von Hans Saenger
Der Autor wurde 1949 geboren, studierte Elektrotechnik an der TU Wien und verbrachte sein Berufsleben in der Elektroindustrie. Immer wieder schriftstellerische Versuche, die sich in den letzten zehn Jahren intensivierten. Der vorliegende Text ist Teil des zeitkritischen Essaybandes "Wider den Stachel", erschienen 2023 (Band 4 der Serie "Kleine Schriften". Siehe auch Band 3 "Fluewatch")
1. Einleitung
Als ob wir durch Corona nicht schon genug gebeutelt worden wären: Jetzt hat uns auch noch die Energiekrise erwischt. Jedermann spürt sie schmerzlich, besonders dort, wo wir alle am vulnerabelsten sind: in unserer Geldbörse.
Freilich ist die allgemeine Unwissenheit in energetischen Dingen, insbesondere was die Erzeugung von elektrischer Energie betrifft, groß. Sie verhält sich proportional zur Leidenschaft, mit der dieses Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wird, und zwar mit maximaler Leidenschaft, doch leider mit minimalem Wissen. Wie in seinem Titel angedeutet, ist der Sinn des vorliegenden Essays daher, in hoffentlich verständlicher Form jenes Minimum an Wissen in diesen Dingen zusammenzutragen, um den Leser in die Lage zu versetzen, in diesen Fragen mitreden zu können und nicht nur mitzuschwätzen.
Elektrische Energie wird in Kraftwerken erzeugt. Freilich ist das schlampige Rede, denn nach dem Ersten Hauptsatz der Wärmelehre kann Energie weder erzeugt noch vernichtet, sie kann lediglich von einer Form in eine andere umgewandelt werden. Kraftwerke sind daher strenggenommen keine Energieerzeuger sondern Energiewandler. Sie wandeln die sogenannte Primärenergie in elektrische Energie um, und zwar in eine Form, in der diese von uns Menschen genutzt werden kann und zwar auf mannigfaltigste Art.
Wir sind von Primärenergieträgern umgeben. So ein Träger ist zum Beispiel das Holz. Schon unsere Vorfahren in der Steinzeit haben Holz energetisch genutzt, indem sie es gesammelt und mit ihm ein Feuer unterhalten haben, an dem sie sich, wenn es kalt war, wärmen konnten. Die Feuer der Steinzeit brannten zunächst im Freien, bis findige Steinzeitmenschen das Feuer zähmten, indem sie einen Energiewandler erfanden, der es ermöglichte, das Feuer auch zur Beheizung von Innenräumen zu verwenden. Solche Energiewandler sind auch heute noch in Gebrauch. Man nennt sie Öfen. Sie wandeln die dem Holz oder der Kohle innewohnende chemische Energie in Wärme um. Wie schon in der Steinzeit haben sie zwei Hauptaufgaben: erstens das Feuer einzuhegen, damit es nicht zerstörerisch um sich greifen kann; ihre zweite Aufgabe aber ist, die bei der Verbrennung entstehenden heißen Gase zu kanalisieren und sie durch Ausleitung ins Freie unschädlich zu machen.
Holz ist wohl der älteste Primärenergieträger, der von Menschen energetisch genutzt wurde. Die Energie, die ihm innewohnt, ist wie gesagt chemischer Natur. Durch Verbrennung wird sie in Wärme gewandelt. Was für das Holz gilt, gilt auch für eine Reihe anderer Primärenergieträger, wie Kohle, Erdöl oder Erdgas. Auch in diesen ist chemische Energie gespeichert, welche durch Verbrennung in Wärme umgewandelt werden kann, diese aber mit Hilfe von weiteren Wandlern in andere Energieformen. Ein solcher Wandler ist zum Beispiel der Verbrennungsmotor, in welchem der aus dem Erdöl gewonnene Treibstoff verbrannt und in Bewegungsenergie umgewandelt wird. Weitere Beispiele sind unsere Wärmekraftwerke. Auch in ihnen werden Primärenergieträger verbrannt und die so entstehende Wärme in Bewegungsenergie umgewandelt, die Bewegungsenergie aber durch den Einsatz der Energiewandler „Turbine“ und „Generator“ in elektrische Energie.
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Kraftwerke haben in unserer Zivilisation die Aufgabe, elektrische Energie zu erzeugen. Mit Ausnahme von fotovoltaischen Solarkraftwerken ist allen gemeinsam, dass sie die Energie, die einem strömenden Medium innewohnt, nützen ― also seine kinetische Energie, wie die Physiker sagen ―, um einen Elektrizität erzeugenden Generator anzutreiben. Dabei kann es sich um eine natürliche Strömung handeln, wie zum Beispiel den Wind, der ein Windrad antreibt. Vorläufer unserer heutigen Windkraftanlagen sind die Windmühlen; mit ihrer Hilfe haben die Holländer nicht nur ihr Korn gemahlen, sondern auch die gewaltige Aufgabe bewältigt, ihr Land trockenzulegen. Die Strömung, die eine Turbine und einen Generator antreibt, kann aber auch eine durch eine spezielle Apparatur hervorgerufene künstliche sein, wie zum Beispiel die Strömung des expandierenden Dampfes in einem Dampfkraftwerk.
Eine Zwitterstellung nimmt das strömende Wasser eines Wasserkraftwerkes ein. Zwar strömt das Wasser von Natur aus, doch hilft der Mensch zum Teil gehörig nach, damit ein Maximum der dem strömenden Wasser innewohnenden Energie einer Turbine zugeführt wird, und Energie nicht dadurch verloren geht, indem das fließende Wasser die Steine des Flussgrundes mahlt. Das führt uns zu einem weiteren archaischen Energiewandler: der Mühle. In einer solchen wird die Bewegungsenergie des strömenden Wassers umgewandelt und für menschliche Zwecke nutzbar gemacht. Beispiele solcher natürlicher Medien sind von alters her das Wasser eines Baches, das ein Mühlrad antreibt. Unschwer kann man im archaischen Mühlrad den Vorläufer der Turbinen eines modernen Wasserkraftwerkes erkennen.
2. Dampfkraftwerke
Der überwiegende Teil der weltweit erzeugten elektrischen Energie wird in Dampfkraftwerken erzeugt. Auch in einem Dampfkraftwerk wird die Strömungsenergie eines Mediums genützt, um über Turbinen Generatoren anzutreiben. Dieses Medium ist der Wasserdampf. Nur ist seine Strömung wie gesagt keine natürliche, sondern eine durch entsprechende Apparaturen künstlich herbeigeführte.
Der Einsatz von Dampf zur Wandlung von Wärme in Bewegung geht ins achtzehnte Jahrhundert zurück und ist untrennbar mit dem Namen von James Watt verbunden. Dieser hat die Dampfmaschine zwar nicht erfunden, denn eine solche Erfindung übersteigt das Potential eines einzigen Erfinders bei weitem. Wie alle großen technischen Dinge, wie zum Beispiel das Fahrrad, ist auch die Dampfmaschine das Ergebnis einer langen technischen Evolution. James Watt hat die Dampfmaschine also nicht erfunden, doch er hat erste diesbezügliche Versuche derart verbessert, dass Dampfmaschinen industriell nutzbar wurden. Es ist daher nur recht und billig, dass die wichtigste energetische Einheit, das Watt (und deren Vielfache wie Kilo- Mega- oder Gigawatt) nach ihm benannt wurde und an ihn erinnern wird, solange unsere technische Zivilisation besteht.
Energie wird in einem Dampfkraftwerk viermal gewandelt. Erstens wird durch Verbrennung die im Brennstoff gespeicherte chemische Energie in Wärme umgewandelt. Die zweite Wandlung erfolgt in einem Kessel. In diesem wandelt die durch Verbrennung erzeugte Wärme Wasser in Dampf von hohem Druck und hoher Temperatur um. Der so erzeugte Dampf wird zu einer Turbine geleitet, welche die ihm innewohnende Energie in einem dritten Schritt in Bewegungsenergie wandelt. Die so erzeugte Bewegungsenergie treibt schließlich viertens einen Generator an, in welchem sie in elektrische Energie umgewandelt wird. Wie bei der Dampfmaschine waren bei der Entwicklung der Generatoren eine Reihe von ingeniösen Köpfen beteiligt, und wollte man jemanden hervorheben, so könnte dieser Jemand Werner von Siemens sein oder Nicola Tesla.
Das Beispiel, an dem ich veranschaulichen will, wie ein Dampfkraftwerk grundsätzlich funktioniert, ist ein Schnellkochtopf. Dieser ist ein abgeschlossenes Gefäß, in dem Wasser erhitzt wird, bis es verdampft und im Topf ein Druck entsteht, der das Bestreben hat, sich in Bewegungsenergie zu verwandeln, indem sich der Dampf nach außen entlädt. Damit der Druck im Topf nicht gefährlich hoch wird, was den Topf zerreißen könnte, ist er mit einem Sicherheitsventil ausgestattet, welches anspricht, bevor der Druck im Inneren einen kritischen Wert überschreitet. Dadurch dass dem Topf Dampf zischend entweicht, wird der Druck in seinem Inneren unterhalb dieses Wertes gehalten.
Würde man nun ein Kinderwindrad zur Hand nehmen und es in die Dampfwolke halten, die dem Topf entweicht, wenn das Ventil anspricht, so wird sich dieses Rad zu drehen beginnen. Man denke sich in der Nabe des Rotors noch einen winzigen Dynamo hinzu, der ein ebenso winziges Lämpchen mit Strom versorgt, und schon hat man die wesentlichen Strukturelemente eines Dampfkraftwerkes beisammen. Durch Verbrennen eines Primärenergieträgers wie Kohle, Erdöl, Erdgas oder Biomasse wird in einem Kessel Wasser verdampft und typischerweise auf einen Druck von über zweihundert Bar und eine Temperatur von über fünfhundert Grad Celsius gebracht. Der so erzeugte extrem energiehaltige Dampf wird über Druckrohre einer Turbine zugeführt, wo er sich entspannt, indem er deren Rotor in Drehung versetzt. Die Turbine treibt nun einen Generator an, der die mechanische Energie, die ihm die Turbine zuführt, in elektrische Energie umwandelt, was unser symbolisches Lämpchen zum Glühen bringt. Nur Zischen von entweichendem Dampf ist in einem Dampfkraftwerk nicht zu vernehmen, denn im Gegensatz zu unserem Schnellkochtopf entweicht der Dampf eines Dampfkraftwerkes nicht ins Freie, sondern durchläuft einen Kreislauf. Nachdem er seine Energie an die Turbine größtenteils abgegeben, sich in ihr entspannt und abgekühlt hat, wird er in einem der Turbine nachgeschalteten sogenannten Kondensator wieder zu Wasser kondensiert und das Wasser, zu dem er wieder geworden ist, zurück in den Kessel gepumpt, um dort in einem neuen Umlauf wieder verdampft zu werden. Damit der entspannte Dampf auch wirklich zu Wasser wird, muss er gekühlt werden. Ist genügend Wasser in der Nähe, weil das Kraftwerk an einem Fluss liegt oder am Meer, wird mit Wasser gekühlt, sonst mit Luft, und zwar mit Hilfe von riesigen Kühltürmen. Durch die Kühlung des Dampfes geht zwar viel Energie verloren, doch kann diese Energie genutzt werden, wenn der Dampf mit Wasser gekühlt wird. Weil sich das kühlende Wasser erwärmt, kann es zu Heizzwecken verwendet werden. Was unter dem Begriff „Fernwärme“ bekannt ist, stammt in einer Stadt wie Wien nicht nur aus Fernheizwerken, sondern zum Teil auch aus den Dampfkraftwerken, über welche die Stadt verfügt.
