Mit Vorsicht zu genießen: Wikipedia - Wiki und die Geheimdienste

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Teil 3: Mächtiges Weltmonopol

von Bernd Stracke

Eine der umfassendsten Wiki-Analysen hat Thomas Röper auf anti-spiegel.ru unter dem Titel „Wikipedia – Online-Lexikon oder Propagandainstrument? Geschichten aus Wikihausen – Neuigkeiten aus Absurdistan“ verfasst. (Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.)

Röpers erste Feststellung: Wikipedia ist eines nicht – ein Online-Lexikon. Als Röper 2015 sein Buch über die Ukraine-Krise schrieb, arbeitete er viel mit Wikipedia. Dass Wikipedia keine wissenschaftliche Quelle ist, war ihm klar. Auf Wikipedia gab es aber viele Artikel über den Maidan, die Ukraine-Krise, die Krim und so weiter. Bei der Analyse der Wikipedia-Artikel auf Deutsch, Englisch, Russisch und Ukrainisch stellte er die Unterschiede der Wikipedia-Fassungen in den verschiedenen Sprachen fest. Röper erkannte, dass in den deutschen Wikipedia-Artikeln viele Informationen fehlten und sich auch viele Unwahrheiten in den Artikeln fanden. Dennoch war Wikipedia für Röper – ungewollt – sehr hilfreich, denn er hatte sich angewöhnt, nicht den Artikeln zu glauben, sondern las stets die angegebenen Quellen. Er stellte fest: In der deutschen Wikipedia war man besonders dreist, denn teilweise stand in den Quellen das Gegenteil von dem, was in dem Wikipedia-Artikel unter Bezug auf die Quelle zu lesen war! Schon damals verstand er, dass die deutsche Wikipedia nicht objektiv über Ereignisse berichtet, sondern sie nach Lesart der transatlantischen Propaganda darstellt, auch wenn dafür die Wahrheit stark verbogen werden muss. Später stieß er auf den Film „Die dunkle Seite der Wikipedia“ von Markus Fiedler. Sein Motiv, den Film zu machen, war der Wiki-Artikel über den Friedensforscher Dr. Daniele Ganser, der in seinen Vorträgen zu verschiedenen Themen sehr korrekt vorgeht und transparent seine Quellen nennt. Was Ganser erzählt, ist also nachprüfbar. Aber er stellt unbequeme Fragen zu 9/11, zu den Kriegen der Nato und zu den Medienberichten über diese Themen. In der Wikipedia wird Ganser als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet und sogar in die Nähe von Holocaust-Leugnern gestellt. Wer derartige Verleumdungen korrigieren möchte, wird bei Wikipedia kommentarlos auf Lebenszeit gesperrt. Das war Fiedler aufgefallen, und daher fing er an zu recherchieren. Das Ergebnis war der Film, der aufdeckt, wie die Wikipedia in Deutschland funktioniert und wer dort das Narrativ vorgibt.

Heute analysiert und kritisiert Markus Fiedler zusammen mit Dirk Pohlmann in der Sendereihe „Neues aus Wikihausen“ die Wikipedia weiter. Dabei stellte sich heraus, dass das System Wiki nicht nur ein „deutsches Phänomen“, sondern international etabliert ist. Journalisten in den USA kamen unabhängig von Fiedler und Pohlmann zum Ergebnis, dass in der Wikipedia einige wenige User fast alle Artikel bearbeiten und „beherrschen“. Die wichtigste Gemeinsamkeit sei, dass dabei konsequent die transatlantische und die pro-israelische Linie vertreten werde und jeder, der Fakten in Artikel einarbeiten möchte, die dem widersprechen, verwarnt oder sogar gesperrt wird. Korrigierende Änderungen würden nicht zugelassen. In einer Konferenz über Pressefreiheit berichtete Pohlmann den versammelten internationalen Journalisten anhand von Beispielen, wie Journalisten, Kabarettisten und Autoren, die sich gegen das Wiki-Narrativ stellen, systematisch verleumdet werden. In Wikipedia-Artikeln werden sie in die „rechte Ecke“ gestellt und als Spinner gebrandmarkt. Für einen Kabarettisten kann das den Ruin bedeuten, denn Veranstalter weigern sich oft, jemandem einen Saal zu vermieten, über den derartiges in der Wikipedia steht. Trauben von internationalen Journalisten, die Pohlmann nach dem Vortrag umringten und gedacht hatten, sie seien Einzelfälle, waren für ihn der Beweis dafür, dass es bei Wiki ein System vorliegt.

