Minima Energetica - Epilog

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8. Epilog

Ein Epilog noch. Oder ist es womöglich eher ein Nekrolog, ein Nekrolog auf das europäische, vor allem aber auf das deutsche Stromversorgungssystem, wie wir es gekannt haben?

Novalis beginnt seine Schrift „Die Christenheit oder Europa“ mit dem Satz: „Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war.“ Diesen Satz des Dichters abwandelnd, könnte man sagen: Was hatten wir für ein schönes und verlässliches Stromversorgungssystem, bevor man es ruinierte, indem man es liberalisierte! Die Täter, die das vollbracht haben, können benannt werden: Die Marktradikalen waren es. In Österreich war das vor allem die Bande um Wolfgang Schüssel. Leuten von seinem Schlag waren Monopole, vor allem wenn es staatliche Monopole waren, immer ein Dorn im Auge; ihre Agenda war daher, diese Monopole zu zerschlagen.

Vor dieser Zerschlagung wurden wir, um es kurz und bündig zu sagen, mit Strom aus einer Hand beliefert. Jenes Energieversorgungsunternehmen, das den Strom den Verbrauchern zustellte, hat ihn in der Regel auch selbst erzeugt. In Wien war man an das Netz der Wiener Stadtwerke angeschlossen, die Stadtwerke haben den Strom selbst erzeugt, zum Teil wenigstens, und stellten ihn mit Hilfe des Verteilnetzes, das sie betrieben, uns, ihren Kunden, zur Verfügung.

Der Strompreis war ein Politikum, der zwar von den EVU’s festgelegt, doch von der Politik kontrolliert wurde. Und er war für ganz Österreich einheitlich, nicht so wie heute, da man im energetisch privilegierten Westen weniger für den Strom bezahlt als im Osten. Die österreichischen EVU’s hatten den gesetzlichen Auftrag, das Land mit Strom zu versorgen, und zwar rund um die Uhr und rund um das Jahr. Hätten sie das nicht getan, wären sie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, und es hätte rechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Manager gegeben.

Gewiss waren die EVU’s von damals Unternehmen, die eine Monopolstellung innehatten, doch bei diesem Monopol handelt es sich um ein natürliches, nicht zu vermeidendes Monopol, denn es ist selbst für einen Marktradikalen undenkbar, dass ein Betreiber eines Stromnetzes Konkurrenz bekäme. Damit die Verbraucher die Wahl hätten, von welchem Netzbetreiber sie mit Strom beliefert werden wollten, müssten diese parallel zu den bestehenden Netzen ihre eigenen Netze errichten und betreiben, was absurd und schon aus Kostengründen unmöglich ist. Solange also Stromerzeugung und Stromverteilung in einer Hand waren, solange war das Monopol der EVU’s unangreifbar.

Wie haben die Marktradikalen diese Schwierigkeit überwunden? ― Nun, indem sie die EVU’s in zwei Teile zerschlugen: in einen Netzbetreiberteil, dessen natürliches Monopol man nicht aushebeln konnte, und einen Energieerzeugerteil, der dieses natürliche Monopol nicht in dem Maße hatte und den man daher dem Wettbewerb aussetzen konnte.

Nehmen wir als Beispiel die österreichische VERBUND AG. Als sie noch „Verbundgesellschaft“ hieß, betrieb sie sowohl das überregionale Stromnetz in Österreich als auch einen großen Teil der österreichischen Kraftwerke. Heute betreibt die VERBUND AG den Kraftwerksteil der ehemaligen Verbundgesellschaft; der ehemalige Netzteil der letzteren aber ist zusammengefasst in der Austrian Power Grid AG (APG). Diese ist zwar ein Tochterunternehmen der VERBUND AG, operativ aber von ihr getrennt. Eine sehr pragmatische, eine sehr österreichische Lösung ― den Netzteil der ehemaligen Verbundgesellschaft auch kapitalmäßig von ihrem Kraftwerksteil zu trennen, wagte die Regierung Schüssel doch nicht, obwohl man das liebend gerne getan hätte.

Das gleiche Bild zeigt sich auch bei den regionalen österreichischen EVU’s: Überall wurden jene Teile der EVU’s ausgegliedert und operativ verselbständigt, welche ein natürliches Monopol hatten. Die Marktradikalen waren am Ziel; jetzt konnten sie die Kraftwerkssparten der EVU‘s ungehindert dem „Wettbewerb“ aussetzen.

Nach diesem Muster gingen die Marktradikalen auch in einer anderen Sparte vor. Auch in der Wertschöpfungskette der ÖBB gab es diese natürliche Monopole, zum Beispiel die Bahnhöfe oder die Schienen, wo parallele Strukturen bei bestem (schlechtestem?) Willen nicht sinnvoll sein können. Also hat man, wieder unter Kanzler Schüssel, auch die ÖBB zerschlagen und diese Bereiche verselbständigt. Sie sollten in Zukunft für jeden Anbieter offen sein. Jeder, der in Konkurrenz zur ÖBB treten wollte, sollte auf diesen Schienen fahren, sollte diese Bahnhöfe nutzen dürfen. Ein heilsamer „Wettbewerb“ (Damit nicht die Hühner zu lachen anfangen, setze ich dieses Wort unter Anführungszeichen.) sollte sich auf ihnen entwickeln, selbstverständlich nur zum Nutzen und Frommen der Bahnkunden.