Auch ein Atomkraftwerk ist ein kalorisches Kraftwerk, mit heißem Hochdruckdampf als Medium. Auch in einem Atomkraftwerk wird Wasser verdampft und auf hohen Druck und hohe Temperatur gebracht. Nur die Primärenergie ist hier eine andere. Sie ist nicht die chemische Energie eines Brennstoffes wie Erdöl, Erdgas oder Kohle, sondern Nukle-arenergie, die beim Zerfall der radioaktiven Stoffe, aus denen die sogenannten Brennstäbe bestehen, frei wird.
3. Gaskraftwerke
Ein äußerst wichtig gewordener Primärenergieträger ist das Erdgas. Mit ihm kann nicht nur ein konventionelles Dampfkraftwerk befeuert werden, das Erdgas erlaubt auch den Bau von kalorischen Kraftwerken eines anderen Typs, welche ohne das Medium „Wasserdampf“ auskommen. Jedem ist bekannt, was es bedeutet, wenn es in einem Wohnhaus zu einer Gasexplosion kommt. Das bei einer solchen entstehende heiße Gasgemisch bricht sich zerstörerisch die Bahn, entspannt sich ins Freie und beschädigt oder zerstört gar das betroffene Haus. In einer Gasturbine geschieht prinzipiell das gleiche, nur in gezähmter Form. Wie bei einer Explosion will sich das entzündete Gas entspannen, doch die Gasturbine ist so konstruiert, dass das Gasgemisch, das bei der Verbrennung entsteht, nur einen Ausweg ins Freie hat, und zwar über die Rotorschaufeln der Gasturbine. Dadurch wird der Rotor der Turbine in Drehung versetzt und treibt den nachgeschalteten Generator an.
Solche Gasturbinenkraftwerke haben eine Reihe von Vorteilen. Verglichen mit den mit Gas befeuerten Dampfkraftwerken sind sie relativ einfach aufgebaut, denn sie benötigen keinen riesigen Dampfkessel für die Erzeugung von Wasserdampf. Sie benötigen daher auch keine Vorrichtungen für die Kühlung des Dampfes, der die Dampfturbine verlassen hat, also keinen Kondensator, kein Kühlwasser, keine Kühltürme. Aufgrund dieser Vorteile ist es weit einfacher, einen geeigneten Standort für ihre Errichtung zu finden. Ausserdem ist die Zeit, die man für die Fertigstellung eines Gaskraftwerkes braucht, wesentlich kürzer als bei Dampfkraftwerken, denn die Gasturbinen sind standardisiert. Sie können daher weitgehend schon in der Fabrik zusammengebaut werden, was die Montage vor Ort erleichtert und die Zeit, die für die Errichtung einer solchen Anlage benötigt wird, beträchtlich verkürzt. (Die Zeit, die ein konventionelles Dampfkraftwerk für seine Errichtung benötigt, liegt ― von der Vertragsunterzeichnung bis zur Inbetriebnahme gerechnet ― bei etwa fünf bis zehn Jahren. Ein Gaskraftwerk kann etwa in der halben Zeit errichtet werden. Die Bauzeit für ein Atomkraftwerk beträgt mehr als zehn Jahre, nicht zuletzt deshalb, weil gewaltige bürokratische Hürden zu überwinden sind.)
Die Investitionskosten für ein Gaskraftwerk sind daher deutlich niedriger als für ein Dampfkraftwerk der gleichen Leistung. Der einzige Nachteil von Gaskraftwerken ist, dass ihr Wirkungsgrad geringer ist als bei einem Dampfkraftwerk, das heißt, dass man mit einer gewissen Menge an Gas in einem gasbefeuerten Dampfkraftwerk mehr an elektrischem Strom erzeugen kann als in einem Gaskraftwerk.
Reine Gaskraftwerke werden daher hauptsächlich dort eingesetzt, wo die Kosten für den Primärenergieträger Erdgas eine untergeordnete Rolle spielen, also zum Beispiel in Russland, nicht jedoch in Österreich und schon gar nicht in der Energiekrise, in der wir uns heute befinden. Bei uns hat sich daher ein anderer Typus eines Gaskraftwerkes durchgesetzt, der die genannten Vorteile, die der Einsatz von Gasturbinen bietet, nützt, ohne unnötig Erdgas zu verschwenden: das sogenannte Kombikraftwerk. Da das verbrannte Gas, das eine Gasturbine verlässt, mit Temperaturen von über 600 °C noch sehr heiß ist, ist es naheliegend, es energetisch zu nutzen. Das geschieht, indem man mit den heißen Abgasen der Gasturbine einen Kessel heizt und Dampf erzeugt, mit welchem eine Dampfturbine betrieben werden kann. Ein solches Kombikraftwerk wird auch GuD-Kraftwerk genannt, wobei der Buchstabe G für Gas, der Buchstabe D aber für Dampf steht.
Verglichen mit Dampfkraftwerken haben Gasturbinen noch einen weiteren Vorteil, und der hat es in sich. Während Dampfkraftwerke sehr träge sind und einen ganzen Tag oder länger brauchen, um aus dem kalten Zustand auf Volllast hochgefahren zu werden, kann eine Gasturbine sehr schnell gestartet werden, was für die Aufrechterhaltung der Netzstabilität von überragender Bedeutung ist.
Veranschaulichen kann man sich diese Eigenschaft einer Gasturbine mit den Triebwerken eines Jet-Flugzeuges. Diese sind ihrer Struktur nach ja auch nichts anderes als Gasturbinen, welche die Energie des verbrannten Gases in Bewegungsenergie wandeln. Statt jedoch einen Generator anzutreiben, erzeugen die Rotoren der Triebwerke einen Rückstoß, wodurch das Flugzeug in Bewegung gesetzt wird, denn nach dem Impulserhaltungssatz der Mechanik muss dem Impuls nach hinten ein ebenso großer Impuls nach vorne entsprechen. Jeder, der je in einem Jet-Flugzeug gesessen ist, weiß, wie rasch die Triebwerke eines solchen gestartet und auf die beim Take-off benötigte Volllast gebracht werden können.
Dieser Vorteil von Gasturbinen erlaubt es, sehr schnell auf die Erfordernisse des Netzes zu reagieren. Sollte im Netz plötzlich mehr Energie benötigt werden als augenblicklich produziert wird, steht das eine oder andere Gaskraftwerk sozusagen Gewehr bei Fuß und kann im Bedarfsfall rasch einspringen und den Fehlbetrag an elektrischer Energie liefern.
4. Kann elektrische Energie gespeichert werden?
Diese Eigenschaft von Gasturbinen führt uns zur fundamentalen Eigenschaft der elektrischen Energie, die darin besteht, dass sie nicht oder nur sehr schlecht gespeichert werden kann. Man kann sich zwar einen Sack Kohle, einen Kanister Heizöl oder einen Stoß Holz auf Lager legen, nicht jedoch eine gewisse Menge an Kilowattstunden, und wäre diese Menge noch so klein. Die einzige Ausnahme von dieser Regel sind Batterien oder Akkumulatoren, welche die Speicherung von elektrischer Energie erlauben, freilich unter Inkaufnahme einiger damit verbundener Nachteile. Zunächst sind das ökonomische Nachteile, denn die Speicherung von elektrischer Energie in großem Stil mit Hilfe von Batterien wäre mit exorbitanten Kosten verbunden. Nicht zu vergessen sind die ökologischen Nachteile. Verbrauchte Batterien sind Sondermüll. Jeder von uns, der Batterien nicht in die Mülltonne wirft, sondern sie getrennt entsorgt, trägt dieser Tatsache Rechnung.
Aus dem Umstand, dass elektrische Energie nicht gespeichert werden kann, folgt für den Betrieb eines elektrischen Netzes die fundamentale Regel, dass in jedem Augenblick genau so viel an elektrischer Energie erzeugt werden muss, als von ihr verbraucht wird. Abweichungen davon gefährden die Stabilität des Netzes und sind tolerabel nur dann, wenn sie klein und kurz sind. Veranschaulichen kann man sich das mit einer Schaukel in Form eines Waagebalkens. Dieser Balken ist im Gleichgewicht, wenn an seinen Enden zwei gleich schwere Menschen sitzen, wobei wir voraussetzen wollen, dass diese Enden gleich lang sind. Wird dieses Gleichgewicht gestört, beginnt das schwerere Ende des Waagebalkens zu sinken, das leichtere aber zu steigen. Die Bewegung des Waagebalkens wird naturgemäß um so schneller vor sich gehen, je größer die Gewichtsdifferenz ist. Wird das Gleichgewicht nicht rasch wieder hergestellt, wird das schwerere Ende des Balkens schließlich den Boden erreichen. Wenn in einem elektrischen Netz die Wiederherstellung des Gleichgewichtes zwischen Erzeugung und Verbrauch misslingt, bedeutet das nichts anderes als den gefürchteten Blackout, der heutzutage wie ein Damoklesschwert über uns hängt und den es unter allen Umständen zu verhindern gilt.
Der Verbrauch an elektrischer Energie unterliegt starken täglichen und saisonalen Schwankungen. Wir verbrauchen im Winter mehr Strom als im Sommer, bei Tag und in den frühen Abendstunden mehr als in den Stunden nach Mitternacht. Dazu kommen noch die durch unseren Lebensrhythmus bedingten sogenannten Lastspitzen. Solche Spitzen gibt es in der Früh, wenn das wache Leben beginnt, zu Mittag, wenn überall gekocht wird, oder am Abend, wenn es dunkel ist und überall das Licht eingeschaltet wird. Doch wie sehr der Verbrauch von Strom auch schwankt, die Stromerzeuger konnten ― bis jetzt wenigstens ― die Erzeugung immer an den Verbrauch anpassen. Eine Herkulesaufgabe, die insofern erleichtert wird, als die täglichen und saisonalen Schwankungen vorhersehbar sind, weil sie ein ziemlich regelmäßiges Muster aufweisen. Ein Tag im Dezember eines bestimmten Jahres zum Beispiel unterscheidet sich nicht wesentlich von den Dezembertagen der Jahre zuvor.