Instrument für Rufmord, Knebelung der Meinungsfreiheit

Kampagne gegen Uwe Steimle: Wiki sei nicht nur ein Instrument der transatlantischen und pro-israelischen Propaganda, sondern habe noch eine zweite Funktion: Menschen, die sich gegen diese Propaganda stellen, sollen durch Verleumdung mundtot gemacht werden. Zum Beispiel wurde der beliebte Kabarettist Uwe Steimle beim MDR wegen seiner (angeblich) rechten Einstellung gefeuert. Steimle warf nämlich dem MDR „mangelnde Staatsferne“ vor. Öffentlich-rechtliche Sender sind aber nun einmal staatlich und werden geleitet von Personen, die von den politischen Parteien ernannt werden. Und finanziert werden sie durch gesetzliche Zwangsbeiträge. Da kann man schlecht behaupten, diese Sender wären „staatsfern“, im Gegenteil. Ein weiterer Vorwurf gegen Steimle lautete, er habe in einem Interview gesagt, Deutschland sei „ein besetztes Land“. Im Spiegel lasen sich die Vorwürfe zusammengefasst so: „Der sächsische Komiker ist wegen seiner politisch kontroversen Äußerungen seit Langem umstritten. In dem von Jacobi angesprochenen Interview mit der Wochenzeitung Junge Freiheit hatte der 56-Jährige Deutschland als „besetztes Land“ bezeichnet und einen staatsfernen Rundfunk bestritten. Im vergangenen Juni ließ sich Steimle mit einem „Kraft durch Freunde“-Shirt fotografieren – eine Anspielung auf die nationalsozialistische Freizeitorganisation. Entgegen der Spiegel-Behauptung war das keineswegs der Fall, sondern der über 40 Jahre alte Satz war eine eindeutige Kritik an nationalsozialistischen Ideen. Schon in den 1970er Jahren hatte der Kabarettist Werner Fink eine Platte mit dem Titel „Kraft durch Freunde“ herausgebracht. Und Fink steht als ehemaliger KZ-Häftling sicher nicht im Verdacht, mit NS-Ideen zu sympathisieren. Steimle hat also seine Meinung offen geäußert, sowohl in seiner Funktion als Kabarettist, als auch als Privatmann in Interviews. Das reicht in Deutschland heute aus, um seinen Job zu verlieren. Man muss Steimle nicht zustimmen oder mögen, aber er hat ein Recht auf seine Meinung. Aber man kann im Spiegel auch lesen, dass die Sache eine Vorgeschichte hat, dass Steimle schon „seit Langem umstritten“ war. Und in dieser Vorgeschichte kommt Wikipedia ins Spiel. Der Wikipedia-Artikel über Steimle war bis Juni 2015 sachlich. Er berichtete von Steimles Wirken und den Preisen, die er gewonnen hatte. Am 11. Juni 2015 trug dann aber jemand folgendes ein: „Steimle erklärte bei seinem zweiten Auftritt bei der WDR-Kabarettsendung Mitternachtsspitzen: „Wieso zetteln die Amerikaner und Israelis Kriege an und wir Deutsche dürfen den Scheiß bezahlen?“ Dies dechiffrierte Jan-Philipp Hein für den Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (SHZ) dahingehend, dass die Juden mal wieder die Welt in Brand setzen würden, dabei die US-Regierung kontrollieren und die Mittel dafür den Deutschen abpressen, indem sie aus deren schlechtem Gewissen bezüglich des Holocaust seit Jahrzehnten bekanntlich Profit schlagen. Hein wertete dies als Beleg dafür, dass antisemitische Ressentiments im deutschen Fernsehkabarett als Humor getarnt weiterleben.