ORF-Redakteursrat kritisiert "Wahl" der Stiftungsräte

17.3.2022 - Der ORF Stiftungsrat soll im Mai neu "bestellt" werden. Die "Wahl" erfolgte bislang streng den Gesetzen der Parteipolitik, d.h. nach dem Proporzprinzip. Nun hat der ORF-Redakteursrat entdeckt, dass die Modalitäten der Bestellung verfassungswidrig sind. Hubert Thurnhofer, Kandidat bei der kommenden Wahl des Bundespräsidenten, sieht das ebenso und geht einen Schritt weiter; er behauptet: "Die Bevorzugung des ORF insgesamt ist verfassungswidrig."

ORF wie wir

Diese Behauptung hat unser Kandidat 2022 in den vergangenen zwei Jahren mehrfach publiziert. Darauf gab es keine Reaktion von seiten des ORF, so dass man davon ausgehendarf, dass diese Behauptung stimmt. Der ORF hätte theoretisch zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: er könnte seine Rechtsabteilung beauftragen, vom Autor einzufordern, diese Behauptung künftig zu unterlassen. Oder er könnte im Sinne einer objektiven und ausgewogenen Berichterstattung (auch in eigener Sache), den ORF-Kritiker zu einem Studiogespräch einladen um diese Position zu hinterfragen. Beides wären demokratisch legitime Maßnahmen. Anstatt dessen wählt der ORF eine antidemokratische Maßnahme, die der verharmlosende Wiener Schmäh mit der Phrase umschreibt: "ned amoi ignorieren!"

Dass der Redakteursrat nun bemerkt hat, dass die Bestellung der Stiftungsräte verfassungswidrig sei, ist immerhin ein Anfang. In einer OTS- Aussendung informiert Dieter Bornemann, Vorsitzender des Redakteursrates: "Die Bestellung der Aufsichtsgremien wird nach einem ORF-Gesetz vorgenommen, das wohl der Verfassung widerspricht. Das ORF-Gesetz stellt nämlich sicher, dass der Bestellmodus für die Aufsichtsgremien den Regierungsparteien die Mehrheit garantiert. Von den 35 Mitgliedern des Stiftungsrates lassen sich 32 direkt oder indirekt einer politischen Partei zuordnen – die meisten von ihnen organisiert in partei-politischen 'Freundeskreisen'. Mit 18 der 35 Mitglieder stellt der ÖVP-'Freundeskreis' sogar die Mehrheit im Stiftungsrat. Im zweiten Aufsichtsgremium - dem Publikumsrat - sucht der Bundeskanzler bzw. die Medienministerin persönlich 17 der insgesamt 30 Mitglieder aus."

Weiters heißt es: "In einem Standardwerk zum deutschen Grundgesetz (1) schreibt der renommierte Rundfunkjurist und jetzige Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Christoph Grabenwarter über die Leitungs- und Aufsichtsorgane im Rundfunk: 'Herrscht in den Organen eine große Mehrheit von Vertretern der Regierungspartei(en), wird Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt. Laut diesem Artikel der EMRK muss die 'Vielfalt im Rundfunk' gewährleistet sein. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist Teil der österreichischen Verfassung."

Hier der Wortlaut: Artikel 10 – Freiheit der Meinungsäußerung

(1) Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schließt nicht aus, daß die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen.

(2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten.

Unser Kandidat 2022 hat zum 100-Jahr-Jubiläum der österreichischen Verfassung das Buch "Baustelle Parlament" (siehe Kommentar von Erhard Busek) geschrieben und dem Staatsfunk darin ein eigenes Kapitel (abrufbar auf UnserKandidat2022.at) gewidmet mit dem Titel: "Die Bevorzugung des ORF ist verfassungswidrig." Darin kritisiert Thurnhofer, der neben seiner Tätigkeit als Galerist viele Jahre als Journalist gearbeitet hat, die Privilegien des ORF. Insbesondere sieht er Widersprüche zwischen dem Rundfunkgesetz und dem Regionalradiogesetz.

Der ORF ist de facto ein staatlicher Monopolbetrieb geblieben. Das Bundesverfassungsgesetz vom 10. Juli 1974 wird seit dem Regionalradiogesetz 1993 zu Unrecht (wenn der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt) nur auf den ORF angewandt, dessen Monopol 1993 abgeschafft werden sollte. Sollte, aber de facto nicht wurde, da weiterhin in der Auseinandersetzung über das „Rundfunkgesetz“ der Begriff „Rundfunk“ ausschließlich mit dem Begriff „ORF“ gleichgesetzt wird.

Nachsatz: DerStandard.at berichtet, dass die ORF-Abmeldungen deutlich zugenommen haben. ORF-General Roland Weißmann "kündigte im Stiftungsrat eine Taskforce an, die Motive für die Abmeldungen erheben soll." Der Herr General sollte sich einfach einmal das Programm anschauen, das seine 4.000 MitarbeiterInnen liefern, dann würde er keine Untersuchung mehr brauchen.