Theorie und Alltag in der Philosophischen Praxis zwischen Sokrates und Freud. Altes Wissen - neue Methoden
Verlag Vitolibro, 2021
Der 68er Alfred Pfabigan (geb. 1947) hat eine unkonventionelle akademische Karriere hinter sich. Er studierte zunächst Jus, machte sein Praktikum am Jugendgericht, absolvierte danach im "Institut für Höhere Studien" eine postgraduale Ausbildung in Politikwissenschaften und habilitierte an der Uni Salzburg über den "Linksaußen des Austromarxismus", Max Adler. " So kam er als Außenseiter zur Philosophie: "Der Dekan der Fakultät suchte mich auf und klagte über die Versuche der Philosophen, die Vorlesungen aus Rechtsphilosophie zu okkupieren. Und hatte gleich eine Lösung für dieses Problem parat: Dieser Max Adler sei schließlich auch ein bedeutender Philosoph gewesen, ich möge mich doch um eine zweite Lehrbefugnis in Philosophie bemühen. Eine Kommission unter dem Vorsitz eines renommierten Philosophen hätte er schon zusammengetrommelt." (221f)
Später wechselte Pfabigan an des Philosophische Institut in Wien, "damals kein angenehmer Arbeitsplatz und die intellektuelle Inspiration war gering." (223) Trotz langjähriger Konflikte, die man später Mobbing nannte, hielt er als Professor bis zu seiner Pensionierung 2013 durch. Seither ist er weiter als philosophischer Praktiker tätig.
Das Buch "Philosophie hilft!" ist an drei Zielgruppen adressiert, von denen die ersten beiden als wichtigste Zielgruppe jeder philosophischen Praxis gelten können. Pfabigan:
"Zunächst an jene auch unter Intellektuellen gar nicht so geringe Gruppe, die nicht weiß, dass die Philosophie von Anfang praktisch war – also auf das 'gute Leben' zielte. Erst durch die wissenschaftliche Ausdifferenzierung unserer Weltsicht und die penetrante Angewohnheit eines Teils der akademischen Philosophie, nur mehr Sekundär- und Tertiär-Interpretationen des Kanons zu produzieren, ist das Bild vom weltfremden Philosophen entstanden. Sokrates praktizierte am Markt, er war ein Kriegsheld und hat – selbst in der Verfremdung durch Platon – durchaus praktische Ratschläge gegeben. Und die Gruppe, die uns praktische Fähigkeiten abspricht, hat ein Pendant auf der Gegenseite – diejenigen, die uns ein neoliberales Projekt zur Selbstperfektionierung unter dem Motto 'rent a philosopher' unterstellen.
Die zweite Zielgruppe sind jene aufgeschlossenen Menschen, die einen Konflikt in sich spüren, eine Situation ändern wollen oder gar ihr Leben unter kundiger Anleitung neu gestalten wollen. Mancher fragt sich dann: Wäre die Konsultation einer Philosophischen Praxis nicht etwas für mich? Die mit dieser Frage verbundenen Unklarheiten versucht das Buch an Hand zahlreicher Fallbeispiele zu beseitigen, es bietet vor allem eine präzise Abgrenzung zur Psychotherapie, zum Coaching, der Mediation und der Lebensberatung .
Die dritte Zielgruppe sind die engeren Fachkollegen [...]."
Die klassische Frage, warum man einen Philosophen anstelle eines Psychotherapeuten aufsuchen solle, beantwortet Pfabigan plausibel: "Die Haltung gegenüber einem hilfesuchenden Menschen ändert sich fundamental, wenn sich die Helferin auf das vorgegebene Klassifikationssystem von Befindlichkeiten der WHO mit Positionierungen wie 'Narzissmus', siehe 'Sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen (F 60.8)' stützt. Solche Etikettierungen sind einem Gespräch in einer Philosophischen Praxis fremd, sie missachten die Würde und die Einzigartigkeit der Klientin, schränken den Interventionsraum der Praktikerin ein und geben dafür die fragwürdige Sicherheit eines durch eine externe Autorität gestützten Wissens. Für die Philosophin gilt hingegen der Kantsche Imperativ 'Sapere aude' (Wage es, selbstständig zu denken)" (21).
Ebenso oft stellt man philosophischen Praktikern die Frage, ob nicht Gespräche mit oder Ratschläge von guten Freunden genauso gut helfen könnten. Pfabigan dazu: "Die Freunde, die sich kniffelige Probleme stundenlang anhören, sind rar - und ihre Ratschläge sind häuft interessenorientiert. Richtig angewandt, ist der philosophische Kanon - der ja auch seine eigene Magie hat - den Freunden überlegen" (227).
Natürlich gibt es Grenzfälle, insbesondere bei existenziellen Krisen, die in der Psychotherapie besser aufgehoben sind. Aber es gibt einen "Unterschied zwischen einem Menschen, den die Ratlosigkeit in eine quälende Verzweiflung treibt, und einem, der allmählich die Fähigkeit erwirbt, aus ihr Gestaltungskraft zu gewinnen". Auch der Psychotherapeut Viktor Frankl hat erkannt, dass nicht jeder Patient eine langwierige Therapie benötigt. Für die "leichten Fälle" hat er zwei Methoden entwickelt: die paradoxe Intention und die Methode der Dereflexion als Gegenmittel zur Hyperintention und Hyperreflexion.
Grundsätzlich geht es in der philosophischen Praxis zunächst um Problem-Findung und danach um Problem-Lösung. Das bedeutet nicht, wie bei einem mathematischen Problem, das einzig mögliche Ergebnis (=Lösung) zu finden, sondern zu erkennen, dass die Lösung im Handeln liegt. Das kann eine innere Veränderung, ein beruflicher Neubeginn, eine private, politische oder wirtschaftliche Entscheidung sein, ebenso wie die "Umwertung der Werte" oder Neupositionierung der eigenen Haltung zu einem Problem, dessen Lösung außerhalb des eigenen Einflussbereiches liegt.
Der Philosophische Praktiker kann im Sinne von Sokrates zur Lösungsfindung beitragen, indem er bei Bedarf einen Anstoß gibt ("Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt" - der Wirtschaftswissenschafter Richard H. Thaler hat mit der simplen Methode einen Nobelpreis gewonnen). Oder er weist den Weg aus einer Sackgasse (wie einem LKW-Fahrer, der in seinen Rückspiegeln nicht alle Winkel einer engen Gasse einsehen kann). Letztlich sollte der Philosoph auch Mut machen, im vollen Bewusstsein zu handeln, dass man bei der Umsetzung einer Lösung auch scheitern kann.
SIEHE AUCH: Philosophische Praxis von Mag. Hubert Thurnhofer