Wir sind verwöhnte Zivilisationsmenschen. Für uns kommt der Strom, den wir benötigen, aus der Steckdose und hat wie ein willfähriger Sklave da zu sein, wann immer wir ihn benötigen. Gedanken darüber, wie dieses Wunder ― ja, es ist tatsächlich ein Wunder ― bewerkstelligt wird, machen wir uns nicht. Aber nicht nur private Stromkunden verhalten sich so, sondern auch die industriellen oder gewerblichen Großverbraucher von elektrischer Energie. Der Fahrer einer U-Bahn oder Straßenbahn zum Beispiel hat am Morgen, wenn er sein Tagwerk beginnt und sein Gefährt in Bewegung setzt, nicht die geringsten Zweifel, dass die dazu erforderliche elek-trische Energie vorhanden sein wird.
Wir sind also verwöhnt und müssen nie oder nur äußerst selten die Erfahrung machen, dass der Strom nicht da ist, wenn wir ihn brauchen. Das ist beinahe ausschließlich dann der Fall, wenn es im Netz eine Störung gibt. Die Bewohner eines Dritte-Welt-Landes hingegen sind in dieser Hinsicht nicht so verwöhnt. Für sie sind Stromausfälle etwas Alltägliches, erstens weil ihre Netze störungsanfälliger sind als die unseren, zweitens aber, weil oft nicht genug Energie produziert werden kann und deshalb immer wieder Verbraucher abgeschaltet werden müssen, weil die erzeugte Energie nicht reicht, um alle zu versorgen.
Wir sind, um es ein drittes Mal zu sagen, also verwöhnt, doch diese Verwöhntheit könnte angesichts der dunklen Wolken, die auf dem Energiemarkt aufgezogen sind, bald zu Ende sein. Dann wird nicht mehr der Strom produziert, der gerade gebraucht wird, sondern wir werden nur mehr den Strom verbrauchen dürfen, der gerade produziert wird. Dann werden nicht wir, die Verbraucher, den Takt angeben, die Stromerzeuger aber die Menge des erzeugten Stromes an unseren Bedarf anpassen, sondern es wird umgekehrt sein: Wir werden unseren Bedarf anpassen, und zwar an die Menge an Strom, welche die Stromerzeuger zu erzeugen im Stande sind. Ist das Gleichgewicht gestört, beginnt also das Schaukel-ende, an dem die Verbraucher sitzen, zu Boden zu sinken, weil zu viele an diesem Ende Platz genommen haben, wird also nicht mehr wie bisher die Produktion rasch erhöht werden, sondern der eine oder andere Verbraucher wird die Schaukel für einige Zeit verlassen müssen. Das kann eine Fabrik sein, das kann ein ganzer Stadtteil sein, vor allem aber werden es auch die Ladestationen für die Batterien der E-Autos sein.
5. Speicherkraftwerke und Laufkraftwerke
Wie wir gesehen haben, genügt es also nicht, elektrische Energie nur zu produzieren, sie muss auch genau in der richtigen Menge produziert werden. Nicht jeder Kraftwerkstyp ist dazu gleich gut geeignet. Völlig ungeeignet, diese Aufgabe zu übernehmen, sind die Wind- und die Solarkraftwerke, denn sie produzieren nur, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Der ideale Kraftwerkstyp für diese Aufgabe ist das Speicherkraftwerk. Die Vorteile, die dieser Typ verglichen mit den anderen Kraftwerkstypen bietet, sind so groß, so evident, dass man überall in der Welt ausschließlich Speicherkraftwerke bauen würde, wenn, ― ― ja wenn es die Topologie des Landes erlauben würde.
Speicherkraftwerke gehören wie die sogenannten Laufkraftwerke zu den Wasserkraftwerken. Bevor wir auf die Unterschiede zwischen diesen beiden Typen eingehen, müssen wir uns mit dem fundamentalen Gesetz aller Wasserkraftwerke vertraut machen, nämlich dass die elektrische Leistung, die seine Generatoren abgeben, erstens proportional der Wassermenge ist, die über die Turbinen geführt wird; zweitens aber ist sie proportional der Fallhöhe zwischen dem Stausee und der Turbine. Ich will das beziffern: Hat man einen Kubikmeter Wasser pro Sekunde zur Verfügung und beträgt das Gefälle einen Meter, so vermag je nach Wirkungsgrad der Anlage das betreffende Kleinkraftwerk eine Leistung von acht bis neun Kilowatt zu liefern. Beträgt hingegen das Gefälle tausend Meter und werden zehn Kubikmeter Wasser pro Sekunde den Turbinen zugeführt, so ist die Leistung des betreffenden Kraftwerks 1000 x 10 mal größer, beträgt also achtzig bis neunzig Megawatt.
Laufkraftwerke sind dort zu finden, wo die Wassermenge groß, das Gefälle aber klein ist, also immer an größeren Flüssen, in Österreich zum Beispiel an der Donau. Ein typisches Laufkraftwerk ist das Kraftwerk Freudenau in Wien. Es nutzt bei einem Gefälle von rund 10 Metern eine Wassermenge, die bis zu 3000 Kubikmeter pro Sekunde betragen kann.
Bei den Speicherkraftwerken ist es umgekehrt. Bei ihnen ist die Wassermenge eher niedrig, dafür das Gefälle hoch. Das Wasser, mit dem sie betrieben werden, wird in einem hoch im Gebirge gelegenen Stausee gesammelt und über eine Druckleitung den im Tal aufgestellten Turbinen zugeführt. Speicherkraftwerke können daher nur dort gebaut werden, wo es erstens genügend Wasser gibt, zweitens aber dort, wo es möglich ist, die Wasserspeicher möglichst hoch anzuordnen, die Turbinen aber möglichst tief.
Ideal sind diese Voraussetzungen in Norwegen erfüllt. Es ist ausreichend viel Wasser vorhanden, und die Stauseen liegen, da das Land gebirgig ist und steil zur Küste abfällt, hoch in den Bergen, die Turbinen hingegen tief unten an der Meeresküste. Relativ einfach ist in Norwegen auch die Errichtung solcher Stauseen, denn es genügt, einen engen Fjord mit steil abfallenden Hängen mit einer Staumauer abzuriegeln. Gewiss ist es nicht unproblematisch, Land mit Stauseen zu überfluten, doch Norwegen ist flächenmäßig sehr groß und hat genügend Ödland, so dass dieser Nachteil nicht besonders ins Gewicht fällt.
Speicherkraftwerke haben drei Eigenschaften, die für eine sichere und wirtschaftliche Stromversorgung höchst wünschenswert sind. Erstens ist die Primärenergie erneuerbar und kostet praktisch nichts, denn sie stammt von den Bächen, welche den Stausee speisen. Dasselbe gilt auch für die Windkraft; auch der Wind, der ein Windrad antreibt, kostet ja nichts. Das andere Extrem in dieser Hinsicht sind die thermischen Kraftwerke, wo die Primärenergie, zum Beispiel Öl oder Gas, sehr wohl etwas kostet, und ein Land, das solche Primärenergieträger importieren muss, in Abhängigkeit bringt von seinen Lieferanten und den politischen Fährnissen in der Welt, wie wir sie zur Zeit ― es ist Herbst 2022, da ich das schreibe ― erleben müssen.
Die zweite wünschenswerte Eigenschaft von Speicherkraftwerken ist, dass es die Entscheidung seines Betreibers ist, wann er Strom produziert und wieviel davon. Das andere Extrem in dieser Hinsicht sind die an den größeren Flüssen gelegenen Laufkraftwerke. Ihre Energieproduktion ist abhängig von der Wasserführung des Flusses. Fließt wenig Wasser, wird wenig produziert, fließt viel Wasser, viel; führt der Fluss bei Hochwasser mehr Wasser als die Turbinen schlucken können, muss das Laufkraftwerk unter Umständen stillgelegt und das Wasser über das Wehr geleitet werden, statt über die Turbinen. Strom wird in diesem Fall keiner erzeugt. Analoges gilt für Windkraftwerke. Auch bei diesen ist die Stromproduktion abhängig, ob und wie stark der Wind bläst, und das Analogon zum Hochwasser bei einem Laufkraftwerk ist beim Windkraftwerk der Sturm. Er erzwingt die Abschaltung der betreffenden Windräder, weil sie sonst überlastet wären. Sowohl bei Lauf- als auch bei Windkraftwerken hat der Betreiber Einfluss auf die Produktion nur insofern, als es ihm lediglich freisteht, seine Anlage jederzeit abzuschalten. Sonst muss er fatalistisch nehmen, was an Primärenergie gerade daherkommt.
Verglichen mit einem Windkraftwerk hat ein Laufkraftwerk jedoch einen großen Vorteil: Sein Betreiber weiß schon mehrere Tage, ja oft Wochen im Voraus, wie viel Wasser der Fluss, an dem sein Kraftwerk liegt, etwa führen wird, denn die Pegel der Flüsse verändern sich langsam. Er kann seine Planungen daher danach richten. (Die österreichische VERBUND weiß schon einige Tage im Voraus, wann die Erzeugung von Strom durch die Laufkraftwerke nicht mehr ausreichen wird, weil die Pegel der Flüsse sinken; wann es daher erforderlich sein wird, ersatzweise thermische Kraftwerke in Betrieb zu nehmen.) Der Wind hingegen ist ein äußerst launisches Ding, der weht, wie es ihm beliebt.
Die Windenergieproduktion ist daher nicht planbar. Zwar weiß man mit einiger Sicherheit, ob der Wind morgen wehen wird, doch den genauen Wert, also wie stark er sein wird, kennt man nicht. Die Windgeschwindigkeit ist insofern höchst kritisch, weil die Leistung, die ein Windrad abgibt, sich mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit ändert. Ist das Windkraftwerk zum Beispiel so ausgelegt, dass es bei einer Windgeschwindigkeit von fünfzig km/h seine volle Leistung abgibt, so sinkt seine abgegebene Leistung auf die Hälfte ab, wenn die Windgeschwindigkeit lediglich um zwanzig Prozent niedriger ist, also wenn sie statt fünfzig nur vierzig km/h beträgt. Weht der Wind nur halb so stark, also nur mit 25 km/h, so sinkt die Leistung des Windrades gar auf mickrige 12,5 Prozent. Der Betreiber einer Windkraftanlage weiß also bestenfalls, ob er am nächsten Tag überhaupt Strom produzieren wird; wieviel Strom es sein wird, weiß er hingegen nicht.
