Martin Sonneborn & seine politische Beraterin
99 Ideen zur Wiederbelebung der politischen Utopie
Das ("kommunistische" gestrichen) Manifest. Erschienen 2021
Die erste und wichtigste Utopie der Geschichte stammt aus der Feder eines Realpolitikers: "Utopia" von Thomas Morus (Lordkanzler unter König Heinrich VIII). Die bekanntesten Utopien des 20. Jahrhunderts sind genau genommen Dystopien: "1984" von George Orwell und "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley. 505 Jahre nach "Utopia" versucht der EU-Politiker Martin Sonneborn in die Fußstapfen von Thomas Morus zu treten.
"Morus beschreibt den Bruch mit dem Bisherigen und die Möglichkeit eines Neuanfangs. Das absichtsvolle Wortspiel mit dem (im Englischen gegebenen) Gleichklang der Begriffe 'Utopia" Nicht-Ort) und 'Eutopia' (guter Ort) verweist dabei auf den radikalen Kern, der jeder derartigen Konstruktion zugrunde liegt: Eutopos, die Vorstellung vom guten (oder glücklichen) Ort." Nicht die Utopisten haben die Welt zerstört, sondern die ideenlosen Realpolitiker. Daraus folgt: "Utopisches Denken bedeutet, die in der Wirklichkeit verborgenen Möglichkeiten aufzuspüren. Und im Wirklichen wieder das Andere sichtbar zu machen: die unterdrückte Möglichkeit". (Robert Musil könnte Pate dieser Formulierung sein: "Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, dann muss es auch einen Möglichkeitssinn geben.")
Eine Utopie des 21. Jahrhunderts ist das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Sonneborn erinnert daran, dass ausgerechnet jene, die bereits BGE-Bezieher sind, strikt gegen dieses sind: so gut wie alle Abgeordneten aller europäischen Parlamente. Doch er legt allen Parteien die Brücke: "Aus liberaler Sicht ist es die Perfektionierung des individuellen Freiheitsprinzips. Aus sozialistischer Sicht ist es die Vollendung des Gerechtigkeitsprinzips. Aus kommunistischer Sicht ist es die Überwindung des Lohnprinzips. Aus anarchistischer Sicht ist es die Zertrümmerung des Herrschaftsprinzips. Aus christlicher Sicht ist es die Modernisierung des Prinzips der Nächstenliebe". Der Autor spricht aus Erfahrung: "Wir selbst haben in Brüssel über sieben Jahre hinweg ein bedingungsloses Grundeinkommen in erheblicher Höhe getestet und keinen einzigen Nachteil entdecken können."
Viele andere Utopien, die Sonneborn frei Haus liefert, sind weniger radikal, u.a. "Das Weniger-peinliche-Namen-Gesetz", Tempolimit von 136 km/h, Bierpreisbremse (möglicher Weise ein Plagiat der Wiener Bierpartei), "Springer enteignen", "Facebook fairstaatlichen!".
Abgesehen von manchen nervigen Interjektionen aus der SM-Szene (Social Media, oder was hast du gedacht?) bringt der derzeit führende investigative Humorist Deutschlands (was nicht schwer ist, da das deutsche Kabarett von der Regierung usurpiert wurde) auch noch weitere radikale Forderungen, die einem Qualitätspopulisten alle Ehre machen: "Snowden retten!", Friedensnobelpreis für Assange! (hat Sonneborn nicht gefordert, hätte er aber sollen; das Assange-Kapitel trägt dagegen den verdächtig faden Titel "Wo die Freiheit verteidigt wird"), sowie Forderungen des CCC (Chaos Computer Clubs) und des Direkte-Demokratie-Pioniers Josef Beuys ins Grundgesetz aufnehmen!
Mit einer Frage, deren Lustigkeit man mit hegelianischem Pathos negieren muss, wendet sich der Utopist an seine Leser: "Ist Ihnen schon aufgefallen, dass wir in einem Interregnum leben?" Dieses definiert sich nur aus den vorigen Perioden "durch die exzessive Verwendung des Präfixes POST: demokratie, moderne, kapitalismus, kommunismus..." Um diesen Schwebezustand zu beenden, ruft Sonneborn auf, "das EINE Wort zu finden, das 'lächerliche Zwischenkriegsgesellschaft ohne intellektuelle Autonomie, die an den offensichtlichen Widersprüchen eines krisenhaften Kapitalismus bereits zugrunde ging, ohne sich von seinen längst falsifizierten ideologischen Prämissen lösen zu können, um durch nichts als innere Trägheit und geistige Verblendung, die in der Ausbildung moralischer Sprachkodizes ihren wirkungslosen Ausdruck fand, den Kollaps ihrer materiellen Lebensgrundlagen auf dem Planeten herbeizuführen' für alle unmissverständlich zusammenfasst."
ethos.at - immer schon offen für intellektuelle Herausforderungen - hat natürlich eine Antwort auf diese existenzielle Frage: die Idiokratie bzw. das idiokratische Zeitalter. (Das für die Expertenkommission geplante Honorar kann die PARTEI somit einsparen und ethos.at SPENDEN)
Bleibt nur eine Frage an Sonneborn offen: Warum ist ihm nichts zu Lauterbach eingefallen?
SIEHE AUCH: Utopia und Digitalia
SIEHE AUCH: Herr Sonneborn geht nach Brüssel. Abenteuer im Europaparlament (wo Martin Sonneborn seit Juni 2014 einen Sitz hat und laufend über das Innenleben des EU-Parlaments berichtet). ZITATE aus dem Buch siehe Link.