Huber Joseph: Zeitenwende des Geldsystems

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Es gibt bereits zahlreiche Publikationen über den Finanzmarkt und die zweifelhaften Machenschaften seiner Player. Doch das Fundament des "Sektors" (Michael Hudson) bzw. des "Syndikats" (Wolfgang Freisleben) wird dabei weitgehend ausgeblendet: das Geldsystem. Diese Lücke hat Joseph Huber gefüllt, der 1992–2012 den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Umweltsoziologie an der Martin-Luther-Universität Halle inne hatte und seit vielen Jahren die Webseite Vollgeld.page "für Analyse und Reform des Geldsystems" betreibt. 2022 hat er das Buch "Zeitenwende des Geldsystems. Vom Bankengeld zum digitalen Zentralbankgeld" im Metropolis-Verlag publiziert.

Huber Joseph Cover 800

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Der Titel "Zeitenwende" weckt Assoziationen mit der Apokalypse, doch dem Wissenschafter gelingt es, das Geldsystem wie es ist und wie es geworden ist sachlich zu beschreiben, diese Fakten einzuordnen, aber letztlich auch zu hinterfragen: Warum sind die Phänomene der Geldschöpfung, der Geldpolitik und nicht zuletzt des Finanzmarktes so wie sie sind und nicht anders?

Wie man der Intention der Vollgeld.page entnehmen kann, folgt Huber durchaus einer "Mission", und die privaten Banken haben allen Grund zur Panik, sollten Staaten und Zentralbanken den Empfehlungen des Geldexperten folgen, und damit aufhören, Banken zu retten. Banken werden nicht gerettet, weil das die Gesetze vorschreiben (d.h. im Umkehrschluss sind diese Rettungsmaßnahmen genau genommen gesetzeswidrig), sondern aus Angst vor einem Domino-Effekt, wohl wissend, dass das auf Geldstabilität ausgerichtet System ein labiles Kartenhaus ist. Jede Bank ist so gesehen eine Karte im Kartenhaus. Die Banken lassen sich zunächst von ihren Kreditnehmern ihr Risiko in Form von Zinsen bezahlen, sie predigen gerne die "Freiheit des Marktes" wenn sie Managerverträge abschließen und wenn sie ungeprüfte, neue Finanzprodukte unter beschönigenden Namen wie "Certificate" und "Securities" an den Mann und die Frau bringen; sie lassen sich aber gerne vom Staat "auffangen", wenn Liquiditätsprobleme auftreten und Überschuldung droht. Mit QE Quantitative Easing hat die EZB das bislang größte Auffangnetz in Europa gespannt. Aber das ist ein anderes Thema, denn es betrifft den Finanzmarkt.

Hier geht es um die Zeitenwende des Geldsystems, die beim "Publikum", also bei den "Normalverbrauchern", den einfachen Nutzern von Gehalts-, Pensions- und Geschäftskonten keine Panik auslösen muss, denn es ist nicht die erste Zeitenwende seit dem 17. Jahrhundert. Laut Huber gab es in der neuzeitlichen Entwicklung des Geldes bisher drei Tiden-Wechsel (wie Flut und Ebbe), der vierte setzt gerade ein. (77 ff)

1. 1660er bis 1840er: Aufstieg des Papiergeldes vs einsetzender Bedeutungsrückgang des Münzgeldes.

2. 1840er bis um 1910: Aufstieg der nationalen Zentralbanknoten vs Niedergang des unregulierten Papiergelds (herausgegeben von meist königlich oder fürstlich privilegierten Privatbanken).

3. Um 1880 bis um 2010: Aufstieg des Bankengeldss vs Niedergang des Bargelds. 

4. Einsetzend mit den 2020ern: Aufstieg des digitalen Gelds, speziell als digitales Zentralbankgeld vs Rückgang des Bankengelds.

Aus der Geschichte lernen wir, dass alte Geldarten durch neue (vielleicht bessere, sicher aber effizientere) zwar verdrängt, aber nicht sofort oder gänzlich abgeschafft werden, wie das antiquierte Münzgeld beweist. Wir lernen auch: Geld ist nicht gleich Geld. Es gab in der Neuzeit immer mehrere Geldarten nebeneinander.. Huber gliedert die aktuell verwendeten Geldarten in drei Stufen: 1. Basisebene, 2. Stufe, 3. Stufe. Diese Gliederung beruht auf zwei Merkmalen: "Eines ist die technische Form (Münzen, Papiergeld, Buchgeld, Digitalgeld),. Das andere Merkmal sind die Herausgeber des betreffenden Geldes, zum Beispiel Finanzministerium (Münzen), Zentralbank (Noten und Reserven), Banken (Bankengeld / Kreditgeld), Geldmarktfonds, E-Geld-Institute, lokale oder andere Gemeinschaften (Komplementärwährungen)." (21)

1. Basisebene: Bargeld in Form von Münzen, Zentralbanknoten, Zentralbankreserven (Guthaben auf Zentralbankkonto) und (in Entwicklung) Digitales Zentralbankgeld CBDC (Central Bank Digital Currency).