Soweit die feuchten Träume der Marktradikalen oder vielmehr die propagandistische Begleitmusik ihres schurkischen Tuns. Was ist aus diesen Träumen geworden? Hat man je evaluiert, was dieser Strukturwandel gebracht hat? Ist Zugfahren billiger geworden, fährt man bequemer, verkehren die Züge pünktlicher, verkehren sie öfter? ― Ich glaube, ich kann mir die Antwort auf diese Fragen sparen.

Wo sind die Konkurrenten der ÖBB, die nach dem Strukturwandel aus dem Boden sprießen sollten wie nach einem warmen Regen die Blumen? Ich sehe sie nicht. ― Ja, doch, eine einzige dieser Blumen gibt es, doch leider ist sie ein Produkt der sauren Wiesen dieses Landes. Ich meine die Westbahn, die auf der von Wien über Linz nach Salzburg führenden Premiumstrecke Österreichs der ÖBB „Konkurrenz“ macht. Eigene Bahnhöfe und eigene Gleise hat sie nicht, kann sie gar nicht haben, sondern sie benützt jene der ÖBB und bezahlt dafür eine Benützungsgebühr.

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Doch zurück zu unserem Thema. Einen wichtigen Unterschied gibt es zwischen dem Energiebereich und dem Bahnbereich schon zu beachten: Im ersten wurde immer viel Geld verdient, im letzteren immer viel Geld verloren. Entsprechend hoch muss der Widerstand gewesen sein, der der Liberalisierung des Strommarktes entgegengebracht wurde, denn wer lässt sich schon widerstandslos seine cash cow wegnehmen, besonders in Österreich mit seinen föderalistischen Strukturen auch in der Stromversorgung. Um diesen Widerstand auszuhebeln, benötigten die Marktradikalen einen Verbündeten und fanden diesen in der sogenannten Ökobewegung. Diese war im Widerstand gegen die Kernenergie entstanden. So kann in Österreich die 1978 abgehaltene Volksabstimmung gegen die Inbetriebnahme des fertiggestellten Atomkraftwerkes Zwentendorf als die Geburtsstunde der grünen Partei angesehen werden.

Die Ökobewegung hatte ein Lieblingsprojekt, nämlich die Erzeugung von Strom durch Windenergie. Doch dieses Projekt wollte, so wie die Stromversorgungssysteme damals überall in Europa strukturiert waren, nicht so richtig vom Fleck kommen. Die EVU’s, die einerseits das Monopol, andererseits den gesetzlichen Auftrag zur Stromerzeugung und Stromverteilung hatten, dachten nicht im Traum daran, sich mit den Windrädern Läuse in den eigenen Pelz zu setzen. Das hatte weniger mit einer ideologisch begründeten Feindschaft gegen diese Form der Energiegewinnung oder Arroganz der einstigen Stromherren zu tun, sondern weil man damals rechnen konnte; und die Windkraft war unter den damaligen Rahmenbedingungen schlicht weit von jeder Rentabilität entfernt, wenn man korrekt rechnete und auch alle versteckten Kosten, die sie verursacht, berücksichtigte.

Es bildete sich also eine große Koalition. Die Marktradikalen wollten die Energiewirtschaft für private Investoren öffnen, die Ökobewegung den Ausbau der Windkraft vorantreiben. Was dabei herausgekommen ist, kann heute in Deutschland besichtigt werden: Es ist das jeweils Schlechteste aus zwei Welten.

In einem ersten Schritt wurden in ganz Europa, also auch in Deutschland, die EVU’s zerlegt, und zwar, wie bereit erwähnt, in einen Bereich mit natürlichem Monopol und in einen ohne ein solches. Im letzteren sollten sich nach dem Willen der Energiestrategen private Investoren festsetzen und den alten Monopolisten Konkurrenz machen. Doch nicht nur die letzteren konnten rechnen, auch die potentiellen privaten Investoren konnten es. Ohne massive staatliche Eingriffe in den Strommarkt hätte kein Privater in die Windkraft inve-stiert; wenn das rentabel gewesen wäre, hätten sich ja schon die alten EVU’s eigene Windparks zugelegt.