Weiter oben habe ich dargelegt, wie wichtig es für die Energieerzeuger ist, schnell wieder das Gleichgewicht zwischen erzeugter und verbrauchter elektrischer Energie herzustellen, sollte es aus irgendeinem Grund gestört sein. Das führt uns zum dritten großen Vorteil von Speicherkraftwerken: Auf Grund ihrer Bauart gestatten sie eine schnelle Intervention, wenn die Netzstabilität gefährdet ist. Muss die Produktion erhöht werden, genügt es, den vor der Turbine liegenden Schieber stärker zu öffnen und somit mehr Wasser auf die Turbine zu leiten. Ist die Sache umgekehrt, wird im Netz zu viel Energie produziert, genügt es, die Öffnung des Schieber zu verkleinern. Das ist alles. Das Ganze ist also nicht viel anders als das jedermann bekannte Auf- und Zudrehen eines Wasserhahnes; es geht daher sehr schnell vonstatten. Prinzipiell wäre eine rasche Intervention auch bei Windkraftanlagen möglich, vorausgesetzt, dass der Wind weht. Dazu müsste man nur eine Anzahl von Windrädern in Reserve halten, um sie, wenn der Strombedarf steigt, schnell zuschalten zu können. Wird hingegen weniger Energie benötigt, könnte eine gewisse Zahl an Windrädern abgeschaltet werden. Der Nachteil dabei ist, dass Primärenergie ungenützt verloren geht. Außerdem haben die meist privaten Betreiber von Windkraftanlagen eine Stromabnahmegarantie, das heißt, es wird ihnen der Strom abgenommen, den sie produzieren. Standby-Haltung von Windrädern oder Abschaltungen sind also schon rein rechtlich nicht möglich.
Den Nachteil, dass Primärenergie verloren geht, wenn die Stromproduktion gedrosselt wird, haben Speicherkraftwerke nicht. Verringert man deren Leistung, indem man den Schieber zumacht, fließt zwar weniger Wasser durch die Turbine, doch das Wasser, das man ihr vorenthält, ist nicht verloren; es bleibt im Speicher und kann zu einem späteren Zeitpunkt in elektrische Energie umgewandelt werden.
Ich fasse zusammen: Speicherkraftwerke haben drei äußerst wünschenswerte Eigenschaften. Erstens kostet die Primärenergie nichts. Zweitens steht es ihren Betreibern frei, ob und wieviel Energie sie produzieren wollen. Drittens gestatten sie rasche Laständerungen, was für die Aufrechterhaltung der Netzstabilität von überragender Wichtigkeit ist.
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Speicherkraftwerke gestatten also eine schnelle Intervention, wenn es gilt, die Schaukel wieder ins Gleichgewicht zu bringen, wenn dieses aus irgendeinem Grund gestört sein sollte. Wie es in dieser Hinsicht mit der Windkraft und mit der anderen Form der Wasserkraft, den Laufkraftwerken bestellt ist, haben wir dargelegt. Wie schaut es damit bei den anderen Kraftwerkstypen, den Dampf- oder Gaskraftwerken aus?
Betrachten wir zunächst die ersten. Dampfkraftwerke sind ungemein träge. Sie aus dem kalten Zustand auf ihre volle Leistung zu bringen, dauert viele Stunden, ja Tage. Ein Dampfkraftwerk kann man nicht so schnell anknipsen wie eine Glühbirne oder nicht so schnell aufdrehen wie einen Wasserhahn. Ebenso wenig kann die Leistung, die sie abgeben, schnell verändert werden. Aus den genannten Gründen ist es daher am wirtschaftlichsten, Dampfkraftwerke rund um die Uhr und rund um das Jahr mit ihrer vollen Leistung zu betreiben. Deshalb werden sie in der Regel nur abgeschaltet, wenn unvermeidliche Wartungsarbeiten anstehen oder wenn schwerwiegende Defekte die Abschaltung erzwingen. Da ein Jahr 8760 Stunden hat, kann man davon ausgehen, dass es ein Dampfkraftwerk auf mindestens 8000 Betriebsstunden pro Jahr bringt. Ist es für eine Nennleistung von 100 Megawatt ausgelegt, so produziert das Kraftwerk im Jahr 800.000 Megawattstunden, also 800 Millionen Kilowattstunden. Ein Windpark, der die gleiche installierte Leistung hat, bringt es hingegen nur auf rund ein Fünftel dieser Menge, weil der Wind nicht oder nicht genügend stark weht. Um ein Dampfkraftwerk, das eine installierte Leistung von 100 Megawatt hat, zu ersetzen, benötigt man daher eine Windkraftanlage mit einer installierten Leistung von 500 Megawatt.
Auf Grund ihrer großen Trägheit übernehmen in einem Stromnetz Dampfkraftwerke daher die Grundlast, also jenen Teil des Strombedarfs, der sich nicht oder nur vorhersehbar langsam ändert. Wegen ihrer Trägheit und der dadurch bedingten langen Reaktionszeit werden ihnen keine netzstabilisierenden Aufgaben übertragen.
Eine Zwischenstellung zwischen den Speicherkraftwerken und den Dampfkraftwerken nehmen die Gaskraftwerke ein. Zwar können sie nicht so schnell reagieren wie die ersteren; trotzdem sind sie um Größenordnungen schneller als die letzteren ― man erinnere sich an die Gasturbinen eines Jets, mit denen wir sie weiter oben verglichen haben. Es dauert nicht viele Stunden, sondern lediglich Minuten, um sie anzufahren; aber auch Leistungsänderungen sind rasch möglich. Will man mehr Leistung, gibt man sozusagen mehr „Gas“, will man weniger Leistung, geht man eben vom „Gas“. Primärenergie geht dadurch also nicht verloren.
6. Das kontinentale europäische Verbundnetz
Wir leben im Verbund. Die Stromnetze der meisten europäischen Länder sind zu einem einzigen riesigen kontinentalen Verbundnetz zusammengeschlossen, das von Spanien und dem Balkan bis zur Ostsee, vom Atlantik und der Nordsee bis in die Ukraine reicht. (Neben dem kontinentalen Verbundnetz gibt es in Europa noch das Nordische Verbundnetz, dem die Staaten Norwegen, Schweden und Finnland angehören; außerdem das Baltische Verbundnetz und das Verbundnetz von Großbritannien. Weißrussland ist im Verbund mit Russland.)
Welchen Vorteil bringt der Zusammenschluss der europäischen Netze zu einem Stromverbund? ― Nun vor allem den, dass er die Aufrechterhaltung der Netzstabilität sehr erleichtert. Um das zu verstehen, bemühen wir noch einmal unser Gleichnis mit der Schaukel. Wenn an ihren Enden jeweils zwei Personen sitzen, doch an einem ihrer Enden eine Person abspringt, so wird die Schaukel rasch zu Boden sinken. Sitzen aber jeweils hundert Personen an den Enden, und springt in diesem Fall eine Person ab, so wird die Schaukel zwar ebenfalls zu sinken beginnen, aber bei weitem nicht so schnell wie im ersten Fall. Dadurch gewinnt man Zeit für die Intervention, in der man die gestörte Balance wieder herstellen kann, bevor es zu spät ist und es zu einem größeren Shutdown kommt. Ein weiterer Vorteil des Verbundnetzes ist, dass jedem Teilnetz die Reserven des Gesamtnetzes zugutekommen, weil man, wenn die Produktion des eigenen Netzes gestört ist, kurzfristig Energie aus dem Gesamtnetz importieren kann. Der Zusammenschluss der einzelnen Teilnetze erlaubt auch den Handel mit Strom unter ihnen, aber ob das ein Vorteil ist, kann bezweifelt werden.
Durch gemeinsame Anstrengung aller seiner Mitglieder muss dieses Netz stabil gehalten werden. Die wichtigste Größe, die es dabei konstant zu halten gilt, ist die Frequenz des Verbundnetzes. Sie ist im gesamten Verbundnetz die gleiche und beträgt, von geringen Schwankungen abgesehen, fünfzig Hertz. Es sind die Schwankungen der Netzfrequenz, die anzeigen, ob das Gleichgewicht zwischen erzeugter und verbrauchter Leistung gewahrt oder gestört ist. Wird zu wenig Energie produziert, sinkt die Frequenz; sie sinkt umso schneller, je größer der Fehlbetrag an erzeugter Energie ist. Analoges gilt für den Fall, dass zu viel Energie produziert wird. Das riesige Netz stabil zu halten, heißt daher nichts anderes, als seine Frequenz in einem engen Band um die Sollfrequenz von fünfzig Hertz zu halten. Sie darf daher maximal um ein Prozent, also ein halbes Hertz nach oben und nach unten abweichen.
Das Verbundnetz ist stabil, wenn alle Teilnetze, aus denen es besteht, stabil sind. Jeder Betreiber eines Teilnetzes (Der Betreiber des österreichischen Teils des europäischen Verbundnetzes ist die APG (Austian Power Grid), eine Tochtergesellschaft der VERBUNG AG.) ist daher angehalten, dafür zu sorgen, dass die Energie, die in seinem Netz erzeugt wird, im Gleichgewicht ist mit der Energie, die in seinem Netz verbraucht wird. Kommen alle Staaten dieser Verpflichtung nach, halten sie die Netze, die sie betreiben und für die sie verantwortlich sind, stabil, ist auch das europäische Verbundnetz stabil.
Wie können nun die einzelnen Staaten feststellen, dass ihr Netz stabil ist, und sie ihrer Verpflichtung nachkommen? Die Netzfrequenz ist es nicht, denn die ist im gesamten Verbundnetz die gleiche; wenn sie schwankt, ist das zwar ein Indiz, dass das ganze Verbundnetz aus dem Gleichgewicht zu geraten droht, nicht aber wodurch. Welches Teilnetz für die Frequenzschwankung verantwortlich ist, kann so nicht festgestellt werden. Das geschieht vielmehr dadurch, dass die Betreiber der Teilnetze die Energieflüsse an den Leitungen, mit denen sie mit dem Verbundnetz verbunden sind, kontrollieren und bilanzieren. Über einige dieser Leitungen fließt elektrische Energie in das Teilnetz hinein, über andere wiederum hinaus. Man macht also ständig Bilanz. Fließt in ein Teilnetz von außen genau so viel Energie hinein als Energie aus ihm nach außen abfließt, so ist dieses Teilnetz stabil.
Der Einfachheit halber haben wir hier vom Stromhandel abgesehen. Berücksichtigt man diesen, so wird die Energie, die ein Teilnetz zugekauft hat, auf der Erzeugerseite seiner Energiebilanz bilanziert; die Energie hingegen, welche das Teilnetz verkauft hat, auf ihrer Verbraucherseite. Dazu ein Beispiel: Nehmen wir an, die Leistung, die der österreichische Teil des europäischen Verbundnetzes verbraucht, wäre 10.000 MW. Die APG, als Betreiber dieses Netzes, hätte aus Tschechien 1000 MW an Strom zugekauft, nach Slowenien aber 500 MW verkauft. Die Strombilanz der APG schaut bei diesen Annahmen wie folgt aus: Der Verbrauch ist 10.000 + 500 = 10.500 MW. Wenn die österreichischen Kraftwerksbetreiber, allen voran die VERBUND AG, 9.500 MW in das Netz der APG einspeisen, so beträgt also die Erzeugung 9.500 MW plus den 1000 MW, die aus Tschechien zugekauft wurden, also insgesamt wieder 10.500 MW. Das Netz der APG ist also stabil.
