VfGH berät über ORF-Beitrag

7. Juni 2024 (Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshofes Österreich VfGH) - VfGH berät über ORF-Beitrag und Kündigungsregelungen, Sterbeverfügungen, Energiebeitrag. Auch zahlreiche Asylfälle auf der Tagesordnung. In den nächsten Wochen berät der VfGH über mehrere hundert Anträge und Beschwerden, darunter die folgenden:

Ist der ORF-Beitrag gleichheitswidrig?

331 Personen beantragen beim VfGH im Rahmen eines Individualantrags, das ORF-Beitrags-Gesetz 2024 ganz oder in Teilen als verfassungswidrig aufzuheben. Die Voraussetzungen für einen solchen Individualantrag seien, so die Antragsteller, gegeben: Es sei ihnen nicht zumutbar, den Rechtsweg über das Bundesverwaltungsgericht zu beschreiten, da dies mit einem zu großen Zeit- und Kostenaufwand verbunden wäre.

Das ORF-Beitrags-Gesetz sieht vor, dass für jede Adresse, an der zumindest eine volljährige Person gemeldet ist, der ORF-Beitrag („Haushaltsabgabe“) zu bezahlen ist. Da aber nicht unterschieden wird, ob die einzelne beitragspflichtige Person das Angebot des ORF überhaupt nützt, sei das Gesetz gleichheitswidrig, so die Antragsteller. Es verletze auch das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums, da nicht ausreichend zwischen Teilhabe und Nichtteilhabe am Angebot des ORF unterschieden werde. (G 17/2024)

 

 

Update VfGH am 04.07.2024

Gegen die „Haushaltsabgabe“ ist ein anderer Rechtsweg zumutbar

Der VfGH hat einen Antrag, demzufolge der ORF-Beitrag verfassungswidrig sei, als unzulässig zurückgewiesen. Insgesamt 331 Personen, von denen die Mehrheit kein Fernsehgerät besitzt, hatten sich mit einem sogenannten Individualantrag auf Gesetzesprüfung an den VfGH gewendet (mehr dazu hier). Individualanträge sind nur unter bestimmten Bedingungen zulässig; nur wenn diese erfüllt sind, kann der VfGH solche Anträge inhaltlich prüfen. Unter anderem darf es für die Antragsteller keinen anderen zumutbaren Rechtsweg geben, auf dem sie die von ihnen behauptete Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geltend machen können.

Im vorliegenden Fall können die Antragsteller aber, wie der VfGH feststellt, bei einer Zahlungsaufforderung von der ORF-Beitrags Service GmbH einen Bescheid über die Festsetzung ihres ORF-Beitrags („Haushaltsabgabe“) verlangen, ohne dafür ein Strafverfahren provozieren zu müssen. Gegen einen solchen Bescheid ist dann eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) möglich, dessen Entscheidung wiederum beim VfGH mit der Begründung angefochten werden kann, dass der ORF-Beitrag verfassungswidrig sei. Im Übrigen ist auch das BVwG befugt, das ORF-Beitragsgesetz beim VfGH anzufechten. Der Individualantrag war daher zurückzuweisen. (G 17/2024)

Erzeuger von Strom aus erneuerbarer Energie bekämpfen „Übergewinnsteuer“

Etwa 30 Gesellschaften, die Strom aus erneuerbarer Energie erzeugen, beantragen, das Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag-Strom (EKBSG) ganz oder in Teilen als verfassungswidrig aufzuheben.

Stromerzeuger haben den Energiekrisenbeitrag-Strom („Übergewinnsteuer“) zu bezahlen, wenn sie im Inland hergestellten Strom verkaufen – auch dann, wenn dieser aus Wasserkraft oder Windenergie hergestellt wurde. Bemessungsgrundlage für den Beitrag sind die Überschusserlöse, die aus Stromverkäufen zwischen 1. Dezember 2022 und 31. Dezember 2023 erzielt worden sind, wobei Erlöse über € 140 pro MWh Strom als Überschusserlös gelten.

