Hegel für Anfänger
Hegel für Dummies
Hegel schlägt Wellen
8. Dezember 2023 (Mariä Empfängnis) - Wer seinem Sohne drei Vornamen schenkt, der muss sich diese auch leisten können. Anders gesagt, Hegel stammt aus einem verhältnismäßig wohlhabenden Hause. Sein Vater war Rentkammersekretär in Stuttgart (heute vergleichbar mit einem höheren Beamten im Finanzministerium). Dieser typisch deutsche Denker wäre, würde er heute leben, so berühmt wie Peter Sloterdjik, aber bei weitem nicht so populär wie Richard David Precht.
Zu Weihnachten 2023 schenkt ethos seinen Lesern und Leserinnen das Kapitel "Hegel für Dummies" aus dem Buch Moral 4.0, das 2017 erschienen ist - 210 Jahre nach der "Phänomenologie des Geistes".
Lithographie von F. Kugler
Der Theologe Ralf Ludwig hat in der Phänomenologie sogar eine Weihnachtsbotschaft gefunden, die wir voranstellen wollen: "Beschreibt die Bibel die Heilsbotschaft von der Menschwerdung Gottes in Jesus mit Worte wie Krippe, Stall und Hirten, heißt die Weihnachtsbotschaft Hegels:
Dies, daß der absolute Geist sich die Gestalt des Selbstbewußtseins an sich und damit auch für sein Bewußtsein gegeben, erscheint nun so, daß es der Glaube der Welt ist, daß der Geist als ein Selbstbewußtsein, d.h. als ein wirklicher Mensch da ist, daß er für die unmittelbare Gewißheit ist, daß das glaubende Bewußtsein diese Göttlichkeit sieht und fühlt und hört. So ist es nicht Einbildung, sondern es ist wirklich an dem. [...]
Auch Weihnachtsfreude kommt auf, sie liest sich bei Hegel aber so:
Die Hoffnungen und Erwartungen der vorhergehenden Welt drängten sich allein auf diese Offenbarung hin, anzuschauen, was das absolute Wesen ist, und sich selbst in ihm zu finden; diese Freude wird dem Selbstbewußtsein und ergreift die ganze Welt, im absoluten Wesen sich zu schauen; denn es ist Geist, es ist die einfache Bewegung jener rinen Moment, die dies selbst ausdrückt, daß das Wesen dadurch erst, daß es als unmittelbares Selbstbewußtsein angeschaut wird, als Geist gewußt wird." (Zitate aus "Hegel für Anfänger", 181, 182)
Hegel für Dummies
Menschen, die sich als Realisten ausgeben, behaupten: ein Ideal ist nie verwirklichbar. Mit dieser Einstellung wollen Realisten darauf hinweisen, dass Gerechtigkeit, Freiheit, Sicherheit, Friede und alle anderen Ideen (moralisch, religiös oder politisch betrachtet: Ideale) noch nie in der Menschheitsgeschichte verwirklicht wurden und daher grundsätzlich nicht verwirklicht werden können. Um dieses Missverständnis auszuräumen, muss ich hier eine kurze Lektion in Hegelscher Dialektik einschieben, obwohl ich mit absolutem Wissen sagen kann, dass ich kein Hegel-Experte bin. Ganz im Gegenteil, der Beitrag heißt nicht zufällig „Hegel für Dummies“, denn ich zähle mich selbst zur Zielgruppe. Aber ich bringe es gerade noch auf die Reihe, das Grundkonzept seiner Dialektik zu erklären.
