Justiz-Groteske Maurer vs Petrovic

19. Juli 2024 - „Der impfkritische "Grüne Verein für Grundrechte und Informationsfreiheit" (GGI) rund um die frühere Grünen-Chefin Madeleine Petrovic muss der grünen Klubobfrau Sigrid Maurer 400 Euro sowie die Verfahrenskosten bezahlen. So lautet das Urteil des Handelsgerichts Wien. Maurer hatte wegen Urheberrechtsverletzung geklagt, nachdem GGI unter einem Tweet von Maurer ihr berühmtes "Stinkefinger"-Foto kommentierte. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, GGI hat Berufung eingelegt“, berichtet DerStandard.at (19.7.24)

Maurer Stinkefinger

Kurt Käferböck @kaeferboeck kommentiert via twitter: „🇦🇹 Gericht entscheidet für das Stinke Finger Foto von Sigi Maurer gegen den Verein @ggiund2g. Ich finde diese Klage von Frau Maurer charakterlos. Sie produziert ein provokantes Foto, zeigt unbestimmten Menschen den Stinke Finger, nennt sie "Hater " ohne irgendetwas zu belegen oder zu beweisen und wenn dann eine Gruppe dieses Foto in verhältnismäßiger Weise benutzt und es kommentiert, klagt sie auch noch, anstelle es einfach so zu belassen.“

(Pressemitteilung der Liste Petrovic via APA / OTS) - Maurer vs. Petrovic: Stinkefinger als liebevolle Geste?

Neuigkeiten im Verfahren um das Stinkefinger-Foto. Das Gericht erkennt "gerade kein aggressives bzw. hasserfülltes Verhalten" in der Pose mit ausgestrecktem Mittelfinger.

Die GGI-Initiative (Grüne für Grundrechte und Informationsfreiheit), der Grüne Basisverein rund um Madeleine Petrovic, kommentierte im Februar 2023 einen Tweet von Sigrid Maurer, in dem diese einem politischen Mitbewerber Hass und Niedertracht vorwarf. Die Initiative postete dazu Maurers Stinkefinger-Foto, mit den Worten "'Hass und Niedertracht'? Wer im Glashaus sitzt...", um Sigrid Maurer den Spiegel vorzuhalten und deutlich zu machen, dass auch Maurer Hass im politischen Diskurs einsetzt - was sie jedoch bei anderen kritisiert. Maurer klagte daraufhin prompt wegen einer angeblichen Urheberrechtsverletzung. (Siehe GGI-Pressemitteilung vom 13. Jänner 2024) Petrovic ist überzeugt, dass die Verwendung des Fotos durch die Meinungsfreiheit und das Zitatrecht gedeckt ist. Nun ist das Urteil zu Gunsten der Klägerin da - mit einer kuriosen Rechtsansicht.

Das Gericht interpretierte die Stinkefinger-Geste als "gerade kein hasserfülltes Verhalten" und führte dazu aus:

Aus der auf dem Lichtbild eingenommenen Pose (Halten eines Glases samt „Stinkefinger“ samt der Textzeile „to the haters with love“) geht nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittsbetrachters gerade kein aggressives bzw hasserfülltes Verhalten, sondern das Bekenntnis zu einer eigenen, gerade gegenteiligen Haltung gegenüber einer bestimmten Gruppe („hater“) hervor

Kurz gesagt: Der Stinkefinger galt quasi als liebevolle Geste gegenüber Maurers "hatern". Eine recht eigenwillige Interpretation. Fraglich nur, ob zukünftige Gerichte die Geste ähnlich bewerten, denn der Stinkefinger hat schon einigen Menschen Strafzahlungen eingebracht.

