Mind and Spirit + Glaube und Vernunft - Epistemologie

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wikipedia: "Der Ausdruck Epistemologie (französisch épistémologie) wird synonym für Erkenntnistheorie verwendet, das Teilgebiet der Philosophie, das sich mit der Frage nach den Bedingungen von begründetem Wissen befasst." Oswald Spengler hat sich in seinem Monumentalwerk "Der Untergang des Abendlandes" immer wieder mit Kants "Kritik der reinen Vernunft" auseinandergesetzt. Spengler ist ein Denker der Tiefe, der aber bei der Rezeption Kants nur an der Oberfläche gekrazt hat. (SIEHE Spengler vs Kant)

Bei der Lektüre von Kant fällt auf, dass der Philosoph zahlreiche Begriffe verwendet, die nicht von vornherein eindeutig definiert werden, ganz im Gegenteil: Die Bedeutungen von Begriffen liegen nicht eindeutig vor, sondern werden von Kant ergründet, entwickelt und erfasst. Das ist das Prinzip der kritischen Methode im Unterschied zu einer Analyse, die in eindeutigen Definitionen endet. Die kritische Methode ist konstruktiv, aufbauend und offen, die analytische Methode ist definitiv, eingrenzend und ausgrenzend. Nur so kann man den vielfach missverstandenen Satz verstehen: „Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor“ (Prolegomena § 36).

Versuch einer Einordnung der Schlüsselbegriffe der Kritik der reinen Vernunft:

Anschauung ist jede Form des Schauens: vom beiläufigen (unwillkürlichen) Schauen während eines Spaziergangs bis zum konzentrierten, systematischen Beobachten eines Gegenstandes. Gegenstand ist alles, was dem Menschen (Subjekt) gegenüber oder entgegen steht (Objekt). Alle Anschauungen sind sinnlich und daher a posteriori. Kants missverständliche Formulierung "Raum und Zeit sind reine Anschauungsformen" müsste man korrekt so formulieren: Raum und Zeit sind reine Begriffe a priori als Bedingung der Möglichkeit jeder sinnlichen Anschauung.

Wahrnehmung ist die zielgerichtete Anschauung eines Gegenstandes aus einer bestimmten Perspektive (optisch, physikalisch, biologisch, chemisch) und setzt entsprechende Begriffe (einfache Definitionen) voraus: Das ist ein Stein. Das ist eine Blume. Wahrnehmung impliziert nicht nur Anschauung, den Sehsinn, sondern alle Sinne. Man kann einen Gegenstand dann wahrnehmen, wenn man ihn im buchstäblichen Sinne angreifen und somit begreifen kann. Durch die Wahrnehmung entwickeln wir Begriffe, durch die Begriffe nehmen wir Gegenstände wahr. Alle Wahrnehmungen sind a posteriori.

Erkenntnis ist das Ergebnis einer Abfolge von Anschauungen und Wahrnehmungen, die geprüft (falsifiziert oder verifiziert) wurden. Anschauung, und Wahrnehmung sind Vorstufen der Erkenntnis, die Kant auch „Erfahrungserkenntnis“ oder ganz einfach „Erfahrung“ nennt. Davon abzugrenzen sind Vernunfterkenntnisse (laut Kant das ganze obere Erkenntnisvermögen). Die Form einer Erkenntnis ist ein Satz. Es ist klar, dass nicht jeder Satz eine Erkenntnis darstellt. Ganz im Gegenteil, die meisten Sätze sind (unbegründete) Behauptungen, Meinungen, Vorurteile, (willkürliche) Vermutungen, Absichts- oder Willenserklärungen, Appelle, Befehle, Vorschriften oder (systematische) Spekulationen. 