Damit du gleich vor Ehrfurcht erstarrst, vorweg ein Originalzitat: „Der Geist ist in seiner einfachen Wahrheit Bewußtsein und schlägt seine Momente auseinander. Die Handlung trennt ihn in die Substanz und das Bewußtsein derselben und trennt ebensowohl die Substanz als das Bewußtsein. Die Substanz tritt, als allgemeines Wesen und Zweck, sich als der vereinzelten Wirklichkeit gegenüber; die unendliche Mitte ist das Selbstbewußtsein, welches, an sich Einheit seiner und der Substanz, es nun für sich wird, das allgemeine Wesen und seine Wirklichkeit vereint, diese zu jenem erhebt und sittlich handelt – und jenes zu dieser herunterbringt und den Zweck, die nur gedachte Substanz ausführt; es bringt die Einheit seines Selbsts und der Substanz als sein Werk und damit als Wirklichkeit hervor.“ (S. 327 f) [Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Theorie Werkausgabe Band 3, Frankfurt am Main, 1970]
So beginnt das Kapitel „Der wahre Geist. Die Sittlichkeit“ in der „Phänomenologie des Geistes“. Aus diesem Absatz geht nur eines ganz klar hervor - es ist, um mit Hegel zu sprechen, „unmittelbare Gewissheit“: diese Buch wird es in diesem und auch in kommenden Jahrhunderten nicht mehr auf die Bestsellerlisten schaffen. Aber nun zu den Begriffen, die jeder kennt: Dialektik, These-Antithese-Synthese, sowie Position-Negation.
Nicht nur aus der Schule, sondern auch aus dem Leben wissen wir, dass in der Regel ein Schlaumeier (z.B ein Politiker oder ein Wissenschafter) eine These aufstellt (er fordert sie, konstruiert sie, konstituiert sie, oder phantasiert ganz einfach vor sich hin), dann kommt ein anderer Schlaumeier mit einer Antithese, und weil sie nicht ewig wie die Böcke mit ihren Köpfen aufeinander prallen können, bilden sie am Ende eine Synthese. Diese Synthese bewährt sich meist eine Zeit lang, aber weil Menschen halt gerne wie Böcke aufeinander los gehen, wiederholen sie das immer wieder. Manche entwickeln neue Thesen und setzen diese neuen Antithesen aus, andere formulieren lieber ihre Antithesen zu bestehenden Synthesen.
Man kann ruhig sagen, ein Großteil des Fortschritts der vergangenen 200 Jahre beruht auf dieser dialektischen Methode. Insbesondere in Wirtschaft und Technik, da hat Hegel offenbar mehr Erfolg gehabt als in der Politik und Philosophie, insbesondere der Moralphilosophie.
Nun aber zu den Begriffen Position und Negation. Aus dem riesigen Guglhupf, den uns Hegel serviert, und von dem ich hier nur ein winziges Stückchen abgeschnitten habe (siehe Zitat), möchte ich drei Rosinen raus klauben: Substanz, Handlung und Wirklichkeit. Substanz übersetze ich mit Idee. (Philosophen sprechen gern von „reinen“ Ideen, damit meinen sie, dass sie schon da waren, bevor sich ein Empirist damit die Hände schmutzig gemacht hat.) Ideen sind beispielsweise Gerechtigkeit und Freiheit - ich wähle hier nur jene zwei aus, die in den meisten Moral-Lehren als substanziell für jede Moral genannt werden.
An der Stelle beginnen die Philosophen gerne zu spekulieren und bis heute ist Hegel der Meister aller Spekulanten, die sich ein Leben lang damit beschäftigen, worin nun die Substanz der Substanz bzw. der Kern einer Idee liege. Doch im Gegensatz zu allen anderen spekulativen Philosophen hat Hegel mit seiner Negation eine wirklich geniale Erfindung gemacht. Die Substanz einer Idee liegt demnach nicht in ihr, oder in der „Idee an sich“, oder in einem Absoluten, das sich uns offenbart (wenn es denn will), sondern in der Wirklichkeit. Und in die Wirklichkeit gelangt sie nur durch ihre Ver-wirklich-ung, und das heißt durch unsere Handlungen!