“ Wenn man nun weiß, dass Steimle ein Linker und Unterstützer der Friedensbewegung ist, der sogar von der Partei „Die Linke“ einst zur Bundesversammlung eingeladen wurde, entpuppen sich diese Vorwürfe als lächerlich. Aber sie standen nun in der Wikipedia. Die Versionsgeschichte von Steimles Wiki-Artikel wurde von einem User namens Feliks regelrecht gekapert. Der hatte am 11. Juni diesen Eintrag gemacht und von da an hunderte weitere Änderungen in den Artikel geschrieben. Wer in der heutigen Version die Rubrik „Kontroversen um Steimle“ liest, bekommt den Eindruck, man habe es mit dem Teufel persönlich zu tun. Aber alles hatte mit diesem einen Eintrag begonnen, dessen Grund eine humoristische Äußerung Steimles in seiner Kabarett-Sendung war, und über die irgendein kleiner Reporter einen Artikel schrieb, in dem er Steimle Antisemitismus vorwarf. Wobei: Es war kein Artikel, sondern eine Kolumne. Sie erschien unter der Überschrift „Darf Satire wirklich alles? – Fernsehkabarett – da wo der Antisemitismus blüht.“ Und der Grund für Aufregung war der eine Satz von Steimle: „Wieso zetteln die Amerikaner und Israelis Kriege an, und wir Deutsche dürfen den Scheiß bezahlen?“ Was ist an dem Satz falsch? Es ist doch tatsächlich so, dass Deutschland für die Kriege der Israelis und der Amerikaner bezahlt. Die US-Kriege bezahlen wir in Deutschland mindestens, indem wir über eine Million Flüchtlinge aufgenommen haben, die es ohne die Kriege der USA im Nahen Osten und in Libyen nicht gegeben hätte. Und Israel wird von Deutschland kräftig unterstützt, sogar hochmoderne und vermutlich atomwaffenfähige U-Boote wurden Israel von Deutschland teilweise geschenkt. Steimles Fehler war wohl, dass er gegen das Narrativ sprach. Zu 60 Prozent stammt der Steimle-Eintrag von „Feliks“, der so ziemlich alle Artikel dominiert, die mit Israel zu tun haben. In der deutschen Wikipedia erscheint Israel daher als friedliebender Staat, der nie gegen das Völkerrecht verstoßen würde, und die Palästinser leben dank Israel in Freiheit und Wohlstand (ein wenig überspitzende Ironie sei an dieser Stelle erlaubt). Um das klar zu sagen: Hier geht es um die Politik Israels, um seine Regierung, nicht um die Menschen in dem Land, mögen es Juden, Araber oder Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sein. Man muss immer zwischen den Menschen und ihrer Regierung unterscheiden. Jemand, der die Politik Frankreichs kritisiert, ist nicht „anti-französisch“, aber wer die Politik Israels kritisiert, der ist für Feliks ein Antisemit, und das nur aufgrund einer Kolumne, nicht aufgrund von Fakten. Feliks und der Kolumnist Hein sind jedenfalls über Twitter miteinander verbunden, sie könnten sich also kennen und den Rufmord an Steimle gemeinsam inszeniert haben. Jedenfalls sprangen dann andere Medien auf den Zug auf und fuhren eine Kampagne gegen Steimle. Das zeigten Fiedler und Pohlmann sehr unterhaltsam in Folge 26 von „Neues aus Wikihausen“ auf.