Empfindung ist die unmittelbare Wahrnehmung von unfassbaren Gegenständen, d.h. von Gegenständen außerhalb unserer Reichweite. Gegenstand der Empfindung ist die Erscheinung, prototypisch für die Erscheinung ist die Sonne! Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter – das sind unmittelbare Empfindungen. Diese brauchen keine Vermittlung durch Eltern, Lehrer oder gar Wissenschafter. Unmittelbare Empfindungen brauchen auch keine Begriffe. Auch Tiere und Pflanzen empfinden Sonnenaufgang und -untergang und richten ihr Leben danach aus, genau so wie die Menschen trotz aller Erkenntnisse, die dieser Empfindung widersprechen. Empfindungen sind weder a posteriori, noch a priori, sie sind unmittelbar. Empfindungen die man vermittelt (anderen Menschen mitteilt) sind selbst keine Empfindungen, sondern Erzählungen (große Erzählungen wie die Religionen, Mythen und Sagen, oder kleine, wie „Narrative“ – so der moderne Ausdruck für subjektive Wahrheiten oder gar Lügen, die uns Politiker täglich erzählen, wenn sie ihr eigenes Handeln mystifizieren oder tabuisieren.)

Erlebnis kommt im Unterschied zur Empfindung von innen. Man spricht von Schmerz-Empfindung, wenn ein äußeres Ereignis bei einem Menschen Schmerz auslöst. Wenn ein Mensch stirbt, kann dieses Ereignis bei seinen nächsten Verwandten Schmerzempfindungen auslösen – doch hier ist der konventionelle Sprachgebrauch ungenau. Genauer gesagt ist dieser Schmerz ein inneres Gefühl, das Gefühl der Trauer. Dieses Gefühl kommt aber von innen, dieses Gefühl erleben nur jene Menschen, die mit dem Verstorbenen eine innere Beziehung hatten. Wer den Verstorbenen nur „aus der Ferne“, äußerlich kannte, kann den Schmerz der Trauer in dem Fall nicht erleben, sondern nur mit einzelnen Hinterbliebenen, mit denen er persönlich verbunden ist, mitfühlen. Trauer und Freude, Gefühle und Mitgefühle kann man nur erleben, nicht empfinden – bestenfalls als Schauspieler nach-empfinden (= nachahmen). Erlebnisse sind Affekte (Gefühlsregungen), die – so wie metaphysische Spekulationen oder Glaubenssätze – nicht der Erkenntnis zugänglich sind (hier sind die Grenzen der Erkenntnis erreicht). Es gibt alltägliche Erlebnisse, von denen wir die meisten schnell wieder vergessen, und prägende Erlebnisse, die unser Verhalten und unsere Haltung beeinflussen. Die äußere Form des Erlebnisses ist das Ereignis.

Vorstellung ist „das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen“. Genau genommen definiert Kant mit dieser Formulierung die „Einbildungskraft“ und stiftet Verwirrung, indem er zwischen reiner und sinnlicher Vorstellung unterscheidet. Vorstellung und Einbildung sind bei Kant Synonyme, ebenso Vorstellungskraft und Einbildungskraft. Kant spricht vom Vorstellungsvermögen, nicht aber vom „Wahrnehmungsvermögen“. Den fallenden Apfel kann jeder mit offenen Augen wahrnehmen. Dazu ist keine Fähigkeit (kein Vermögen) erforderlich. Die Vorstellung von einem fallenden Apfel kann mit geschlossenen Augen erfolgen und impliziert das Wissen, warum er fällt (Kausalitätsprinzip + Schwerkraft). Die Vorstellung kann auch bloße Erinnerung sein, das Vorstellungsvermögen bleibt aber nicht beim „inneren Film“ stehen, sondern kann dazu führen, dass sich ein Farmer überlegt, wann und wie er die Äpfel erntet, bevor sie vom Baum fallen und am Boden verderben. Einbildungskraft im heutigen Verständnis ist stärker mit dem Wort Phantasie verwandt als zu Zeiten Kants, der Phantasie nur den Künstlern zugestand. So wie Wahrnehmung mit Begreifen und Begriffen verbunden ist, ist die Vorstellung mit Bildern und Symbolen verknüpft. Die Vorstellungskraft von Technikern findet ihren Ausdruck in Plänen und Programmen; das Symbol der Technik ist der Print. Die Vorstellungskraft von Unternehmern findet ihren Ausdruck in Organisationen, die Symbole der Unternehmen sind ihre Logos. Bilder, Pläne, Symbole und Logos sind dazu da, ganz bestimmte Vorstellungen bei jedem, der sie sieht und versteht, auszulösen.