Nochmals für Dummies, also uns alle: Nimm dir die Idee der Gerechtigkeit und pack sie nicht nur aus um sie dann von allen Seiten zu bewundern, sondern pack sie auch ordentlich an, handle nach ihr! Indem du nun deine Idee von Gerechtigkeit ver-wirklich-st, materialisierst du diese Idee, du bringst sie auf den Boden der Realität, du schaffst ihre Wirklichkeit. Und niemand kann dich daran hindern, dieser Idee deine Wirklichkeit zu geben. Das und nichts anderes meint Hegel mit der Formulierung: „Die Substanz tritt sich als der vereinzelten Wirklichkeit gegenüber.“
Eine Position ist demnach jede Idee in ihrer ursprünglichen Form, Negation ist die Verwirklichung der Idee. Jede Verwirklichung einer Idee ist damit notwendiger Weise eine Negation, sogar eine doppelte Negation. Die Verwirklichung negiert die „Reinheit“ der Idee, d.h. die Verwirklichung kann keine identische Wiedergabe der Idee an sich sein. Und die Verwirklichung negiert die „Idee als Idee“, d.h. nur in der Materialisation findet die Idee zu ihrer Substanz. Um nicht weiter in die Hegel-Spirale zu geraten, merk dir einfach: Substanz, Handlung und Wirklichkeit. Jede substanzielle Idee wird durch deine Handlung (durch deine Art, diese zu verwirklichen) zur Wirklichkeit (also in gewisser Weise Materie, insofern du mit jeder Handlung Spuren in der Wirklichkeit hinterlässt).
Randbemerkung: es gibt auch nicht-substanzielle und substanzlose Ideen, das sind Ideen, die man gar nicht verwirklichen kann. Diese Ideen kritisiert schon Immanuel Kant als inhaltsleere Spekulationen. Auch Utopien gehören oft in diesen Bereich. Die Alltagssprache kennt dafür auch den Ausdruck "Hirngespinst".
Position und Negation können nur gemeinsam auftreten, das ist das Wesen der Dialektik. Und das ist die Substanz jeder Idee! Wenn du das verstanden hast, dann verrate ich noch eine Formulierung, die du dir merken musst: die Position ist in der Negation aufgehoben. Um diesen Satz zu verstehen, musst du den Begriff „aufgehoben“ immer in drei Bedeutungen gleichzeitig denken (das ist wichtig: gleichzeitig, nicht der Reihe nach). Aufheben heißt 1. annulieren, so wie Gesetze, die man aufhebt, ihre Gültigkeit verlieren; 2. auf eine höhere Stufe stellen, so wie man ein Buch, das auf den Boden gefallen ist, aufhebt und ins oberste Regalfach stellt; 3. aufbewahren, so wie man schöne Erinnerungen oder Wertgegenstände aufbewahrt.
Nach dieser kleinen Lektion kannst du das einleitende Hegel-Zitat nochmals lesen. Ich garantiere dir, du wirst nicht zur Salzsäule erstarren! Mit dieser kurzen Anleitung kannst du alles von Hegel lesen, es ist immer der gleiche Teig und es sind immer die gleichen Rosinen. Wenn du von Heroin abhängig bist, sag ich dir, probier's mal mit Hegel. Beides – drei Visionen gleichzeitig zu sehen oder einen Begriff gleichzeitig in drei, vier oder fünf Bedeutungen zu denken – beides macht high, aber die Nebenwirkungen von Hegel sind deutlich geringer!
Hier die Quintessenz des Original-Zitates: „Der Geist ... schlägt seine Momente auseinander. Die Handlung trennt ihn von der Substanz … Die Substanz tritt ... sich als der vereinzelten Wirklichkeit gegenüber; … das Selbstbewußtsein [d.h. jeder selbstbewusste Mensch], welches … sittlich handelt … bringt die ... Substanz als sein Werk und damit als Wirklichkeit hervor.“ (S. 327)
Daraus ergibt sich in dialektischer Logik: Freiheit und Gerechtigkeit existieren so, und nur so, wie du sie verwirklichst. All jene, die felsenfest behaupten, Freiheit und Gerechtigkeit würden gar nicht existieren, beweisen damit nur, dass Freiheit und Gerechtigkeit für sie nicht existieren, weil sie unfähig sind, sie zu verwirklichen. Diese bedauernswerten Menschen verharren – mit den Worten Immanuel Kants – in ihrer „selbstverschuldete Unmündigkeit“. Nicht frei und gerecht, aber meist freiwillig und selbstgerecht.