Wie einzelne User nach Belieben Artikel manipulieren

Hier geht es um Folter und darum, wie diese durch Wiki-Autoren verschleiert wird. Dazu sehen wir uns einen Artikel über ein israelisches Foltergefängnis an. In Israel gab es das sogenannte Camp 1391, das in der deutschen Wikipedia allerdings nichts als „Lager“ bezeichnet wird, sondern als „Anlage 1391“. Das klingt wahrscheinlich netter als „Lager 1391“. Dieses Lager war streng geheim, auf Luftaufnahmen wurde es sogar herausretuschiert. Seit wann das Lager bestand, ist nicht ,bekannt. Es wurde bereits 1985 genutzt, um ausländische Gefangene zu internieren und zu verhören. Da das Lager geheim war, konnten Gefangenen „verschwinden“. Weder Angehörige noch das Rote Kreuz noch Anwälte wussten, wo die Gefangenen waren oder ob sie überhaupt noch am Leben waren. Auch die Gefangenen selbst wussten nicht, wo sie waren. Wenn sie danach fragten, war die Antwort zum Beispiel: „Auf dem Mond“. Die Haftbedingungen waren schrecklich. Die Zellen waren teilweise nur zwei mal zwei Meter groß, sie hatten keine Toiletten oder Waschbecken und waren komplett schwarz gestrichen. Auf diese Weise konnten die Gefangenen in kompletter Dunkelheit gehalten werden. Schlafentzug war normal und es wurde massiv gefoltert. Gefangene wurden bei Verhören geschlagen und anal wahlweise von Soldaten oder mit Holzstöcken vergewaltigt. Als 2002 eine Menschenrechtsorganisation Klage in Israel einreichte, um herauszufinden, wo einige Palästinenser gefangen gehalten wurden, wurde zwar die Existenz des Lagers bekannt, aber das Gericht verweigerte die Bekanntgabe des Standorts. Lediglich eine Liste der Gefangenen sollten die Behörden herausgeben. Der Standort wurde erst bekannt, als ein Historiker beim Vergleich von Luftbildern feststellte, dass eine alte Polizeistation aus der Kolonialzeit auf modernen Luftaufnahmen weg retuschiert war. So wurde 2004 der Standort bekannt. 2003 griff die Presse das Thema auf, zumindest ein bisschen. Im Zuge der Klage von 2002 wurde ein israelischer Offizier unter dem Namen „George“ bekannt, der der schlimmste „Verhörspezialist“ gewesen sein soll. Und als es um eine Strafe für sein Verhalten ging, meldeten sich auch andere Soldaten zu Wort, die sich über eine mögliche Strafe beschwerten, denn sie hätten ja nur auf Anweisung gehandelt. Die israelische Zeitung Haaretz schrieb damals einen langen Artikel unter der Überschrift „UN fragt Israel zu palästinensischen Foltervorwürfen“.

Darin steht: „Vor dem Bezirksgericht von Tel Aviv ist noch eine Klage von Dirani gegen den Staat Israel und Major George wegen zweier Vorfälle anhängig, bei denen Dirani sagt, er sei sexuellem Missbrauch ausgesetzt gewesen. Im ersten Fall rief George vier der Soldaten hinzu, die Wachdienst in der Einrichtung leisteten, und einer von ihnen soll Dirani auf Befehl von George vergewaltigt haben. In einem anderen Fall, sagt Dirani, habe George selbst einen Holzstab in sein Rektum gesteckt. Das Gericht wird entscheiden müssen, ob diese Dinge so geschehen sind. Eine Durchsicht der eidesstattlichen Versicherungen, die dem Gericht vorgelegt wurden, Zeugenaussagen von Offizieren und Soldaten, die in der Einrichtung gedient haben, und Beweise, die von anderen Häftlingen, die dort waren, gegeben wurden, zeichnen ein Bild einer schrecklichen Routine in den Verhörräumen des Lagers 1391. Im Rahmen dieser Routine haben die Vernehmungsbeamten des Referats 504 extreme Maßnahmen angewendet, um Informationen zu gewinnen.
„Ich weiß, dass es üblich war, mit dem Einführen eines Stocks zu drohen“, sagt T.N., ein Vernehmungsbeamter der Einrichtung, in seiner Aussage gegenüber den Ermittlern der Militärpolizei. „Die Absicht war, dass der Stock eingefügt werden würde, wenn der Gefangene nicht sprechen wollte … Ich erinnere mich an einen Fall, als etwas in dieser Art getan wurde … George verhörte einen der Gefangenen … Er rief S. und mich. Wir kamen in den Raum und S. ließ seine Hose fallen und blieb in seiner Unterwäsche oder er machte Klickgeräusche mit seinem Gürtel, als ob er ihn öffnete … S. tat dies während der Vernehmung, als George [dem Gefangenen] sagte, dass er in den Arsch vergewaltigt werden würde … Ich erinnere mich mit Sicherheit, dass Vergewaltigung angedroht wurde.“
„Ich möchte über diesen Gefangenen hinzufügen, dass er nackt, in Handschellen und mit bedecktem Kopf ins Zimmer kam. S. und ich waren im Zimmer und einer von uns führte ihn durch den Raum und der andere hielt den Stock neben seinem Hinterteil, als Provokation und Drohung, weil er beim (unerlaubten) Liegen erwischt worden war, dass der Stock seinen Arsch geschoben werden würde. Wenn ich sage, dass der Stock neben seinem Hinterteil gehalten wurde, war die Idee, seinen Po mit dem Stock zu berühren und ihn vielleicht sogar nahe an das Rektum zu schieben, damit er denken würde, wir würden ihn wirklich hineinstecken.“
Diranis Beschwerde, zusammen mit anderen Zeugenaussagen über das, was in den Verhörräumen des Lagers 1391 vor sich ging, öffnete eine Büchse der Pandora in der Armee. Georges Verteidigungslinie war klar: Das System, sagte er, habe ihn fallen gelassen; alles, was er getan hatte, wurde mit Genehmigung getan. Jeder wusste davon, jeder gab seine Unterstützung, und jetzt leugnen es alle. Um seinen Fall zu untermauern, präsentiert George eine Petition, die von etwa 60 Reserveoffizieren und Soldaten der Einheit unterzeichnet wurde, in der sie sagen, es sei falsch, dass George persönlichen für die Anwendung von solchen Arbeitsmethoden zahlen muss, die in der Einheit seit vielen Jahren Standard waren.“