Urteil ist die letzte, abschließende Form der Erkenntnis, genauer gesagt: das abschließende Ergebnis eines Erkenntnisprozesses. Wie das Urteil eines Gerichtsprozess zeigt, ist ein Urteil zwar abschließend, aber niemals endgültig, solange es noch eine höhere Instanz gibt. Höhere Instanzen finden wir auch in der Naturwissenschaft und in der Geschichtsschreibung. Hier treffen sich die Weltanschauungen von Kant und Spengler wieder. Die höhere Instanz der Wissenschaften ist der Fortschritt (Naturwissenschaften, Kant) oder die organische Entwicklung einer Kultur (Geschichte, Spengler). Höhere Instanzen sind (im Idealfall) natürliche Autoritäten (Natur und Kultur), die aber in der Realität oft durch politische Autoritäten (im schlimmsten Fall Willkürherrscher), außer Kraft gesetzt werden.

Dies ist das „kleine Einmaleins“ zum Verständnis des Erkenntnisvermögens der Menschen. Aller Menschen? Aller Menschen, die der abendländischen Zivilisation anghören. Nicht enthalten sind im „kleinen Einmaleins“ weitere Schlüsselbegriffe (Keywords) der Kritik der reinen Vernunft, von denen die wichtigsten sind (zitiert nach Ausgabe 1971, Felix Meiner Verlag):

Ästhetik, Analytik, Anschauung, Antizipation, Antinomie, Antithetik, a priori, a postriori, Apperzeption, Assoziation, Axiom, Bedingung, Begriff, Bestimmung, Beweis, Bewusstsein, Dasein, Deduktion, Definition, Deklaration, Demonstration, Denken, Dependenz, Dialektik, [Dialog fehlt], Diskurs, Dogma, Doktrin, Dualismus, Dynamik, Einfluss, Einheit, Empirismus, Erfahrung, Erkenntnis, [Erlebnis fehlt], Erörterung, Erscheinung, Existenz, Form, Funktion, Gattung, [Gedächtnis und Erinnerung fehlen] Gegenstand, Gesetz, Glaube, Gott, Grundsatz, Gut, Gültigkeit, Handlung, Harmonie, Heuristik, Hypothese, Ich, Ideal, Idealismus Idee, Identität Illusion, Imperativ, Inhärenz, Intelligenz, Interesse, Kanon, Kategorien, Kausalität, Konstruktion, Kontinuität, Kosmologie, Kritik, Kultur, Leitfaden, Logik, Materie, Materialismus, Mathematik, Maxime, Metaphysik, Methode, Modalität, Möglichkeit, Moment, Monaden, Moral, Mythos, Natur, Naturgesetze, Negation, Nichts, Notwendigkeit, Objekt, Organ, Ort, Paralogismus, Phänomen, Philosophie, Physik, Physiologie, Position, Postulat, Prinzipien, Progress, Psychologie, Qualität, Quantität, Rationalismus, Raum, Realismus, Realität, Regel, rein, Relation, Religion, Schein, Schema, Schematismus, Seele, Selbstbewusstsein, Sinnenwelt, Sinnlichkeit, Sittlichkeit, Skeptizismus, Spezifikation, Spekulation, Spiritualismus, Spontaneität, Subjekt, Substanz, Synthesis, System, Teleologie, Theologie, Thesis, Totalität, transzendental, Überlegung, Überzeugung, Unendlichkeit, Unsterblichkeit, Urbild, Urgrund, Ursache, Urteil, Urteilskraft, Veränderung, Vernunft, Vernunftbegriffe, Verstand, Vorstellung, Vollkommenheit, Wahrheit, Wahrnehmung, Wahrscheinlichkeit, Welt, Widerspruch, Willkür, Wirklichkeit, Wissenschaft, Zahl, Zeit, Zufälligkeit, Zweck.