Luegerdenkmal: Überlasst es den Vandalen!

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31. Mai 2023 - "Lueger-Denkmal wird um 3,5 Grad gekippt. Die Umsetzung der Kunstaktion ist für 2024 geplant und mit 500.000 Euro budgetiert", berichtet WienerZeitung.at. Mit dieser Kippaktion will die Stadt Wien die Vandalen stoppen, die das Denkmal häufig beschmieren.

Vorweg: Karl Lueger (1844-1910), Wiener Bürgermeister von 1897 bis zu seinem Tod, war ein Antisemit. So, nicht mehr und nicht weniger, wie Karl Renner (1870-1950), der noch 1939 für den Anschluss Österreichs an Deutschland gestimmt hat, Antisemit war. An den Denkmälern von Karl Renner hat im Roten Wien noch niemand gekratzt.

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Foto: Yulia Onipchenko, Kreativraum Galerie, nähe Luegerplatz

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Genealogie einer politischen Entscheidung: Schon 2009 schrieb die Universität für angewandte Kunst einen Wettbewerb aus. Unter 150 Einreichungen hat überraschender Weise der Musiker und Künstler Klemens Wihlidal mit einer einfachen, aber stringenten Idee gewonnen: er schlug vor, das über zehn Meter hohe Denkmal wie den schiefen Turm von Pisa zu kippen. Dann ist Jahre lang nichts passiert, bis die Stadt Wien 13 KünstlerInnen zu einem Wettbewerb geladen haben, den nun Wihidal gewonnen hat.

DiePresse.com kritisiert das Verfahren: "In der Zwischenzeit, mehr als ein Jahrzehnt nach Wihlidals Entwurf, hat sich die schwerfällige Maschinerie der Wiener Kulturpolitik endlich in Bewegung gesetzt – und zwar kerzengerade in die falsche Richtung. Statt den Wihlidalentwurf ohne Wenn und Aber umzusetzen, wurde zuerst die Freunderlwirtschaft bemüht und ganz ohne Ausschreibung ein 'Übergangsprojekt' auf dem Lueger-Platz realisiert. Da wärmt ein Händchen das andere – so läuft Korruption im Kunstrevier; alles verhabert, alles mit links, alles unter sich. Und so kommt es dazu, dass statt Klemens Wihlidal für seinen tatsächlich genialen Entwurf, eine Paarung namens Six & Petritsch den Auftrag für ein 'Übergangskunstwerk' bekommen hat, mit einem Ergebnis von jämmerlicher künstlerischer Qualität. Eine Bastelarbeit, mit der man den Prater, aber nicht Lueger kontextualisieren kann; und das für den horrenden Preis von 100.000 Euro."

Im Vergleich zu bislang 150.000 Euro, die (laut wikipedia) bereits für die fachgerechte Beseitigung der Interventionen von mehr oder weniger begabten Graffiti-KünstlerInnen, noch relativ günstig. Im Vergleich zum "Übergangskunstwerk" scheint auch die Umsetzung des Konzepts von Wihlidal gar nicht so teuer. Doch im Vergleich zu der Lösung, die ethos.at vorgeschlagen hätte, eine untragbare Geldverschwendung.

Der Vorschlag von ethos.at ist ebenso einfach und stringent wie der von Wihlidal: Lasst die Vandalen vandalieren! Österreichs Kulturpolitiker rühmen die Aktionisten, wo immer sie sich (selbst) wichtig machen wollen. Es ist unbestreitbar, dass die "Vandalen" (wahlweise mit oder ohne " ...", je nach Geschmack der LeserIn) Aktionen setzen. Sie sind so gessehen die legitimen Erben von Nitsch, Mühl, Brus und Co. Wenn nun politische Aktivisten oder künstlerische Aktionisten das Lueger-Denkmal für ihre  Statements benutzen, so wäre es demokratiepolitisch und kunsthistorisch plausibel argumentierbar, diese Akte im Geiste der Freiheit der Kunst und in der Tradition des Aktionismus einfach zuzulassen. Die Steinsockel und -reliefs könnte man vorab mit einer Schutzschicht versehen. Dies würde maximal 50.000 Euro kosten. Wer jedoch glaubt, eine 500.000 Euro teure Intervention würde Vandalen vor künftigen Aktionen zurückhalten, ist mehr als naiv - nämlich dumm.

Moralisches Resümee: Es ist moralinsauer, aus heutiger Sicht Karl Lueger (und viele anderen Politiker seiner Zeit bis zum Ende der ersten Republik) wegen "Antisemitismus" (wahlweise mit oder ohne "...", je nach Gesinnung der LeserIn) zur Unperson zu erklären (und andere Antisemiten nicht). Ebenso ist es moralinsauer, jene als Vandalen zu diffamieren, die Aktionen setzen, die vollkommen dem Zeitgeist entsprechen, nämlich den Positionen der politisch korrekten "Non-Antisemiten" (Diktion Antisemitismusstudie 2022)

Vielleicht ist es mehr als naiv - nämlich dumm - zu glauben, die österreichische Kultur in hundert Jahren oder sogar schon in kommenden Jahrzehnten sei höher als die heutige. Historisch betrachtet erleben wir seit hundert Jahren einen massiven Kulturverfall. Doch angesichts der Tatsache, dass die Umsetzung der genialischen Idee von Klemens Wihlidal auch in naher Zukunft keine Aktionisten von ihren Aktionen abhalten wird, wäre es angemessen, noch weitere 50 bis 100 Jahre mit der Umsetzung zu warten - in der Hoffnung, dass Österreich irgendwann eine Kulturwende erleben wird. Vielleicht werden die ÖsterreicherInnen dann die kulturelle Reife erreicht haben, die für die Umsetzung des Projektes nötig wäre. Oder man wird dann über Traditionen und Kültür sowieso ganz anders denken - dann wär die geplante Intervention 2024 und die damit verbundene Investition auch überflüssig. 

Das Künstlerhonorar, das wohl nicht mehr als 20 Prozent der Umbaukosten betragen wird, sollte man jedenfalls umgehend ausbezahlen. Ohne Wenn und Aber, ohne Larifari über den "den Weg der profunden demokratischen Willensbildung" der Stadt Wien (siehe OTS / Pressemitteilung).

Kommentare zu dem Thema siehe fischundfleisch.

Nachsatz: "1910 waren die Nachrufe auf Lueger freundlich. Die Israelitische Kultusgemeinde hatte für Lueger sogar einen Bittgottesdienst in der Synagoge abgehalten und für das Denkmal gespendet. In der Arbeiter-Zeitung erklärte man: '… das, was demokratisch und antikapitalistisch war in Luegers Anfängen, das zu vollenden ist die geschichtliche Mission des Roten Wien.' ... 1926 war das Lueger-Denkmal am Wiener Stubenring mit privaten Spendengeldern auf öffentlichem Boden errichtet worden. Der sozialdemokratische Bürgermeister Karl Seitz hielt die Einweihungsrede. Der Platz, auf dem es steht, heißt seit damals Karl-Lueger-Platz." Daran erinnert Christa Zöchling auf profil.at (10.2.22)