Um die Windkraft für private Investoren rentabel zu machen, musste sie also vom Staat massiv gefördert werden. Erstens fördert der Staat die Windkraftanlagen, indem er ihren Betreibern mehr für die erzeugte Kilowattstunde zahlt. Zweitens erhöht der Flatterstrom, den die Windkraftanlagen liefern, die Kosten für die Aufrechterhaltung der Netzstabilität. Nach dem Verursacherprinzip wären diese Kosten von den Windstrombetreibern zu tragen, doch die schützende Hand des Staates bewahrt sie vor diesen Kosten und bürdete sie zur Gänze den konventionellen Stromerzeugern auf. Drittens verstößt die Errichtung von Windparks massiv gegen die alte Raumordnung und massiv gegen die alten Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt. Wie drangsaliert sonst der Staat seine Bürger mit solchen Gesetzen! Jeder, der auf eigenem Grund ein Gebäude errichten möchte, und wäre es nur ein winziges Mobiklo, weiß, wie penibel der Staat darüber wacht, dass seine diesbezüglichen Gesetze eingehalten werden. Doch Windräder, höher als die Türme der Kathedralen, in riesiger Zahl in die Landschaft zu stellen, ist in Deutschland kein Problem. Offensichtlich hat der Staat in dieser Sache die rechtlichen Hürden, die so etwas in der Vergangenheit verhindert hätten, gelockert, wenn nicht geschleift. Viertens garantiert der Staat, dass den Windkraftbetreibern der erzeugte Strom zur Gänze abgenommen wird. Das stellt nicht nur eine versteckte Förderung der Windkraft dar, sondern ist auch eine Bestrafung der alten Energieerzeuger, die ihre Kraftwerke nicht mehr betreiben können, wie es für sie und den Strompreis optimal wäre, also die trägen Dampfkraftwerke rund um die Uhr und rund um das Jahr. Sie dürfen ja nur dann liefern, wenn in Deutschland der Wind nicht oder nicht stark genug weht. Fünftens verteuert der Staat durch den Emissionsrechtehandel und die geplante CO2-Steuer die Erzeugung von Strom durch Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas und fördert damit indirekt die sogenannten erneuerbaren Energieträger, in Deutschland also überwiegend Wind- oder Sonnenenergie.

Das Schlechteste aus zwei Welten. Die Liberalisierung des Strommarktes hatte ja den Zweck, die alten Monopolisten unter Wettbewerbsdruck zu bringen. Dem könnte man ja noch einiges abgewinnen. Heute haben wir zwar diesen „Wettbewerb“, doch er ist ein Spiel auf einer schiefen Ebene: Die einen spielen bergab, die anderen bergauf. Kein Wunder, dass die letzteren erschöpft sind; dass sie, müde geworden, widerstandslos zusehen, wie ihre Kraftwerke eines nach dem anderen vom Netz gehen, zuerst die Atomkraftwerke, dann die Kohlekraftwerke. Unter solchen Rahmenbedingungen sind sie schlicht nicht rentabel zu betreiben.

Der Masterplan, der in Deutschland hinter alledem steckt, sollte nach dem Dargelegten sichtbar geworden sein. Den alten Monopolisten der Stromerzeugung, den Aschenbrödeln, soll das Leben so lange schwer gemacht werden, bis sie und ihre alten „Dreckschleudern“ verschwunden sind. Strom wird in Zukunft in Deutschland hauptsächlich mit Windrädern erzeugt. Als Back-up für die Zeit, da der Wind nicht oder nur schwach weht, soll eine schnelle Eingreiftruppe in Form von Gaskraftwerken geschaffen werden, um die essentiellen Stromverbraucher (aber auch nur die) auch bei Flaute mit Strom versorgen zu können. Ein hundertprozentiger Back-up für jedermann ist jedenfalls nicht notwendig. Vielleicht, dass man Otto Normalverbraucher bei Flaute gestattet, ein Minimum an Stromverbrauchern zu betreiben, die Tiefkühltruhe zum Beispiel und einige Glühlampen. Durch den Einsatz von sogenannten intelligenten Stromzählern ist das sehr einfach zu bewerkstelligen, sehr einfach zu überwachen und bei Zuwiderhandeln sehr einfach zu sanktionieren. Wer nicht selbst abschaltet und bei Flaute mehr Strom bezieht, als ihm gewährt wurde, wird eben abgeschaltet oder er zahlt für den Exzess-Strom, den er bei Flaute bezieht, ein Vielfaches des normalen Preises.

Will hingegen der „Pöbel“ ― und dazu gehört jeder, sofern er nicht zur „Elite“ gehört ― über dieses Minimum hinaus mit Strom versorgt werden, so möge er sich gefälligst selbst nach geeigneten Stromspeichern, also nach Batterien, umsehen. Sonst möge er bei Flaute kalt duschen, seine Wäsche wie unsere Großmütter mit der Hand waschen und sein Bier warm trinken.

Herr Elon Musk scheint diesen Plan zu kennen, womöglich ist er eines seiner Masterminds. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass er seine riesige Batteriefabrik ausgerechnet in Deutschland baut. Womit wir bei den Elektroautos wären, deren Batterien auch als mobile Back-ups für windarme Zeiten dienen könnten. Die Teile des Puzzles beginnen, sich langsam zum ganzen Bild zu fügen.

So in etwa könnte die schöne neue Welt in Deutschland bald aussehen. Doch haben jene Unbekannten, die sie vorantreiben, ihre Rechnung ohne Herrn Putin gemacht. Ohne sein Gas wird ihre Rechnung nicht aufgehen, auch wenn später das russische Gas wieder fließen sollte. Denn dann sind sie vom Zorn des „Pöbels“ längst weggefegt.

SCHLAGWORTE: Strom / Stromnetz / Stromversorgung / Energiewende / Energieversorgung / Energieverbrauch