Kommt es im europäischen Verbundnetz zu einer merklichen Änderung der Frequenz, so ist der Verursacher dieser Änderung jenes Teilnetz, dessen Leistungsbilanz gestört ist.
Nehmen wir beispielsweise an, in Österreich würde ein wichtiges Kraftwerk ausfallen. Da die Leistung des ausgefallenen Kraftwerkes nun fehlt, wird die österreichische Strombilanz negativ, und zwar um die Leistung, die das Kraftwerk geliefert hat, bevor es ausgefallen ist. Kurzfristig wird das europäische Verbundnetz einspringen und die Leistung bereitstellen, die Österreich augenblicklich fehlt, wodurch elektrische Energie ins Land fließen wird. Mit dem Ausfall des Kraftwerkes wird auch die Frequenz im europäischen Verbundnetz zu sinken beginnen. Das wird zwar sehr langsam sein, denn angesichts des riesigen europäischen Netzes mit seinen tausenden Kraftwerken bedeutet der Ausfall eines österreichischen Kraftwerkes, und wäre es das größte, nicht allzu viel. Nichtsdestoweniger muss über kurz oder lang jemand im Netz die Produktion um den ausgefallenen Betrag erhöhen, bevor die Frequenz auf einen kritischen Wert abgesunken ist. Idealerweise wird dieser Jemand Österreich selbst sein, vorausgesetzt, dass entsprechende Reserven im Land vorhanden sind. Wenn das aber kurzfristig nicht möglich ist, muss jemand anderer im europäischen Verbundnetz einspringen und Österreich mit der Leistung beliefern, die ihm durch den Ausfall des Kraftwerkes fehlt. Für diesen Strom muss Österreich einen sehr hohen Preis bezahlen, der umso größer sein wird, je länger es dauert, bis Österreich es schafft, seine gestörte Energiebilanz mit den eigenen Ressourcen wieder auszugleichen. Österreich wird daher sein Möglichstes tun, dass dies so rasch wie möglich geschieht. Bezahlt muss aber auch dann werden, wenn ein Land Überschüsse produziert und den anderen Ländern Strom sozusagen aufdrängt.
7. Drei europäische Länder im Vergleich
7.1 Norwegen
Das europäische Musterland in Sachen elektrischer Energie ist Norwegen. Es ist das Rückgrat des nordischen Verbundnetzes, bestehend aus den Ländern Schweden, Finnland und eben Norwegen. Mit dem kontinentaleuropäischen Verbundnetz ist das nordische Verbundnetz über im Meer verlegte Gleichstromleitungen verbunden, welche den Energieaustausch zwischen den genannten Verbundnetzen ermöglichen, ohne dass die Netze dafür synchron sein müssten. Zwei Netze sind synchron, wenn die Frequenz in beiden immer genau gleich groß ist, was nur möglich ist, wenn sie mit Wechselstromleitungen verbunden sind. Eine Gleichstromkupplung erlaubt daher den Energieaustausch zwischen asynchronen Netzen.
Norwegen ist in vieler Hinsicht ein beneidenswertes Land. Freilich stinkt es mit voller Hose, denn auf Grund seiner Topologie erzeugt es beinahe hundert Prozent seines Stromes aus der Wasserkraft und das beinahe ausschließlich mit seinen Speicherkraftwerken, deren günstigen Eigenschaften wir weiter oben beleuchtet und gerühmt haben. Sein Stromnetz stabil zu halten, ist für Norwegen deshalb ein Kinderspiel, denn, wie wir bereits festgestellt haben, sind Speicherkraftwerke jener Typ von Kraftwerken, die die Lei-stung, die sie produzieren, am raschesten ändern können.
Norwegen sorgt aber nicht nur für die Stabilität des nordischen Verbundnetzes; dadurch, dass es mit dem riesigen kontinentaleuropäischen Verbundnetz über im Meer verlegte Gleichstromleitungen verbunden ist, kann es auch einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Stabilität des letzteren leisten, indem es elektrische Energie mit ihm austauscht. Wird zum Beispiel in Deutschland zu viel Energie produziert, weil im ganzen Land kräftiger Wind weht, kann Norwegen den Deutschen ihre Überschüsse abnehmen und diese zur Versorgung des eigenen Landes verwenden. Freilich muss es dafür die Produktion seiner Speicherkraftwerke drosseln, und zwar genau um den Betrag, den es aus Deutschland an Strom bezieht, was aber problemlos möglich ist. Bezieht Norwegen Strom aus Deutschland, wird sein in den Stauseen gespeicherter energetischer Schatz (Mit dem in seinen Stauseen gespeicherten Wasser könnte Norwegen 70% seines Jahresbedarfs an elektrischer Energie produzieren, und das im hypothetischen Fall, dass alle Zuflüsse in die Stauseen versiegen.) weniger stark beansprucht; er steht daher zur Verfügung, wenn Deutschland Strom braucht, weil im Land gerade Flaute herrscht und die deutschen Windräder nicht genügend Strom liefern. Dann steigert Norwegen schnell die Stromproduktion, produziert Überschüsse und liefert diese nach Deutschland.
Dieser Stromhandel ist für Norwegen ein äußerst einträgliches Geschäftsmodell, denn der Windstrom, den das Land aus Deutschland importiert, ist billig, der Strom, den es nach Deutschland liefert, vergleichsweise teuer. Es ist daher kein Wunder, dass Norwegen das Volumen des mit Deutschland ausgetauschten Stromes steigern möchte, denn es könnte aus Deutschland weit mehr Windstrom beziehen, als es tatsächlich tut. Der importierte Windstrom muss ja im Land verbraucht werden, was nur möglich ist, wenn man die eigene Produktion drosselt; die Höhe des eigenen Verbrauchs ist daher die absolute Grenze, bis zu der Norwegen Deutschland die überschüssige Windenergie abnehmen kann. Da Deutschland unbeirrt weiter auf die Windkraft setzt, diese auch noch weiter ausbauen will, wodurch sein Bedarf an Regelenergie stetig wächst, könnte Norwegen sein einträgliches Stromveredelungsgeschäft mit Deutschland ausweiten, denn Deutschland würde statt einem eher mehrere Norwegen benötigen. Zwar hat Norwegen den höchsten Prokopfverbrauch an elektrischer Energie, doch das Land hat nur 5,4 Millionen Einwohner, Deutschland hingegen fünfzehn Mal mehr. Welche Möglichkeiten hat Norwegen in dieser Hinsicht? ― Es kann erstens neue Speicherkraftwerke bauen; zweitens aber kann es den Stromverbrauch im eigenen Land erhöhen.
Wie kann man letzteres am besten? ― Erraten, indem man voll auf Elektromobilität setzt! Schon im Jahr 2025 sollen in Norwegen keine neuen Autos mit Verbrennungsmotor, sondern nur noch Elektroautos neu zugelassen werden. Das wird den Stromverbrauch in Norwegen drastisch erhöhen, und damit das Volumen des möglichen Stromhandels mit Deutschland. Die norwegische Energiepolitik wird von allen Verfechtern der Elektromobilität als vorbildlich gerühmt und zur Nachahmung empfohlen. Aber, wie schon gesagt, stinkt Norwegen mit voller Hose.
Sich in diesem Punkt auf Norwegen zu berufen, ist also absurd. Stellen wir uns vor, irgendwelche Grünaktivisten wollten Kühlschränke verbieten und die Frage, wie das gehen soll, mit dem Argument abschmettern, die Eskimos in Grönland kämen ja auch ohne Kühlschränke aus. Sie würden sich lächerlich machen. Aber angesichts der allgemeinen Unwissenheit in Energiefragen . . .
Glückliches Norwegen, das seinen Strom beinahe zu hundert Prozent aus Wasserkraft erzeugt und so viel Erdgas und Erdöl aus eigener Produktion hat, dass es diese exportieren kann. Kein Wunder, dass es das drittreichste Land der Welt ist, und das demokratischste obendrein.
7.2 Deutschland
Das zweite europäische Musterland ist Deutschland, doch es ist leider ein negatives Muster. Wieder zeigt es Deutschland aller Welt, doch wie schon so oft in seiner Geschichte, wie man es besser nicht machen sollte.
Es ist schwer, über die deutsche Energiepolitik, ja über Deutschland insgesamt zu schreiben, ohne allzu polemisch zu werden. Schon Nietzsche hat gegen Deutschland polemisiert und es ein Flachland genannt, und das bildlich und unbildlich.
Ein Flachland hat gegenüber einem Bergland viele Vorteile. Es hat mehr fruchtbaren Boden, es kann daher mehr Menschen ernähren und ist daher dichter besiedelt als ein gebirgiges Land. Was aber die Erzeugung von elektrischer Energie betrifft, ist es auf Grund seiner Topologie benachteiligt, denn in einem Flachland wie Deutschland kann die Wasserkraft nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zwar ist Deutschland von großen Flüssen wie der Donau, dem Rhein oder der Elbe durchflossen, doch flach wie das Land ist, fließen seine Flüsse träge dahin. Um Strom zu erzeugen, ist jedoch unbedingt ein Gefälle erforderlich. Weil an einem Fluss meist zu wenig natürliches Gefälle vorhanden ist, muss nachgeholfen und ein Gefälle künstlich erzeugt werden, indem man den Fluss staut, was jedoch den Nachteil hat, dass viel an meist fruchtbarem Boden überschwemmt werden muss. Je geringer das natürliche Gefälle eines Flusses ist, desto länger muss der Stau sein, desto mehr an Boden wird dabei überschwemmt. Einen Tieflandfluss zu stauen, ist daher nicht sinnvoll, denn viel zu viel an kostbarem Land ginge dadurch verloren.
Deutschland ist stolz auf seine sogenannte Energiewende. Doch bei Lichte betrachtet erweist sich diese Wende, um in der Seglersprache zu bleiben, eher als eine total missglückte Halse, erweist sich als ein Kurswechsel, der dem Land von unkundigen und ideologielastigen Politikern verordnet wurde, unter kräftiger Mitwirkung des Zeitgeistes und seinem opportunistischen Wind.