Dialektik der Welle
Die Welle ist an und für sich, indem und dadurch dass sie für ein Anderes an und für sich ist; d.h. sie ist nur als ein Anerkanntes. Der Begriff dieser ihrer Einheit in ihrer Verdopplung, des sich in der Welle realisierenden Meeres, ist eine vielseitige und vieldeutige Verschränkung, so dass die Momente derselben teils genau auseinandergehalten, teils in dieser Unterscheidung zugleich auch als nicht unterschieden oder immer in ihrer entgegengesetzten Bedeutung genommen und erkannt werden müssen. Die Doppelsinnigkeit des Unterschiedenen liegt in dem Wesen der Welle, unendlich oder unmittelbar das Gegenteil der Bestimmtheit, in der sie gesetzt ist, zu sein. [...] Die Bewegung ist für die Welle eine andere Welle; sie ist außer sich gekommen. Dies hat die gedoppelte Bedeutung: erstlich, sie hat sich selbst verloren, denn sie findet sich als andere Welle; zweites, sie hat damit die Andere aufgehoben, denn sie sieht auch nicht die Andere als Welle, sondern sich selbst in der Anderen. Sie muss dies ihr Anderssein aufheben; dies ist das Aufheben des ersten Doppelsinnes und darum selbst ein zweiter Doppelsinn; erstlich, sie muss darauf gehen, die andere selbstständige Welle aufzuheben, um dadurch ihrer als Welle gewiss zu werden; zweitens geht sie hiermit darauf, sich selbst aufzuheben, denn die Andere ist sie selbst.
SIEHE AUCH: Der Wellenreiter, story.one
Wer Hegel gelesen hat, wird sofort den unverwechselbaren Duktus des Titanen der Philosophiegeschichte, des Riesen des deutschen Idealismus erkennen. Wer Hegel wirklich gelesen hat, wird vielleicht negieren, dass es sich um Worte eines Titanen handelt. Wer jedoch zur Negation der Negation fortschreitet, der kann zur Gewissheit gelangen, wenn er folgende Absätze liest:
"Das Selbstbewusstsein ist an und für sich, indem und dadurch dass ses für ein Anderes an und für sich ist; d.h. es ist nur als ein Anerkanntes. Der Begriff dieser seiner Einheit in seiner Verdopplung, der sich im Selbstbewusstsein realisierenden Unendlichkeit, ist eine vielseitige und vieldeutige Verschränkung, so dass die Momente derselben teils genau auseinandergehalten, teils in dieser Unterscheidung zugleich auch als nicht unterschieden oder immer in ihrer entgegengesetzten Bedeutung genommen und erkannt werden müssen. Die Doppelsinnigkeit des Unterschiedenen liegt in dem Wesen des Selbstbewusstseins, unendlich oder unmittelbar das Gegenteil der Bestimmtheit, in der es gesetzt ist, zu sein. [Die Auseinanderlegung des Begriffs dieser geistigen Einheit in ihrer Verdopplung stellt uns die Bewegung des Anerkennens dar.] Es ist für das Selbstbewusstsein ein anderes Selbstbewusstsein; es ist außer sich gekommen. Dies hat die gedoppelte Bedeutung: erstlich, es hat sich selbst verloren, denn es findet sich als ein anderes Wesen; zweites, es hat damit das Andere aufgehoben, denn sie sieht auch nicht die Andere als Wesen, sondern sich selbst im Anderen. Es muss dies sein Anderssein aufheben; dies ist das Aufheben des ersten Doppelsinnes und darum selbst ein zweiter Doppelsinn; erstlich, es muss darauf gehen, das andere selbstständige Wesen aufzuheben, um dadurch seiner als des Wesens gewiss zu werden; zweitens geht es hiermit darauf, sich selbst aufzuheben, denn dies Andere ist es selbst."
Dies sind - lediglich der neuen Rechtschreibung angepasste - authentische Zitate aus dem Kapitel "Herrschaft und Knechtschaft" der "Phänomenologie des Geistes" (145 f). In der kleinen Verfremdung zu Beginn dieses Essays entäußert sich der Geist Hegels in seiner Doppelsinnigkeit; erstlich ist dieser Text eine Satire, die die Beliebigkeit der Begriffe in Hegels System offenbart; zweitens ist dieser Text die Anerkennung der Genialität Hegels und der Beweis, dass die Begriffe Hegels in ihrer Allgemeinheit immer auch das Einzelne (was immer das sein mag) zum Ausdruck bringen.