Strenge Strafen wurden nicht verhängt, und der Standort von Lager 1391 wurde weiterhin geheim gehalten. Während die französische Le Monde Diplomatique und der britische The Guardian im Jahr 2003 über Lager 1391 berichteten, hielten die deutschen „Qualitätsmedien“ das nicht für berichtenswert. Erst als auch das UNO Komitee gegen Folter 2009 in einem Bericht über die Folter in Israel berichtete, erwähnte das der Spiegel kurz.

Damals konnte man lesen: „Die UNO-Experten werfen Israel vor, palästinensische Gefangene an einem geheimen Ort auf israelischem Staatsgebiet festzuhalten und dort Verhörmethoden anzuwenden, die gegen die UN-Anti-Folter-Konvention verstoßen. Genannt werden unter anderem Schläge, Schlafentzug und das Sitzen in schmerzhaften Stellungen. Insgesamt seien laut UNO zwischen 2001 und 2006 etwa 600 Beschwerden über Misshandlungen oder Folter gegen Israel vorgebracht worden. Den Anschuldigungen sei bisher allerdings nicht nachgegangen worden. Die UN-Experten forderten Israel daher auf, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz Zugang zu der Anlage zu gewähren. Auch Anwälte und Angehörige dürften die Häftlinge in dem Geheimgefängnis bislang nicht besuchen.“ Der Spiegel zitierte auch die Reaktion Israels: „Israel wies die Vorwürfe zurück. Die „Anlage 1391″ werde seit September 2006 nicht mehr als Haftanstalt genutzt, heißt es in einer schriftlichen Antwort. Es fänden dort auch keine Verhöre mehr statt. Die Foltervorwürfe seien von den israelischen Behörden bereits untersucht und entkräftet worden.“ Die Information über die Schließung von Lager 1391 dürfte der Wahrheit entsprechen, denn es war ein Geheimgefängnis und mit der Geheimhaltung war es ja schon seit spätestens 2003 nicht mehr weit her. Aber niemand hat die Frage gestellt, ob nicht einfach ein anderes Geheimgefängnis Lager 1391 ersetzt hat. Hinweise darauf gibt es.

