Mandela Nelson (Rolihlala): Der lange Weg zur Freiheit

"Long Walk to Freedom", so der Original-Titel der Biografie von Nelson Mandela, ist 1994 erschienen, die deutsche Übersetzung 1997. Das Buch ist immer noch lehrhaft und sogar populär, wie die 23. Auflage der Taschenbuchausgabe 2019 beweist.

"Außer dem Leben, einer starken Konstitution und einer dauerhaften Verbindung zum Thembu-Königshaus gab mir mein Vater bei meiner Geburt nur einen Namen mit, Rolihlahla. Wörtlich bedeutet Rolihlala: 'Am Ast eines Baumes ziehen', doch der umgangssprachliche Sinn lautet ziemlich genau: 'Unruhestifter'. [...] Ich bin ein Angehöriger des Madiba-Clans, der nach einem Thembu-Häuptling benannt ist, der im 18. Jahrhundert in der Transkei herrschte. Oft spricht man mich mit Madiba an, meinem Clan-Namen, was als respektvolle Bezeichnung gilt."

Aus europäischer Sicht ist es ungewöhnlich, dass der spätere Untergrundkämpfer aus einer adeligen Familie stammt. Sein Vater war "Häuptling nach Abstammung und Brauchtum" (S. 12), der nach einem Zwist mit dem Magistrate (hochrangiger weißer Verwaltungsbeamter) verbannt wurde und Titel und Vermögen verlor. Seinen Unterhalt musste er danach als Grubenarbeiter verdienen, wo er sich eine Staublunge zuzog und früh verstarb. Sein Sohn war damals neun Jahre und im Dorf seiner Verbannung als Hirtenjunge tätig. Der Regent, dem sein Vater vor der Verbannung als Berater gedient hatte, holte Rolihlahla an seinen Hof, womit der Junge die Chance auf eine solide Ausbildung erhielt. Von seiner ersten Lehrerin in der Methodisten-Schule erhielt der den Namen Nelson.

Mit 16 Jahren kam Nelson an ein College nach Clarkebury und schaffte es mit 21 Jahren an die Universität von Fort Hare, "bis 1960 die einzige höhere Bildungsanstalt für Schwarze in Südafrika". Waren Nelsons Jugendträume noch relativ traditionell und auf beruflichen Erfolg ausgerichtet, begann er hier allmählich zu begreifen, "daß man sich die dutzendfachen kleinen Demütigungen, denen sich ein Schwarzer täglich ausgesetzt sah, nicht gefallen lassen mußte". 

In den Ferien zuhause eröffnete ihm der Regent, dass er für Nelson eine Ehefrau ausgewählt habe. "Der Regent handelte in Übereinstimmung mit Gesetz und Brauchtum der Thembu, und seine Motive waren untadelig", doch diese junge Dame war schon seit langem in Nelsons Freund Justice verliebt. Außerdem wollte Nelson niemandem das Recht zugestehen, eine Braut für ihn auszusuchen. Während er noch nicht im geringsten daran dachte "das politische System des weißen Mannes zu bekämpfen, war ich durchaus bereit gegen das soziale System meines eigenen Volkes zu rebellieren." (S. 81) Daraufhin folgte eine abenteuerliche Flucht. Gemeinsam mit Justice schlug er sich bis Johannesburg durch. Nach einigen Jobs konnte er dort in der Kanzlei des Anwalts Lazar Sidelsky beginnen - am Anfang als Clerk und Bote. In Abendkursen studierte er Jus.

Sein Regent kam 1941 (Nelson war 23 Jahre) nach Johannesburg und suchte eine Unterredung mit dem Flüchtigen. "Ich rehabilitierte mich bei ihm und fand gleichzeitig meine Achtung für ihn und das Königliche Haus der Thembu wieder." (117] Ein Jahr später bestand Nelson die Schlussprüfung für seinen B.A. Beeindruckt von dem politischen Aktivisten Gaur Radebe, nahm Mandela 1943 erstmals an politischen Aktion gegen die Preiserhöhung von Busfahrten teil.