Die antragstellenden Stromerzeuger sind der Ansicht, dass diese Regelung u.a. gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Während sie für „Zufallsgewinne“ den Energiekrisenbeitrag-Strom bezahlen müssten, hätten weder Fernwärmeversorger noch Stromhändler eine solche Abgabe zu leisten, obwohl sie ebenso von gestiegenen Preisen im Energiesektor profitiert hätten. (G 8/2024 u.a. Zlen.)

Kündigung von Dienstverhältnissen in Branchen mit vielen Saisonbetrieben

Arbeits- und Sozialgerichte aus verschiedenen Bundesländern stellen den Antrag, eine Bestimmung im ABGB (Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch) über die Kündigung von Dienstverhältnissen als verfassungswidrig aufzuheben.

Gemäß § 1159 ABGB können Dienstverhältnisse vom Arbeitgeber mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich mit der Dauer des Dienstverhältnisses auf maximal fünf Monate.

Über den Kollektivvertrag können andere Regelungen getroffen werden, jedoch nur für Branchen, „in denen Saisonbetriebe überwiegen“. Diese abweichenden Regelungen gelten dann aber auch für Betriebe, die keine Saisonbetriebe sind.

Diese Bestimmung des ABGB verstößt nach Ansicht der Arbeits- und Sozialgerichte gegen das rechtsstaatliche Prinzip. Sie bringen vor, dass es in der Praxis nur schwer feststellbar sei, ob in einer Branche tatsächlich Saisonbetriebe überwiegen oder nicht. Auch könne sich das jederzeit ändern. Es ist, so die Gerichte, verfassungswidrig, dass unklar bleibt, ob für die Auflösung eines Arbeitsvertrags die Regelung im ABGB oder jene des Kollektivvertrags gilt.

Die Gerichte sehen auch einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, dass für Betriebe, die keine Saisonbetriebe, aber in deren Branche sind, nur deswegen andere Kündigungsregeln gelten als für mit ihnen vergleichbare Betriebe einer anderen Branche. (G 29/2024 u.a.)

Update VfGH am 04.07.2024

Abweichende Kündigungsfristen für Branchen mit vielen Saisonbetrieben sind verfassungskonform

Abgewiesen wurden Anträge mehrerer ordentlicher Gerichte, die sich gegen die im ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) vorgesehene Möglichkeit richteten, im Kollektivvertrag für Branchen mit vielen Saisonbetrieben andere Kündigungsfristen festzulegen als jene, die nach dem ABGB für Branchen gelten, in denen Saisonbetriebe nicht überwiegen.

Gemäß § 1159 ABGB können Dienstverhältnisse vom Arbeitgeber mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich mit der Dauer des Dienstverhältnisses auf maximal fünf Monate. Durch Kollektivvertrag können andere Regelungen getroffen werden, jedoch nur für Branchen, „in denen Saisonbetriebe überwiegen“. Diese abweichenden Regelungen gelten dann auch für Betriebe derselben Branche, die keine Saisonbetriebe sind.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) sowie Arbeits- und Sozialgerichte aus mehreren Bundesländern brachten vor, die Ermächtigung zu anderen Kündigungsregelungen verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Bestimmtheitsgebot (Art. 18 Abs. 1 B-VG; Gesetze müssen einen Inhalt haben, durch den das Verhalten der Behörde oder des Gerichts vorherbestimmt ist).

Zwar kann es, stellt der VfGH fest, schwierig sein festzustellen, wie viele Saisonbetriebe es in einer Branche gibt; dazu kommt, dass sich die Zahl der Saisonbetriebe in einer Branche ändern kann. Diese Schwierigkeit bedeutet aber nicht, dass die angefochtenen Regelungen gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen. Es ist vielmehr Aufgabe der ordentlichen Gerichte, durch Auslegung des Gesetzes näher zu bestimmen, welche (zeitlichen) Voraussetzungen vorliegen müssen, damit davon gesprochen werden kann, dass in einer Branche Saisonbetriebe überwiegen. Dass es dabei nicht auf eine Momentaufnahme ankommen kann, hat der OGH bereits selbst im März 2022 entschieden und ausgeführt, dass der Begriff des „Überwiegens“ einen gewissen längeren Zeitraum erfasst.