Und nun zu Wikipedia: 2007 wurde in der deutschen Wikipedia ein Artikel über Lager 1391 angelegt, an dessen Ende man las: „Amtlich bestätigt wurde dabei auch eine Anlage Barak; vermutet wird eine weitere bei Tel Aviv namens Sarafend.“ Aber über diese Lager ist nichts bekannt. Diese erste Version des Wikipedia-Artikels über Lager 1391 enthielt auch noch folgende Sätze: „Danach ist den Inhaftierten, die zu 68 Prozent der Folter unterzogen werden, der Zugang zu Anwälten und das Wissen um den Ort des Aufenthalts verwehrt, Familienkontakt nur selten möglich. Es gibt fensterlose Isolationshaft in kleinen Zellen mit Dauerbeleuchtung, was als mentale Folter gilt und zum DDD-Syndrom führt.“ Später fanden sich diese Formulierungen in dem Artikel unter der Überschrift „Menschenrechtsverletzungen“. Das beschauliche Leben dieses Artikels fand am 15. Juni 2017 ein jähes Ende, als sich den Artikel „Feliks“ vor, der es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hat, in der deutschen Wikipedia den Ruf von Israel zu verbessern, und zum vielleicht wichtigsten Autoren für alle Artikel wurde, die mit Israel, den Palästinensern und dem Nahostkonflikt zu tun haben. Dabei entfernte er aus Artikeln konsequent alles, was Israels Politik in ein schlechtes Licht rücken könnte, so auch aus dem Artikel über das Lager 1391. Die Überschrift „Menschenrechtsverletzungen“ verschwand ebenso wie die vielen anderen hässlichen Begriffe. Nachdem Feliks den Artikel am besagten 15. Juni insgesamt 14 Mal verändert hatte, war alles kritische daraus getilgt. In der Folgezeit wurde Feliks der Hauptautor des Artikels, der ein Jahr später über 60 Prozent aller Bearbeitungen durchgeführt hatte. Das endete im September 2018 abrupt. Zu diesem Zeitpunkt gaben Fiedler und Pohlmann bekannt, Feliks‘ Identität aufgedeckt zu haben. Feliks musste nun befürchten, wegen seiner teils nicht statthaften Änderungen von Artikeln und insbesondere wegen seiner Verleumdungen gegen Menschen, die kritisch gegenüber Israel waren, juristisch belangt zu werden. Er hatte nämlich seine Macht als bislang anonymer Wikipedia-Schreiberling ausgenutzt, um viele Menschen, deren politische Einstellung ihm nicht gefiel, in die Nähe von Antisemitismus zu rücken. Feliks prozessierte gegen Pohlmann und Fiedler, weil diese seine Identität öffentlich gemacht haben, verlor den Prozess aber in erster Instanz. Seit dem Feliks den Artikel nicht mehr bearbeitet, sprang nahtlos ein anderer Wikipedia-User namens „Hvd69“ ein. Nun findet sich in dem Artikel zwar die Überschrift „Foltervorwürfe“, das Kapitel geht aber nur in sehr allgemein gehaltenen Formulierungen auf die Vorgänge in Lager 1391 ein. Der deutsche Leser soll offenbar möglichst keine Details erfahren. Im englischen Wikiist der Artikel anders aufgebaut.

Auch dort fehlen zwar deutliche Worte, und das entsprechende Kapitel trägt die nichtssagende Überschrift „Kritik“, aber immerhin erfährt man da – im Gegensatz zur deutschen Version – die meisten Tatsachen. Wikipedia – das angeblich demokratische Online-Lexikon – lässt es zu, dass jemand den Artikel so verfälscht, dass er möglichst harmlos aussieht und dass kritische Veränderungen unterbleiben.

Wikipedia als Propaganda-Sprachrohr der NATO

Im vermutlich vielen bekannten Fall „Gladio und NATO“ spielen Wikipedia und deren Autor „Kopilot“ eine unrühmliche Rolle. Gladio war der Codename für Nato-Strukturen im Kalten Krieg. Die Idee dahinter war, dass im Falle eines Krieges die Sowjettruppen in Westeuropa einfallen würden. Für diesen Fall wurden sogenannte „Stay-Behind-Armeen“ aufgebaut, die dann als Partisanen gegen die Sowjettruppen aktiv werden sollten. Die gab es in jedem Nato-Land in Europa, aber auch im Nicht-Nato-Land Schweiz. Und es dürfte sie immer noch geben, denn Gladio wurde nie von offizieller Seite aufgeklärt, und es wurde auch nie erklärt, dass die Strukturen aufgelöst wurden. Diese autonom arbeitenden Einheiten waren gut ausgerüstet und hatten Waffen, Kommunikationstechnik sowie Geld und Gold, das in unzugänglichen Wäldern für den Tag X versteckt war. In jedem Land hatten diese Strukturen einen eigenen Namen. In Italien, wo die Sache ans Licht kam, hieß sie Gladio, was heute auch als Sammelbegriff für die Stay-Behind-Armeen benutzt wird. Das Problem war (und ist), dass diese Armeen jenseits des Gesetzes und der parlamentarischen Kontrolle arbeite(te)n.

