Durchwursteln als politische Maxime

1. März 2024 - Die Initiative Bessere Verwaltung (IBV) hat den Vorsitzenden bzw. Obmännern der im Parlament vertretenen Parteien fünf Forderungen und sechs Fragen übermittelt und sie um deren Beantwortung bis Ende April ersucht. Eine Zusammenschau der Antworten wird anschließend medial kommuniziert. Für ethos.at überraschend, dass eine politische Praxis, die von Spindoktoren üblicher Weise belächelt und von Medien oft kritisiert wird, von der Initiative als Handlungsmaxime empfohlen wird: das Durchwusteln. IBV Wörtlich: "Krisen erfordern auch ein umsichtiges und lernendes Durchwursteln."

Mitteilung der Proponenten der Initiative Bessere Verwaltung

Forderungen

1. Entflechtung von politischer Leitung und fachlicher Vorbereitung

Ein wesentliches Anliegen der Initiative ist es, in den Bundesministerien die politische Leitung und die administrative Vorbereitung/Durchführung möglichst weitgehend zu trennen. Deshalb sollten unter anderem generell die Kabinette verkleinert werden sowie Doppelfunktionen in politischen Büros und in der administrativen Linie hintan gehalten werden. Wenn ein Ressort besonders groß ist – was grundsätzlich unvorteilhaft ist, weil jeder Bundesminister die Übersicht über sein Ressort behalten muss - kann allerdings der Bedarf nach einer verbesserten ressortinternen Koordination entstehen.

Die Generalsekretäre alten Stils mit erweiterten Präsidialbefugnissen waren fallweise akzeptabel. Die von der Bundesregierung Kurz I als allererste Maßnahme gesetzlich verankerten Generalsekretäre neuen Stils, die sich hierarchisch zwischen die Sektionsleiter und den Bundesminister schieben, brachten aber in manchen Ressorts Missstände, nicht nur im BMF. Die entsprechende Ermächtigung im Bundesministeriengesetz sollte wieder aufgehoben werden. Es könnte aber das Bedürfnis bleiben, dass sich die Bundesministerin von ihren politischen Aufgaben

entlastet und spezielle Organe dafür heranzieht. Hier empfiehlt die Initiative, die in der Bundesverfassung vorgesehenen Staatssekretärinnen neu zu denken oder eigentlich ihrer ursprünglichen Funktion zuzuführen. Man würde so rein politische Organe gewinnen, die keine Beamten sind, politisch verantwortlich und parteipolitisch erkennbar werden. Von dieser Möglichkeit sollte bei Bedarf vermehrt Gebrauch gemacht werden.

2. Informationsfreiheit – IT

Mit Februar 2024 wurde – nach jahrzehntelanger Diskussion – ein Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Während das Gesetz auf der einen Seite eine jahrzehntelange Forderung erfüllt, herrschen auf der anderen Seite Zweifel, ob die getroffenen Maßnahmen ausreichen. Kritisiert werden insbesondere die Beschränkung der proaktiven Informationspflicht auf Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern (§ 4 Abs. 1), die hohe Interpretationsbedürftigkeit des Informationsfreiheitsanspruchs im Verhältnis zu anderen Rechten, insb. zum Grundrecht auf Datenschutz (vgl. § 6 Abs. 7), die (technische) Ausgestaltung des Informationsregisters (§ 5), die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, die eine Bescheiderteilung erst auf Antrag vorsieht (§ 11), das Fehlen eines Informationsfreiheitsbeauftragten und die u.U. unklaren Beratungsaufgaben der Datenschutzbehörde (§ 15). Parallel zu dieser Entwicklung thematisiert derRechnungshof in seinem aktuellen Bericht zur fehlenden Kostentransparenz in der Medienarbeit, insb. das Betreiben von 71 unterschiedlichen Websites durch das Klimaschutzministerium bei gleichzeitiger Nichterlassung der vorgesehenen Verordnung(en) nach IKT-Konsolidierungsgesetz.

