Denkstrukturen in Ethik und Ästhetik
„Ästhetik ist etwas für pensionierte Wissenschaftler oder gelangweilte Frauen, die sich mit Mode beschäftigen“.
Diese Auffassung vertreten immer noch Viele. So ist das jedoch nicht. Im deutschen Idealismus Hegels ist die Ästhetik neben Logik und Ethik die dritte Grundsäule der Philosophie. Zu Unrecht wird der Ästhetik unterstellt, sie sei ein Bereich für Relativität und Beliebigkeit, also weitgehend Geschmackssache.
Demgegenüber ist unser methodischer Ansatz die cartesianische Subjekt-Objekt-Spaltung. In diesem Zusammenhang ist Subjektivität eine autonome Kategorie als Antithese zur Objektivität. Sie sind inkommensurable, d.h. nicht mit gleichem Maß messbar.,
Während der Objektivität Eigenschaften wie Notwendigkeit, Gesetzmäßigkeit, Messbarkeit zugeordnet werden, ist die Subjektivität ein Raum der Freiheit, der Phantasie und des Unkonventionellen und damit eine Bereicherung des Denkens und die Überwindung von Konventionen.
Nichts ist dem ästhetischen Denken näher als das ethische Denken. Was ist das ethische Denken? Es ist uns eher vertraut, als das ästhetische Denken. Warum? Das ethische Denken orientiert sich an allgemein gültigen Grundwerten (das Wahre, das Gute, das Gerechte) als Maßstab der Beurteilung. Hinzu kommen Grundnormen und Konventionen als Soll-Grundsätze. Moral heißt in diesem Zusammenhang Theorie und Praxis. Ethik kann formal, kantianisch sein („… das moralische Gesetz in mir“, i.S. des kategorischen Imperativs) oder inhaltlich-situativ, materiell und wertorientiert, wie der Philosoph Max Scheler es formulierte.
In beiden Fällen liegt der Ethik eine rationale Struktur zugrunde.
Ästhetisches Denken impliziert das ethische -, geht aber darüber hinaus, in eine höhere Ebene: von der Relativität der Moral in die Absolutheit des Schönen. Dies ist eine Art qualitativer Sprung (siehe Skizze) vom Rationalen in das Surreale und Poetische.
Ästhetisches Denken ist a priori komplex. Es verbindet Rationalität und Emotionalität, indem es eine Trias aus 1. Sinnlich-Körperlichem, 2. Irrational- Seelischem und 3. Spekulativ-Geistige bildet.
Ästhetisches Denken findet zwischen Sinnlichkeit und Werthaftigkeit statt. Das Sinnliche drückt sich als Reiz-Reaktions-Zusammenhang aus, wobei ein Reiz mitunter auch mehrere Reaktionen auslösen kann. Gleichzeitig wird das Wahrgenommene an Werten gemessen. Das ästhetische Denken folgt der irregulären Dynamik, d.h. es vollzieht sich intuitiv und spontan, wobei das jeweilige Urteil nicht voraussehbar ist.
Beispiel: Eine Frau will ein Kleid kaufen, das vor ihr auf dem Tisch liegt. 1. Sie berührt es und reibt den Stoff zwischen den Fingern (Körper, das Sinnliche) 2. Die Farbe wird ausgesucht nach Gefallen und Absicht (Seele) 3. Die Form des Schnittes als Idee (Geist, das Erscheinungsbild), Diese Trias von Leib, Seele und Geist macht die Synästhesie verschiedener Sinnesorgane und damit die Intensität der Empfindung und die Begeisterung für den Gegenstand der Betrachtung aus. Wenn die Frau von dem Kleid fasziniert ist, entsteht der Wunsch, es zu besitzen, und sie fragt nicht nach dem Preis. Sie gerät so in einen Zustand von Hyperästhesie (Überempfindlichkeit), d.h. sie wird vom Reiz überwältig. Das Gegenteil ist die Anästhesie (Empfindungslosigkeit, Narkose). Eine Steigerung der Empfindungslosigkeit stellt die Anti-Ästhetik dar (die Zerstörung von Weltkultureben wie z.B. Palmyra/Syrien oder der Buddha-Skulpturen in Afghanistan). Ein besonders krasses Beispiel für Anti-Ästhetik ist die grausame Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi 2020 in Istanbul. In der Verurteilung dieser Tat regt sich eine Art ästhetisches Weltbewusstsein.