Die Parlamente waren nicht eingeweiht, oft nicht einmal die jeweiligen Regierungen. Als das Ganze 1990 ans Licht kam, soll der belgische Verteidigungsminister seinen Generalstab entgeistert gefragt haben, ob es so etwas auch in Belgien gebe. Als das bestätigt wurde, soll er weiter gefragt haben, warum er als Verteidigungsminister darüber nicht informiert war. Die bestechende Antwort soll gewesen sein: „Ihr Minister wechselt ja sofort, da können wir Euch nicht alles erzählen.“

Ans Licht kam das Ganze in Italien, das eines der wenigen Länder ist, in denen Staatsanwälte nicht weisungsgebunden sind. Sie können in ihren Ermittlungen nur gestoppt werden, indem man sie tötet. In Deutschland hingegen entscheidet die Politik ganz legal darüber, in welchen Fällen Staatsanwälte ermitteln dürfen und in welchen nicht. Was wie eine böse Verschwörungstheorie klingt, ist in Deutschland Gesetz, und nach einer EUGH-Rüge dürfen deutsche Staatsanwälte seitdem keine europäischen Haftbefehle mehr ausstellen, weil ihre Unabhängigkeit von der Politik nicht gegeben ist. Das dürfen seit dem Urteil nur noch Richter. (Quelle: anti-spiegel)

In Italien gelang es jedoch einem hartnäckigen Staatsanwalt (dort heißen sie „Ermittlungsrichter“), den ehemaligen italienischen Premier Andreotti vor Gericht zu bringen, der dann öffentlich zugab, dass Gladio existierte. Und nicht nur das. Es stellte sich heraus, dass Gladio in Italien Terroranschläge verübt hatte (darunter der schwerste Terroranschlag in Italiens Geschichte auf den Bahnhof in Bologna mit fast 100 Toten), die danach den Roten Brigaden in die Schuhe geschoben wurden. Es ging darum, zu verhindern, dass die von den USA gehassten Kommunisten Wahlen gewinnen und an die Macht kommen. Daher sollte die Öffentlichkeit durch die Terroranschläge so beeinflusst werden, dass sie ihr Kreuz „an der richtigen Stelle macht“, also bei den Parteien, die treu zur USA standen. Das sind keine bösen Verschwörungstheorien, das konnte man in mehreren Arte- bzw. ZDF-Dokus sehen.

In der ersten Wiki-Version über Gladio, sie wurde noch vor Veröffentlichung von Gansers Doktorarbeit veröffentlicht, las man 2004 noch: „Eine öffentliche Aufarbeitung fand nirgendwo bisher statt, obwohl einzelne Waffen und Sprengmittel aus solchen Depots bei Attentaten und Anschlägen, gerade auch in Italien, auffielen. Danach wurden auch in der BRD und im damals sich neutral gebenden Österreich geheime Waffenverstecke aufgedeckt, aber bis heute weder medial, juristisch oder sonstwie aufgearbeitet. Italiens bekanntes „Gesetz des Schweigens“ (Omerta) greift länder- und themenübergreifend und zuverlässig.“

Seither wurde der Wiki-Text über Gladio fast tausend Mal verändert. 2007 war beispielsweise zu lesen: „1990 deckte der italienische Untersuchungsrichter Felice Casson nach Recherchen in den Archiven des Militärgeheimdienstes SISMI die Existenz von Gladio auf. Er konnte beweisen, dass Mitglieder des italienischen Militärgeheimdienstes SISMI, Neofaschisten und Teile des Gladio-Netzwerks von den 1960ern bis in die 1980er Jahre zahlreiche politisch motivierte Terroranschläge und Morde in Italien begangen hatten. Dabei hatte ein Netzwerk geheimdienstlicher Stellen durch Verbreitung von Falschinformationen und Fälschung von Beweisen dafür gesorgt, dass die Verbrechen linksextremen Terroristen zugeordnet wurden, vor allem den Roten Brigaden. Die Vorgehensweise zielte auf die Diskreditierung der in Italien traditionell starken Kommunistischen Partei (KPI) und wurde als Strategie der Spannung bekannt. Eine bis heute nicht vollständig aufgeklärte Rolle spielte dabei auch die Geheimloge Propaganda Due unter Licio Gelli. Der italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti gab unter dem Druck der nachfolgenden parlamentarischen Untersuchung an, dass Gladio auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern existierte, was einen europaweiten politischen Skandal auslöste. Dies führte zu parlamentarischen Anfragen in mehreren Ländern. In Italien, Belgien und der Schweiz kam es zu Untersuchungskommissionen. Das Europaparlament drückte nach einer Debatte am 22. November 1990 seinen scharfen Protest gegenüber der NATO und den beteiligten Geheimdiensten aus“.