Dies ist nur ein Beispiel von mehreren mutmaßlichen Verfahrensfehlern, die dem Urteil anhaften. „Dieses Urteil ist nicht nur juristisch fragwürdig, sondern auch politisch brisant. Es zeigt wieder, dass die Justiz in politischen Fällen anders handelt“, so Madeleine Petrovic, "derartige Rechtsprechung gefährdet ernsthaft die Meinungsfreiheit. Es darf nicht sein, dass kritische Stimmen in einer Demokratie mundtot gemacht werden“. Die GGI-Initiative hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Justizgroteske + Rechtsprechung + Judikatur

Kommentar ethos.at: Diese Justizgroteske ist gleichzeitig ein Politgroteske. Eine ziemlich mächtige Politikerin (Klubchefin der Grünen mit rund 20.000 Euro Einkommen monatlich) verklagt (damals noch parteiinterne) Kritiker! Das ist

1. ein Zeugnis für das unterirdische Diskussionsniveau in der heutigen Politik. Da man heute sogar von „cancel culture“ spricht, nachdem man die Coronawillkürherrschaft die „Neue Normalität“ nannte, muss man so einen Streit wohl unter „Diskussionskultur“ einordnen. Aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es

2. um die „Justizkultur“, um die Tatsache, dass ein frustriertes Selfie von Maurer (infolge der NR-Wahl 2017, nachdem die Grünen aus dem Parlament geflogen sind) mit einem offensichtlich ironischen Kommentar von GGI/Petrovic versehen wurde. Dass es irgendwo in Europa, und das ausgerechnet in Österreich, einen Justizapparat gibt, der bereit ist, so einen Schmarrn ernsthaft als Rechtsfall zu betrachten, dazu noch unter dem hanebüchenen Vorwand der „Urheberrechtsverletzung“  das ist eigentlich keine Groteske mehr, das ist ein Justizskandal. Wenn überhaupt könnte es eine Copryright-Verletzung wegen nichterlaubter Nutzung eines Fotos gewesen sein. Auf eine landläufige Geste kann es keinen Anspruch auf Urheberrecht geben!

3. Bei jedem strafrechtlich relevanten Fall prüft die Staatsanwaltschaft, ob eine Verurteilung wahrscheinlich ist. So kommen rund 90 Prozent der Fälle überhaupt nicht zur Verhandlung. Aber zivilrechtlich gibt’s offenbar nach unten keine Grenze der Bedeutungslosigkeit von Konflikten, die nicht vor einem ordentlichen Gericht verhandelt werden könnte. 

4. Dieses Beispiel erklärt immerhin, warum die Menschen die Parteien, aber auch die (offiziell unabhängigen) Organe des Staates nicht mehr ernst nehmen. Und es ist einer der Gründe für die Spaltung in unserem Lande – nicht die Spaltung zwischen Gruppierungen der Gesellschaft über die unser Präsident bei Festtagsreden lamentiert, sondern die Spaltung zwischen Staat (von Gemeindeamt bis zur Präsidentschaftskanzlei) und der Gesellschaft. Genauer gesagt: die Spaltung zwischen Staatsorganen und jenen Teilen der Gesellschaft, die ihre Grund- und Freiheitsrechte kennen und auch aktiv ausüben!

5. Subjektive Beurteilung eines Querdenkers: Würde mich jemand fragen, wie man diese Groteske am besten beenden soll, so würde ich GGI und Petrovic raten, das Urteil anzunehmen, die Strafe und die Gerichtskosten aber nicht zu bezahlen. Diese Entscheidung lässt sich nicht juristisch, sehr wohl aber ethisch begründen: Maurer hat ihre Machtposition dazu benutzt, um vom Gericht eine Leistung zu einzufordern. Sie hat einen rein politischen (ehemals sogar innerparteilichen) Konflikt auf die Ebene von Staatsorganen verlagert. Dies ist ethisch betrachtet Machtmissbrauch. Obwohl Maurer dem Staat dadurch völlig sinnlos Kosten verursacht hat, ist sie rechtlich nicht verpflichtet die Rechnung zu bezahlen. Aber aus ethischer Sicht ist Maurer dafür verantwortlich. (Verursacherprinzip!) Sapere aude!