"Von einer staatlichen Zentralbank herausgegebenes Geld - sei es Bargeld, Noten, Reserven oder CBDC - ist chartales Geld, hoheitliches Fiatgeld, Basisgeld, Vollgeld, unbeschränkt gültiges gesetzliches Zahlungsmittel. Das sind verschiedene Bezeichnungen für dieselbe Sache unter verschiedenen Aspekten bzw. in verschiedenen Diskurs- und Theoriekontexten. Was den Ausdruck gesetzliches Zahlungsmittel angeht, so bedeutet er nicht, dass solches Geld benutzt werden muss, wohl aber, dass die Andienung solchen Geldes vom zu Bezahlenden nicht abgelehnt werden darf. Heute allerdings nehmen viele Stellen Zahlungen in Bargeld nicht mehr an und bestehen darauf, bargeldlos mit Bankengeld bezahlt zu werden. [Anm. HTH: Bargeldzahlung ab einer gewissen Höhe wird sogar schon verboten!] Bankengeld ist nicht Basisgeld [=Vollgeld] und kein gesetzliches Zahlungsmittel, sondern ein privates Geldsurrogat zweiter Stufe." (25)

2. Stufe: Liquides Bankengeld und deaktiviertes Bankengeld (Spar- und Termineinlagen).

Bankengeld "läuft unter etlichen Bezeichnungen, darunter Giraldgeld (Girokonto-Guthaben), Buchgeld, Sichteinlagen/Sichtdepositen, täglich fällige bzw. laufend fällige Bankverbindlichkeiten gegenüber Nichtbanken-Kunden. [...] obwohl Bankengeld ein Ersatzmittel für das Vollgeld der Zentralbank darstellt, ist es dennoch zu einem allgemeinen, bei allen Akteuren und für alle Zwecke gebräuchlichen Zahlungsmittel, also zu Geld eigener Art geworden. Der Kontoeintrag der Bank erzeugt und ist dieses Geld. [...] Von da her wird Bankengeld, genau wie Zentralbankgeld, oft als 'Kreditgeld' bzw. 'Schuldgeld' bezeichnet. Als metaphorisches Kürzel ist das praktisch, allzu wörtlich genommen ist es irreführend. Der Kreditvertrag, das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis zum einen, und das Geld zum anderen sind zwei verschiedene Dinge." (27)

3. Stufe: Geldmarktfonds-Anteile, E-Geld, Stable-Coins, Komplementärwährungen, entstanden seit den 1970/80ern.

Diese neuen Geldarten "fußen ihrerseits auf Bankengeld. Sie werden auf unterschiedliche Weise 1:1 gegen Bankengeld und teils andere der neuen Geldarten herausgegeben. [...] Die Emittenten der neuartigen Zahlungsmittel sind in vielen Fällen sog. Fintechs, auch Bigtechs, IT-Firmen, Webfirmen, Zahlungsdienste, Finanzmakler ua. Sie sind keine herkömmlichen Banken, auch wenn sie, wie Geldmarktfonds, als eigenständige Kapitalanlage-Gesellschaften zu einer Bank gehören mögen. [...] Die neuen Geldemittenten zu den Schattenbanken zu zählen, ist teils zutreffend, teil nicht. Zutreffend, insofern diese Emittenten in gewisser Weise Depositen entgegennehmen und einen Geldservice erbringen, aber unzutreffend, weil die meisten Schattenbanken Finanzintermediäre sind (Kreditgeber, Kreditvermittler, institutionelle Investoren), die keine eigenen Zahlungsmittel herausgeben, sondern im Wesentlichen mit Bankengeld arbeiten." (32)

Die Frage "Was ist Geld?" stellt Huber nicht direkt, er untersucht aber akribisch, wie es in Umlauf kommt und wie es gedeckt (abgesichert, gewährleistet) wird, kurz: wie es funktioniert. Ausgeklammert bleibt dabei die Frage, wie Geld zum Machtfaktor wird und von wem es für Machtzwecke eingesetzt wird. Das ist kein Defizit dieses Buches, weil es dazu bereits genügend Literatur gibt (u.a. Michael Hudson: Der Sektor, Wolfgang Freisleben: Das Amerika-Syndikat, Neil Irwin: Die Alchemisten, George Soros: Die Alchemie der Finanzen, Christina von Braun: Der Preis des Geldes). Die folgenden Auszüge aus dem Buch "Zeitenwende" sind ein Beitrag zum besseren Verständnis des Geldes selbst, des Geldes als Fundament der Realwirtschaft (Produktion, Dienstleistung) ebenso wie der Irrealwirtschaft (Finanzindustrie), insbesondere zu folgenden Themen: 1. Geldschöpfung, 2. Geldmarkt, 3. Geldpolitik.