Dass in Deutschland etwas schiefgelaufen sein muss, ist schon am Strompreis zu erkennen, denn der Preis, den der deutsche Stromkonsument für die Kilowattstunde zu zahlen hat, ist der höchste in Europa. Zwar haben Windkraft und Solarenergie den Vorteil, dass die Primärenergie nichts kostet, doch sie können die konventionellen Kraftwerke nicht ersetzen. Das erkennt man leicht, wenn man sich fragt, woher der deutsche Strom kommt, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Dann müssen die nach wie vor vorhandenen konventionellen Kraftwerke einspringen und den benötigten Strom liefern. Das hat die brutale Konsequenz, dass man alle deutschen Windräder stilllegen oder abreißen könnte, ohne damit die deutsche Stromversorgung zu gefährden. Umgekehrt ginge das freilich nicht. Die gewaltigen Investitionskosten, welche der Ausbau der Windkraft verursacht hat, wurden also für Strukturen aufgewendet, die man eigentlich gar nicht bräuchte.
Gewiss, und das ist die andere Seite der Medaille, hat man mit dem Ausbau der Windenergie viel Geld gespart, weil man viel weniger Primärenergie benötigt, doch steht diese Ersparnis in keinem Verhältnis zu den gewaltigen Investitionsko-sten, sonst wäre der Strompreis in Deutschland nicht so hoch. Die etwa 30.000 Windradungetüme, die inzwischen die deutsche Landschaft verunstalten, haben ihren Preis, und das nicht nur in ästhetischer, sondern auch in ökologischer und vor allem wirtschaftlicher Hinsicht. Um einen großen Kernkraftwerksblock zu ersetzen, muss man je nach Leistung Tausende solcher Ungetüme bauen. (Die Rechnung dafür ist schnell gemacht. Ein großer Kernkraftwerksblock hat typischerweise eine Leistung von 1300 MW und liefert, weil er praktisch das ganze Jahr in Betrieb ist, mehr als eine TWh an Energie. Weil der Wind oft nicht oder nicht genügend stark weht, muss, um dieselbe Menge an Strom zu produzieren, fünf Mal mehr, also 6500 MW an Windkraft installiert werden. Bei einer Leistung von 2 MW, die ein großes Windrad hat, bedeutet das über 3000 solcher Windradungetüme.) Für die Errichtung eines Kernkraftwerkes benötigt man eine Fläche von einigen Fußballfeldern, für die entsprechende Menge an Windrädern mindestens 300 km2. (In Deutschland arbeitet man gerade an einem Gesetz, gemäß dem die Verbauung von zwei Prozent der Landesfläche, also etwa 7000 km2, mit Windrädern erlaubt werden soll.) Was das für Mensch, Tier und Umwelt bedeutet, will man sich eigentlich gar nicht vorstellen.
Doch ich will das hier nicht vertiefen, ich möchte nur noch auf einen weiteren Nachteil der Windkraft eingehen, nämlich, dass sie ihrer Natur nach nicht nur keinen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität leisten kann, sondern dass sie diese sogar gefährdet, insbesondere wenn man die Windräder betreibt, wie es derzeit in Deutschland üblich ist. In Deutschland nämlich wackelt der Schwanz mit dem Hund, denn nicht die Windräder müssen sich den trägen Großkraftwerken anpassen, sondern es ist umgekehrt. Den Takt geben also die volatilen Windräder vor, denn alles, was sie an Strom produzieren, wird ihren meist privaten Betreibern abgenommen. Ohne diese Abnahmegarantie wären die Windräder wohl kaum errichtet worden. (Der deutsche Staat fördert die Windkraftanlagen also doppelt: erstens, indem er ihren Betreibern einen viel zu hohen Preis für die Kilowattstunde zubilligt, zweitens durch die Abnahmegarantie. Also Planwirtschaft pur! Mit Marktwirtschaft hat das nichts mehr zu tun.) Die Großkraftwerke aber dürfen nur dann einspringen, wenn die ersteren nicht oder nicht genügend Energie liefern können.
Was das für die Netzstabilität bedeutet, kann man sich, angesichts des launischen Windes, leicht ausmalen. Man erinnere sich an die Tatsache, dass die Leistung, die ein Windrad abgibt, mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit abnimmt. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Weht der Wind halb so stark, sinkt die Leistung, die ein Windrad liefert, auf ein Achtel. Folglich hat man nie genau den Strom, den man gerade braucht; das eine Mal hat man zu viel davon, dann wieder zu wenig. Die Netzstabilität kann in Deutschland daher nur gewahrt werden, indem man in Starkwindzeiten seine Stromüberschüsse ins Ausland, insbesondere nach Norwegen, verschleudert, in Schwachwindzeiten aber Strom teuer aus dem Ausland bezieht. Auch dieser Sachverhalt bildet sich im hohen deutschen Strompreis ab.
Die taumelnde deutsche Stromversorgung wäre gewiss schon mehrere Male abgestürzt, wenn sie nicht immer wieder vom Ausland aufgefangen worden wäre. Wenn diese herbe Feststellung falsch sein sollte, wäre sie sehr leicht zu widerlegen. Deutschland müsste sich zu diesem Zweck nur vom riesigen kontinentaleuropäischen Verbundnetz trennen und versuchen, einige Zeit lang auf eigenen Beinen zu stehen. Da würden seine Bewohner wohl bald ihr blaues Wunder erleben.
Die deutsche Stromversorgung ist wahrlich ein negatives Muster, die nur deshalb noch einigermaßen funktioniert, weil die anderen Staaten dem deutschen Beispiel eben nicht folgen. Was seine Stromversorgung betrifft, ist Deutschland also ein Trittbrettfahrer, der, wenn es schlimm kommen sollte, dafür verantwortlich sein wird, wenn in naher Zukunft in ganz Europa die Lichter ausgehen sollten. Aber man hat ja Herrn Putin als Sündenbock. Dem wird man die Folgen der verfehlten deutschen Energiepolitik in die Schuhe schieben.
Dieses herbe Urteil wird auch angesichts dessen, was wir derzeit an der Energiefront erleben, nicht falsch. Was hätte Deutschland mit dem Geld, das es in den Ausbau der Windkraft gesteckt hat, nicht alles machen können, um seine Energieversorgung autarker zu machen? Welcher Teufel hat Deutschland geritten, aus der Kohle auszusteigen, dem einzigen Primärenergieträger, den man nicht zukaufen muss, weil er im eigenen Land in ausreichender Menge zur Verfügung steht? Überall in der Welt baut man neue Kernkraftwerke, in Deutschland hingegen baut man nicht nur seit langem keine neuen mehr, man legt sogar bestehende, Strom äußert günstig produzierende, still, statt sie noch einige Jahre weiter am Netz zu lassen. (Solch ein amortisiertes Kernkraftwerk produziert, wie es heißt, die Kilowattstunde für lediglich 2 Cent.) Man hätte in Deutschland auch längst schon ein Flüssiggasterminal bauen können, um das wichtige Erdgas auch von woanders als von Russland beziehen zu können. Jede Fabrik, die auf Zulieferungen aus dem Ausland angewiesen ist, muss sich auf den Fall vorbereiten, dass diese Zulieferungen ausbleiben könnten. Sie muss Überlegungen anstellen, wie in einem solchen Fall diese Ausfälle substituiert werden könnten. Das ideologieverblendete Deutschland hingegen . . .
7.3 Österreich
Werfen wir zum Abschluss noch einen Blick auf ein drittes europäisches Land: auf unser Österreich. Auch Österreich ist, was seine Stromversorgung betrifft, ein gesegnetes Land, obwohl nicht in dem Maß, wie es Norwegen ist. Der Vergleich Österreichs mit Norwegen ist lehrreich. Erzeugt Norwegen fast seinen ganzen Strom, den es benötigt, mit der Wasserkraft, so liegt der Anteil der Wasserkraft bei der österreichischen Stromproduktion bei 60 Prozent. Noch ein Unterschied ist erwähnenswert: Während Norwegen seinen mit der Wasserkraft erzeugten Strom fast ausschließlich mit Speicherkraftwerken erzeugt, erzeugt Österreich seinen Wasserkraftstrom überwiegend mit Laufkraftwerken, wiewohl es auch einige Speicherkraftwerke hat, deren bekannteste die Kraftwerke Kaprun und Malta sind. Dieser Unterschied zu Norwegen ist geografisch und topologisch bedingt. Österreichs Schicksalsstrom ist die Donau. Mit ihr hat Österreich den größten energetisch nutzbaren Fluss Europas, der auf seinem etwa 400 km langen Weg durch Österreich, also von Passau nach Hainburg, ein Gefälle von etwa 170 Metern aufweist. (Das durchschnittliche Gefälle der Donau beträgt in Österreich demnach etwa 0,425 m pro Stromkilometer. Um das typische Gefälle von 10 Metern, das für den Betrieb eines Donaukraftwerkes notwendig ist, zu erreichen, muss der Rückstau etwa 23 km betragen.)
Von Hainburg bis zur Mündung der Donau beträgt das Gefälle hingegen lediglich 140 Meter, bei einer verbleibenden Flusslänge von etwa 1900 km. Ab Hainburg ist die Donau also ein energetisch kaum nutzbarer Tieflandfluss, wenn man vom Kraftwerk am Eisernen Tor absieht, das auf Grund der dortigen Topologie das mit Abstand größte Donaukraftwerk ist. Aber nicht nur die Donau, auch ihre großen Nebenflüsse wie der Inn, vor allem aber die Drau, liefern wichtige Beiträge zur Erzeugung von Strom mit Laufkraftwerken.
Speicherkraftwerke spielen in Österreich nicht die Rolle, die sie in Norwegen spielen. Zwar sind die Alpen zum Teil beträchtlich höher als die norwegischen Berge, auch die notwendigen Wassermengen wären in Österreich vorhanden, doch die Alpentäler sind keine engen Fjorde, in denen mit relativ geringem Aufwand Wasser gestaut werden kann. Verglichen mit Norwegen sind geeignete Standorte für Speicherkraftwerke in Österreich daher rar. Vor allem ist es der Sicherheitsaspekt, der den Bau von Speicherkraftwerken in Österreich hemmt. Sollte in Norwegen ein Staudamm brechen, so ergösse sich das gestaute Wasser ins Meer; es wäre zwar eine Katastrophe mit großen Zerstörungen, womöglich auch mit Menschenopfern, aber sie wäre überschaubar. In Österreich hingegen wäre die Katastrophe eine gewaltige, denn das Wasser des berstenden Stausees würde seinen Weg über das österreichische Flusssystem nehmen müssen. Unzählige Tote wären zu beklagen, und die Landschaft entlang der Flüsse wäre, nachdem sich das Wasser verlaufen hätte, nicht mehr wiederzuerkennen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass man in Österreich aus dieser Not schon früh eine Tugend gemacht hat und die meisten der vergleichsweise wenigen Speicherkraftwerke, die man bauen konnte, auch mit Pumpen ausgerüstet hat. Die meisten österreichischen Speicherkraftwerke sind daher Pumpspeicherkraftwerke. Da man über solche verfügt, braucht in der Zeit, da wenig elektrische Energie benötigt wird, die Produktion an Strom nicht zurückgefahren werden; der Überschuss an erzeugter elektrischer Energie kann vielmehr dazu verwendet werden, Wasser zurück in den Stausee zu pumpen, wo es als energetische Reserve zur Verfügung steht. Selbstverständlich muss unterhalb des Krafthauses ein entsprechendes Wasserbecken vorhanden sein, in dem das Wasser, das von oben gekommen ist, gesammelt wird. Pumpspeicherkraftwerke sind die einzige Möglichkeit, elektrische Energie in großem Maßstab zu speichern, indem man sie wieder in die Energieform rückwandelt, mit der sie erzeugt wurde. Selbstverständlich ist das mit beträchtlichen Energieverlusten verbunden.
