Kann die Verfassung das Bargeld retten?
Auszug aus dem Buch "Baustelle Parlament.. Warum die österreichische Verfassung für das 21. Jahrhundert nicht geeignet ist" (erschienen im Jänner 2020)
Kaum dass die „Expertenregierung“ Anfang Juni 2019 angelobt war, haben die Nationalräte aller Coleurs plötzlich entdeckt, dass sie selbständig Gesetzesanträge einbringen können ohne vorab die Sozialpartner um Erlaubnis zu fragen oder auf die Initiativen der Ministerien zu warten. In wenigen Sitzungstagen wurden Dutzende Anträge eingebracht. Ende Juni stand auf der Titelseite der Tageszeitung „Kurier“: „Recht auf Barzahlung könnte Verfassungsgesetz werden.“ Eingebracht wurde der Antrag, die Verfassung, genauer gesagt den Artikel 5 des Staatsgrundgesetzes (aus dem Jahr 1867) zu ergänzen, von Norbert Hofer, FPÖ. Demnach sollte auf Absatz 1 Artikel 5 ein 2. Absatz folgen. Derzeitiger Wortlaut:
„Das Eigentum ist unverletzlich. Eine Enteignung gegen den Willen des Eigentümers kann nur in den Fällen und in der Art eintreten, welche das Gesetz bestimmt.“ Vorschlag der FPÖ für den Absatz 2: „Die Verwendung von Bargeld unterliegt keinen Einschränkungen.“
Die Formulierung „Enteignung gegen den Willen des Eigentümers“ wäre eine eigene sprachphilosophische Analyse wert. Wichtiger ist hier aber die Untersuchung der Frage, ob die Verfassung der geeignete Platz ist, um Parteipolitik zu machen. Grundsätzlich geht es beim Thema Bargeld nicht direkt um Parteipolitik, indirekt aber doch. Denn die Parteien entdeckten nach dem Ende von „Türkis-Blau“ das „freie Spiel der Kräfte“ und damit die Chance mit immer neuen Themen zu punkten.
Das Neue ist oft das gut vergessene Alte. Die FPÖ hat bereits im Februar 2016 den Antrag „betreffend ein Bundesverfassungsgesetz über die Freiheit zur unbeschränkten Verwendung von Bargeld im Zahlungsverkehr“ eingebracht. Den Artikel haben sie offenbar nicht durchgebracht, doch das Thema hat starke Wellen in den Medien geschlagen. Warum eine Glut, die für Publicity sorgt, nicht wieder anfachen? Wie man an der zitierten Kurier-Ausgabe sieht, gilt immer noch die alte Wahrheit: Alle Menschen sind vergesslich. Journalisten sind auch nur Menschen.
Im Jahr 2016 hat auch der Buchmarkt das Thema entdeckt. „Achtung! Bargeldverbot! Auf dem Weg zum gläsernen Kontosklaven“ so der Publizist Michael Brückner, der den gesamten Inhalt seines Buches schon im Titel verpackt hat. Ebenso emotionalisiert schreibt Urs Scheufele über „Bargeld-verbot und Cybergeld“ und warnt: „Ökonomen und Politiker weltweit fordern eine zügige Abschaffung des Bargeldes. Es droht die totale Überwachung und die Versklavung zum Konsumtrottel.“ Im April schüttet Prof. Max Otte Benzin ins Strohfeuer der Bargeldhysterie: "Eine bargeldlose Welt würde uns unserer Freiheit berauben und uns zu schutzlosen Subjekten eines allmächtigen Systems machen. Eine Staats- und Konzernwirtschaft, der wir restlos ausgeliefert sind: In einer bargeldlosen Wirtschaft würden wir zwangsläufig zu 'Geiseln der Banken'". (trend 17/2016)
Otte hat offenbar übersehen, dass wir schon längst, spätestens seit der finanzindustriellen Revolution, schutzlose Objekte des allmächtigen Finanzsystems sind. Denn wenn das bereits allmächtige Finanzsystem nach Wegen sucht, die Bürger zu enteignen, zu überwachen und letztlich zu entmündigen, dann gibt es auch mit Bargeld beliebig viele Möglichkeiten, das zu tun.
