfassungsmäßig anders bestimmt ist, auf Vorschlag der Bundesregierung oder des von ihr ermächtigten Bundesministers ergehen und, soweit nicht verfassungsgesetzlich anders bestimmt ist, zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers oder der zuständigen Bundesminister bedürfen." Der Jurist merkt an: "Kein Wort findet sich in der Verfassung darüber, dass der Bundespräsident Interviews geben, festliche Veranstaltungen eröffnen, Gruppen von Pensionisten und Schülern sowie zahlreiche prominente in- und ausländische Einzelpersonen empfangen soll. Der Jurist ist aber gezwungen, eine Rechtsgrundlage für solche Aktivitäten zu suchen."
Selbst wenn eine Rechtsgrundlage besteht, so ist diese niemals eindeutig, verschiedene Interpretationen sind immer möglich und zulässig. Dieses Paradoxon, dass eine wortgetreue Umsetzung der Gesetze gar nicht möglich ist, kann nur dann aufgehoben werden, wenn man das Legalitätsprinzip durch das Moralitätsprinzip ergänzt. Das Moralitätsprinzip lässt durchaus unterschiedliche Werte zu, legt aber offen, auf welcher Werte-Grundlage eine Interpretation vorgenommen wurde.
Der Bundespräsident wäre dafür prädestiniert, das Moralitätsprinzip zunächst im politischen Diskurs und danach in der politischen Praxis zu etablieren. Schon bisher lässt sich kein Präsident auf das Legalitätsprinzip reduzieren (sonst dürfte er nicht einmal ein Interview geben, ohne die Bundesregierung zu fragen). Doch Moral wird bislang eher moralinsauer wie in Sonntagspredigten vorgetragen. Der künftige Bundespräsident sollte daher nicht nur "moralische Instanz" kraft seines Amtes sein, sondern auch moralische Kompetenz als Moralphilosoph oder zumindest aufgrund von Lebensweisheit mitbringen!
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Weitere Kapitel des Buches und ihre Autoren:
Ludwig Adamovich
Wahl des Bundespräsidenten
Die Verfassungsrechtliche Stellung des Bundespräsidenten
Heinz Fischer
Gedanken zum Amt des Bundespräsidenten
Georg Frölichsthal
Einige verfassungsrechtliche Kompetenzen des Bundespräsidenten in der Praxis
Georg Frölsichsthal, Christian Prosl
Weitere Tätigkeitsbereiche des Bundespräsidenten
Stefan Ulrich Pieper
Vergeichende Aspekte - die verfassungsrechtliche Stellung des deutschen Bundespräsidenten
Alfons Kloss, Albert Rohan
Der Bundespräsident und die Außenpolitik
Christoph Leitl
Die Vertretung der österreichischen Wirtschaftsinteressen im Ausland
Franz Cede, Christian Prosl
Die Präsidentschaftskanzlei
Christian Prosl
Die Hofburg
Elisabeth Horvath
Das Amtsverständnis einiger bisheriger Amtsträger - eine journalistische Betrachtung
Erschienen im Studienvelag, Innsbruck, 2017