Anwalt Sidelsky warnte Mandela: "Sie werden Ärger bekommen mit den Behörden, die bei Ihrer Arbeit oft Ihre Verbündeten sind. Sie werden alle Ihre Klienten verlieren, Sie werden bankrott gehen, Sie werden Ihre Familie zerstören, und Sie werden im Gefängnis landen. Das alles geschieht, wenn Sie in die Politik gehen." (125) Diese Prophezeiung sind eine kurze, aber trotzdem exakte Inhaltsangabe der folgenden 700 Seiten von Mandelas Autobiografie. Nelson bestätigt: "Eine erfolgreiche Karriere und ein ordentliches Einkommen waren nicht länger meine letzten Ziele." 

Im dritten Teil seines Buches schildert Nelson "die Geburt des Freiheitskämpfers". Es ist unmöglich die zahlreichen Details dieser Entwicklung in Kürze wiederzugeben. Aber man könnte als Geburtsstunde eine Art Proklamation sehen, mit der dieser Teil seines Lebens beginnt: "Afrikaner in Südafrika zu sein bedeutet, daß man von Geburt an politisiert ist, ob man es zugibt oder nicht. [...] Wenn das Kind heranwächst, kann es einen Arbeitsplatz nur für Afrikaner erhalten, ein Haus in einer Township nur für Afrikaner mieten und kann jederzeit, bei Tag und Nacht, angehalten und nach seinem Ausweis gefragt werden. Wenn es seinen Ausweis nicht bei sich hat, wird es festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Sein Leben ist eingerahmt von rassistischen Gesetzen und Regeln. [...] Ich hatte keine Erleuchtung, keine einzigartige Offenbarung, keinen Augenblick der Wahrheit; es war eine ständige Anhäufung von tausend verschiedenen Dingen, tausend Kränkungen, tausend unerinnerten Momenten, die Wut in mir erzeugten, rebellische Haltung, das Verlangen, das System zu bekämpfen, das mein Volk einkerkerte." 

Kaum zehn Jahre später war für Mandela klar: "Der Kampf ist mein Leben" (so der Titel des vierten Teils). Wichtiger Teil dieses Lebensabschnittes war der Volkskongress 1955 und die Entwicklung der Freiheits-Charta als Grundlage für den Freiheitskampf, mit der Präambel, "dass Südafrika allen gehört, die dort leben, Schwarze wie Weiße, und daß keine Regierung rechtmäßig Autorität beanspruchen kann, solange sie nicht auf dem Willen des Volkes beruht; daß unsere Menschen ihrer Geburtsrechte auf Land, Freiheit und Frieden beraubt worden sind durch eine Form der Regierung, die auf Unrecht und Ungleichheit gründet; daß unser Land niemals prosperieren und frei sein wird, ehe nicht all unsere Menschen in Brüderlichkeit leben und gleiche Rechte und Chancen genießen..." 

Auch wenn diese Prinzipien von einer starken Vision und dem Willen zur Einheit zeugen, so führte die Umsetzung dieser Prinzipien doch immer wieder zu internen Flügelkämpfen im ANC und zu Konflikten mit anderen politischen Gruppierungen. Auch Mandela selbst änderte mehrmals seine Position. War er am Anfang für gewaltlosen Widerstand, so wurde er später zum Gründer der unabhängigen militärischen Einheit MK; er lehnte zu Beginn die kommunistische Unterstützung für den ANC ab, akzeptierte aber später die Kommunisten als Bündnispartner, da sie die einzige "weiße Partei" waren, die gegen die Apartheid auftrat.

Ab der Verhaftung 1956 und einem langen Prozess wegen "Landesverrats", der 1961 mit Freispruch aller 156 Angeklagten endete, lebte Mandela im "Bann", d.h. mit stark eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten. Umgehend nach dem Urteil wieder zur Haft ausgeschrieben, führte Mandela ein Leben im Untergrund, das nach 17 Monaten endete. Diesmal vergingen nur wenige Monate von der Verhaftung bis zum Verurteilung: fünf Jahre Haft. Ein Jahr später wurde eine neuerliche Verhandlung gegen Mandela und weitere Führungsmitglieder des MK wegen "Sabotage" und "Planung bewaffneten Kampfes" aufgenommen, die zu einem endgültigen Urteil für alle Angeklagten führte: lebenslänglich.

