Österreich am Wort

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8. Mai 2024 - Völlig überraschend bringt eine Presseaussendung des IHS zutage, dass zur Aufarbeitung der Corona-Politik im Auftrag der Bundesregierung „Österreich am Wort“ war. Mehr noch, sogar ein „Bürger:innen-Rat“ habe sich gebildet. Das IHS hat erforscht: „Dass Büger:innen-Räte wirksam sein können, zeigt unter anderem die Arbeit des Rates ‚Österreich am Wort‘, der von der Bundesregierung zur Aufarbeitung der Corona-Krise eingesetzt worden ist.“ Mit erstaunen müssen wir feststellen, dass uns Kanzler Nehammer bei der Erfindundung, bei der Durchführung und bei der Präsentation der Ergebnisse der „Versöhnungskommission“ verschwiegen hat, dass dabei über ein „Bürger:innen-Rat“ tätig und „Österreich am Wort“ war!

Der ORF.at (8.5.24) berichtet: „Im Sommer 2023 wurden 15.000 Österreicherinnen und Österreicher angeschrieben. Am Ende nahmen 316 Bürgerinnen und Bürger in allen Bundesländern teil. Die Forschungsfragen und das Design wurde durch das IHS zusammen mit ÖAW, Statistik Austria, Universität Southampton, Universität Göttingen, Universität Wien, Medizinischer Universität Wien, Universität Graz und dem Bundeskanzleramt ausgearbeitet.“

Käfer und Menschen

Foto: Albertina Modern / Essl Museum

Es wird vermutlich ein ewiges Geheimnis bleiben, was Wissenschafter der Universitäten Southampton und Göttingen zu dieser Untersuchung beigesteuert haben, was die Wissenschafter aus Wien und Graz nicht liefern konnten. Doch wichtiger ist die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage der „Bürger:innenrat“ steht und nach welchen Kriterien er sich formiert, gebildet oder eingesetzt wird. Antworten finden sich auf der Webseite der Statistik Austria:

Österreich am Wort ist ein Bürger:innendialog, der im Herbst 2023 vom Bundeskanzleramt, gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Höhere Studien, durchgeführt wird. Er ist ein wesentlicher Teil des Corona-Aufarbeitungsprozesses der Bundesregierung. Statistik Austria wurde beauftragt, eine repräsentative Stichprobe der österreichischen Bevölkerung – also eine Art „Mini-Österreich“ – einzuladen, an diesem Bürger:innendialog teilzunehmen. Unter allen Personen, die sich anmelden, werden pro Bundesland 40 Bürger:innen, insgesamt also 360 Personen, eingeladen, am Bürger:innendialog in ihrem jeweiligen Bundesland teilzunehmen. Die Bürger:innen werden einen Tag lang auf Basis ihrer eigenen Erfahrungen in der Corona-Pandemie in moderierten Fokusgruppen diskutieren. Gemeinsam werden die Bürger:innen konkrete Empfehlungen formulieren, die das Handeln in zukünftigen Krisen verbessern sollen. Die Ergebnisse fließen in das gesamtstaatliche Krisenmanagement ein. … Ein Fragebogen wird in einer ersten Tranche an 10.000 Personen im Alter von 18 bis 89 Jahren übermittelt. Die Stichprobe wird aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) gezogen und ist zunächst anonymisiert. Vor der Versendung werden die benötigten Namen und Adressen von der Stammzahlenbehörde übermittelt. Die Teilnahme an der Erhebung ist freiwillig. … Personen, die an ‚Österreich am Wort‘ teilnehmen, … wurden per Brief informiert, dass sie für die Erhebung Österreich am Wort ausgewählt wurden.“

Statistik Austria verrät ganz nebenbei, was die Meinungen, Erfahrungen, Bewertungen und Diskussionsbeiträge eines „Bürgerr:innenrats“ den Politikern wert ist, die beispielsweise für ein einstündiges Diskussionsvideo mit je einem Vertreter aller Parlamentsparteien über 50.000 Euro ausgeben: „Wenn Sie zur Teilnahme eingeladen wurden und bei der Veranstaltung mitmachen, erhalten Sie eine Aufwandsentschädigung von 100 Euro.“ (Quelle: statistik.at)

Im folgenden die weitgehend nichtssagende IHS-Presseinfo, die einleitend (allerdings unfreiwillig!) den Studienzweck des Auftraggebers, also der Regierung, enthüllt: „Bürger:innen-Räte sind ein wirksames Instrument für mehr direkte Demokratie. Eine IHS-Studie hat anhand des Bürger:innen-Rates zur Corona-Aufarbeitung untersucht, wie sie repräsentativer werden können.“

Aus dem ersten Satz geht hervor, dass „mehr direkte Demokratie“ wünschenswert wäre. Tatsache ist, dass sich die „Repräsentanten“ unserer Demokratie, die Abgeordneten der Parlamente, als einzig legitime Vertreter der bestehenden repräsentativen Demokratie sehen, während sie freie Aktivisten und Mitglieder hunderter Kleinparteien als „Schwurbler“ verunglimpfen oder bestenfalls nicht einmal ignorieren. Tatsache ist, dass die Vertreter aller Altparteien nicht das geringste Interesse an „mehr direkter Demokratie“ haben.

Klar ist, dass auch die Regierung, die sich bislang (ohne verfassungsgemäße Grundlage) immer aus den Parteien des Nationalrats formiert hat, nie ein ernsthaftes Interesse an direkter Demokratie entwickeln wird. So kratzt die IHS-Mitteilung die Kurve und prescht mit Vollgas auf das Ziel zu, das die Regierung sicher befriedigen wird, indem sie erklärt, „wie sie [nämlich direkt-demokratische Bewegungen] repräsentativer werden können“; anders gesagt: wie sie sie [nämlich direkt-demokratische Bewegungen] am besten missbraucht werden, um die Wähler zu täuschen und das bestehende System der Parteiendemokratur noch fester einzubetonieren.