3. Korruption und Rechtsstaatlichkeit

Österreich hat sich in den internationalen Rankings in den letzten 12 Monaten zwar leicht verbessert, hinkt aber vergleichbaren Staaten wie Deutschland, Schweiz oder Belgien weiterhin deutlich hinterher. Nicht zuletzt durch das Rechtsstaat & Antikorruptionsvolksbegehren 2022 ist das Thema in der breiten Öffentlichkeit angekommen, auch hat der Gesetzgeber in den vergangenen zwei Jahren einige Verbesserungen, etwa das Informationsfreiheitsgesetz, das HinweisgeberInnenschutzgesetz oder Verschärfungen im Parteiengesetz umgesetzt. Und dennoch gibt es noch einige dringliche Baustellen: Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz (Stichwort: General- bzw. Bundesstaatsanwaltschaft; Besetzungen hoher Gerichtsfunktionen), Modernisierung des Bundesarchivgesetzes (Stichwort: Schreddern von Datenträgern), Entpolitisierung des ORF (Stichwort: politische Freundeskreise). Nur durch gelebte Gewaltenteilung und eine glaubwürdige Korruptionsbekämpfung werden Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Wirtschaftsstandort gesichert.

4. Strategische Koordinationsstelle im Bundeskanzleramt

Die strategische Untersteuerung in Österreich beeinträchtigt die Wirksamkeit staatlichen Handelns. Aktuelle Herausforderungen wie etwa die Klimaerhitzung erfordern Strategien und das Zusammenwirken der staatlichen Akteure aus Bereichen wie Energiewirtschaft, Bildung, Forschung, Landwirtschaft. Neben dem Bund sind auch Länder (z.B. Bodenstrategie) und Gemeinden (z.B. Bauverfahren) in der Verantwortung. Jüngst hat die Landesverteidigung in ihrem Risikobild 2024 die Strategieentwicklung in Österreich als zögerlich, fragmentiert und nicht institutionalisiert bezeichnet (S. 238) Eine strategische Koordinationsstelle im Bundeskanzleramt könnte für diese Institutionalisierung sorgen zur Unterstützung der Politik mit Lage- und Umfeldanalysen sowie Vorschlägen für politische Ziele samt Indikatoren zur Erfolgsmessung.

5. Corona-Lernerfahrungen

Der Corona-Bericht der österreichischen Akademie der Wissenschaften stellt unter anderem fest: Politische Entscheidungen müssen als Ergebnis rationaler Abwägung von Fakten und Wissen erkennbar sein. Krisen erfordern auch ein umsichtiges und lernendes Durchwursteln. Es sind ureigenste Aufgaben der Verwaltung, der Politik fundierte Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen, für Intelligenz beim Durchwursteln zu sorgen sowie als Nahtstelle und Bindeglied zwischen Politik und Wissenschaft zu dienen. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur für Krisen. Hierzu benötigt die Verwaltung Vertrauen der Politik sowie Freiräume und Möglichkeiten zur weiteren Professionalisierung.

Fragen aus Anlass der Nationalratswahl 2024

an die wahlwerbenden Parteien:

1. Sollen die umfassend weisungsberechtigten, politisch besetzten Generalsekretär:innen abgeschafft werden? Sollen dort, wo es z. B. wegen der Größe eines Ministeriums erforderlich ist, politisch verantwortliche) Staatssekretär:innen den bzw. die Bundesminister:in in der Steuerung des Ressorts unterstützen?

2. Soll es gesetzliche Regelungen der Größe, Organisation und Aufgabenbereiche der Ministerbüros geben, um der seit Längerem ausufernden „Parallelverwaltung in den Kabinetten“ entgegenzuwirken? Sollen klar überprüfbare Anforderungsprofile und ein Verhaltenskodex für Kabinettsmitarbeiter:innen und leitende Funktionen in den Bundesministerien geschaffen werden?

3. Soll es eine überprüfbare und nachvollziehbare Objektivierung und Transparenz bei Aufnahmen und Beförderungen im öffentlichen Dienst durch eine unabhängige Stelle geben?

4. Soll die Absolvierung eines wissenschaftlich begleiteten Führungslehrgangs mit genau definierten Zugangs- und Prüfungsverfahren Voraussetzung für eine Bewerbung und Ernennung bei Leitungsfunktionen in der Bundesverwaltung werden?

5. Soll eine strategische Koordinationsstelle im Bundeskanzleramt zur Unterstützung der Regierung durch Lage- und Umfeldanalysen und Vorschläge für strategische Ziele geschaffen werden?

6. Soll die Unabhängigkeit der Justiz, wie zuletzt erneut im Rechtsstaatlichkeitsbericht der Europäischen Kommission zu Österreich gefordert, insbesondere auch im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit gestärkt werden? Soll dazu - wie ebenfalls gefordert - als Weisungsspitze der Staatsanwaltschaft eine staatsanwaltschaftliche Behörde (Bundes- oder Generalstaatsanwaltschaft) eingerichtet werden?