Lebenslänglich endete am 11. Februar1990. Mandela führte fast dreißig Jahre auf Robben Island seinen Freiheitskampf im Gefängnisalltag weiter: die meisten Beschwerden führten zu Verbesserungen im Gefängnisalltag - allerdings erst Jahre später. Auch internationale Delegationen, die Robben Island besuchten, führten zu vorübergehenden Erleichterungen. Geistig ungebrochen und innerlich frei unternahm Mandela 1989 einen Alleingang, um mit Regierungsvertretern über die Freilassung und die Zukunft des Landes zu verhandeln. Der Rücktritt von Präsident Botha im August 1989 beschleunigte den Prozess. Bis zur Wahl Mandelas zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes vergingen noch vier Jahre mit vielen Verhandlungsrückschlägen und Gewaltausbrüchen.

Rückblickend schreibt Mandela: "Erst als ich zu begreifen begann, daß meine jugendliche Freiheit eine Illusion war, begann ich nach ihr zu hungern. [...] Freiheit ist unteilbar; die Ketten an jedem einzelnen aus meinem Volke waren die Ketten an ihnen allen, die Ketten an allen Menschen meines Volkes waren die Ketten an mir. [...] Ich bin nicht wahrhaft frei, wenn ich einem anderen die Freiheit nehme, genausowenig wie ich frei bin, wenn mir meine Freiheit genommen ist. Der Unterdrückte und der Unterdrücker sind gleichermaßen ihrer Menschlichkeit beraubt." 

Nelson Mandela 2008

Foto CC BY 2.0: Nelson Mandela in Johannesburg 2008

Anlässlich der Hochzeit seiner Tochter erklärt Mandela: "Wenn das Leben ein Kampf ist, wie es meins gewesen ist, bleibt wenig Raum für das Familienleben. Das habe ich immer am meisten bedauert, und es war der schwierigste Teil der Wahl, die ich getroffen hatte." 

Noam Chomsky über Nelson Mandela

Betrachten wir den Fall Nelson Mandela, der erst 2008 von der offiziellen Terroristenliste des Außenministeriums gestrichen wurde, so dass er ohne Sondergenehmigung in die Vereinigten Staaten reisen durfte. Zwanzig Jahre zuvor war er laut einem Pentagon-Bericht noch der kriminelle Anführer einer der weltweit ‚berüchtigsten Terrorgruppe‘ gewesen. (S.19). (Randbemerkung HTH: Mandela musste aufgrund seiner Aktivitäten gegen die Apartheidpolitik in seiner Heimat 1963 bis 1990 insgesamt 27 Jahre als politischer Gefangener in Haft verbringen. 1993 erhielt er den Friedensnobelpreis und 1994 bis 1999 war er der erste schwarze Präsident Südafrikas).

Der Beitrag Kubas bei der Befreiung Afrikas und der Beendigung der Apartheid wurde von Nelson Mandela hervorgehoben, als er endlich aus dem Gefängnis entlassen wurde. Zu seinen ersten Handlungen zählte die Erklärung, dass ‚Kuba während aller meiner Jahre im Gefängnis eine Inspiration und Fidel Castro ein Turm der Stärke gewesen sind. … Die kubanischen Siege zerstörten den Mythos der Unbesiegbarkeit der weißen Unterdrücker und inspirierten die kämpfenden Massen von Südafrika. … Welches andere Land kann auf eine Geschichte größerer Selbstlosigkeit verweisen als Kuba in seinen Beziehungen zu Afrika?‘ (S. 268f)

In Angola taten sich die Vereinigten Staaten mit Südafrika zusammen; gemeinsam gewährten sie Jonas Savimbis terroristischer UNITA-Armee die entscheidende Unterstützung. … Trotz der von den USA unterstützten weitreichenden mörderischen Terroroperationen in Angola trieben kubanische Truppen die südafrikanischen Aggressoren aus dem Land, zwangen sie, das illegal besetzte Namibia zu räumen und ebneten den Weg zu allgemeinen Wahlen in Angola. Nach seiner Wahlniederlage erklärte Savimbi, …. dass die Wahlen … ‚frei und fair verlaufen‘ seien … und setzte seinen terroristischen Krieg mit amerikanischer Unterstützung fort. (S. 268)

Zitate aus:  „Wer beherrscht die Welt? Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik“. Das Buch ist 2016 erschienen.