Karl Popper
"Wir wollen scharf zwischen dem Zustandekommen des Einfalls und den Methoden und Ergebnissen seiner logischen Diskussion unterscheiden und daran festhalten, daß wir die Aufgabe der Erkenntnistheorie oder Erkenntnislogik (im Gegensatz zur Erkenntnispsychologie) derart bestimmen, daß sie lediglich die Methoden der systematischen Überprüfung zu untersuchen hat, der jeder Einfall, solI er ernst genommen werden, zu unterwerfen ist." (LdF, 4f)
Ist der Einfall Zufall, Inspiration, Intuition? Wie kommt er zustande? Diese Fragen verweist Popper an die Psychologie. Für die Epistemologie ist wichtig, wie ein Einfall als Hypothese oder These formuliert wird und mit welchen Methoden diese Aussagen (Sätze) untersucht werden können. Wissenschaftstheorie interessiert sich "für Fragen von der Art: ob und wie ein Satz begründet werden kann; ob er nachprüfbar ist; ob er von gewissen anderen Sätzen logisch abhängt oder mit ihnen in Widerspruch steht usw." (LdF, 4f)
Als Popper die "Logik der Forschung" schrieb war der vom Wiener Kreis geprägte Positivismus sehr populär. Die Postivisten übernehmen die Abgrenzungen zwischen Naturwissenschaft und Metaphysik von David Hume, so als hätte es Kants Kritik nicht gegeben.
"Der Positivismus faßt das Abgrenzungsproblem 'naturalistisch' auf: nicht als Frage nach einer zweckmäßigen Festsetzung, sondern als Frage eines sozusagen 'von Natur aus' existierenden Unterschiedes zwischen Erfahrungswissenschaft und Metaphysik", so Popper, der kritisiert, dass die positivistische Abgrenzung zwischen "sinnvollen" (naturwissenschaftlichen) und "sinnlosen" (metaphysischen) Sätzen trivial ist, wenn man vorweg alle Sätze der Metaphysik als "sinnlos" definiert. Metaphysik liefert aus positivistischer Sicht nur Scheinsätze und Scheinprobleme und soll daher überwunden werden.
Popper hält dagegen, beide Bereiche seien wichtig, aber man müsse sie genau definieren. Definition ist per definitionem nichts anderes als abgrenzen (womit immer auch Eingrenzungen und Ausgrenzungen verbunden sind). Aufgrund von Poppers Definition soll die Entscheidung getroffen werden, ob eine "nähere Untersuchung für die empirische Wissenschaft von Interesse ist. Unser Abgrenzungskriterium wird also als ein Vorschlag für eine Festsetzung zu betrachten sein." (LdF, 10)
Da die Positivisten die induktive Herleitung von Thesen aus der Untersuchung der Natur als Methode der Wissenschaft wiederbelebt haben, muss Popper die "Festsetzung", die als Willkürakt gedeutet werden könnte, verteidigen und legitimieren. Im Unterschied zu den Positivisten, die versuchen "ein System von absolut gesicherten, unumstößlich wahren Sätzen aufzustellen" geht Popper "von anderen Zwecken aus. [...] Nur in einer Weise glauben wir, für unsere Festsetzungen durch Argumente werben zu können: durch Analyse ihrer logischen Konsequenzen, durch den Hinweis auf ihre Fruchtbarkeit, auf ihre aufklärende Kraft gegenüber den erkenntnistheoretischen Problemen.
Wir geben also offen zu, daß wir uns bei unseren Festsetzungen in letzter Linie von unserer Wertschätzung, von unserer Vorliebe leiten lassen. Wer, wie wir, logische Strenge und Dogmenfreiheit schätzt, wer praktische Anwendbarkeit sucht, wer gefesselt wird von dem Abenteuer der Forschung, die uns immer wieder vor neue, unvorhergesehene Fragen stellt und uns anregt, immer wieder neue, vorher ungeahnte Antworten zu erproben, der wird den Festsetzungen, die wir vorschlagen werden, wohl zustimmen können." (LdF, 10)
Das ist ein starkes und emotionales Plädoyer, aber keine Begründung. Popper liefert auch keine Abgrenzung, die über die Erkenntnisse von Immanuel Kant hinaus gehen würde. Sein Verdienst besteht darin, die Erkenntnisse und die kritische Methode Kants in die Sprache des 20. Jahrhunderts übersetzt zu haben. Und natürlich hat er mit der Ablösung der Verifikation durch die Falsifikation die Aporie gelöst, dass Wissenschaft "endgültige" Beweise liefern müsse. Denn zum Wesen der Wissenschaft gehört der Fortschritt, somit die Infragestellung und Änderung der bestehenden Wahrheiten, was mit "unumstößlich wahren Sätzen" nicht vereinbar ist. Gemäß Falsifikations-Prinzip ist eine wissenschaftliche These so lange gültig, bis sie durch eine andere These verbessert oder widerlegt (falsifiziert) wurde.
"Der [induktive] Schluß von den durch 'Erfahrung' verifizierten besonderen Aussagen auf die Theorie ist logisch unzulassig, Theorien sind somit niemals empirisch verifizierbar." Trotz dieser apodiktischen Behauptung braucht Popper die Erfahrung um gesetzte Thesen zu überprüfen, doch die Art und Weise der "methodischen Nachprüfung" kann nicht die Verifikation, sondern nur die Falsifikation sein. In polemischer Absicht könnte man Popper unterstellen, sein Argument sei paradox, denn eine These sei in seiner Logik erst dann wissenschaftlich, nachdem sie falsifiziert wurde. Doch Poppers Abgrenzung legt lediglich fest, dass eine These grundsätzlich falsifizier-bar sein muss. Im Gegensatz dazu sind rein metaphysische Sätze (metaphysisch im vorkantianischen Sinne) grundsätzlich nicht falsifizier-bar, weil nicht nachprüfbar. Mit den Worten Poppers: "Ein empirisch-wissenschaftliches System muß an der Erfahrung scheitern können." (LdF, 12f)