Mit Hilfe seiner Pumpspeicherkraftwerke kann Österreich den stark schwankenden Bedarf an elektrischer Energie mit seinen Lastspitzen und Lasttälern also glätten, kann die Lastspitzen kappen und die Lasttäler füllen. Die Laufkraftwerke und die thermischen Kraftwerke des Landes werden so eingestellt, dass sie etwa das Tagesmittel an elektrischer Energie liefern. Sie fahren also Band, wie man das nennt. Wird mehr Energie als dieses Mittel benötigt, zum Beispiel während der Mittagsspitze, springen die Pumpspeicherkraftwerke ein und liefern die fehlende Differenz. Sinkt der Energiebedarf hingegen unter den von den Laufkraftwerken gelieferten Durchschnitt, zum Beispiel in den Stunden nach Mitternacht, werden nicht etwa die Laufkraftwerke und die Wärmekraftwerke zurückgefahren, was unwirtschaftlich wäre, sondern die überschüssige Energie fließt zu den Pumpspeicherkraftwerken und wird zum Rückpumpen des Wassers in die Speicher verwendet.
Im Gegensatz zu Österreich hat Norwegen keine Pumpspeicherkraftwerke; es benötigte sie in der Vergangenheit nicht, denn seine Speicherkraftwerke konnten die Lastschwankungen im Netz spielend ausgleichen. Das können sie zwar auch heute noch, doch die Zeiten haben sich geändert. Heute wäre Norwegen froh, wenn es solche Pumpspeicherkraftwerke hätte, denn dann könnte das Land sein Stromveredelungsgeschäft mit Deutschland ausweiten, könnte mehr billigen deutschen Junkstrom importieren und diesen in veredelter Form teuer nach Deutschland zurückexportieren.
Ich will das an einem Beispiel darlegen. Nehmen wir dazu an, der Stromverbrauch in Norwegen wäre 20 Gigawatt. Nehmen wir weiter an, der Wind in Deutschland würde stark wehen, so dass Deutschland eine Überproduktion von 10 Gigawatt hätte. Nun kommt Norwegen den Deutschen zu Hilfe und nimmt ihnen diese 10 Gigawatt ab. Dazu muss es aber die eigene Stromproduktion um diese importierten 10 Gigawatt drosseln. Wie weit kann Norwegen dieses Spiel nun treiben? Offensichtlich nur so lange, bis auch das letzte Speicherwerk abgeschaltet ist. Dann würden die 20 Gigawatt, die das Land für seine Stromversorgung benötigt, zur Gänze von deutschen Windrädern erzeugt werden. Hätten die Norweger aber wie Österreich Pumpspeicherkraftwerke, könnten sie mehr als diese 20 Gigawatt aus Deutschland beziehen, nämlich 20 Gigawatt plus die Leistung, die für das Hochpumpen des Wassers in die Stauseen benötigt wird.
Die österreichischen Pumpspeicherkraftwerke sind die Kronjuwelen der österreichischen VERBUND AG, aber auch die Kronjuwelen der anderen österreichischen Stromerzeugungsunternehmen, die über solche Kraftwerke verfügen. (Zu nennen wäre da in erster Linie die vorarlbergischen illwerke vkw, aber auch die KELAG in Kärnten.) Ihre Hauptaufgabe ist, das österreichische Stromnetz stabil zu halten, eine Aufgabe, die angesichts der immer größeren Anzahl an Windrädern, die sich mittlerweile im Lande drehen, immer schwieriger wird. Traditionell ist es aber auch ihre Aufgabe, den Deutschen beizustehen, wenn sie Schwierigkeiten mit der Stabilität ihrer Netze haben sollten. Traditionell ist diese Aufgabe deshalb, weil mit dem Bau von Pumpspeicherkraftwerken in Österreich schon in der Zwischenkriegszeit begonnen wurde, und zwar vor allem mit deutschem Geld. Die Deutschen benötigten also schon damals Einrichtungen, um ihre überschüssige Energie jederzeit parken und bei Bedarf jederzeit wieder abrufen zu können. (Anzumerken ist, dass es Gaskraftwerke zur Netzstabilhaltung damals noch nicht gab.) Noch vor dem politischen Anschluss war Österreich also energetisch an Deutschland angeschlossen. In großem Stil ging es weiter, denn nach dem im Jahr 1938 erfolgten Anschluss wurde sofort mit dem Bau des größten österreichischen Pumpspeicherkraftwerks in Kaprun begonnen, was nichts anderes heißt, als dass mit den umfangreichen Planungsarbeiten schon mehrere Jahre vor dem Einmarsch der Nazis begonnen wurde.
Seine Pumpspeicherkraftwerke gestatten Österreich einen einträglichen Stromhandel mit seinen Nachbarländern. Zwar ist die Strombilanz des Landes insgesamt leicht negativ, doch Österreich kauft wie Norwegen Strom billig ein und verkauft ihn teuer. So stand laut Statistik von E-Control im Jahr 2021 einem Stromimport von 26,4 TWh ein Stromexport von 18,9 TWh entgegen, wobei 40% der Importe aus Tschechien, 58% aus Deutschland kamen. Der Stromimport von seinen anderen Nachbarn ist vernachlässigbar. Wie sich der importierte Strom zusammensetzt, kann nicht genau gesagt werden, es darf aber angenommen werden, dass der Strom aus Deutschland billiger Windstrom ist, der Strom aus Tschechien hingegen aus den dortigen Atomkraftwerken stammt und ebenfalls günstig zu haben ist.
Die Exportbilanz schaute für das Jahr 2021 folgendermaßen aus: Nach Deutschland exportierte Österreich 6,1 TWh Strom, nach Tschechien 0,2 TWh, in seine anderen Nachbarstaaten aber 12,3 TWh.
8. Epilog
Ein Epilog noch. Oder ist es womöglich eher ein Nekrolog, ein Nekrolog auf das europäische, vor allem aber auf das deutsche Stromversorgungssystem, wie wir es gekannt haben?
Novalis beginnt seine Schrift „Die Christenheit oder Europa“ mit dem Satz: „Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war.“ Diesen Satz des Dichters abwandelnd, könnte man sagen: Was hatten wir für ein schönes und verlässliches Stromversorgungssystem, bevor man es ruinierte, indem man es liberalisierte! Die Täter, die das vollbracht haben, können benannt werden: Die Marktradikalen waren es. In Österreich war das vor allem die Bande um Wolfgang Schüssel. Leuten von seinem Schlag waren Monopole, vor allem wenn es staatliche Monopole waren, immer ein Dorn im Auge; ihre Agenda war daher, diese Monopole zu zerschlagen.
Vor dieser Zerschlagung wurden wir, um es kurz und bündig zu sagen, mit Strom aus einer Hand beliefert. Jenes Energieversorgungsunternehmen, das den Strom den Verbrauchern zustellte, hat ihn in der Regel auch selbst erzeugt. In Wien war man an das Netz der Wiener Stadtwerke angeschlossen, die Stadtwerke haben den Strom selbst erzeugt, zum Teil wenigstens, und stellten ihn mit Hilfe des Verteilnetzes, das sie betrieben, uns, ihren Kunden, zur Verfügung.
Der Strompreis war ein Politikum, der zwar von den EVU’s festgelegt, doch von der Politik kontrolliert wurde. Und er war für ganz Österreich einheitlich, nicht so wie heute, da man im energetisch privilegierten Westen weniger für den Strom bezahlt als im Osten. Die österreichischen EVU’s hatten den gesetzlichen Auftrag, das Land mit Strom zu versorgen, und zwar rund um die Uhr und rund um das Jahr. Hätten sie das nicht getan, wären sie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, und es hätte rechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Manager gegeben.
Gewiss waren die EVU’s von damals Unternehmen, die eine Monopolstellung innehatten, doch bei diesem Monopol handelt es sich um ein natürliches, nicht zu vermeidendes Monopol, denn es ist selbst für einen Marktradikalen undenkbar, dass ein Betreiber eines Stromnetzes Konkurrenz bekäme. Damit die Verbraucher die Wahl hätten, von welchem Netzbetreiber sie mit Strom beliefert werden wollten, müssten diese parallel zu den bestehenden Netzen ihre eigenen Netze errichten und betreiben, was absurd und schon aus Kostengründen unmöglich ist. Solange also Stromerzeugung und Stromverteilung in einer Hand waren, solange war das Monopol der EVU’s unangreifbar.
Wie haben die Marktradikalen diese Schwierigkeit überwunden? ― Nun, indem sie die EVU’s in zwei Teile zerschlugen: in einen Netzbetreiberteil, dessen natürliches Monopol man nicht aushebeln konnte, und einen Energieerzeugerteil, der dieses natürliche Monopol nicht in dem Maße hatte und den man daher dem Wettbewerb aussetzen konnte.
Nehmen wir als Beispiel die österreichische VERBUND AG. Als sie noch „Verbundgesellschaft“ hieß, betrieb sie sowohl das überregionale Stromnetz in Österreich als auch einen großen Teil der österreichischen Kraftwerke. Heute betreibt die VERBUND AG den Kraftwerksteil der ehemaligen Verbundgesellschaft; der ehemalige Netzteil der letzteren aber ist zusammengefasst in der Austrian Power Grid AG (APG). Diese ist zwar ein Tochterunternehmen der VERBUND AG, operativ aber von ihr getrennt. Eine sehr pragmatische, eine sehr österreichische Lösung ― den Netzteil der ehemaligen Verbundgesellschaft auch kapitalmäßig von ihrem Kraftwerksteil zu trennen, wagte die Regierung Schüssel doch nicht, obwohl man das liebend gerne getan hätte.
Das gleiche Bild zeigt sich auch bei den regionalen österreichischen EVU’s: Überall wurden jene Teile der EVU’s ausgegliedert und operativ verselbständigt, welche ein natürliches Monopol hatten. Die Marktradikalen waren am Ziel; jetzt konnten sie die Kraftwerkssparten der EVU‘s ungehindert dem „Wettbewerb“ aussetzen.