Auch der Gleichheitsgrundsatz ist nicht verletzt. Es liegt im Wesen von Kollektivverträgen bzw. ist ihr Ziel, innerhalb einer Branche einheitliche Mindestbedingungen für alle Betriebe zu schaffen, auch wenn diese z.B. unterschiedlich groß sind. Dagegen hat der VfGH keine verfassungs- und damit auch keine gleichheitsrechtlichen Bedenken. (G 29/2024 u.a.)

Antrag gegen Sterbeverfügungsgesetz

und – erneut – gegen Strafgesetzbuch zur Mitwirkung an Selbsttötung

Ein Verein und vier Personen, darunter zwei Schwerkranke und ein Arzt, halten das Sterbeverfügungsgesetz sowie das 2022 geänderte Strafgesetzbuch betreffend „Mitwirkung an der Selbsttötung“ für verfassungswidrig und haben daher beim VfGH die Aufhebung mehrerer Bestimmungen beantragt.

Nachdem der VfGH im Dezember 2020 auf Antrag von u.a. denselben zwei Schwerkranken das Strafgesetz in Bezug auf Hilfeleistung zum Selbstmord als verfassungswidrig aufgehoben hatte, trat 2022 das Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) in Kraft. Wer sein Leben selbst beenden möchte, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Sterbeverfügung errichten: Dafür muss die sterbewillige Person an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leiden. Die Folgen einer solchen Krankheit müssen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen, und die Krankheit muss einen nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringen (§ 6 Abs. 3 StVfG).

Eine Sterbeverfügung kann nur schriftlich vor einem Notar oder vor einem rechtskundigen Mitarbeiter einer Patientenvertretung errichtet werden (§ 8); davor muss eine Aufklärung durch zwei Ärzte erfolgen, die unabhängig voneinander bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und einen freien und selbstbestimmten Entschluss gefasst hat (§ 7).

Gleichzeitig mit der Einführung des Sterbeverfügungsgesetzes wurde auch die Bestimmung bezüglich Hilfeleistung zum Selbstmord (Straftatbestand der „Mitwirkung an der Selbsttötung“, § 78 Strafgesetzbuch – StGB) neu gefasst. Wer einer anderen Person hilft, sich selbst zu töten, ist weiterhin mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu bestrafen, es sei denn, die andere Person leidet an einer Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 3 StVfG und wurde entsprechend § 7 StVfG ärztlich aufgeklärt.

Die Antragsteller halten auch die Neufassung für verfassungswidrig und haben daher beantragt, eine Reihe von Bestimmungen aufzuheben. So etwa die Vorschrift, dass laut Sterbeverfügungsgesetz einer der beiden aufklärenden Ärzte über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen muss und Sterbeverfügungen ein Jahr lang gültig sind. Durch die vorgeschriebenen „zeitraubenden und kostspieligen“ Formalitäten wird den Antragstellern zufolge leidenden Menschen ein rascher, begleiteter und selbstbestimmter Tod unter Inanspruchnahme der Hilfe Dritter praktisch unmöglich gemacht. Dies verstoße gegen das Recht auf Privatleben, das Recht auf Leben sowie den Gleichheitsgrundsatz. (G 229-230/2023, G 2272-2273/2023)

Asylfälle etwa zur Sicherheitslage in Afghanistan

Auf der Tagesordnung stehen auch wieder zahlreiche Asylfälle. Der VfGH wird sich z.B. mit der Beschwerde eines afghanischen Staatsangehörigen beschäftigen, dessen Asylantrag mit der Begründung abgewiesen worden ist, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan seit der Machtübernahme durch die Taliban im Sommer 2021 insgesamt verbessert habe. (E 2071/2023)

Öffentliche Verhandlungen

Darüber hinaus hält der VfGH zwei öffentliche Verhandlungen ab: am 13. Juni betreffend den Antrag auf Mandatsverlust im Gemeinderat Zwölfaxing sowie am 26. Juni betreffend einen Antrag auf Mandatsverlust im Gemeinderat Krumpendorf.

Steht ein Fall auf der Tagesordnung, bedeutet dies nicht automatisch, dass darüber in diesen Tagen entschieden wird. Die Entscheidungen des VfGH werden nach Ende der Beratungen den Verfahrensparteien zugestellt. Erst danach kann der VfGH darüber informieren.