Berlin, wo Hegel zuletzt gelehrt und gelebt hat, ist nicht nur bekannt für das Brandenburger Tor, sondern auch für seine Badeseen. Ich selbst bin darin geschwommen. Wie neueste Satellitenaufnahmen bestätigen, handelt es sich dabei um die Fußstapfen des größten aller Titanen der Philosophie, die durch das historische Hochwasser der Spree im Jahr 1831 geflutet wurden. So ist es kein Zufall, dass nach einem Bade im Wannsee folgender Tractatus entstanden ist.
Die Phänomenologie der Welle
Jede Welle an sich ist Bewegung, die den Betrachter in Erwartung und Spannung versetzt, sich jedoch in schale Erinnerung verflüchtigt, sobald sie gestrandet ist, im Sandstrand versickert und sanft in das Meer zurück fließt, oder an Felsen bricht und schäumend abprallt.
Die Welle ist mehr als nur die Oberflächenform des Meeres. Die Welle als einzelne ist niemals und nirgends, sie ist nicht hier und nicht jetzt. Sie ist immer und überall hier gewesen und jetzt gewesen, bis sie auf ein Ufer trifft, wo sie ihre endgültige Form erreicht, aber nicht mehr Welle ist. Das Schicksal der Welle ist damit nicht besiegelt, denn auf eine Welle folgt die nächste und wieder die nächst und so weiter und so fort solange der Wind weht. Die Negation der Welle ist somit nicht das Ufer, an dem sie ausläuft oder abprallt, sondern der Wind, der weht oder nicht weht, stark oder schwach.
"Die reine allgemeine Bewegung, das absolute Flüssigwerden alles Bestehens, ist aber das einfache Wesen der Welle, die absolute Negativität, das reine Fürsichsein, das hiermit an dieser Welle ist." (Phänomenologie, 153)
Die Lektüre von Hegels Werken ist wie Wellenreiten. Alles, was du auf der Welle empfindest, ist die Energie der Welle; du bist eins mit der Welle, die Welle ist eins mit der Kraft des Meeres. Die Oberflächenspannung der Welle ist eins mit der Anspannung deines Körpers. Auf der Welle finden die allgemeinen Begriffe Bewegung und Balance, Konzentration und Kraft, Anspannung und Entspannung in dir zu sich. Du bist Teil der Welle als Part und Widerpart. Welle und Körper als Einheit lenken das Wellenbrett in eine Richtung, in die einzig mögliche Richtung. Das Ergebnis ist erlebte Freiheit. Doch die erlebte Freiheit ist keine gelebte Freiheit. Du verfügst lediglich über die Freiheit, die Welle zu beherrschen, die dich beherrscht.
Alles, was du auf der Welle und durch die Welle gelernt hast, wird dir nicht helfen, wenn du dich im Auf und Ab deines Lebens, im Alltag, in deinem Beruf zurechtfinden musst oder durch das Internet surfst, wenn du deine Familie, Freunde oder Feinde besser verstehen willst oder auch nur, wenn du dich durch die Massen einer Fußgängerzone schlängeln musst. Aber mit großer Wahrscheinlichkeit wirst du, hegelianischer Wellenreiter, nicht so leicht auf Glatteis ausrutschen. Im wirklichen Leben aber kommt es darauf an, sich nicht auf's Glatteis führen zu lassen.
Wellenreiten ist eine Bewegung sui generis. Dasselbe gilt für die Lektüre von Hegel: sie kann dich in ihren Bann ziehen, deinen Geist in Hochspannung versetzten, doch die Einzelheiten verschwimmen in schaler Erinnerung, sobald du das Buch schließt und das Allgemeine in einem Begriffe sich auf dem Buchdeckel offenbart: Phänomenologie, Logik, Wissenschaft, Ästhetik, Philosophie.
P.S. Auch ein Wasserfall, egal wie hoch, schlägt Wellen. Doch das ist ein anderes Thema, denn die Welle eines Wasserfalls entäußert sich als Sprudel, Schaum und Strudel; als solche ist diese Welle Einzelfall von allem, was der Fall ist.