Nach diesem Muster gingen die Marktradikalen auch in einer anderen Sparte vor. Auch in der Wertschöpfungskette der ÖBB gab es diese natürliche Monopole, zum Beispiel die Bahnhöfe oder die Schienen, wo parallele Strukturen bei bestem (schlechtestem?) Willen nicht sinnvoll sein können. Also hat man, wieder unter Kanzler Schüssel, auch die ÖBB zerschlagen und diese Bereiche verselbständigt. Sie sollten in Zukunft für jeden Anbieter offen sein. Jeder, der in Konkurrenz zur ÖBB treten wollte, sollte auf diesen Schienen fahren, sollte diese Bahnhöfe nutzen dürfen. Ein heilsamer „Wettbewerb“ (Damit nicht die Hühner zu lachen anfangen, setze ich dieses Wort unter Anführungszeichen.) sollte sich auf ihnen entwickeln, selbstverständlich nur zum Nutzen und Frommen der Bahnkunden.
Soweit die feuchten Träume der Marktradikalen oder vielmehr die propagandistische Begleitmusik ihres schurkischen Tuns. Was ist aus diesen Träumen geworden? Hat man je evaluiert, was dieser Strukturwandel gebracht hat? Ist Zugfahren billiger geworden, fährt man bequemer, verkehren die Züge pünktlicher, verkehren sie öfter? ― Ich glaube, ich kann mir die Antwort auf diese Fragen sparen.
Wo sind die Konkurrenten der ÖBB, die nach dem Strukturwandel aus dem Boden sprießen sollten wie nach einem warmen Regen die Blumen? Ich sehe sie nicht. ― Ja, doch, eine einzige dieser Blumen gibt es, doch leider ist sie ein Produkt der sauren Wiesen dieses Landes. Ich meine die Westbahn, die auf der von Wien über Linz nach Salzburg führenden Premiumstrecke Österreichs der ÖBB „Konkurrenz“ macht. Eigene Bahnhöfe und eigene Gleise hat sie nicht, kann sie gar nicht haben, sondern sie benützt jene der ÖBB und bezahlt dafür eine Benützungsgebühr.
*
Doch zurück zu unserem Thema. Einen wichtigen Unterschied gibt es zwischen dem Energiebereich und dem Bahnbereich schon zu beachten: Im ersten wurde immer viel Geld verdient, im letzteren immer viel Geld verloren. Entsprechend hoch muss der Widerstand gewesen sein, der der Liberalisierung des Strommarktes entgegengebracht wurde, denn wer lässt sich schon widerstandslos seine cash cow wegnehmen, besonders in Österreich mit seinen föderalistischen Strukturen auch in der Stromversorgung. Um diesen Widerstand auszuhebeln, benötigten die Marktradikalen einen Verbündeten und fanden diesen in der sogenannten Ökobewegung. Diese war im Widerstand gegen die Kernenergie entstanden. So kann in Österreich die 1978 abgehaltene Volksabstimmung gegen die Inbetriebnahme des fertiggestellten Atomkraftwerkes Zwentendorf als die Geburtsstunde der grünen Partei angesehen werden.
Die Ökobewegung hatte ein Lieblingsprojekt, nämlich die Erzeugung von Strom durch Windenergie. Doch dieses Projekt wollte, so wie die Stromversorgungssysteme damals überall in Europa strukturiert waren, nicht so richtig vom Fleck kommen. Die EVU’s, die einerseits das Monopol, andererseits den gesetzlichen Auftrag zur Stromerzeugung und Stromverteilung hatten, dachten nicht im Traum daran, sich mit den Windrädern Läuse in den eigenen Pelz zu setzen. Das hatte weniger mit einer ideologisch begründeten Feindschaft gegen diese Form der Energiegewinnung oder Arroganz der einstigen Stromherren zu tun, sondern weil man damals rechnen konnte; und die Windkraft war unter den damaligen Rahmenbedingungen schlicht weit von jeder Rentabilität entfernt, wenn man korrekt rechnete und auch alle versteckten Kosten, die sie verursacht, berücksichtigte.
Es bildete sich also eine große Koalition. Die Marktradikalen wollten die Energiewirtschaft für private Investoren öffnen, die Ökobewegung den Ausbau der Windkraft vorantreiben. Was dabei herausgekommen ist, kann heute in Deutschland besichtigt werden: Es ist das jeweils Schlechteste aus zwei Welten.
In einem ersten Schritt wurden in ganz Europa, also auch in Deutschland, die EVU’s zerlegt, und zwar, wie bereit erwähnt, in einen Bereich mit natürlichem Monopol und in einen ohne ein solches. Im letzteren sollten sich nach dem Willen der Energiestrategen private Investoren festsetzen und den alten Monopolisten Konkurrenz machen. Doch nicht nur die letzteren konnten rechnen, auch die potentiellen privaten Investoren konnten es. Ohne massive staatliche Eingriffe in den Strommarkt hätte kein Privater in die Windkraft inve-stiert; wenn das rentabel gewesen wäre, hätten sich ja schon die alten EVU’s eigene Windparks zugelegt.
Um die Windkraft für private Investoren rentabel zu machen, musste sie also vom Staat massiv gefördert werden. Erstens fördert der Staat die Windkraftanlagen, indem er ihren Betreibern mehr für die erzeugte Kilowattstunde zahlt. Zweitens erhöht der Flatterstrom, den die Windkraftanlagen liefern, die Kosten für die Aufrechterhaltung der Netzstabilität. Nach dem Verursacherprinzip wären diese Kosten von den Windstrombetreibern zu tragen, doch die schützende Hand des Staates bewahrt sie vor diesen Kosten und bürdete sie zur Gänze den konventionellen Stromerzeugern auf. Drittens verstößt die Errichtung von Windparks massiv gegen die alte Raumordnung und massiv gegen die alten Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt. Wie drangsaliert sonst der Staat seine Bürger mit solchen Gesetzen! Jeder, der auf eigenem Grund ein Gebäude errichten möchte, und wäre es nur ein winziges Mobiklo, weiß, wie penibel der Staat darüber wacht, dass seine diesbezüglichen Gesetze eingehalten werden. Doch Windräder, höher als die Türme der Kathedralen, in riesiger Zahl in die Landschaft zu stellen, ist in Deutschland kein Problem. Offensichtlich hat der Staat in dieser Sache die rechtlichen Hürden, die so etwas in der Vergangenheit verhindert hätten, gelockert, wenn nicht geschleift. Viertens garantiert der Staat, dass den Windkraftbetreibern der erzeugte Strom zur Gänze abgenommen wird. Das stellt nicht nur eine versteckte Förderung der Windkraft dar, sondern ist auch eine Bestrafung der alten Energieerzeuger, die ihre Kraftwerke nicht mehr betreiben können, wie es für sie und den Strompreis optimal wäre, also die trägen Dampfkraftwerke rund um die Uhr und rund um das Jahr. Sie dürfen ja nur dann liefern, wenn in Deutschland der Wind nicht oder nicht stark genug weht. Fünftens verteuert der Staat durch den Emissionsrechtehandel und die geplante CO2-Steuer die Erzeugung von Strom durch Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas und fördert damit indirekt die sogenannten erneuerbaren Energieträger, in Deutschland also überwiegend Wind- oder Sonnenenergie.
Das Schlechteste aus zwei Welten. Die Liberalisierung des Strommarktes hatte ja den Zweck, die alten Monopolisten unter Wettbewerbsdruck zu bringen. Dem könnte man ja noch einiges abgewinnen. Heute haben wir zwar diesen „Wettbewerb“, doch er ist ein Spiel auf einer schiefen Ebene: Die einen spielen bergab, die anderen bergauf. Kein Wunder, dass die letzteren erschöpft sind; dass sie, müde geworden, widerstandslos zusehen, wie ihre Kraftwerke eines nach dem anderen vom Netz gehen, zuerst die Atomkraftwerke, dann die Kohlekraftwerke. Unter solchen Rahmenbedingungen sind sie schlicht nicht rentabel zu betreiben.
Der Masterplan, der in Deutschland hinter alledem steckt, sollte nach dem Dargelegten sichtbar geworden sein. Den alten Monopolisten der Stromerzeugung, den Aschenbrödeln, soll das Leben so lange schwer gemacht werden, bis sie und ihre alten „Dreckschleudern“ verschwunden sind. Strom wird in Zukunft in Deutschland hauptsächlich mit Windrädern erzeugt. Als Back-up für die Zeit, da der Wind nicht oder nur schwach weht, soll eine schnelle Eingreiftruppe in Form von Gaskraftwerken geschaffen werden, um die essentiellen Stromverbraucher (aber auch nur die) auch bei Flaute mit Strom versorgen zu können. Ein hundertprozentiger Back-up für jedermann ist jedenfalls nicht notwendig. Vielleicht, dass man Otto Normalverbraucher bei Flaute gestattet, ein Minimum an Stromverbrauchern zu betreiben, die Tiefkühltruhe zum Beispiel und einige Glühlampen. Durch den Einsatz von sogenannten intelligenten Stromzählern ist das sehr einfach zu bewerkstelligen, sehr einfach zu überwachen und bei Zuwiderhandeln sehr einfach zu sanktionieren. Wer nicht selbst abschaltet und bei Flaute mehr Strom bezieht, als ihm gewährt wurde, wird eben abgeschaltet oder er zahlt für den Exzess-Strom, den er bei Flaute bezieht, ein Vielfaches des normalen Preises.
Will hingegen der „Pöbel“ ― und dazu gehört jeder, sofern er nicht zur „Elite“ gehört ― über dieses Minimum hinaus mit Strom versorgt werden, so möge er sich gefälligst selbst nach geeigneten Stromspeichern, also nach Batterien, umsehen. Sonst möge er bei Flaute kalt duschen, seine Wäsche wie unsere Großmütter mit der Hand waschen und sein Bier warm trinken.
Herr Elon Musk scheint diesen Plan zu kennen, womöglich ist er eines seiner Masterminds. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass er seine riesige Batteriefabrik ausgerechnet in Deutschland baut. Womit wir bei den Elektroautos wären, deren Batterien auch als mobile Back-ups für windarme Zeiten dienen könnten. Die Teile des Puzzles beginnen, sich langsam zum ganzen Bild zu fügen.
So in etwa könnte die schöne neue Welt in Deutschland bald aussehen. Doch haben jene Unbekannten, die sie vorantreiben, ihre Rechnung ohne Herrn Putin gemacht. Ohne sein Gas wird ihre Rechnung nicht aufgehen, auch wenn später das russische Gas wieder fließen sollte. Denn dann sind sie vom Zorn des „Pöbels“ längst weggefegt.
SCHLAGWORTE: Strom / Stromnetz / Stromversorgung / Energiewende / Energieversorgung / Energieverbrauch