Doch der Glaube an den Wert des Geldes hat sich verselbständigt. Wie sich dieser Glaube historisch entwickelte, hat Christina von Braun in ihrem Buch „Der Preis des Geldes“ ausführlich beschrieben. Sie erklärt, warum es emotional, ja geradezu religiös aufgeladen ist und der Glaube an Geld als Wertanlage so tief sitzt, obwohl die historischen Tatsachen belegen, dass Geld immer wieder abgewertet oder völlig entwertet wurde. Von Braun: „Deutschland ist das beste Beispiel: Noch Anfang des 19. Jahrhunderts gab es die einzelnen Fürstentümer und Stadtstaaten, dann folgte das Reich (mit wechselnden Grenzen und drei extrem unterschiedlichen politischen Systemen: Monarchie, Republik, Diktatur), danach zwei deutsche Staaten, später ein vereinter Staat, und nun ist Deutschland ein Teil der europäischen Gemeinschaft. Jede dieser Gemeinschaften hatte und hat ihre eigene Währung.“ (von Braun, 442) Kurz: Es gibt keine Garantie, dass das Geld seinen Wert behält. Jedenfalls hat es immer seinen Preis. Und der besteht darin, dass „einige daran glauben müssen“, wie Christina von Braun treffend formuliert.
Das Horten von Bargeld war zu keiner Zeit Garant für den Erhalt des Vermögens. Umso verwunderlicher ist es, dass viele Menschen noch immer an das Bargeld als Wertaufbewahrungsmittel glauben. Aufgrund der mythischen Tradition des Geldes lässt sich das nur mit dem Glauben an Wunder erklären. Dazu die Position der Österreichischen Nationalbank: „Bargeld hat viele Vorteile: Man hat immer einen guten Überblick über seine Ausgaben. Es ist ein kostengünstiges Zahlungsmittel und es ist ein Wertaufbewahrungsmittel.“ Folglich dementiert die OeNB jegliche Absicht, Bargeld abzuschaffen.
Die Fakten zeigen, dass nicht der geringste Grund zur Panik besteht. Der Bargeldumlauf in den Euroländern nimmt stetig zu, Ende Februar 2016 betrug dieser 1,088 Billionen Euro und ist bis Oktober 2019 auf 1,258 Billionen Euro angestiegen. (de.statista.com)
Das bedeutet eine Vervierfachung im Vergleich zu 2002, dem Jahr der Euro-Einführung. Laut OeNB hat das Eurosystem durch die Ausgabe der neuen Euro-Banknotenserie ein klares Bekenntnis zur Zukunft des Bargelds abgegeben. Bargeld ist demnach in Österreich mit einem Anteil von rund 65 Prozent des Zahlungsvolumens immer noch das wichtigste Zahlungsmittel.
Menschen, die seit zwanzig Jahren Handys und seit zehn Jahren Smartphones bei sich tragen und rund um die Uhr nutzen, sind mehr als idiotisch, wenn sie ausgerechnet in der Abschaffung des Bargeldes den „Weg zum gläsernen Kontosklaven“ oder die Ursache der „Versklavung zum Konsumtrottel“ sehen. Mehr als idiotisch bedeutet: dumm. Wer damit Panik schürt, leistet keinen Beitrag zur Aufklärung.
Meine Prognose: Das Ende des Bargeldes wird aufgrund des digitalen Fortschritts irgendwann in den kommenden fünfzig Jahren kommen. Ohne Verbot, sondern ganz einfach so. Weil es überflüssig wird, so wie die Telefonzelle und das Festnetztelefon.
Im Rahmen der Einführung der Registrierkassen-Pflicht hat der Gesetzgeber entschieden: die Bezahlung mit Kreditkarte gilt als Bargeldgeschäft. Falls eine Regierung wirklich, aus welchen Gründen auch immer, Bargeld in der heutigen Form verbieten oder abschaffen will, dann kann sie jederzeit feststellen „ein Kontoauszug ist Bargeld“. Und diese Behauptung wäre absolut verfassungskonform, auch dann, wenn der Artikel 5, Absatz 2 in der von der FPÖ vorgeschlagenen Form Gesetz wäre: „Die Verwendung von Bargeld unterliegt keinen Einschränkungen.“ Dieser Zusatzartikel enthält nämlich nicht die zwingende Notwendigkeit, dass der Staat Bargeld in Form von Banknoten und Münzgeld produzieren und seinen Bürgern zur Verfügung stellen muss.
Der Antrag der FPÖ wurde in der Sitzung des Nationalrats am 25. September 2019 von allen Parteien außer der FPÖ abgelehnt obwohl Teile der ÖVP einige Wochen davor noch auf den Bargeldzug aufgesprungen sind. Der Klubzwang lässt grüßen.
Siehe auch: Wozu Bargeld? Ein Beitrag zur Wirtschaftsethik in der Unternehmerzeitschrift a3ECO 5/2016