Mag. Suha Dejmek
Vizepräsidetin der Plattform Christdemokratie
1. Was sind die Wurzeln dieser Entwicklung?
Die Wurzeln dieser Entwicklung sind angesichts der gesamten Gesellschaftsentwicklung sehr komplex und hängen mit mehreren Faktoren zusammen. Ein Grund ist sicher, dass der Bereich Sexualität und Minderjährige vorwiegend im Dunkeln passiert, die Nachfrage nach einschlägigen Materialien und Videos in den letzten Jahren erschreckend gestiegen ist und dafür bis dato keine ausreichend gute Prävention bzw. Lösung für alle Betroffenen gefunden wurde. Sexualität ist nun mal ein Tabuthema, über das man nach wie vor in unserer Gesellschaft nicht gerne spricht oder austauscht. Digitale Medien begünstigen und beschleunigen die Fehlentwicklungen und Übergriffe in diesem Bereich und machen es schwierig, an die Übergriffe heranzukommen.
Kinder und Jugendliche zählen zu den vulnerablen Gruppen unserer Gesellschaft. Sie müssen im Zeitalter der Neuen Medien und des Smartphones besser geschützt und gleichzeitig in ihrer Persönlichkeitsentwicklung im Bereich Sexualität alters- und entwicklungsgerecht begleitet und unterstützt werden. Dies sollte in erster Linie durch die primären Bezugspersonen - den Eltern - passieren. Da diese heutzutage jedoch nicht selten aus Zeit-und Wissensgründen mit diesem Thema überfordert sind, passiert dies mittlerweile durch die Schulen und Bildungsinstitutionen. Und hier haben wir ein weiteres Problem: Die schulische Sexualaufklärung, die unter anderem ja auch die Prävention als Hauptziel hat, führt paradoxer Weise aufgrund der mangelnden Professionalisierung und fehlenden Kompetenz der durchführenden Sexualpädagogen häufig genau zu dem, was man eigentlich verhindern möchte. Es bedarf unserer Meinung nach daher eines offenen und schonungslosen Diskurses über die wahren Ursachen der aktuellen Entwicklung und wie man diese in Zukunft durch ein geeignetes und zielführendes Maßnahmenbündel in den Griff bekommt.
2. "Meine Sexualität geht niemanden etwas an" (Zitat Teichtmeister) - ist diese Einstellung haltbar?
Grundsätzlich ist Sexualität ein intimes und sehr sensibles Thema. Dementsprechend sollte auch der Umgang mit diesem Thema in der Öffentlichkeit bzw. dem öffentlichen Diskurs auf den Schutz des Individuums ausgerichtet sein. Was in den eigenen vier Wänden an sexuellen Vorlieben oder Präferenzen gelebt wird, ist Privatsache. Wenn jedoch, wie im Fall von Teichtmeister, Kinder und Minderjährige betroffen sind und diese in die Sexualität von Erwachsenen hineingezogen werden, dann ist dies eindeutig eine strafbare Handlung, die im öffentlichen Interesse und vor allem im Interesse der betroffenen Kinder und Jugendlichen unbedingt adressiert, genau analysiert und danach geahndet werden sollte. Hier sollte der Gesetzgeber klare Schranken im Sinne eines Exempels statuieren und ziehen, um zum Schutz von Kindern und Jugendlichen ähnliche Delikte in Zukunft zu verhindern oder zumindest zu reduzieren.
3. Läuft etwas falsch in der Sexualpädagogik?
Leider ist diese Frage mit Ja zu beantworten. Die moderne Sexualpädagogik hat grundsätzlich gute Zielsetzungen: Ein positiver Zugang zur eigenen Sexualität und dem eigenen Körper und die Gewaltprävention als Mittel gegen sexuellen Missbrauch. Beides ist für eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung unserer Kinder und Jugendlichen unabdingbar. Leider gibt es aber seit einigen Jahren gehäuft Vorfälle an Schulen in ganz Österreich, in denen vor allem Kinder, aber auch Jugendliche mit Inhalten und Materialien konfrontiert werden, die sie überfordern, irritieren oder beschämen und damit sogar kontraproduktiv auf deren Sexualität wirken. Dies liegt einerseits an der angesprochenen mangelnden Professionalisierung und pädagogischen Qualifizierung der SexualpädagogInnen und Lehrer in diesem Bereich und andererseits an den zugrundeliegenden wissenschaftlichen Konzepten selbst. Liest man beispielsweise die "WHO Standards für Sexualaufklärung in Europa", so fällt sofort das neue sozialwissenschaftliche Konzept der Sexualmoral auf, das auf einer Verhandlungsmoral gleichberechtigter und gleichstarker Individuen beruht - eine Idealwelt, die es so in der Praxis nicht gibt. Die Förderung und Weiterentwicklung von definierten sexuellen Kompetenzen und Haltungen - neben wichtigen Informationen - wird zudem als praktische Anleitung zur Sexualaufklärung für PädagogInnen und Lehrer der komplexen und ganzheitlichen menschlichen Sexualität, die mehr als nur Triebbefriedigung und Lusterfüllung ist, nicht wirklich gerecht. Es fehlen wichtige bindungstheoretische, biologische sowie humanethologische Zusammenhänge sowie klare Grenzziehungen zum Missbrauch. Kein Geheimnis ist mittlerweile, dass die moderne Sexualpädagogik eine Nachfolge und Weiterentwicklung des emanzipatorischen Ansatzes des Sozialpädagogen und Sexualwissenschaftlers Helmut Kentler darstellt. Wer seinen berühmt-berüchtigten "Modellversuch" an 13-bis 15-jährigen Jungen in der Obhut von Päderasten im Internet nachliest, wird sicher nicht verwundert sein, dass der sog. "Reformpädagoge" postum 2021 wegen massiven Übergriffen und sexualisierter Gewalt an Kindern beschuldigt wurde.
Es ist also im Bereich Sexualpädagogik noch genug zu tun und zu verbessern. Dies sollte im Interesse und zum Schutz aller Kinder und Jugendlichen in Österreich dringend passieren.
4. Gib es zu wenig Prävention?
Ich würde es vielleicht so formulieren: Es gibt in Österreich offensichtlich zu wenig pädagogisch gute und fachkundige Präventionsarbeit, sonst hätten wir nicht die aktuelle Entwicklung so wie sie sich im Moment darstellt. Vorfälle in Wiener Kindergärten und an Schulen in ganz Österreich zeigen eindeutig, dass Politik und Gesellschaft hier gefordert sind, besser hinzuschauen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, anstatt das ganze Thema unter den Teppich zu kehren.
5. Wo müssten geeignete Präventionsmaßnahmen ansetzen?
Elternbildung an vorderster Stelle wäre angebracht, schon im Kindergartenalter der Kinder! Am besten ist dieses Thema natürlich in den Schulen und Bildungsinstitutionen aufgehoben. Immer vorausgesetzt, dass die behandelten Inhalte und Materialien altersgerecht sind und der Entwicklung der Kinder entsprechen. Präventionsmaßnahmen sollten aber auch Teil der Ausbildung und Qualifizierung von PädagogInnen und Lehrer sein.