Es lohnt sich aber auch, einen Blick in diese Version vom März 2014 zu werfen, nachdem am 27. März 2014 der Autor „Kopilot“ den Artikel gekapert hatte und ein „Edit-War“ entbrannt war. Nachdem – wenig überraschend – der gut vernetzte „Kopilot“ diesen gewonnen hatte, wurde schon am 1. April 2014 war der Artikel stark gekürzt und „entschärft“. worden. Kopilot wollte offenbar nicht, dass die deutschen Leser allzu viel über Gladio, Verbindungen zu CIA und Nato, Staatsterrorismus und so weiter erfuhren. Anders als bei „Feliks“, der den Nahost-Konflikt im Sinne der Politik Israels bearbeitet, das Thema von „Kopilot“ das transatlantische Bündnis. Alles, was Nato oder USA in ein schlechtes Licht rücken könnte, entfernt er sofort. Er beherrscht eine Unzahl an Artikeln zu dem Thema, und wer versucht, dort objektive Informationen einzustellen, die der Nato-Propaganda und dem gewünschten Narrativ widersprechen, riskiert eine lebenslange Wiki-Sperre. In der Sendereihe „Neues aus Wikihausen“ (Folge 6) erzählt ein Autor, der zum Thema Gladio einen Edit-War mit Kopilot führte, detailliert, wie so etwas abläuft.

Die Macht der Geheimdienste

Aufgedeckt hat das in Deutschland Markus Fiedler, der nun zusammen mit Dirk Pohlmann die Wiki-Recherchen betreibt. Dachten Fiedler und Pohlmann zuerst noch an eine Art „Betriebsunfall“, kamen sie während ihrer Recherchen immer mehr zu dem Schluss, dass die Wikipedia planmäßig von westlichen Geheimdiensten als Instrument für Propaganda und Desinformation eingesetzt wird. Und inzwischen ist auch klar, dass es sich dabei nicht um ein rein deutsches Phänomen handelt. Wikipedia – muss man heute schlussfolgern – war nie als „demokratisches Online-Lexikon“ geplant, sondern von vorneherein als Propaganda-Instrument angelegt. Neben allen Belegen und Indizien, die Pohlmann und Fiedler für Geheimdienst-Verbindungen der Wikipedia und einiger der dort aktiven Autoren fanden, liegt die Annahme nahe, dass von vornherein Geheimdienste im Boot waren. In den USA kam die Journalistin Helen Buyniski („Propaganda in der Wikipedia, international betrachtet“ – Interview: Helen Buyniski | #32 wikihausen) zu den gleichen Ergebnissen wie Fiedler und Pohlmann. Helen Buyniskis Informationen deuten darauf hin, dass die Rolle Israels und seiner Geheimdienste bei Wikipedia noch viel größer ist, als man auch nur ahnen konnte. So wird zum Beispiel die israelische Wikimedia-Foundation, also das „juristische Dach“ der Wikipedia, von einem Mann geleitet, der vorher für eine Abgeordnete der Knesset gearbeitet hatte, die Mossad-Mitarbeiterin war. Und viele Dinge, die später in der weltweiten Wikipedia genutzt werden, wurden zuerst in Israel ausprobiert, zum Beispiel eine Zusammenarbeit von Wikipedia mit TV-Sendern.

Auch die Wikimedia-Foundation in Kalifornien hat Geheimdienst-Verbindungen, und es wird nicht einmal ernsthaft versucht, diese Verbindungen geheim zu halten. Der Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales sitzt zum Beispiel im Beirat von Newsguard und befindet sich in Gesellschaft von ehemaligen Geheimdienstlern, wobei jeder, der sich mit der Materie auskennt, weiß, dass es per Definition keine „ehemaligen“ Geheimdienstler gibt. Und in diesem Beirat sitzen nicht einfache Mitarbeiter von Geheimdiensten, sondern zum Beispiel General a. D. Michael Hayden, ehemaliger Direktor der CIA (!) und der NSA. Die Newsguard selbst bezeichnet sich auf ihrer Homepage als – kostenlos downloadbares – „Vertrauenstool fürs Netz“ das „Desinformation bekämpft, indem es von einem Team von Analysten Nachrichten-Webseiten anhand von neun Qualitätskriterien untersucht und beurteilt. Diese Bewertungen „zeigen Nutzern, welche Webseiten sich um seriösen Journalismus bemühen und welche nicht“.