Ein Beispiel für Hyper-Ästhesie sind die Naturbilder van Goghs. Ganz vom Mistral Südfrankreichs ergriffen und obwohl sein Leben von den massiven Stürmen bedroht wurde, ging der Maler mit seiner Staffelei hinaus, um diese naturgewaltigen Bilder zu schaffen. Den Warnungen seines Malerkollegen Gaugin nicht nach draußen zu gehen, entgegnete er: „Ich muss malen, denn die Natur ruft mich.“ Diese Bilder besitzen immer noch ihre Ausstrahlungskraft. Sie haben weltgeschichtliche Bedeutsamkeit.
Ethikwerte sind primär rational. So antwortete z.B. Aristoteles als er gefragt wurde, warum die Gerechtigkeit notwendig sei, „..,weil sie vernünftig ist“. Die Idee der ethischen Notwendigkeit trifft demgegenüber nicht auf die Ästhetik zu. Die Ästhetik ist der Bereich der absoluten subjektiven Freiheit und der Phantasie. Während die ethischen Gesetze zu einer Art Legalismus führen, ist im ästhetischen Denken das Gefühl, die Intuition, die Intensität der Wahrnehmung und die Qualität der Empfindung vorherrschend..
Zum Verhältnis: Politik und Ästhetik
In der praktischen Politik ist das Denken primär interessenorientiert, während ästhetisches Denken als Bewusstseinsakt vorrangig erkenntnis- und wertorientiert ist. Trotz dieser scheinbaren Gegensätzlichkeit nimmt die Ästhetik mitunter bewusst, unbewusst oder assoziativ erheblichen Einfluss auf Ideologie und politisches Handeln.
Beschreiben wir die Ästhetik als sinnliche Darstellung einer Idee, so definieren wir das Politische als Durchsetzung machtpolitischer Ansprüche und zur Begründung von Herrschaftsprogrammen. Ausdruck politischer Ästhetik sind beispielsweise Wahlplakate, die durch Farbe, Formen und Symbole die Wähler ansprechen und überzeugen sollen.
In der Diplomatie kommt die Ästhetik u.a. in der sogenannten Business-Kleidung zum Tragen. Ein Aufsehen erregender Verstoß gegen diese Regel war 1985 die sportliche Kleidung (Turnschuhe) bei der Vereidigung von Joschka Fischer zum ersten grünen Umweltminister im Hessischen Landtag in Wiesbaden.
Auf der politischen Ebene unterliegt der Umgang miteinander ebenfalls gewissen ästhetischen Regeln: Bei Diskussionen in den Parlamenten gelten Grundsätze des höflichen Umgangs. Diese werden mitunter in der Hitze der Auseinandersetzungen gröblich verletzt. Beispiele hierfür sind Schlägereien im Parlament der Ukraine, im türkischen Parlament und anderen.
Folgerung
Die politische Philosophie der Ästhetik verdeutlicht die objektive Erkenntnis, dass die Natur die absolute Schönheit verkörpert. Damit verlagert sich die Thematik in Richtung Ökologiediskussion. Die Ökologie wird als die Antithese zur Ökonomie betrachtet. Einige Regierungen, darunter insbesondere die
US-Regierung unter Trump haben durch die Verabsolutierung ökonomischer Kriterien die Ökologie sträflich vernachlässigt. In unserer Schrift „Global Science …“ plädieren wir für den Ausgleich zwischen diesen beiden Paradigmen. Dieser ist nur möglich durch das Umdenken der Menschheit von der Beherrschung der Natur zu einer Aussöhnung und zum Dialog mit der Natur, wie der Nobelpreisträger Ilya Prigogine gefordert hat.